In der vorliegenden Hausarbeit werden zwei Fragen näher behandelt, die für das Verständnis der Blumenbergschen Neuzeittheorie sowie für seine Auffassung von Vernunft und Geschichte relevant sind. Diese werden in seinem Buch „Die Legitimität der Neuzeit“ (1966) entwickelt. Aus dem Titel des Werkes wird deutlich, dass die Neuzeit selber das Hauptthema desselben ist. In Bezug zum Titelthema geht Blumenberg (1920-1996) aber auch auf andere Themen wie Säkularisierung, Aufklärung und Wissbegierde ein.
Die erste Frage, die für diesen Kontext wichtig ist, lautet: Welcher Zusammenhang besteht zwischen theoretischer Neugierde und Aufklärung bei Blumenberg? Dieser soll am Beispiel von Immanuel Kant (1724-1804) verdeutlicht werden. Die zweite Frage möchte einen Bogen zum Gesamtrahmen des Werkes schlagen. Inwiefern nämlich sind die Legitimität der Neugierde, wie sie vor allem in der Aufklärung unverkennbar wird, und die Legitimität der Neuzeit miteinander verknüpft?
Inhaltsverzeichnis
A: Einleitung
B: Kant und die theoretische Neugierde im Rahmen der Aufklärung
1.1 Einige einleitende Bemerkungen zum Kant-Kapitel in der LN
1.2 Der Status der theoretischen Neugierde in der KrV, KdU und in den aufklärerischen Aufsätzen
1.3 Neuzeitliche Aufklärung als Selbsterhaltung der Vernunft
1.4 Die problematische Verschränkung der Neugierde mit der Politik
1.5 Curiositas in den „Metaphysichen Anfangsgründen der Naturwissenschaft“
1.6 Wahrheit in der Neuzeit und bei Kant
1.7 Die Geschichte der Vernunft im Kontext von Blumenberg und Kant
Bibliografie
A: Einleitung
In der vorliegenden Hausarbeit werden zwei Fragen näher behandelt, die für das Verständnis der Blumenbergschen Neuzeittheorie sowie für seine Auffassung von Vernunft und Geschichte relevant sind. Diese werden in seinem Buch „Die Legitimität der Neuzeit“ (1966) entwickelt. Aus dem Titel des Werkes wird deutlich, dass die Neuzeit selber das Hauptthema desselben ist. In Bezug zum Titelthema geht Blumenberg (1920-1996) aber auch auf andere Themen wie Säkularisierung, Aufklärung und Wissbegierde ein. Die erste Frage, die für diesen Kontext wichtig ist, lautet: Welcher Zusammenhang besteht zwischen theoretischer Neugierde und Aufklärung bei Blumenberg? Dieser soll am Beispiel von Immanuel Kant (1724-1804) verdeutlicht werden. Die zweite Frage möchte einen Bogen zum Gesamtrahmen des Werkes schlagen. Inwiefern nämlich sind die Legitimität der Neugierde, wie sie vor allem in der Aufklärung unverkennbar wird, und die Legitimität der Neuzeit miteinander verknüpft?
B: Kant und die theoretische Neugierde im Rahmen der Aufklärung
1.1 Einige einleitende Bemerkungen zum Kant-Kapitel in der LN
Blumenberg stellt Kants Position im elften Kapitel des dritten Teils[1] seines Buches dar. In diesem Teil rekonstruiert der Philosoph die Geschichte der theoretischen Neugierde, und zwar von der Antike bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei werden der Thematik der Aufklärung, die für den Gesamtrahmen des Buches von Bedeutung ist, sogar explizit zwei Kapitel gewidmet. Sie spielt für den Zusammenhang von Vernunft und Geschichte, den Blumenberg interessiert, eine bedeutende Rolle. Welche das ist, wird im weiteren Verlauf des Textes gezeigt[2]. Das Kapitel 10 beschäftigt sich mit dem 17. Jahrhundert, welches die Aufklärung nach seinem Verständnis vorbereitet. Ohne dieses näher beleuchten zu können, soll nur darauf hingewiesen werden, dass diese Zeit allmählich zur Rechtfertigung der Neugierde führt. Hierin besteht sein vorbereitender Charakter. Das elfte Kapitel thematisiert das 18. Jahrhundert. Welche Entwicklung der Prozess der theoretischen Neugierde in diesem Zeitraum nimmt, wird nun genauer untersucht. Es ist jedoch wichtig anzumerken, dass wir mit diesen beiden Jahrhunderten bereits in der Neuzeit sind. Genauer: für Blumenberg selber ist die Aufklärung die Epoche der Neuzeit, da sich hier nach seiner Auffassung der Bruch mit dem Mittelalter und das Bewusstsein in einer „neuen“ Zeit zu leben am deutlichsten zeigt. Dieses Bewusstsein gehört ja gerade zum „Selbstverständnis“ der Neuzeit (LN, S.209). Der Unterschied zwischen beiden Geschichtsepochen soll an dieser Stelle nicht weiter erläutert werden, muss aber im weiteren Verlauf der Arbeit an einzelnen Punkten nochmals aufgegriffen werden. Zunächst wird die Epoche der Aufklärung betrachtet und damit Kants Stellung innherhalb derselben. Eine Rekonstruktion bezüglich des Prozesses der theoretischen Neugierde in der Antike, dem Mittelalter und darüber hinaus kann hier nicht geleistet werden, auch wenn sie im Hinblick auf das Verständnis des Gesamtprozesses erhellend wäre. Sie würde jedoch zum Verständnis der Aufklärung nichts Wesentliches mehr beitragen, denn Blumenberg selber sagt im 11. Kapitel das Wichtigste darüber. Dies aber nur bezüglich der theoretischen Neugierde.
