In dieser Arbeit soll das Themengebiet der Prostitution beleuchtet werden. Hierbei werden vor allem die unterschiedlichen Positionen zur Bekämpfung der Prostitution seitens des Staats und der Sittenpolizei sowie der Frauenbewegung im 19. Jahrhundert herausgearbeitet.
Dazu wird die im Bürgertum herrschende Doppelmoral thematisiert. Außerdem wird zum einen das vom Staat eingeführte sittenpolizeiliche Reglementierungssystem dargestellt, welches vor allem wegen der sich so rasant ausbreitenden Geschlechtskrankheiten ins Leben gerufen wurde. Zum anderen die Frauenbewegung, die die Sittlichkeits- und Prostitutionsfrage aus einem anderen Blickwinkel heraus betrachtete und somit einen Gegenpool zum staatlichen Eingreifen darstellte.
Im 19. Jahrhundert stieg die Prostitution enorm an und erreichte einen Umfang wie noch nie zuvor. Der Grund dafür war die Industrialisierungswelle, die um 1850 für einen Wachstums- und Strukturwandlungsprozess sorgte und so die Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Politik von Grund auf revolutionierte. Neben Adel, Bürgertum und Handwerkern entstand der „vierte Stand“, die Arbeiterklasse oder auch Proletariat genannt. Da die Löhne der Arbeiter zu niedrig waren, um eine Familie ernähren zu können, lebten die meisten der Arbeiterklasse unter dem Existenzminimum. Besonders Handwerker- und Bauernfamilien wurde die wirtschaftliche Basis genommen.
Deshalb waren von nun an vielfach auch die Frauen gezwungen, Geld für den gemeinsamen Lebensunterhalt in der Fabrik zu verdienen. Jedoch wurden Frauen für die gleiche Tätigkeit um ein Vielfaches schlechter bezahlt als die Männer. Zum einen erwerbstätig sein zu müssen, um die Existenz der Familie zu sichern und zum anderen der zugeschrieben Rolle der Frau als Mutter und Hausfrau zu entsprechen, stellte eine Doppelbelastung und Zwangssituation für die Frau dar, aus der es kaum einen Ausweg gab.
Das gesellschaftliche Problem, das aus den fehlenden Erwerbsmöglichkeiten und niedrigen Löhnen und der daraus resultierenden existenziellen Not der Arbeiterinnen entstand, war die Prostitution, welche für viele Frauen als die einzig mögliche Alternative erschien. Dabei zeigte sich, dass es berufstätige Frauen aus der Unterschicht und sozial absteigender Kreise der Mittelschicht waren, die auf diese Form des Broterwerbs zurückgreifen mussten. Aus der Sicht der Zeitgenossen entwickelte sie sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem zentralen, sozialen, politischen, ethischen und hygienischem Problem.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Die Doppelmoral des Bürgertums
3. Die Staatsmoral gegen die Prostitution
3.1. Das sittenpolizeiliche Reglementierungssystem
3.1.1. Geschlechtskrankheiten als Volkskrankheit
4. Die Sittlichkeitsfrage erreicht die Frauenbewegung
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einführung
„Die Sünde ist das älteste Freudenmädchen, und soweit die Weltgeschichte reicht, soweit datiert auch die Geschichte der Prostitution[1] “
Betrachtet man das Gewerbe der Prostitution im Mittelalter, so lässt sich sagen, dass die sogenannten „Frauenhäuser“ vornehmlich in den Städten zu finden und Bestandteil städtischer und landesherrlicher Regie waren. Schon damals galten sie als „unentbehrliches Mittel, um noch größere Sünde unter den Bewohnern einer Stadt vorzubeugen[2] “. Demnach wurden sie nicht nur geduldet, sie erhielten ihre Legitimation durch die Kirche, wodurch sie von der Gesellschaft anerkannt und häufig mit besonderen Rechten ausgestattet wurden. Die Stadt war für den Betrieb und die Verwaltung der Frauenhäuser, die ihr Eigentum darstellten, zuständig, bezog Steuern von ihnen, sorgte sich um deren Rentabilität und regelte ihre soziale „Ventilfunktion“. Als öffentliche Einrichtungen hatten sie in der Stadt ihren festen Platz.
