In dieser Arbeit wird es um die Frage gehen, wie das deutsche Volk die Männer des 20. Juli im Laufe des ersten Jahrzehntes nach Kriegsende bewertet hat. Dabei wird zu klären sein, wie die NS-Führung die Weichen der Beurteilung stellte, und inwieweit und ob überhaupt diese Propaganda nach dem Kriegsende ihre Wirkung verlor. Auch die Stellung der Alliierten wird eine Rolle spielen.
Eine wichtige Zäsur bilden der Remer-Prozess 1952 und die offiziellen Gedenkreden politischer Persönlichkeiten, die ab dem gleichen Jahr beginnen. Es soll dargestellt werden, inwieweit das Urteil des Prozesses die Meinung der Bevölkerung veränderte und was durch die Reden versucht wurde zu vermitteln.
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. 1944-1949
2.1. Reaktion der Alliierten
2.2. Reaktion in Deutschland
2.2.1. NS-Propaganda unmittelbar nach dem Attentat
2.2.2. Erinnerung an den 20. Juli nach Kriegsende
3. 1950-1954
3.1. Der Remer-Prozess
3.2. Umfragen zum 20. Juli
3.3. Erste öffentliche Gedenkreden und -feiern ab 1952
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
6. Internetquellen
1. Einleitung
Am 20. Juli 1944 versuchte Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg als einer der Führer der Widerstandsbewegung in der Wolfschanze Hitler mit Hilfe einer Bombe zu töten. Dieses Attentat und der darauffolgende Staatsstreich zählt heu- te zu den bekanntesten Widerstandsaktionen gegen das NS-Regime. Es markiert sogar den Höhepunkt des Widerstandes.1 Doch nicht nur Stauffenberg war vor- her bereits bewusst, dass Ƿ[d]erjenige, der etwas zu tun wagt [...] als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird."2 Trotzdem musste der Versuch gewagt und bei einem Misserfolg der Staatsstreich ausgeführt werden, Ƿdenn es [kamȐ nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und der Geschichte unter Einsatz des Le- bens den entscheidenden Wurf gewagt hat“Ǥ 3
Letztlich ging es nämlich diesen Männern nur noch darum, der Welt zu bewei- sen, dass es eine Gruppe von Menschen gab, die ein Ƿanderes Deutschland“ ver- körpern, die nicht mit der Regierung Hitlers und des Nationalsozialismus im Einverständnis standenǤ ǷIhre tieferen Beweggründe waren vielfältig, ja durch- aus gemischt: lokal und universal, opportunistisch und selbstlos, patriotisch und humanistisch, armselig und edel. Doch am Ende setzten sie alles ein und verlo- ren ihr Leben im Kampf gegen ein tyrannisches SystemǤ“4 Doch nicht immer wurde das Attentat auf diese Weise gewürdigt. Stattdessen behielt Stauffenberg mit obigem Zitat Recht.
In dieser Arbeit wird es um die Frage gehen, wie das deutsche Volk die Männer des 20. Juli im Laufe des ersten Jahrzehntes nach Kriegsende bewertet hat.5 Da- bei wird zu klären sein, wie die NS-Führung die Weichen der Beurteilung stellte, und inwieweit und ob überhaupt diese Propaganda nach dem Kriegsende ihre Wirkung verlor. Auch die Stellung der Alliierten wird eine Rolle spielen. Eine wichtige Zäsur bilden der Remer-Prozess 1952 und die offiziellen Gedenkreden politischer Persönlichkeiten, die ab dem gleichen Jahr beginnen. Es soll dargestellt werden, inwieweit das Urteil des Prozesses die Meinung der Bevölkerung veränderte und was durch die Reden versucht wurde zu vermitteln.