1.2 Der Status der theoretischen Neugierde in der KrV, KdU und in den aufklärerischen Aufsätzen
Kants Position wird im letzten Abschnitt des Kapitels dargestellt. Er wird somit als die finale Station innerhalb der deutschen Aufklärung gezeigt, die für den Prozess der theoretischen Neugierde bedeutend ist. Blumenberg selber beginnt das Kapitel mit der französischen Aufklärung und kommt dann über namhafte Vertreter wie Voltaire (1694-1778) und Rousseau (1712-1778) zur deutschen Aufklärung mit ihren Repräsentanten wie Lessing (1729-1781) und Lichtenberg (1742-1799). Für diese Arbeit ist Kant nur wichtig, der an dritter Stelle innerhalb dieser Bewegung steht. Wie zeigt sich aber die Thematik der theoretischen Neugierde bei Kant? Blumenberg weist hierbei auf die „Selbstbegrenzung“ der Vernunft hin, wie sie in der „Kritik der reinen Vernunft“ (1781) von Kant gefordert wird. Mit diesem Akt, den die Vernunft leisten soll, wird der Erkenntnis eine Grenze gezogen. D.h., dass über diese Grenze hinaus keine Erkenntnis für die Vernunft möglich ist. Und daher wird ihr eigenes Wissensstreben, falls es ausufernd wird, sinnlos, weil sie nicht in andere Wissensgebiete jenseit der Grenze gelangen kann. Das bedeutet für Kant jedoch nichts Negatives, denn die Würde der Vernunft besteht gerade darin, diesen Umstand zu akzeptieren und damit leben zu können. Die Ratio des Menschen, die immer in Gefahr ist, dass sie ihren ausufernden Wissensdurst nicht zügeln kann, soll somit vor einer pathologischen, weil ungehemmten, Entwicklung bewahrt werden. Aufklärung der Vernunft heißt demnach nach Kant, die Anerkennung der eigenen Grenzen und das ist ein wichtiger Punkt, der mit der „Kritik der reinen Vernunft“ intendiert wird. Kritik ist daher gleichzusetzen mit Grenzziehung, zu der die Vernunft veranlasst werden soll. Blumenberg betont in ähnlicher Weise diesen Aspekt, wenn er zu verstehen gibt, dass „die Hypertrophie der Wissbegierde für Kant die Wurzel all der geistigen Erscheinungen ist, deren Negation 'Aufklärung' heißt“ (LN, S.503). Doch die Sache ist komplexer als es auf den ersten Blick scheint, denn der Philosoph betont an anderer Stelle, dass der Schluss der KrV (1781) eine anscheinend andere Sichtweise des Königbergers zeigt. Kant äüßert nämlich am Schluss der „Geschichte der reinen Vernunft“, dass die Wissbegierde zu ihrer völligen Befriedigung gebracht werden soll. Hier wird, so Blumenberg, Neugierde jedoch als das „Organ der Aufklärung selbst“ (LN, S.504) verstanden, eine Unruhe, die nur in die richtige Richtung gelenkt werden muss. An diesem Punkt kritisiert er, dass Kant nicht auf den Gedanken gekommen ist, dass die Neugierde selber sich zu einer „exzessiven Triebkraft“ entwickeln könnte, die das „kritische Geschäft der Selbsbegrenzung der Vernunft durch ihre Ansprüche (…) stören und gefährden könnte“ (LN, S.504-505). Die Spannung also zwischen der Selbstbegrenzung der Vernunft und dem grenzüberschreitenden Erkenntnisdrang will Blumenberg dem Leser somit vor Augen führen. Sie ist ein wichtiger Charakterzug der curiositas, die der Mitdenkende in seinem Bewusstsein präsent halten sollte.