Auch wenn die mittelalterliche Prostitution durch ihre Integration in das Stadt- und Gewerbeleben einen offiziellen Stand als Zunft erreichte, so stellte dies jedoch auch gleichzeitig ihre Brandmarkung als sündhaft und ehrlos dar. „Insofern war die zunftähnliche Organisation nur Integration im Sinne von Unterwerfung, da die äußeren Zeichen, die ihre ‚Zunft‘ kennzeichneten, gleichzeitig die Zeichen des Ausschlusses waren[3] “. Ihre Legalität war somit nur gewährleistet, wenn sie der Gesellschaft ihre Verächtlichkeit präsentierte. Das Gewerbe der Prostitution wurde also keinesfalls aufgewertet, sondern war die der mittelalterlichen Stadt adäquate Form ihrer Kontrolle und Unterwerfung unter moralische Maßstäbe und gesellschaftliche Bedürfnisse[4].
Im 19. Jahrhundert stieg die Prostitution enorm an und erreichte einen Umfang wie noch nie zuvor. Der Grund dafür war die Industrialisierungswelle, die um 1850 für einen Wachstums- und Strukturwandlungsprozess sorgte und so die Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Politik von Grund auf revolutionierte. Es begann eine rasante Entwicklung der Großstädte, die durch die vielen Arbeitsplätze, die in den Fabriken geschaffen wurden, zu einer gigantischen Binnenwanderung der ländlichen Bevölkerung in die Stadt führte. Neben Adel, Bürgertum und Handwerkern entstand der „vierte Stand“, die Arbeiterklasse oder auch Proletariat genannt. Das Proletariat prägte mit seiner Ausbeutung und existenziellen Not der Fabrikarbeiter das Bild der Großstadt, während der anwachsende Reichtum des Großbürgertums für den neu errungenen wirtschaftlichen Aufschwung des 19. Jahrhunderts verantwortlich war[5]. Da die Löhne der Arbeiter zu niedrig waren, um eine Familie ernähren zu können, lebten die meisten der Arbeiterklasse unter dem Existenzminimum. Besonders Handwerker- und Bauernfamilien wurde die wirtschaftliche Basis genommen. „Die wirtschaftliche und soziale Deprivation des Handwerks in einer Zeit rapider Entwicklung von Maschinerie, großer Industrie und Fabrikarbeit nahm diesen Familien die materielle Existenzgrundlage […][6] “. Deshalb waren von nun an vielfach auch die Frauen gezwungen, Geld für den gemeinsamen Lebensunterhalt in der Fabrik zu verdienen. Jedoch wurden Frauen für die gleiche Tätigkeit um ein Vielfaches schlechter bezahlt als die Männer. Zum einen erwerbstätig sein zu müssen, um die Existenz der Familie zu sichern und zum anderen der zugeschrieben Rolle der Frau als Mutter und Hausfrau zu entsprechen, stellte eine Doppelbelastung und Zwangssituation für die Frau dar, aus der es kaum einen Ausweg gab[7]. Das gesellschaftliche Problem, das aus den fehlenden Erwerbsmöglichkeiten und niedrigen Löhnen und der daraus resultierenden existenziellen Not der Arbeiterinnen entstand, war die Prostitution, welche für viele Frauen als die einzig mögliche Alternative erschien. Dabei zeigte sich, dass es berufstätige Frauen aus der Unterschicht und sozial absteigender Kreise der Mittelschicht waren, die auf diese Form des Broterwerbs zurückgreifen mussten[8].
Aus der Sicht der Zeitgenossen entwickelte sie sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem zentralen, sozialen, politischen, ethischen und hygienischem Problem[9].
„Es ergeht ein Notruf, ein gellender Schmerzensschrei durch die Länder der Erde; er erhebt sich anklagend gegen tiefe und herbe Wunden der Gesellschaft und des sittlichen Lebens, er protestiert gegen die Ausbeutung des schutzlosen schwachen Geschlechts durch die zügellosen und selbstsüchtigen Gelüste des sogenannten starken Geschlechts, vorzüglich der Reichen und Vornehmen dieser Erde[10] “.
