Wie hat Venedig, also die italienische Seerepublik Venedig, die literarische Produktion in Dalmatien und auf Kreta beeinflusst? So lautet die Frage, die dieser Seminararbeit zu Grunde liegt. Thema und Absicht der Arbeit ist es also, das venezianische Herrschaftsgebiet als Kommunikationsraum zu charakterisieren und anhand von zwei ausgewählten Quellen nachvollziehen zu können, wie sich der Einfluss von und der Austausch mit der Mutterstadt auf die Literatur sowohl Dalmatiens als auch Kretas ausgewirkt hat.
Nach einer knappen historischen Einleitung in die Entwicklung Venedigs zum Global Player im Mittelmeer und einem ausführlicheren Abriss über das wissenschaftliche und kulturelle Schaffen einiger Söhne der Stadt, sowie den bedeutenden Aspekt des Humanismus und der Renaissance in Italien, wird zunächst die politische und kulturelle Dimension Kretas skizziert und dann in einem zweiten Schritt jene Dalmatiens im Allgemeinen und Dubrovniks im Speziellen.
Dies geschieht anhand zweier Quellen, die jeweils zu den bedeutendsten Werken ihrer Zeit und Region gehören und sich deshalb gut für eine literaturwissenschaftliche Analyse eignen. Es sind diese Quellen zum Einen der „Erotokritos“ von Vintsentsos Kornaros aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und zum Anderen der „Osman“ von Ivan Gundulić aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Anhand dieser beiden Werke sollen so literarische Gemeinsamkeiten präsentiert werden, die vor allem aus dem italienisch sprachigen Raum stammen und innerhalb eines vorherrschenden venezianischen Kommunikationsraumes überliefert und emuliert werden konnten.
Der „Erotokritos“ wird dabei mit den kommentierten Ausgaben von Betts/Stathis/Thanasis und von Giuseppe Spadaro behandelt, während der „Osman“ vor allem mit Zdenko Zlatar besprochen wird; ein literaturwissenschaftliche Abhandlung, die jedoch nicht gänzlich frei ist von subjektiven und pro-slawischen Äußerungen. Um die einzelnen literarischen Motive und Intertextualitäten, die wiederverwendeten literarischen Strukturen und Charaktere nachvollziehen zu können, muss im Verlauf der Arbeit außerdem dieser kulturelle und wissenschaftliche venezianische Kosmos von Bergamo bis Zypern befriedigend präsentiert werden. Dafür werden unter anderem die Arbeiten von Luigi Balsamo, Sante Graciotti, Manoussos Manoussakas, Michele Metzeltin, Gherardo Ortalli und Oliver Schmitt zu der Thematik herangezogen und zitiert.
Inhaltsverzeichnis:
Vorwort
Venedig, Dalmatien und Griechenland
Venedig und der Humanismus
Die Literatur auf Kreta: Kornaros‘ Erotokritos
Aldus Manutius und die Verbreitung der griechischen Klassiker
Die kulturelle Welt Dalmatiens
Venedig und die Literatur Dubrovniks: Der Osman von Gundulić
Panslawische und antitürkische Haltung dalmatinischer Literaten
Eine grenzübergreifende literarische Produktion
Nachwort
Literatur
Vorwort
Wie hat Venedig, also die italienische Seerepublik Venedig, die literarische Produktion in Dalmatien und auf Kreta beeinflusst? So lautet die Frage, die dieser Seminararbeit zu Grunde liegt. Thema und Absicht der Arbeit ist es also, das venezianische Herrschaftsgebiet als Kommunikationsraum zu charakterisieren und anhand von zwei ausgewählten Quellen nachvollziehen zu können, wie sich der Einfluss von und der Austausch mit der Mutterstadt auf die Literatur sowohl Dalmatiens als auch Kretas ausgewirkt hat. Nach einer knappen historischen Einleitung in die Entwicklung Venedigs zum Global Player im Mittelmeer und einem ausführlicheren Abriss über das wissenschaftliche und kulturelle Schaffen einiger Söhne der Stadt, sowie den bedeutenden Aspekt des Humanismus und der Renaissance in Italien, wird zunächst die politische und kulturelle Dimension Kretas skizziert und dann in einem zweiten Schritt jene Dalmatiens im Allgemeinen und Dubrovniks im Speziellen. Dies geschieht anhand zweier Quellen, die jeweils zu den bedeutendsten Werken ihrer Zeit und Region gehören und sich deshalb gut für eine literaturwissenschaftliche