Die motivationale Bedeutung von Lob. Analyse eines schulpraktischen Fallbeispiels
Zusammenfassung
Hierzu sollen in einem ersten Schritt, als Grundlage für alle weiteren Ausführungen, einige Vorüberlegungen zum Begriff der Motivation und hinsichtlich verschiedener wissenschaftlicher Ansätze vorangestellt werden.
Anschließend wird eine detaillierte Analyse der Unterrichtssituation anhand eines hermeneutischen Dreischritts erfolgen. Hierzu soll, unter Miteinbeziehung der kontextuellen Lehr- und Lernbedingungen, das Beobachtete beschrieben und auf Grundlage des struktur- und kompetenztheoretischen Ansatzes erklärt werden, um es anschließend bewerten und einer konstruktiven Kritik unterziehen zu können.
Weiter soll in einem dritten und letzten Schritt die behavioristische Verstärkungstheorie B.F. Skinners dargestellt und nachfolgend auf das konkrete Fallbeispiel bezogen werden. Abschließend soll in aller Knappheit eine Gegenüberstellung der verschiedenen Ansätze die Arbeit beenden.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Allgemeine Vorüberlegungen zum Begriff der Motivation
3. Analyse des Fallbeispiels
3.1. Die Analyse der kontextuellen Lehr- und Lernbedingungen
3.2. Das ‚Beobachten‘: die Beschreibung der beobachteten Unterrichtsituation
3. 3. Das ‚Erklären‘: die wissenschaftliche Grundlage anhand des struktur- und kompetenztheoretischen Ansatzes
3.4. Das ‚Verstehen‘: die kritische Prüfung und Bewertung
4. Das Fallbeispiel aus behavioristischer Sicht
4.1. Eine Einführung in die Verstärkungstheorie Skinners
4.2. Die Bewertung des Fallbeispiels aus behavioristischer Sicht
5. Schlussbetrachtung
6. Bibliographie
1. Einleitung
Gegenstand der vorliegenden Arbeit stellt eine beobachtete Unterrichtssituation dar, welche mithilfe eines hermeneutischen Dreischritts hinsichtlich der Lehrer-Schüler-Interaktion unter dem Aspekt der Motivation und des Lobes untersucht werden soll. Ziel ist hierbei primär, auf Grundlage des größeren wissenschaftlichen Kontextes und unter Einbeziehung zentraler motivationspsychologischer Begrifflichkeiten, die Bedeutung von erteiltem beziehungsweise ausbleibendem Lehrerlob für die Schülermotivation anhand eines konkreten Fallbeispiels zu analysieren.
Hierzu sollen in einem ersten Schritt, als Grundlage für alle weiteren Ausführungen, einige Vorüberlegungen hinsichtlich des Begriffs der Motivation und hinsichtlich verschiedener wissenschaftlicher Ansätze vorangestellt werden. In einem zweiten Schritt, auf welchem der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt, wird eine detaillierte Analyse der Unterrichtssituation anhand eines hermeneutischen Dreischritts erfolgen. Hierzu soll, unter Miteinbeziehung der kontextuellen Lehr- und Lernbedingungen, das Beobachtete beschrieben und auf Grundlage des struktur- und kompetenztheoretischen Ansatzes erklärt werden, um es anschließend bewerten und einer konstruktiven Kritik unterziehen zu können. Weiter soll in einem dritten und letzten Schritt die behavioristische Verstärkungstheorie B.F. Skinners dargestellt und nachfolgend auf das konkrete Fallbeispiel bezogen werden. Abschließend soll in aller Knappheit eine Gegenüberstellung der verschiedenen Ansätze die Arbeit beenden.
2. Allgemeine Vorüberlegungen zum Begriff der Motivation
Als Grundlage der nachfolgenden Untersuchungen hinsichtlich des Lobes und seiner motivationalen Wirkung, ist es unabdingbar, sich eingangs auf ein Verständnis des Begriffs der Motivation festzulegen und sich diesbezüglich mit verschiedenen Begrifflichkeiten vertraut zu machen.
So bezeichnet Motivation nach SCHLAG die Gesamtheit aller „in einer aktuellen Situation wirksamen Motive“1, deren „Befriedigung“2 nach SCHLAG Ziel eines jeden Handelns darstellt. Motiv meint hier den Beweggrund, aus welchem eine Handlung oder eine Tätigkeit resultiert und welcher für diese richtungsweisend ist. Die Grundfrage, mit welcher sich jede Lern- und Verhaltenstheorie nun unerlässlich konfrontiert sieht, ist die Frage nach der Genese dieser Motive.