Zwischen der KrV und der KdU (1790) stellt sich bezüglich der „Naherwartung“ der Vollendung der kritischen Aufklärung zunehmend Skepsis bei Kant ein, da dieser einsieht, dass die Veränderung der „Denkungsart“ der Bevölkerung ihre Zeit braucht. Er kommt in seinem Aufsatz „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ zum Ergebnis, dass „ein Publikum nur langsam zur Aufklärung gelangen kann“. Das Enwickeln einer kritischen Vernunft bei den Mitbürgern, das ja sein Hauptanliegen ist, stellt sich somit als ein langwieriger und komplizierter Prozess dar. Außerdem weist Blumeberg in diesem Kontext auf den „Konflikt“ einer solchen Vernunft mit dem „öffentlichen Gehorsam seiner Staatsphilosophie“ hin. Mit der Unterscheidung von öffentlichem und privatem Gebrauch der Vernunft, die in diesem Text eingeführt wird, wird diese Problematik verdeutlicht. Der öffentliche Gebrauch der Vernunft steht dem Gelehrten zu, den er vor einem Lesepublikum vollzieht. Den Privatgebrauch hingegen vollzieht ein Lehrer im Amt, der Lehren vertritt, die er als Gelehrter kritisch zu prüfen hat. Blumenberg weist hier auf die Paradoxie der Vernunft hin, die trotz der Dienstbarkeit für öffentliche Zwecke „privat“ heißen kann. Wesentlicher scheint für ihn jedoch zu sein, dass die Verlangsamung der Aufklärung nicht den Stillstand derselben bedeuten kann. Hierzu zitiert er Kant wichtiges Diktum, dass der Verzicht auf Auklärung eine „Verletzung der heiligen Rechte der Menscheit“ gleichkäme. Statt der Zusicherung des baldigen Bevorstehens der Aufklärung, wird nun ein Recht auf sie betont. Das Pathos, das in diesen Sätzen Kants mitschwingt, ist unübersehbar. Blumenberg ist der Ansicht, dass mit der Einräumung dieses Rechts bei Kant eine bestimmte Problematik abgewehrt werden soll. Die nämlich, dass sich ein Zeitalter gegen das nächst- folgende verschwören könnte, um es in geistiger Dunkelheit zu lassen und damit den Erkenntnisforschritt zu unterbinden. Hierbei wird Kants teleologisches Geschichtsdenken deutlich, da eine geschichtliche Epoche nicht hinter ihren eigenen Leistungen zurückfallen soll. Der Fortschritt und die Vervollkommnung des Menschen in der Geschichte müssen zu ihrem Endziel gelangen. Dieses besteht in dem Ideal des aufgeklärten Menschen, der über eine kritische und standfeste Vernunft verfügt, die gegen Passivität und Verführbarkeit geschützt ist. Obwohl also Aufklärung auch Erkenntnisfortschritt bedeutet, heißt das nicht, dass es zu einer Ausuferung des Wissensdranges kommen muss, denn diese soll die Grenzziehung der Vernunft verhindern. Die Erweiterung der Erkenntnisse muss daher nach der kantischen Konzeption im Rahmen der Grenzen der Vernunft bleiben.