Analyse eignen. Es sind diese Quellen zum Einen der Erotokritos von Vintsentsos Kornaros aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und zum Anderen der Osman von Ivan Gundulić aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Anhand dieser beiden Werke sollen so literarische Gemeinsamkeiten präsentiert werden, die vor allem aus dem italienisch sprachigen Raum stammen und innerhalb eines vorherrschenden venezianischen Kommunikationsraumes überliefert und emuliert werden konnten. Der Erotokritos wird dabei mit den kommentierten Ausgaben von Betts/Stathis/Thanasis und von Giuseppe Spadaro behandelt, während der Osman vor allem mit Zdenko Zlatar besprochen wird; ein literaturwissenschaftliche Abhandlung, die jedoch nicht gänzlich frei ist von subjektiven und pro-slawischen Äußerungen. Um die einzelnen literarischen Motive und Intertextualitäten, die wiederverwendeten literarischen Strukturen und Charaktere nachvollziehen zu können, muss im Verlauf der Arbeit außerdem dieser kulturelle und wissenschaftliche venezianische Kosmos von Bergamo bis Zypern befriedigend präsentiert werden. Dafür werden unter anderem die Arbeiten von Luigi Balsamo, Sante Graciotti, Manoussos Manoussakas, Michele Metzeltin, Gherardo Ortalli und Oliver Schmitt zu der Thematik herangezogen und zitiert.
Venedig, Dalmatien und Griechenland
Es lässt sich wohl behaupten, dass Venedig um das Jahr 1000 zu einer Schlüsselfigur in der Adria wurde, auch wenn man weiterhin der Vormachtstellung Byzanz‘ untergeordnet war.
Als Bari jedoch im Jahre 1071 nach dreijähriger Belagerung Robert Guiscard, dem Herzog Apuliens, in die Hände fiel, fand die Präsenz der Byzantiner an der adriatischen Westküste ein jähes Ende. Nachdem er die Kontrolle über Süditalien übernommen hatte, machte sich Guiscard daran, auch die Ostküste der Adria unter seine Kontrolle zu bringen. So besetzte er Korfu und belagerte Durrës. Schnell fand sich für das geschwächte Byzanz ein Verbündeter in Venedig, das mit einer normannischen Vormachtstellung an beiden Küsten der Adria alles zu verlieren gehabt hätte. Die von Alexius Comnenus 1082 verabschiedete goldene Bulle garantierte schließlich der Lagunenstadt erhebliche Privilegien in den Märkten des byzantinischen Reiches; einen Preis, den Byzanz aufgrund der hilfreichen venezianischen Interventionen bereit war zu zahlen. Venedig wurde in der Adria dadurch zum mächtigsten Kontrahenten, während Byzanz‘ Einfluss immer mehr abnahm. Als im Jahre 1126 dann Johannes Comnenus die Privilegien von 1082 erneut garantierte, war dies nicht mehr dem Dank an einen einstigen Verbündeten geschuldet, sondern vielmehr eine Folge der Machtausübung der Republik Venedig. Venedig war zum maritimen Vorzeigestaat geworden, der nicht so sehr am jeweiligen Hinterland, sondern vielmehr an Märkten und Häfen interessiert war. Nichtsdestotrotz bestand von jeher eine Beziehung zwischen dem Landesinneren der Balkanhalbinsel und dem Meer, die mit der Präsenz Venedigs nun dazu führte, dass sich lateinische und slawische Elemente miteinander verbanden. Ein Prozess der Sprache, Kultur und Gesellschaft durchzog. Der Vierte Kreuzzug im Jahre 1204 und seine unerwarteten Absichten führten dazu, dass Byzanz nun endgültig die adriatische Bühne verließ und die Dogen von Venedig nun einer der Großmächte jener Zeit vorstanden. Sie verliehen sich den Titel des dominator quarte et dimidie partis totius imperii Romanie und schafften ab dem 13. Jahrhundert ein Konstrukt von Übereinkünften und Verträgen, ob freiwillig zugestimmt oder auferlegt, welches Koper, Pag, Umag, Zadar, Dubrovnik, Kotor etc. an sie band. Diese Verbindungen, die allesamt der venezianischen Ideologie der guten Herrschaft entsprachen, formten diese Orte. (Ortalli, S.17 ff.) Doch nicht nur die Häfen und Städte am Balkan waren Venedig unterworfen und von der Serenissima beeinflusst. Mit dem vierten Kreuzzug und der Errichtung des lateinischen Kaiserreiches von Konstantinopel und der darauffolgenden Übernahme durch das Geschlecht der