Die konkreten Formen von Motiven sind vielfältig und differieren von Mensch zu Mensch sowie von Situation zu Situation. Beispielhaft zu nennen sind hier Neugier, Interesse, selbstbestimmte Zielsetzungen zur Befriedigung des eigenen Ehrgeizes oder der Wunsch, den Anforderungen anderer zu entsprechen.
Innerhalb der Forschung werden nun, zwecks einer vereinfachten Kategorisierung, allgemein zwei Arten der Motivation unterschieden: die extrinsische und die intrinsische Motivation.
Bei der extrinsischen Motivation liegt der Fokus stets auf dem Ergebnis des Handelns; eine Tätigkeit wird um ihrer Konsequenzen willen ausgeführt. Sie ist abhängig von äußeren Reizen wie einer in Aussicht gestellten Belohnung oder einer unangenehmen Konsequenz. In Bezug auf den schulischen Kontext dient extrinsisch motiviertes Lernen hier „der Maximierung positiver bzw. der Minimierung negativer Handlungsfolgen (z.B. Lob/Bestrafung)“3.
Im Gegensatz hierzu wird eine Tätigkeit, welcher eine intrinsische Motivation zu Grunde liegt, „um ihrer selbst willen“4 ausgeführt. Mit der Tätigkeit an sich werden positive Emotionen verbunden und sie besitzt einen Zweck an sich selbst, wie FEND hinsichtlich des schulischen Kontextes folgendermaßen formuliert: „Das Lernen selbst treibt das Lernen an.“5 Die intrinsische Motivation hat ihre Wurzel also in der Neugier6 des Menschen und seinem jeweiligen Interesse, welches von SCHLAG „als Neigung [...], sich frei gewählt und ausdauernd mit einem Erkenntnisbereich zu beschäftigen“7, definiert wird und sich durch eine „hohe subjektive Wertschätzung des Lerngegenstandes“8 auszeichnet. Hierbei lassen sich situationales und dispositionales Interesse unterscheiden, wobei letzteres bezüglich intrinsisch motivierter Lernhandlungen eine „zeitlich überdauernde Bereitschaft eines Lerners [...], sich mit Lernaufgaben zu befassen“9, bezeichnet und sich somit nicht lediglich auf eine konkrete Lernsituation (=situationales Interesse), sondern auf die Persönlichkeit des Lernenden in seiner Gesamtheit bezieht. 10
Resümierend kann festgehalten werden, dass diese beiden Formen der Motivation sich durch den „instrumentellen Charakter“11 der extrinsisch motivierten Handlungen unterscheiden. Diese Unterscheidung formuliert SCHLAG als „Tätigkeits- gegenüber Ergebnisorientierung“12, wobei die Art der Motivation sich auch sichtbar in Ausdauer, Ehrgeiz und Leistung in Bezug auf die jeweilige Handlung niederschlägt. Hinsichtlich der schulischen Praxis stehen hierbei eine intrinsische Motivation bezüglich eines bestimmten Themengebiets und ein hohes Leistungsniveau13 in einem Bedingungsgefüge, welches für ein extrinsisch motiviertes Lernen nicht automatisch angenommen werden kann.
Hierbei muss jedoch abschließend angemerkt werden, dass die eben vorgenommene grundlegende Unterscheidung dieser beiden Arten der Motivation in der Praxis nicht derart stringent aufrecht erhalten werden kann und ihre Übergänge sich oftmals als fließend erweisen. So kann beispielsweise ein Schüler, welcher von Kind auf zu der Beschäftigung mit einem bestimmten Themenbereich gedrängt wurde und dies wie selbstverständlich weiterführt, sich selbst als intrinsisch motiviert empfindet.
Unter Zuhilfenahme dieser Unterscheidung in extrinsische und intrinsische Motivation kann nun eine konkretere Abgrenzung verschiedener theoretischer Ansätze erfolgen. So sehen beispielsweise die Theorie der Kausalattribuierung14 sowie die kognitiven und sozial-kognitiven Theorien („Erwartung-mal-Wert-Theorie“15 ) als auch in besonderem Maße die humanistische Psychologie in der intrinsischen Motivation den zentralen Motor allen Handelns. Diese Überzeugung wird in der vorliegenden Arbeit im Hinblick auf den strukturtheoretischen Ansatz Helspers und Oevermanns weiter auszuführen sein.
In klarer Abgrenzung hierzu stehen die in der behavioristischen Triebtheorie wurzelnden Lerntheorien, laut welchen das menschliche Handeln fast ausschließlich extrinsisch von „äußeren Einflussgrößen“16 bestimmt wird, wie in den nachfolgenden Ausführungen hinsichtlich Skinners Theorie des Operanten Konditionierens deutlich werden wird.