2. 1944-1949
2.1. Die Reaktion der Alliierten auf das Attentat vom 20. Juli
Als die Alliierten von dem missglückten Attentat auf Hitler erfuhren, sahen sie dieses keineswegs als eine Chance, sondern vielmehr als ein Risiko in ihrer Kriegsführung an.6 Sie wollten selbst den Nationalsozialismus zerstören.7 Auf britischer Seite wurde sogar die Vermutung aufgestellt, dass dieses Attentat von Hitler selbst geplant wurde.8 Anfangs gab es neutrale und auch positive Urteile in den Zeitungen der Alliierten, diese wichen aber bald der Enttäuschung über das Scheitern.9 Schon im August 1944 gab es keine Berichte mehr.10Der 20. Juli wurde von den Alliierten häufig nur als eine bloße Anti-Hitler-Bewegung gese- hen, deren Ziel eine Wiederherstellung alter Offizierstraditionen war.11
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Alliierten diese Einstellung zum Widerstand auch nach Kriegsende beibehielten und durch ihre Zensur es der deutschen Bevölkerung nicht möglich war, öffentlich Meinungen zu diesem Thema zu äußern. Im Gegenteil wurde schon früher als in Deutschland in Ame- rika die Auffassung vertreten, dass es auch ein Ƿanderes Deutschland“ im Drit- ten Reich gab, welches als Ziel hatte, Hitler und den Nationalsozialismus zu be- seitigen.12Trotzdem ist auffällig, dass die ersten deutschsprachigen Werke über den Widerstand in der Schweiz erschienen.13Zwei Jahre nach dem Attentat wurde von dem Überlebenden Fabian von Schlabrendorff der Versuch unter- nommen, den Amerikanern den Widerstand näher zu bringen und ihm eine positive Beurteilung zu geben.14
Dadurch dass die Überlebenden und Angehörigen der Männer des 20. Juli, die sich nach Kriegsende im Hilfswerk 20. Juli 1944 zusammentaten, von den USA materiell und moralisch unterstützt wurden, kommt Baur zu dem Schluss, dass die negative Beurteilung der Alliierten im Bezug auf das Attentat vom 20. Juli in der Forschung übertrieben dargestellt wurde.15Dennoch hatte man kaum gro- ßes Interesse, die Erinnerung dieses Aufstandes aufrechtzuhalten.16Steinbach spricht hier von einer Verdrängung der Erinnerung an einen Widerstand im Dritten Reich.17Frei dagegen betont, dass durch die Lizenzpresse die Alliierten versuchten, die deutsche Bevölkerung über die nationalsozialistischen Verbre- chen sowie auch über den Widerstand im Dritten Reich aufzuklären.18Er ver- weist hier auch auf die Wiedergutmachungsprogramme, die auf Seiten der alli- ierten Besatzungsmächte durchgesetzt wurden.19Man kann also nicht behaup- ten, dass der Widerstand im Dritten Reich von den Alliierten nach Kriegsende ignoriert wurde. Trotzdem wollte man den Deutschen durch eine Anerkennung des Widerstandes nicht die Möglichkeit geben, ein größeres politisches Mitspra- cherecht zu fordern.20
2.2. Reaktion in Deutschland
2.2.1. NS-Propaganda unmittelbar nach dem Attentat
Das Attentat auf Hitler stellte einen Schock für die NS-Führung dar, war man dersetzung mit dem Widerstand in der historischen Bildungsarbeit in den Medien und der öffentlichen Meinung nach 1945, S. 79-100, hier S. 84; Gerd R. Ueberschär, Von der Einzeltat des 20Ǥ Juli 1944 zur ǷVolksopposition“? Stationen und Wege der westdeutschen Historiographie nach 1945, S. 101-125, hier S. 102, beide in: Ueberschär (Hrsg.), Der 20. Juli 1944. Bewertung und Rezeption des deutschen Widerstandes gegen das NS-Regime, Köln 1944. sich doch bislang der Verbundenheit der Akteure zum Nationalsozialismus si- cher gewesen.21Noch in der selben Nacht sprach Hitler persönlich in einer Rundfunkansprache zum deutschen VolkǤ Er erklärte, dass Ƿeine ganz kleine Clique, ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich verbrecherischer, dummer Offiziere“ versucht habe, ihn umzubringenǤ22Als Strafe hierfür schließe er sie aus der Volksgemeinschaft aus23, denn ein Angriff auf Hitler war zugleich ein Angriff auf die Volksgemeinschaft. Deshalb war es für ihn und die NS-Führung ein leichtes dieses Attentat zu Propagandazwecken zu nutzen. Auch nahm er Bezug auf den vermeintlichen ǷDolchstoß“ von 1918, um auch in der Zukunft ein negatives Bild von den Widerstandskämpfern zu projizieren.24