Villehardouin wurden in Griechenland die Ideale der Chevaliers des mittelalterlichen Europas, die feudalen Bräuche und die romantische Literatur verbreitet. Zwar wurde mit der Schlacht am Kephissos im Jahre 1311 die fast 70 Jahre währende katalanische Herrschaft in Griechenland beendet, doch diese wurden ihrerseits von einer weiteren europäischen Macht abgelöst; nämlich dem florentinische Haus der Acciaiuoli, welches im Herzogtum Athen sogar bis 1456 bestand hatte. Nichtsdestotrotz waren es vor allem die Venezianer, die die abendländische und vor allem die italienische Kultur in jenen griechischen Städten und Ländern verbreiteten, die sie beherrschten. Zwar unterhielt Venedig seit dem 10. Jahrhundert Handelsbeziehungen mit dem byzantinischen Reich, doch wie bereits bekannt kam es erst mit dem Vierten Kreuzzug zu großen Besitztümern in der Adria und der Ägäis. Von allen großen italienischen Seerepubliken, ob Pisa, Amalfi, oder Genua, war wohl die Serenissima das wichtigste Vehikel der Kultur. Und dies nicht nur auf den Heptanesos oder Zypern, sondern vor allem auf Kreta, welches lange unter venezianischer Herrschaft stand und erst 1669 an die Türken ging. (Spadaro, S.207 f.)
Venedig und der Humanismus
Allerdings verhielt es sich nun nicht so, dass Sprache und Kultur, Literatur und Architektur, Wissenschaft und Politik nur in eine Richtung vermittelt worden wären. Tatsächlich war Venedig während der Renaissance ebenso empfänglich für die griechische Klassik, wie die großen humanistischen Zentren Florenz, Mantua oder Rom. Dies lässt sich gut an einem Beschluss des venezianischen Senats vom 23. März 1468 festmachen: Mit 175 von 175 Stimmen stimmt der Senat für die Annahme einer Schenkung von Großteils griechischen Büchern des Kardinals und späteren Bischofs von Nicäa Basilius Bessarion. Eine solche Einstimmigkeit war in der Politik Venedigs äußerst selten und zeigt den politischen Wert und die kulturelle Wichtigkeit dieser Schenkung. Eine Schenkung, die der Serenissima auf kultureller Ebene zu mehr Prestige verholfen hat und der krönende Abschluss einer langen Freundschaft zwischen Venedig und Bessarion war. Doch war dies vor allem einer Gruppe humanistisch gebildeter Patrizier zu verdanken, die nach und nach mehr Einfluss in der Politik der Lagunenstadt errangen. Diese Männer verbrachten ihre Studienzeit fast alle zur gleichen Zeit in Padua und verfolgten ähnliche Absichten und politische Programme. Zu diesen zählten unter anderem Lodovico Foscarini, Francesco Contarini, Andrea Dandolo oder Girolamo Barbarigo. Alle durchliefen sie mit Erfolg die politische Ämterlaufbahn ohne jedoch ihr Studium zu vernachlässigen. Die humanistische Bildung förderte ihr diplomatisches Geschick und politische Einstellung dergestalt, dass sie für Venedig eine politische Führungsschicht forderten, die ebenfalls gebildet und ausreichend informiert sein sollte. Die Bildung selbst nahm also einen äußerst wichtigen Platz in der Realität Venedigs ein. So entstand 1446 auf Geheiß von Francesco Barbaro ein erstes humanistisches Lehrfach an der Schule von San Marco, dem 1460 ein zweites folgte. Besonderes Augenmerk galt dabei dem Fach Geschichte, vor allem im Hinblick auf eine Rechtfertigung der politischen Programme und der teilweise kolonialistischen Absichten der Serenissima. Schlussendlich verfolgte die Gruppe dieser adeligen Humanisten die Absicht, eine große öffentliche Bibliothek zu errichten, eine Absicht die mit der bereits genannten Schenkung erfüllt worden ist. Man kann also behaupten, dass in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts die vielen griechischen und byzantinischen Gelehrten in Venedig noch kaum Spuren hinterlassen haben, während ab dem zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts sich die humanistischen Patrizier sehr für das antike Griechenland zu interessieren begannen. Ein Interesse, das sich aufgrund der Bedrohung durch die Türken auch in einer geopolitischen Annäherung an Griechenland äußerte. (Zorzi, S.93 ff.)