Die ersten wissenschaftlichen Arbeiten über die Prostitution im 19. Jahrhundert erschienen bereits nach der Jahrhundertwende bis Anfang der 30er Jahre. Beispiele hierfür, wie Henne am Rhyn und Raumer, finden sich auch in dieser Arbeit.
Eine der fundiertesten Arbeiten, die sich mit der Prostitution des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts auseinandersetzt - mit besonderem Augenmerk auf die deutsche Entwicklung - ist Regina Schultes Untersuchung "Sperrbezirke", auf die sich hier hauptsächlich bezogen wird. Ihr Fokus liegt auf dem Wandel der Prostitution, der sozialen und beruflichen Herkunft der Prostituierten, der doppelten Geschlechtsmoral des 19. Jahrhunderts und den staatlichen Maßnahmen.
Was bei Schulte unbehandelt bleibt, nämlich die Frauenbewegung, die sich dem Thema der Prostitution annimmt, stellt bei Götting eins seiner Haupthemen dar. Wie der Titel schon zeigt, setzt er sich einerseits mit dem Aufbegehren der bürgerlichen Frauenbewegung gegen die Sittenpolizei und andererseits mit der ersten weiblichen Polizeiarbeit Deutschlands auseinander.
Krafft geht in ihrer Arbeit, ebenfalls wie Schulte, auf das soziale und berufliche Profil einer Prostituierten ein, jedoch liegt ihr Hauptaugenmerk mehr auf dem Markt der Prostitution, sein Angebot und dessen Nachfrage sowie vermittelnde und kontrollierende Instanzen, wobei sie sich vor allem auf die Stadt München bezieht. Sie stellt die unterschiedlichen Märkte der Prostitution dar, weshalb sie die Prostitution als Kauf und Verkauf sexueller Handlungen definiert.
In Anlehnung an die im Seminar gehaltene Moderation in der Expertengruppe mit dem Thema „Sozialarbeit und Frauenhandel“ wird, wie der Titel dieser Arbeit bereits hergibt, spezifischer das Themengebiet der Prostitution beleuchtet. Hierbei werden vor allem die unterschiedlichen Positionen zur Bekämpfung der Prostitution seitens des Staats und der Sittenpolizei sowie der Frauenbewegung im 19. Jahrhundert herausgearbeitet.
Dafür wird im ersten Teil auf die im Bürgertum herrschende Doppelmoral eingegangen. Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt im Anschluss auf den nächsten beiden Kapiteln. Dabei wird zum einen das vom Staat eingeführte sittenpolizeiliche Reglementierungssystem dargestellt, welches vor allem wegen der sich so rasant ausbreitenden Geschlechtskrankheiten ins Leben gerufen wurde. Ihnen wird deshalb ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem kurz aufgezeigt werden soll, warum sich die Gesellschaft so sehr vor deren Ausbreitung fürchtete. Zum anderen wird die Frauenbewegung thematisiert, die die Sittlichkeits- und Prostitutionsfrage aus einem anderen Blickwinkel heraus betrachtete und somit einen Gegenpool zum staatlichen Eingreifen darstellte. Dabei werden unterschiedliche Bewegungen aufgezeigt, die zum Teil andere Zielsetzungen in Bezug auf die Prostitutions- und Sittlichkeitsfrage hatten. Eingegangen wird hier auf die konfessionellen Sittlichkeitsvereine, den konservativen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung und zuletzt die Internationale Abolitionistische Förderation.
Demnach wird in dieser Arbeit weder auf das Profil einer Prostituierten noch auf ihre sozialen und wirtschaftlichen Hintergründe, die sie in die Prostitution einsteigen ließen, eingegangen. Auch wenn ein Kapitel die Geschlechtskrankheiten aufgreift, so wird dem Kapitel doch nur eine untergeordnete Rolle zugewiesen. Darin inbegriffene Schwerpunkte wie beispielsweise die Entwicklung der Gesundheitspolitik, können aufgrund des Umfangs hier nicht aufgezeigt werden. Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, werden die Paragraphe des Reichsstrafgesetzbuchs, welche sich im Reglementierungssystem widerspiegeln, ebenfalls nicht im Einzelnen aufgelistet. Auch bleiben Themengebiete wie Zuhälterei und die damit verbunden Kuppeleiparagraphen, sowie der Mädchenhandel in dieser Arbeit unerwähnt. Das letzte Kapitel bildet das Fazit.