1.3 Neuzeitliche Aufklärung als Selbsterhaltung der Vernunft
Blumenbergs weiterer Durchgang durch Kants Werk lässt es nun zu einer bedeutenden Modifizierung am Bild der Vernunft kommen. Statt auf die Würde derselben zu beharren, entspricht Kant nach der Sichtweise des Philosophen „der Härte der geschichtlichen Lage“ (LN, S.507) und wechselt stattdessen zu einem defensiven Modus über, wenn er die Wichtigkeit der „Selbsterhaltung“ der Vernunft betont. Er formuliert die „Maxime[3] der Selbsterhaltung der Vernunft“ im Aufsatz „Was heißt: sich im Denken orientieren?“, und zwar in der letzen Anmerkung. Blumenberg konstatiert dazu, dass die sich selbst erhaltende Vernunft eben nichts anderes ist als die gesunde. Dabei bleibt er aber nicht stehen, denn es kommt zu einer weiteren Gleichsetzung (ebd.):
„Wenn die Aufklärung nichts anderes als eben diese Selbsterhaltung der Vernunft ist, dann ist die Freiheit der Erkenntnis, die sie fordert, nicht eine beliebige, sondern eine gesetzliche Freiheit. In dieser Analogie zur Moralphilosophie (…) bekommt die theoretische Neugierde ihren definitiven systematischen Ort. Das Bedürfnis bewegt, aber es orientiert nicht; es ist legitim, aber es legitimiert nicht.“
Der hier verwendete Begriff „gesetzliche Freiheit“ kann aus dem Zitat allein nicht verstanden werden. Denn Kant behaupet in diesem Aufsatz, dass freies Denken nur möglich ist, wenn die Vernunft sich selber Gesetze gibt, andernfalls würde es zu einer Einbüßung dieser Freiheit kommen. Ein „gesetzloser Gebrauch der Vernunft“ ist für ihn ausgeschlossen. Und hierin besteht die Analogie zur Moralphilosophie, von der Blumenberg spricht. Denn auch unser Handeln wird nach der Auffassung des Königbergers von Gesetzen bestimmt, die er „Sittengesetz“ und „moralisches Gesetz“ nennt. Eine Vertiefung in seine Ethik ist an dieser Stelle aber nicht erforderlich. Es gilt nur diese Gemeinsamkeit seiner theoretischen und praktischen Philosophie zu bedenken. Für ihn ist jedoch wichtiger, dass nach der kantischen Konzeption die Freiheit der Vernunft zu Anarchie und Unterjochung durch andere Gesetze führen kann, sofern sie sich ihren Erkenntnistrieb überlässt und nicht ihre eigene Selbstgesetzgebung beachtet. Ohne den geregegelten Ablauf durch Gesetze funktioniert aber kein Gemeinwesen aus Kants Sicht. Der Wissensdrang kann somit gegen das eigene Interesse der Vernunft handeln und ist daher umso mehr problematischer.
Blumenberg bemängelt bei Kant, dass die Unterscheidung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft zwar zur Analogie zwischen beiden geführt habe, nicht jedoch zu einer „Moral der Theorie“ (ebd.) selbst. Obwohl die Selbstkritik der reinen Vernunft am Ende Platz für die Moral machen sollte. Um diese kritische Beurteilung besser nachvollziehen zu können, soll hier die Analogie kurz paraphrasiert werden. Nach Kants Verständnis fühlt die Vernunft nicht. Sie kann zwar ihren Mangel einsehen, doch hat sie nur ein theoretisches Bedürfnis. Vergleichbar mit ihr ist das moralische Gefühl, welches selber kein moralisches Gesetz hervorbringt. Dieses entspringt aus der Vernunft. Allerdings gibt es hier auch ein Zusammenspiel mit dem freien Willen[4].D.h. Vernunft und freier Wille sind beide am moralischen Gesetz beteiligt. Wie dieser komplexe Zusammenhang zwischen den zwei genauer aussieht, kann im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht geklärt werden. Moral und Vernunft bzw. Theorie müssen bei Kant als zwei getrennte Bereiche betrachtet werden, die größtenteils keine Verbindung zueinander zulassen. Eine Ethik der Vernunft und ihrer theoretischen Neugierde gibt es daher im kantischen Rahmen nicht. Die Gefahr ihrer Dekadenz ist quasi immer gegeben, und zwar deswegen, weil die Möglichkeit einer Ausuferung des Wissensdranges besteht.
[...]
[1] Vgl. erste Anmerkung.
[2] Dem Philosophen geht es letzlich darum, sich Aufklärung über die Aufklärung zu verschaffen, indem er kritisch ihre Vorraussetzungen analysiert. Diese Auseinandersetzung mit der Aufklärung findet an vielen Stellen des Buches statt, die über das gesamte Werk verstreut sind. Nur in Kapitel 11 ist allein die Aufklärung als Epoche das Thema.
[3] Die Maxime lautet so: „ Sich seiner eigenen Vernunft bedienen, will nichts weiter sagen, als bei allem dem, was man annehmen soll, sich selbst fragen, ob man es wohl tunlich finde, den Grund, warum man etwas annimmt, oder auch die Regel, die aus dem, was man annimmt, folgt, zum allgemeinen Grundsatze seines Vernunftgebrauches zu machen. (…)“
[4] Kants Analogie im Orginal: „Die Vernunft fühlt nicht; sie sieht ihren Mangel ein und wirkt durch den Erkenntnistrieb das Gefühl des Bedürfnisses. Es ist hiemit wie mit dem moralischen Gefühl bewandt, welches kein moralisches Gesetz verursacht; denn dieses entspringt gänzlich aus der Vernunft; sondern durch moralische Gesetze, mithin durch die Vernunft verursacht und gewirkt wird, indem der rege und doch freie Wille bestimmter Gründe bedarf“ (Was heisst: sich im Denken orientieren?).