Die Literatur auf Kreta: Kornaros‘ Erotokritos
In diesem Aufsatz geht es unter anderem klar um das Verhältnis zwischen Griechenland und Venedig, doch stammt die gewählte Quelle aus dem venezianischen Kreta, weshalb zunächst konkret auf die Geschichte und den sozialen, politischen und kulturellen Charakter der Insel eingegangen werden muss. Dass die Regionen Griechenlands seit dem Vierten Kreuzzug unter den einzelnen Eroberern verwaltet oder dem Herrschaftsgebiet der jeweiligen Verbündeten überlassen wurden und dass die Entwicklung der einzelnen Regionen von ebendiesen Fremdherrschaften abhingen, muss als Tatsache gelten. Eine Tatsache die demzufolge auch für Kreta gilt, welches mit ebendiesem vierten Kreuzzug in die Hände der Venezianer fiel. Aufgrund der einmaligen Lage im Mittelmeer kam Kreta schnell eine entscheidende strategische und wirtschaftliche Rolle zu, welche sie zur wichtigsten Kolonie Venedigs werden ließ, wodurch der Insel und ihrer Bewohner eine Reihe von Privilegien gewährt wurden. Die günstigen wirtschaftlichen Bedingungen sowie ein Erbe byzantinischer Kultur ermöglichten der lokalen und zugezogenen venezianischen Bevölkerung die Entwicklung eines intellektuellen und künstlerischen Schaffens auf allerhöchstem Niveau, wobei uns vor allem die Literatur interessiert. Zu den ersten großen Vertretern der Literatur auf Kreta unter venezianischer Herrschaft gehören zunächst Leonardo Della Porta und Stefano Sachlikis. Während der Erste seine Gedichte in den Jahren von 1403 bis 1411 schrieb, geht auf den Zweiten die Einführung des Reims in Griechenland zurück, ebenso kann man an ihm den eigentlichen Beginn der Literatur Kretas festmachen. Eine Literatur, die zwischen 1400 und 1669 eine noch nie dagewesene Blüte erfährt und im restlichen Griechenland Ihresgleichen sucht. Dadurch und aufgrund der florierenden Wirtschaft stiegen die Lebensverhältnisse, was sich auch in der Errichtung von Akademien der Wissenschaften und der schönen Künste ausdrückte. Auf Kreta und vor allem in Candia existierten bedeutende Schulen, in welchen Alt-und Neugriechisch ebenso gelehrt wurden, wie Latein, Italienisch und Hebräisch. Dazu kamen wichtige Bibliotheken in orthodoxen und katholischen Klöstern, die Kopisten und Kalligrafen beschäftigten. Auf Kreta bestand wie nirgendwo sonst in Griechenland ein sehr hohes intellektuelles Klima. In diesem Klima wird ein weiterer bedeutender Vertreter der Literatur Kretas tätig, nämlich Antonio Achelis, der ein geschichtliches Werk über die Belagerung Maltas in Vers und Reim schreibt. Auf dem Höhepunkt ihres Schaffens bringt die Literatur der Insel noch zwei Werke hervor, die dem Theater zuzuordnen sind: Es sind dies die Θυσία τοῦ Ἀβραάμ (Das Opfer Abrahams) und der Ἐρωτόκριτος (Erotokritos), beide stammen aus der Feder von Vintsentsos Kornaros und letzteres bildet eine der für diese Arbeit verwendeten Quellen. (Manoussakas, S.150 ff.)