3. Analyse des Fallbeispiels
3.1. Die Analyse der kontextuellen Lehr- und Lernbedingungen
Grundlage der nachfolgenden Ausführungen stellt eine Unterrichtssituation dar, welche sich in der 7. Klasse eines Gymnasiums im Fach Deutsch ereignet hat. Hinsichtlich der Zusammensetzung der Lerngruppe ist ein ausgeglichenes Verhältnis von Mädchen und Jungen zu vermerken, welche im Durchschnitt zwischen 13 und 14 Jahren alt sind. Bezüglich des Arbeitsverhaltens ist eine in seiner Gesamtheit auffallend hohe Schülerbeteiligung und eine rege Mitarbeit der Schüler, welche sich nicht nur auf einzelne Schüler beschränkt, sondern beinahe die gesamte Klasse umfasst, sowie eine zumeist hohe Qualität der getätigten Aussagen zu konstatieren. Obgleich der Unterrichtsfluss durch die hohe Aktivität der Schüler und dem, damit einhergehenden, erhöhten Lärmpegel bisweilen unterbrochen wird, zeichnet sich die Lerngruppe durch ein überdurchschnittlich hohes Leistungsniveau17 aus, welches sicherlich auch durch die professionelle Beziehung zwischen Lehrkraft und Schüler positiv beeinflusst wird. So bemüht die Lehrperson sich stets, eine stimmige Balance zwischen Fürsorge und Förderung der Selbständigkeit der Schüler, sowie zwischen professioneller Distanz und zugewandter Nähe zu suchen und im Rahmen seiner Möglichkeiten auch zu finden. Meiner Einschätzung nach gelingt es ihr fast ausnahmslos, den Schüler das Gefühl der Wertschätzung und des Ernstgenommenwerdens zu vermitteln, ohne hierbei selbst Gefahr zu laufen, nicht mehr in ihrer Autorität ernstgenommen und respektiert zu werden.
So kann zusammenfassend von einem erstaunlich harmonischen Verhältnis zwischen Lehrkraft und Schülern gesprochen werden, welches, abgesehen von sehr wenigen disziplinarischen Unterbrechungen, ein angenehmes und produktives Arbeitsklima schafft.
3.2. Das ‚Beobachten‘: die Beschreibung der beobachteten Unterrichtsituation
Unterrichtsgegenstand der beobachteten Unterrichtsstunde stellt zu diesem Zeitpunkt das Thema „Schriftlich Stellung nehmen“ innerhalb der Unterrichtseinheit „Argumentieren und Debattieren“ dar. Hierzu sollten die SchülerInnen in der vorherigen Stunde in Briefform zu einem fiktiven Verbot des Schullandheimes Stellung nehmen.
Die Lehrperson beginnt ihren Unterricht nun mit der Besprechung des Arbeitsauftrags. Mehrere SchülerInnen möchten ihren selbstverfassten Brief vorlesen, sodass der Lehrer einen Schüler erwählen muss. Dieser trägt sein Ergebnis vor und die Lehrperson bittet um eine mündliche Rückmeldung der Mitschüler, ohne selbst eine Anmerkung zu dem Brief gemacht zu haben. Mehrere Mitschüler äußern ihre Bewertung des Briefes und zeigen sich im Gesamten mit dem Ergebnis zufrieden, obgleich sie Verbesserungsvorschläge hinsichtlich des „Einleitungssatzes“ und der Schlußformel nennen. Im Anschluss fasst die Lehrperson die genannten Punkte zusammen und weist darüber hinaus freundlich auf eine kleine, stilistische Unebenheit hin.
Anschließend wird ein weiterer Schüler zum Lesen seines Briefes aufgerufen. Dieser zeigte sich mir stets als ein leistungsstarker, aufgeweckter und vielseitig interessierter Schüler mit einem auffallend gefestigten Charakter und einer stark ausgeprägten eigenen Meinung, welche er auch in Diskussionen selbst dann unbeirrt vertritt, wenn sie nicht der in der Klasse vorherrschenden Meinung entspricht. Nach Vorlesen seines Briefes wird abermals ein Feedback von den Mitschülern eingefordert und bereits die erste Rückmeldung durch einen der Mitschüler fällt derart positiv aus, dass im Anschluss daran die Mitschüler laut zu klatschen beginnen und der Schüler sich zwar leicht verschämt, aber sichtlich erfreut zeigt. Unter Verweis auf diese positive Reaktion der Mitschüler bestätigt die Lehrperson dem Schüler, den Arbeitsauftrag umfassend erfüllt zu haben, bescheinigt ihm, beinahe alle bedeutenden Punkte berücksichtigt zu haben und lobt seinen Schreibstil.