Großadmiral Dönitz betonte in seiner Rede die Tatsache, dass die Verschwörer Verrat an Deutschland begangen hätten, und die Beziehung dieser Verräter zu den Feinden.25Dadurch versuchte man auch die militärischen Niederlagen zu erklären, die angeblich ohne diesen Verrat nicht stattgefunden hätten.26Allerdings musste man nach kurzer Zeit feststellen, dass doch nicht nur die kleine Clique hinter diesem Attentat steckte, sondern weitaus mehr, sogar viele angesehene Männer daran beteiligt waren.27Die Führer des Umsturzversuches wurden noch in der Nacht vom 20. Juli im Bendlerblock standrechtlich erschossen. Hierzu zählen Stauffenberg, Olbricht, Mertz und Haeften.28
Ein Verfahren hat es nie gegeben. Ein Großteil der Mitverschwörer wurde vor das Volksgericht gestellt mit Roland Feisler, dem ǷBlutrichter in der roten Ro- be“29, als obersten Richter. Dieser Prozess diente allein als Abschreckung und der Vernichtung der Gegner.30Die Urteile (Odilo Braun bezeichnete sie 1954 in einer Rede in der Gedenkstätte Plötzensee als Schandurteile31) standen bereits vorher fest.32Es wurde sogar befohlen von den Prozessen und der Urteilsvoll- streckung Filmaufnahmen anzufertigen, um diese später der deutschen Bevöl- kerung vorzuführen.33Dazu kam es allerdings nicht, da die Prozesse durch die verbalen Ausraster Freislers und die Beharrlichkeit der Verschwörer gekenn- zeichnet waren.34Damit wurde einem unerfreulichen Diskussionsverlauf über die Prozessführung vorgebeugt.35Insgesamt wurden etwa 200 Personen auf Grund der Verschwörung des 20. Juli hingerichtet36und etwa 1000 Personen verhaftet.37
In der Bevölkerung trafen das Attentat und die Männer des 20. Juli zunehmend auf Ablehnung.38Baur führt dies darauf zurück, dass es den Verschwörern nicht möglich war, ihre Ziele und Gründe der Bevölkerung weiterzugeben.39Die meis- ten Menschen waren dagegen froh über die Nachricht, dass Hitler nichts zuge- stoßen war und ließen ihm Glückwunschtelegramme und Ähnliches zukom- men.40
2.2.2. Erinnerung an den 20. Juli nach Kriegsende
Das Muster der NS-Propaganda war auch nach Kriegsende in den Köpfen der Bevölkerung verankert. So wurde nach 1945 an keine der Widerstandsbewe- gungen gedacht, weder an die Männer des 20. Juli, noch an all die anderen, die den Mut fanden, sich gegen das Dritte Reich aufzulehnen.41
[...]
1Jürgen Danyel, Der 20. Juli, in: Entienne Francois, Hagen Schulze (Hrsg.), Deutsche Erinnerungsorte II, München 2001, S. 220-237, hier S. 223.
2Claus Schenk Graf von Stauffenberg, zit. n. http://www.br.de/nachrichten/attentat-20-juli- hitler-stauffenberg-100.html (04.04.2015).
3General Henning von Tresckow, zit. n. Hans Rothfels, Zum 20. Jahrestag der Erhebung des 20. Juli 1944, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung ‚Das Parlament’ 14 (1964), Heft 29, S. 3-6, hier S. 3.
4Theodore S. Hamerow, Die Attentäter. Der 20. Juli - von der Kollaboration zum Widerstand, übers. v. Matthias Grässlin, München 1999, S. 421.
5Dies war auch Teil einer 2007 erschienen Dissertation von Tobias Baur, wobei dieser sich nicht nur auf das erste Jahrzehnt bezieht und auch die Bedeutung in der Bundeswehr behandelt.
6Vgl. Tobias Baur, Das ungeliebte Erbe. Ein Vergleich der zivilen und militärischen Rezeption des 20. Juli 1944 im Westdeutschland der Nachkriegszeit, Frankfurt am Main 2007, S. 27.
7Vgl. ebd., S. 27.
8Vgl. ebd., S. 27.
9Vgl. ebd., S. 27f.
10Vgl. ebd., S. 28.
11Vgl. ebd., S. 28; Ulrike Emrich, Jürgen Nötzold, Der 20. Juli 1944 in den offiziellen Gedenkreden der Bundesrepublik und in der Darstellung der DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung ‚Das Parlament’ 34 (1984), Heft 26, SǤ 3-12, hier S. 4.
12Vgl. Baur, Das ungeliebte Erbe, S. 29.