Der Erotorkritos, ein ritterliches Liebesgedicht, ist wohl das bedeutendste und bekannteste Werk der Literatur Kretas und wurde das erste Mal 1713 in Venedig bei Antonio Bortoli gedruckt. (Spadaro, S.125) Da Kornaros jedoch bereits 1553 in Sitia geboren worden ist, muss das Werk gut 100 vor diesem ersten Druck zu Papier gebracht worden sein. Das Gedicht, welches die Liebesgeschichte zwischen Rotokritos und Aretusa beschreibt, hat als Vorlage einen italienischen Text und entspricht den literarischen Trends Italiens jener Zeit, was uns zu der Annahme führen muss, dass der Autor des Italienischen mächtig war. Das Gedicht selbst ist in einer regionalen Varietät des östlichen Kretas um 1600 verfasst und besteht aus fast 10.000 Verszeilen, die jeweils im Paarreim stehen. Das Versmaß ist der sogenannte Politische Vers, also ein „bürgerlicher, von allen gebrauchter“, 15silbiger Vers, der nach der achten Silbe mit einem Einschnitt versehen ist. Er hat wohl byzantinischen Ursprung und in ihm sind die meisten Dichtungen des griechischen Mittelalters und der neugriechischen Volkspoesie abgefasst. Kornaros verwendet diese Struktur, um die Geschichte der beiden Liebenden in einer Zeit zu verfassen, die – das wurde bereits angesprochen – zwar auf Kreta eine große kulturelle Blüte hervorbrachte, doch war sich die Bevölkerung Kretas durchaus bewusst, dass das östliche Mittelmeer beinahe zur Gänze muslimisch war und seine griechische Bevölkerung einer fremden Kultur unterworfen und untergeordnet war. In einer Zeit und einer Gesellschaft, die sich nach der großen und bedeutenden Vergangenheit sehnt, kommt der Wunsch nach nostalgischen Schwelgereien daher nur allzu leicht auf. Diese glorreiche Vergangenheit konnte dabei in unterschiedlichster Art und Weise wiederhergestellt und präsentiert werden. Für einen Poeten des späten 16. Jahrhunderts war eine romantische Geschichte dabei eine naheliegende Wahl. Die fiktive Handlung und der Rahmen des Werkes können dabei jene Zeit zwischen der byzantinischen und osmanischen Vorherrschaft wiederspiegeln, in der sich Franken, Venezianer und Genueser die alte griechische Welt in getrennte Königreiche aufgeteilt haben, aber die Hauptcharaktere waren dennoch Griechen und verteidigten – zumindest lässt dies die Interpretation zu – ihre Existenz vor den barbarischen Eindringlingen. Das Titelblatt der editio princeps des Erotokritos lässt ebenjene Definition des Werkes als Liebesgedicht zu. Die meisten Kommentatoren des Gedichtes gehen mit dieser Definition konform, während einige es als Epos bezeichnen würden. Dabei unterscheiden sie zwischen einem romantischen Epos und einem Liebesepos, wobei letzteres am besten die Absichten des Autors und seine Vorlagen charakterisiert. Auch wenn Constantine Trypanis den Text als eine heroic verse romance bezeichnet, womit er indirekt auf die italienischen Epen Orlando furioso und die Gerusalemme liberata verweist, in deren Tradition der Erotokritos ganz klar steht. Der Erotokritos hat als eigentliche Vorlage den französischen Roman Paris et Vienne aus dem 15. Jahrhundert, welcher ungemein populär und vor dem Erscheinen des Erotokritos bereits 30 Mal gedruckt worden war; unter anderem auf Flämisch und Armenisch. Man geht davon aus, dass Kornaros eine italienische Prosaversion verwendet hat, wobei er das christliche Element ebenfalls durch einen griechischen Ethos ersetzt hat, wie die neue kultivierte humanistische Weltanschauung seiner Charaktere. Neben der Versromane in griechischer Umgangssprache aus dem 14. und 15. Jahrhundert sind dabei vor allem italienische Epen, u.a. eben Ariosts Rasender Roland von 1516, als literarische Vorgänger zu nennen. Aber es finden sich auch Gemeinsamkeiten mit Chortatsis Tragödie Erofili von 1595. Die von Kornaros verwendeten Themen des Gedichtes sind dabei vor allem das Schicksal, welches auch von Tasso in der Gerusalemme liberata bemüht wird, und die Liebe zwischen Mann und Frau, die die Handlung vorantreibt.