Abschließend bittet die Lehrperson um einen letzten, von einer Schülerin verfassten Brief und ruft anschließend eine sich freiwillig meldende Schülerin auf. Diese fällt im Unterricht durchweg durch ihre aktive und produktive Mitarbeit auf, welche das Unterrichtsgeschehen voranbringt und oftmals neue Impuls liefert. Ihre rege Mitarbeit ist nach Aussage der Lehrkraft nicht nur fachspezifisch, sondern fächerübergreifend, von welchem ich mir im Religionsunterricht selbst ein Bild machen konnte. So zeigt sie sich in beinahe allen Fächern als zielstrebige und ehrgeizige Schülerin, welche auf die Anerkennung und Bestätigung durch die Lehrperson großen Wert legt, ohne sich hierbei verbissen oder rücksichtlos gegenüber ihren Mitschülern zu zeigen. Vielmehr nimmt sie ihre Funktion als Klassensprecherin sehr ernst und erweist sich als sozial eingestellte und beliebte Mitschülerin, welche auch innerhalb des Klassenverbandes geschätzt werden möchte. So setzen sich meines Erachtens ihre Lern- und Leistungsmotivation aus verschiedenen Motiven zusammen, die in sich zusammenhängen und sich dabei gegenseitig bedingen, wie Leistungsorientierung, Performanzorientierung18, soziale Motive sowie einer prinzipiellen Lernorientierung, also dem Wunsch, das eigene Wissen um seinetwillen auszubauen.
Nach dem Vorlesen ihres Briefes bittet die Lehrperson nun abermals um eine konstruktive Bewertung durch die Mitschüler, welche jedoch unerwarteterweise ausbleibt. Da auch nach erneuter Bitte der Lehrperson keine Schülermeldung zu vermerken ist, geht die Lehrperson übergangslos zu der nächsten Unterrichtsphase über. Die Schülerin bleibt also ohne ein Feedback für ihr Ergebnis zurück und ihr Gesichtsausdruck zeigt deutliche Enttäuschung über die ausbleibende Ein- und Wertschätzung ihrer Arbeit. Als Reaktion hierauf wendet sie sich kurzzeitig vom Unterrichtsgeschehen ab und stattdessen ihrer Nebensitzerin zu.
3. 3. Das ‚Erklären‘: die wissenschaftliche Grundlage anhand des struktur- und kompetenztheoretischen Ansatzes
Grundlage der folgenden Ausführungen hinsichtlich der Motivation und des Lobes stellen der strukturtheoretische Ansatz von W. HELSPER19 sowie der kompetenzorientierte Ansatz von J. BAUMERT und M. KUNTER20 dar, welche im Folgenden in groben Zügen dargestellt und zugleich auf die geschilderten Beobachtungen bezogen werden sollen.
So führt HELSPER, in Anlehnung an OEVERMANN, ein Arbeitsbündnis zwischen Lehrer und Schüler als Basis eines gelingenden Unterrichtsgeschehens an, welches jedoch nicht erzwungen oder verordnet werden kann, sondern auf die „gegenseitige Einwilligung“21 angewiesen ist. Die Herstellung eines derartigen Arbeitsbündnisses wird somit nach OEVERMANN aufgrund der Schulpflicht zu einem beinahe unmöglichen Unterfangen und auch HELSPER betont die Krisenanfälligkeit und Fragilität des Arbeitsbündnisses, welches sich immer in einem offenen Prozess der Erneuerung und Neuaushandlung befindet. Die Errichtung dieses Arbeitsbündnisses und die Schaffung eines Raumes, in welchem eine stetige Aushandlung, Um oder- Neuformierung des Arbeitsbündnisses stattfinden kann, ist nach HELSPER „die Grundlage gelingenden professionellen Handelns“22.
Um nun den Bestand eines einstmals errichteten Arbeitsbündnisses zu sichern, muss ein „gegenseitiges Vertrauen“ und eine „reziproke Verpflichtung zur aktiven Beteiligung“23 zwischen den Beteiligten existieren. Hinsichtlich der Verpflichtung des Lehrers gegenüber dem Schüler nennt OSER drei Verpflichtungsaspekte, welche laut ihm die Berufsmoral einer Lehrperson ausmachen: „Fürsorge, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit“24. Im Gegenzug ist der Schüler dem Lehrer gegenüber verpflichtet, am Unterrichtsgeschehen aktiv zu partizipieren.