2. Die Doppelmoral des Bürgertums
Männer und Frauen wurden auf moralisch-sittlicher sowie sexueller Ebene mit unterschiedlicher Strenge betrachtet, sodass für sie unterschiedliche Standards galten. Der Frau wurde ein schwächer ausgeprägter Sexualtrieb unterstellt, weshalb der Mann automatisch stärker auf Frauen angewiesen sei als umgekehrt. Während dem Mann nicht nur sein Sexualtrieb zugestanden, sondern auch dessen Befriedigung akzeptiert wurde, wurde der Frau jegliches unkeusches und unreines Verhalten untersagt, weshalb das 19. Jahrhundert von einer sogenannten Doppelmoral geprägt war. Die Frau hatte die Aufgabe die Moral zu wahren; Verstöße gegen diese waren unverzeihlich und führten letztendlich zum Ausschluss aus der Gesellschaft. Solange der Mann jedoch seine sinnliche Unmoralität nicht in der Öffentlichkeit auslebte, wurde sie von Natur aus gegeben hingenommen.
Die unterschiedliche Erziehung von Mädchen und Jungen war ein maßgeblicher Grund für diese doppelte, geschlechtsspezifische Moralität. Die Kinder aufzuklären, stellte die Erwachsenen vor ein Problem, da es ihrer Meinung nach keine anderen Worte außer „unschön, verabscheuungswürdig und unsauber“ für dieses Thema gab. Es wurde mit peinlicher Verschwiegenheit behandelt; „die Verheimlichung und Verhüllung galt als ein Gebot der Sitte[11] “. Auch die Entstehung der Kinder galt als ein dunkler Punkt im Leben der Familie und wurde als unangenehme Familienerinnerung gesehen[12]. Die Erziehung der Mädchen war ein Prozess der Desexualisierung und konsequent auf Asexualität und Unwissenheit ausgerichtet. Sie wurden demnach von Anfang an ihrer Sexualität und ihrer Körperlichkeit beraubt[13]. Das hatte zur Folge, dass sie mit keinerlei Wissen über das Geschlechtsleben in die Ehe gingen. Da den Männern aber eine triebbefriedigende Sexualität zugesprochen wurde, sie diese jedoch nicht bei den Frauen ihres Milieus auf Grund ihrer Sozialisation und herrschenden Konventionen finden konnten, bedurfte es der Prostitution. Demnach war die männliche Sexualität selbst nach der Heirat nicht ausschließlich auf die Ehe beschränkt.
„Die Frau verlor ihre Ehre durch den Ehebruch, der Mann nicht. Zugleich aber verletzte ihr Ehebruch seine Ehre, während sein Ehebruch der ihren nichts anhaben konnte. Ihr Ehebruch bewirkte demnach eine doppelte Ehrverletzung; er beschädigte oder zerstörte die soziale Identität zweier Personen, wogegen sein Ehebruch diese Identität unberührt ließ[14] “.
[...]
[1] Raumer: Die gefallenen Mädchen und die Sittenpolizei. S. 15.
[2] Schulte: Sperrbezirke. S. 12.
[3] Schulte: ebd. S. 13.
[4] Vgl. Schulte: ebd. S. 12-14.
[5] Vgl. Schulte: ebd. S. 18-19.
[6] Schulte: ebd. S. 68.
[7] Vgl. Götting: Das Aufbegehren der bürgerlichen Frauenbewegung gegen die Sittenpolizei des Kaiserreichs und der erste Versuch weiblicher Polizeiarbeit in Deutschland (1875-1914). S. 61.
[8] Vgl. Schulte: ebd. S. 69.
[9] Vgl. Krafft: Zucht und Unzucht. S. 9.
[10] Henne am Rhyn: Die Gebrechen und Sünden der Sittenpolizei aller Zeiten, vorzüglich der Gegenwart. S. Einband.
[11] Schulte: ebd. S. 131.
[12] Vgl. Schulte: ebd. S. 131.
[13] Vgl. Schulte: ebd. S. 146.
[14] Götting: ebd. S. 58.