13Vgl. Winfried Heinemann, Vom Verräter zum Freiheitskämpfer. Die Rezeption der Hitler- Attentäter nach dem 20. Juli 1944 in Wehrmacht und Bundeswehr, in: Jakobus Kaffanke, Tho- mas Krause, Edwin EǤ Webe (HrsgǤ), Es lebe das ǷGeheime Deutschland“! Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Person - Motivation - Rezeption, Berlin 2011, S. 149-159, hier S. 151; Peter Stein- bach, Widerstand im Dritten Reich - die Keimzelle der Nachkriegsdemokratie? Die Auseinan-
14Vgl. Baur, Das ungeliebte Erbe, S. 30.
15Vgl. ebd., S. 31.
16Vgl. Danyel, Der 20. Juli, S. 228; Heinemann, Vom Verräter zum Freiheitskämpfer, S. 228.
17Vgl. Steinbach, Widerstand, S. 84.
18Vgl. Norbert Frei, 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewußtsein der Deutschen, München 2005, S. 132.
19Vgl. ebd., S. 132.
20Vgl. Danyel, Der 20. Juli, S. 228.
21VglǤ Ulrich Heinemann, ǷIn den Herzen der Deutschen nie wirklich Wurzeln geschlagen“? Rezeptionsgeschichte des 20. Juli, in: Günter Brakelmann, Manfred Keller (Hrsg.), Der 20. Juli 1944 und das Erbe des deutschen Widerstands, Münster 2005, S. 185-191, hier S. 195.
22Vgl. Danyel, Der 20. Juli, S. 226; Joachim Fest, Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli, Berlin 1997, S. 325; Heinemann, Vom Verräter zum Freiheitskämpfer, S.150; Baur, Das ungeliebte Erbe, S. 33; Gerd R. Ueberschär, Für ein anderes Deutschland. Der deutsche Widerstand gegen den NS-Staat 1933-1945, Frankfurt am Main 2005, S. 212.
23Vgl. Danyel, Der 20. Juli, S. 226.
24Vgl. ebd., S. 226; Baur, Das ungeliebte Erbe, S. 34.
25Vgl. Karl Gass, Aus Protest! Erinnerungen an die Entstehung und Ausstrahlung der Fernsehdokumentation ǷRevolution am Telefon“ anläßlich des 20Ǥ Jahrestages des 20. Juli 1944, in: Bengt von zur Mühlen (Hrsg), Die Angeklagten des 20. Juli vor dem Volksgerichtshof, Berlin 2001, S. 415-426, hier S. 422.
26Vgl. Ueberschär, Anderes Deutschland, S. 220.
27Vgl. Danyel, Der 20. Juli, S. 226; Heinemann, Vom Verräter zum Freiheitskämpfer, S. 150; Ueberschär, Anderes Deutschland, S. 220.
28Vgl. Peter Hoffmann, Widerstand - Staatsstreich - Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler, München 41985, S. 623.
29Eugen Gerstenmaier, Leitbild und Erbe, gehalten am 21. Juli 1954 im Stadttheater Bonn-Bad Godesberg, URL: http://www.20-juli-44.de/reden/ (07.04.2015), dort lassen sich alle verwen- deten Reden finden.
30Vgl. Danyel, Der 20. Juli, S. 226; Ueberschär, Anderes Deutschland, S. 213.
31Vgl. Odilo Braun, Die Opfer, derer wir gedenken, suchen unsere Ehrung nicht, gehalten 20. Juli 1954.
32Vgl. Ueberschär, Anderes Deutschland, S. 213.
33Vgl. Gass, Aus Protest!, S. 398; Hoffmann, Widerstand, S. 646; Ueberschär, Anderes Deutschland, S. 213, 216.
34Vgl. Hoffmann, Widerstand, S. 647f.
35Vgl. Gass, Aus Protest!, S. 399.
36Vgl. Hoffmann, Widerstand, S. 652; Ueberschär, Anderes Deutschland, S. 215.
37Vgl. Ueberschär, Anderes Deutschland, S. 215.
38Vgl. Heinemann, Herzen, S. 196; Baur, Das ungeliebte Erbe, S. 36.
39Vgl. Baur, Das ungeliebte Erbe, S. 35.
40Vgl. ebd., S. 35; Heinemann, Herzen, S. 195.
41Vgl. Danyel, Der 20. Juli, S. 227.