Diese Errichtung eines Arbeitsbündnisses und das Sichern seines Fortbestandes sind der Lehrkraft in dem konkreten Fallbeispiel außerordentlich gut gelungen. Meiner Einschätzung nach gibt es im Rahmen dieser Klasse keinen Schüler, welcher das Arbeitsbündnis gänzlich verweigert, obgleich es durchaus ein paar wenige Arbeitsbündnisse gibt, die sich aufgrund eines Mobbingfalles innerhalb der Klasse und der nachfolgenden Intervention durch die Lehrkraft als krisen- und störanfälliger erweisen. Dennoch kann in der Gesamtheit eine Erfüllung der eben genannten „reziproken Verpflichtung“ sowohl von der Lehrkraft, welche den Verpflichtungsaspekten OSERs im Rahmen des Möglichen fast ausnahmslos gerecht wird, sowie von Schülerseite durch deren aktive Partizipation am Unterrichtsgeschehen konstatiert werden.
Hinsichtlich dieser Beteiligung am Unterricht, genauer hinsichtlich der Teilnahmemotivation, führt OEVERMANN nun „die epistemische Neugier des Kindes“25 als primäre Grundlage des Arbeitsbündnisses und der Lernmotivation an, wobei fortan „Wissbegierde und allgemeines Interesse“26 den Lernprozess unterstützen. Hierbei liegt die Überzeugung zu Grunde, dass die „intrinsische Motivation Ausgangspunkt allen Lernens“27 ist, welche jedoch durch den Zwang des Unterrichtsbesuches vermindert wird oder gar unmöglich gemacht wird. Diesem stellen BAUMERT/KUNTER die Überzeugung entgegen, dass die von OEVERMANN genannten Ursachen der Motivation im Laufe der Schulzeit mit der „Entwicklungslogik menschlicher Motivationssysteme“28 in Konflikt geraten, laut welcher die menschliche Entwicklung mit einer Ausdifferenzierung der Interessen einhergehe und zu einer immer weniger gleichmäßigen Motivation für fachspezifische Lerninhalte führe. Interessen entwickeln sich diesem Ansatz zufolge durch Bestärkungen und positive Rückmeldungen bezüglich bereits vorhandener Kompetenzen oder Fähigkeiten, welches eine Vertiefung dieser zur Folge hat und mit der Herausbildung bereichsspezifischer Interessen einhergeht. Dies bestätigt auch das Forschungsergebnis des Konstanzer Längsschnitts29, laut welchem die Schulfreude und die ganzheitliche Motivation vom 6. zum 7. Schuljahr einbrechen und eine fach- und bereichsspezifische Interessendifferenzierung30 stattfindet.
Im Bezug auf die Schulpraxis ist es nun, hinsichtlich einer bereits vorhandenen, intrinsischen Motivation bezüglich eines Unterrichtsgegenstandes, Aufgabe der Lehrperson, den Ausbau des Interesses zu fördern. Als bedeutend schwieriger erweist es sich, die Teilnahmemotivation trotz eines möglichen Desinteresses am Unterrichtsgegenstand zu sichern. Diesbezüglich wehren BAUMERT/KUNTER sich gegen die strukturtheoretische Überzeugung, die Teilnahmemotivation am Unterricht könne nur dadurch gesichert werden, dass täglich das Arbeitsbündnis und dessen Grundlage, die reziproke Verpflichtung zwischen Lehrer und Schüler, aufs Neue ausgehandelt werden müsse. Aus Sicht des kompetenztheoretischen Ansatzes sollte es der Lehrkraft vielmehr gelingen, ein „situationales Interesse“31 am Unterrichtsgegenstand zu wecken, welches durch eine extrinsische Motivierung gelingt. Zielsetzung ist hierbei, dass sich im Idealfall aus diesen Einzelmomenten der Interessiertheit eine „Stabilisierung der Teilnahmemotivation“32 entwickelt, welche nicht zu einer intrinsischen Motivation führt, jedoch für das Gelingen des gegenwärtigen Lernprozesses ausreicht. Diesbezüglich wird der Rückgriff auf Mittel der extrinsischen Motivierung, wie beispielsweise eine ansprechende Aufbereitung des Unterrichtsstoffes oder lobende Stellungnahmen der Lehrperson, angeführt, wessen sich die Lehrperson auch in dem vorliegenden Fallbeispiel hinsichtlich der ersten beiden Schüler bedient hat. Inwieweit bei diesen bereits ein intrinsisches Interesse vorhanden war, ist aus meiner Perspektive schwer auszumachen, jedoch gelingt es der Lehrperson unabhängig davon in der Gesamtheit sowie in dem konkreten Beispiel sehr gut, die Schüler zur aktiven Teilnahme zu motivieren und ihr Interesse zu wecken beziehungsweise zu fördern.