(Betts, Gauntlett, Spilias, S.xi ff.)
Um die Verbindung zwischen der literarischen Kultur Kretas und jener der italienischen Renaissance und des Barock auch literarisch nachvollziehen können, werden nun zwei konkrete Beispiele angeführt, die einige literarische Bezüge verdeutlichen sollen. Denn der Erotokritos wurde bewusst mit Ähnlichkeiten verschönert, die sich unter anderem auf den Rasenden Roland zurückführen lassen. Wie bereits erwähnt, ist die eigentliche Vorlage des Werkes der Roman Paris et Vienne, doch schmückt und bereichert Kornaros sein Gedicht mit Motiven und Ähnlichkeiten, die sich bei Ariost und bei anderen Schriftstellern der Renaissance, aber auch der lateinischen Klassik wiederfinden. Kornaros gelingt es dabei meist, das von ihm wiederverwendete Motiv auszuarbeiten und anzupassen und es so als sein eigenes erscheinen zu lassen. Das erste Beispiel handelt vom Duell zwischen Rotokritos und Aristos, seinem Kontrahenten um die Liebe der Aretusa. Ein letzer Angriff Rotokritos‘ hat seinem Gegner eine tödliche Wunde zugefügt. Dieser liegt nun sterbend am Boden, während die Könige herbeilaufen, um den Sterbenden zu sehen:
Ὡσὰν ἀνθὸς και λούλουδο πὄχει ὀμορφιὰ και κάλλη
κ’ είναι στον κάμπο δροσερό, με μυρωδιά μεγάλη,
κ’ έρθει τ’ αλέτρι αλύπητα, βαθιά το ξεριζώσει,
ψυγεί ζιμιό και μαραθεί κ’ η ὀμορφιὰ του λειώσει
χλωμαίνει ἂν εἶναι κόκκινο, κι ἄσπρον ἂν ἔν, μαυρίζει
καὶ μπλάβο ἂν εἶναι, λειώνεται ζιμιὸ καὶ κιτρινίζει·
χάνει ὀμορφιὰ καὶ μυρωδιά, κάλλη καὶ δροσερότη,
γερᾶ ζιμιὸ καὶ ψύγεται καὶ πλιὸ δὲν ἔχει νιότη·
ἔτσι ἦτο καὶ στὸν Ἄριστον, ὅντεν ἡ ψή του ἐβγῆκε,
μὲ δίχως αἷμα, ἄσπρο, χλωμό, ψυμένο τὸν ἀφῆκε
(Erotokritos, IV, 1889-1898)
Kornaros bemüht hier den berühmten Vergleich Vergils eines Sterbenden mit einer welken Blume: In der gesicherten Übersetzung lautet der Absatz wie folgt:
Just as a bud or flower stands fresh with beauty and grace (ὁμορφια και καλλη) in a field giving off much scent, but a plough comes without pity, tears it up by its deep roots, and immediately fades and withers with its beauty crushed; if it is red, it grows pale; if white, it blackens; if blue, it perishes immediately and yellows; it loses its beauty and scent, its grace and freshness; it straightway ages (γερα) , withers, and no longer has its youth (πλιο ); even so was it with Aristos when his soul went out from him, leaving him without blood, white, pale and faded. (Betts, Gauntlett, Spilias, S.149)
Es findet sich hier eine gewisse Ähnlichkeiten zur Textstelle in Vergils Aeneis, in welcher der sterbende Euryalus, Sohn des Opheltes, ebenfalls mit einer abgeschnittenen und welkenden Blume verglichen wird:
[...]