Desweiteren zeigt die Lehrkraft hinsichtlich der ersten beiden Schüler ihr angemessenes Fachwissen sowie ihr allgemeines pädagogisches Wissen, welches das „Wissen über Entwicklung und Lernen, Diagnostik und Leistungsbeurteilung“33 miteinschließt und welches die Lehrperson bei den ersten beiden Schülern hinsichtlich der Diagnostik und Beurteilung ihrer Leistungen anbringt. Desweiteren erweist sie sich in Bezug auf den ersten Schüler in der Lage, eine „konstruktiv-unterstützende[...] Lernumgebung[...]“34 zu schaffen, welches laut BAUMERT/KUNTER auch „Geduld und Respekt im Umgang mit Fehlern“35 miteinschließt und ein respektvolles Korrigieren des ersten Schülers ermöglicht.
Jedoch sieht sich die Lehrperson, besonders in der Interaktion mit der Schülerin, auch verschiedenen Antinomien ausgesetzt, welche laut HELSPER konstitutiv für das Lehrerhandeln sind und „zu dessen strukturellem Kern“36 gehören. Lehrerhandeln ist laut HELSPER stets Handeln in einem Spannungsgefüge zwischen zwei Gegensatzpaaren oder einander ausschließender Anforderungen.37 Hierbei ist hinsichtlich der Interaktion mit der dritten Schülerin die Vertrauensantinomie anzuführen, welche die Notwendigkeit eines Vertrauensverhältnisses zwischen Lehrer und Schüler und gleichzeitig dessen Gefahr beschreibt. So kann eine negative Bewertung oder eine fehlende Wertschätzung, kurz eine Verweigerung der „individuellen Anerkennung“38 durch den Lehrer, vom Schüler eben aufgrund der Vertrauensbeziehung als „Schwäche, Entwertung, Beschämung oder Makel erfahren“39 werden. Desweiteren bewegt sich die Lehrperson hier in dem Spannungsfeld der Differenzierungsantinomie, welche die Spannung beschreibt zwischen dem Anspruch auf eine „generalisierte[...] Gleichbehandlung aller Schüler [sowie der] Notwendigkeit zwischen Schülergruppen und einzelnen Schülern differenzieren zu müssen und die Pluralität von Lernbiographien und Bildungsvoraussetzungen zu beachten“40. Weiterhin sieht die Lehrperson sich mit der Näheantinomie konfrontiert, innerhalb welcher der berechtigte Anspruch der Schüler auf eine „distanzierte, universalistische Haltung[...]“41 der Lehrperson mit der Unterschiedlichkeit sowohl der Beziehung zwischen Lehrer und Schüler als auch der Bedürfnisse der einzelnen Schüler kollidiert und in einem Spannungsverhältnis steht. Hierbei kann das Gefühl einer ungerechten Behandlung oder einer Bevorzugung unter den Schülern zu Missgunst und Neid führen.
3.4. Das ‚Verstehen‘: die kritische Prüfung und Bewertung
Auf Grundlage des oben ausgeführten Erklärungsmodells sollen nun eine Bewertung und eine sachliche Kritik der Interaktion erfolgen. Diesbezüglich zeigt das vorliegende Fallbeispiel, stark vereinfach ausgedrückt, zugleich zwei verschiedenen Konstellationen hinsichtlich der Lehrer-Schüler-Interaktion im Bereich des Lobes auf42: die positive Bestätigung, auf welche der Schüler mit Stolz und Freude reagiert und das Ausbleiben der erhofften Bestätigung, welches mit Enttäuschung und Frustration von Schülerseite beantwortet wird.
Hinsichtlich der erst genannten Konstellation zwischen dem lobenden Lehrer und dem stolzen Schüler ist es dem Lehrer angesichts der freiwilligen Meldung des Schülers entweder bereits in den Stunden zuvor gelungen, die Teilnahmemotivation des Schülers zu wecken, welche nun durch die beschriebene Situation sicherlich noch gestärkt beziehungsweise stabilisiert wird, oder es liegt bereits eine persönliche, intrinsische Motivation hinsichtlich dieses speziellen Unterrichtsgegenstandes bei dem Schüler vor. Es darf nämlich unter Berücksichtigung der vorangegangenen Ausführungen angenommen werden, dass die von OEVERMANN angeführte „epistemische Neugier und das allgemeine Interesse“ eines Kindes in diesem Entwicklungsstadium nicht mehr ausreichen, um den Schüler für Unterrichtsgegenstände in ihrer Gesamtheit zu motivieren. Unabhängig davon, welcher der beiden genannten Fälle hier zutrifft, stabilisiert die Lehrkraft mit Sicherheit das Interesse und die Aufmerksamkeit des Schülers durch ihre extrinsische Motivierung, welche noch verstärkt wird durch die anerkennende Wertschätzung von Seiten der gesamten Klasse. Desweiteren sichert die Lehrkraft die Schülermotivation sicherlich auch durch ihren eigenen ausgeprägten Enthusiasmus und ihr Engagement, von welchem man annimmt, es habe „Modellwirkung für das Verhalten der Schülerinnen und Schüler“.43 So ist hierbei im Rahmen einer Prognose von einer Festigung der Lern- und Leistungsmotivation hinsichtlich zukünftigen Verhaltens auszugehen, wie auch SCHLAG bestätigt, welcher „Lob und positive Rückmeldung [...] oft als die besten Möglichkeiten zur Förderung“44 dieser anführt.
Resümierend greift die Lehrkraft in dieser Interaktion auf ihr allgemeines pädagogisches Wissen und ihre diagnostische Kompetenz in professioneller Weise zurück und baut damit die bereits bestehende Vertrauensbeziehung zwischen Lehrkraft und Schüler aus. Sie bewegt sich hierbei so professionell zwischen den oben angeführten Spannungsgefügen, dass geradezu von einem idealtypischen Verhalten von Schüler- und Lehrerseite gesprochen werden kann. Hier wird das ‚Feed-back‘ mit großer Wahrscheinlichkeit zum „‚Feed-forward‘“45.
Ein Gegenbeispiel zu dieser gelungenen und produktiven Schüler-Lehrer-Interaktion stellt die zweite genannte Konstellation dar. Hierbei wird neben der von OSER angeführten Verpflichtung zur Gerechtigkeit auch das Bedürfnis der Schülerin auf Lob und Bestätigung durch den Lehrer unbeachtet gelassen. Ausgehend von der Tatsache, dass die Schülerin sich freiwillig zum Verlesen des Briefes meldet, kann in diesem Fall ebenfalls davon ausgegangen werden, dass bereits ein, ob nun intrinsisch oder durch die Lehrkraft in den Stunden zuvor extrinsisch motiviertes, Interesse besteht. Durch Ausbleiben des zu Recht erhofften Lobes sind ein deutlicher Rückgang der Schülermotivation und eine leichte Frustration zu beobachten, welche durch den bereits genannten Aspekt der fehlenden Gerechtigkeit und Gleichbehandlung der Schüler sicherlich noch verstärkt wird. Durch die konkrete Gegenüberstellung zu der Schüler-Lehrer-Interaktion zuvor, in welcher der Schüler in zweifacher Weise eine sehr positive Rückmeldung für seine Arbeit erhielt, muss die Schülerin die ausbleibende Bewertung als Geringschätzung interpretieren, obgleich ihr Ergebnis qualitativ nur minimal von dem des Mitschülers abweicht. Hier wäre die Lehrperson der Schülerin eine Rückmeldung schuldig gewesen und hätte gegebenenfalls auch vehementer ein Feedback der Mitschüler einfordern müssen, welches sicherlich nicht aufgrund der Qualität der Arbeit der Schülerin, sondern wohl vielmehr aufgrund von Ermüdungserscheinungen seitens der Mitschüler und dem Wunsch, diese Unterrichtsphase zu beenden, ausblieb. So gründet ihr Verhalten meiner Einschätzung nach auch nicht in dem von HELSPER angeführten Spannungsgefüge von Fürsorge und Gerechtigkeit, sodass es sich hierbei um eine „fürsorgliche[...] Vermeidung von Kränkung und Abwertung“46 handeln würde, denn für eine kränkende oder abwertende Kritik an ihrer Arbeit gäbe es keinen Anlass. Es handelt sich hierbei also nicht um das Unbeachtetlassen mangelnden Wissens oder Könnens um durch dessen Nicht-Veröffentlichung die Vertrauensbeziehung nicht zu erschüttern, sondern vielmehr kann die Verweigerung „individuelle[r] Anerkennung“47 zu eben einer solchen Erschütterung des Vertrauensverhältnisses führen.
Auch begründen hierbei meinem Erachten nach die unterschiedlichen Lernbiographien oder die individuellen Lern- und Leistungsvoraussetzungen der beiden Schüler nicht die differenzierte Behandlung, da beide Schüler zu den leistungsstärksten Schülern der Klasse gehören und ihre Ergebnisse in diesem Maße zu erwarten waren.
[...]
1 Bernhard Schlag: Lern- und Leistungsmotivation, S. 11.
2 Ebd., S. 11.
3 Elke Wild; Manfred Hofer; Reinhard Pekrun: „Psychologie des Lernens.“, S. 220.
4 Reinhard Pekrun; Ulrich Schiefele: „Emotions- und motivationspsychologische Bedingungen der Lernleistung.“, S. 169.
5 Helmut Fend: Entwicklungspsychologie des Jugendalters, S. 337.
6 Daniel Berlyne unterscheidet „Wahrnehmungsneugier und epistemische Neugier“. Ersteres bezeichnet einen überraschend wahrgenommenen Sinnesreiz wie einen lauten Knall oder ein grelles Licht, wohingegen die epistemische Neugier dann geweckt wird, „wenn ein Mensch Informationen zur Kenntnis zu nehmen hat, die mit seinem Wissen, seinen Überzeugungen oder Einstellungen nicht, oder nur teilweise zu vereinbaren sind.“
In: Gerd Mietzel: Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens, S. 351.
7 Bernhard Schlag: Lern- und Leistungsmotivation, S. 20.
8 Andreas Krapp: „Intrinsische Lernmotivation und Interesse.“, S. 400.
9 Elke Wild; Manfred Hofer; Reinhard Pekrun: „Psychologie des Lernens.“, S. 218.
10 Vgl. Ebd., S. 221.
11 Ebd., S. 221.
12 Bernhard Schlag: Lern- und Leistungsmotivation, S. 24.
13 Vgl. Gerd Mietzel: Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens, S. 344.
14 Die Theorie der Kausalattribuierung von B. Weiner gründet sich auf die Annahme, „daß Menschen durch die Motivation zu kennzeichnen sind, sich selbst und Ereignisse ihrer Umwelt zu verstehen.“ Der Mensch sucht demnach nach Ursache und Erklärung für Erfolg und Misserfolg und lässt sein zukünftiges Leistungsverhalten von seinen diesbezüglich gewonnenen Erkenntnissen bestimmen. Vgl. hierzu: Andreas Krapp: „Intrinsische Lernmotivation und Interesse.“, S. 336f.
15 Laut dieser Theorie wird die Motivation von zwei Faktoren entscheidend beeinflusst: „Es handelt sich dabei zum einen um die Erwartung des Individuums, ein Ziel zu erreichen, und zum anderen um den Wert, den es diesem Ziel zuschreibt.“ Ob eine Handlung also ausgeführt wird, ist demnach abhängig von dem errechneten Produkt aus der Größe der Wahrscheinlichkeit, das angestrebte Ziel zu erreichen, und dessen Bedeutung für den Handelnden. In: Gerd Mietzel: Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens, S. 333.
16 Bernhard Schlag: Lern- und Leistungsmotivation, S. 28.
17 Dies belegen, neben den Schülermeldungen im Unterricht, auch die Ergebnisse der Vergleichsarbeit des vorherigen Schuljahres sowie die bekräftigenden Aussagen des im Fallbeispiel unterrichtenden Klassenlehrers.
18 Die Performanzorientierung bezeichnet hier den „Wunsch nach guten Leistungen, um die eigenen Chancen in der schulischen und beruflichen Konkurrenzsituation zu verbessern.“ In: Elke Wild; Manfred Hofer; Reinhard Pekrun: „Psychologie des Lernens.“, S. 220.
19 Werner Helsper: Antinomien, Widersprüche, Paradoxien: Lehrerarbeit – ein unmögliches Geschäft?. Im Folgenden wird nach der Sigle AWP zitiert.
20 Jürgen Baumert; Mareike Kunter: Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Im Folgenden wird nach der Sigle PK zitiert.
21 AWP, S. 64.
22 AWP, S. 65.
23 AWP, S. 64.
24 PK, S. 474.
25 PK, S. 474.
26 PK, S. 474.
27 PK, S. 474.
28 PK, S. 475.
29 Vgl. Helmut Fend: Entwicklungspsychologie des Jugendalters , S. 352, Abbildung 3.6.
30 Vgl. Ebd., S. 349.
31 PK, S. 476.
32 PK, S. 476.
33 PK, S. 484.
34 PK, S. 488.
35 PK, S. 488.
36 AWP, S. 55.
37 Vgl. AWP, S. 61.
38 AWP, S. 76.
39 AWP, S. 75.
40 AWP, S. 82.
41 AWP, S. 77.
42 Hierbei steht die jeweilige Interaktion zwischen der Lehrkraft und dem Schülern 2 sowie der Schülerin im Zentrum des Interesses und Schüler 1 muss weitgehend unberücksichtigt bleiben.
43 PK, S. 504.
44 Bernhard Schlag: Lern- und Leistungsmotivation, S. 153.
45 Ebd., S. 109.
46 AWK, S. 56.
47 AWK, S. 76.