Die drei Themenblöcke sind:
1.) Die Adressatenforschung und ihre Leitstudien von Beginn des 20. Jahrhunderst bis 2015.
2.) Milieustudien und deren Erkenntnisse für die Erwachsenenbildung.
3.) Kundenorientierung in der Bildung, Zeitabhängigkeit und der Kontext der Marktsituation. Diese Betrachtung führt bis zur Nutzenorientierung des Dienstleistungsmarketings.
Die Arbeit wurde aus betriebswirtschaftlicher Sicht im Kontext von Lernangeboten geschrieben.
Inhaltsverzeichnis
Aufgabe 1: Beschreiben Sie die Anfänge sowie zentrale Leitstudien der Adressatenforschung. Wie und wo ist dabei die „Entdeckung des Adressaten“ zu verorten?
Aufgabe 2: Die wichtigsten millieu-übergreifenden Befunde der Studien „Lebenswelten von Menschen mit Migrationshintergrund“ sowie „Bildung, Milieu & Migration“. Diskussion: Welche Bedeutung haben diese Erkenntnisse für die Erwachsenenbildung/ Weiterbildung?
Aufgabe 3: Ist Kundenorientierung zeitbedingt?
Literatur
Aufgabe 1: Beschreiben Sie die Anfänge sowie zentrale Leitstudien der Adressatenforschung. Wie und wo ist dabei die „Entdeckung des Adressaten“ zu verorten?
Adressatenforschung reicht in ihren Anfängen bis in die 1920er Jahre zurück und manifestierte sich in Statistiken über Teilnahmen bis hin zu Bücherei-Statistiken.1 In den Nachkriegsjahren rückte dann der Zusammenhang von sozialer Lage und Bildungsinteresse in den Blick; die Hildesheim-Studie steht hier im Vordergrund.2 Fragen nach Zusammenhängen zwischen Einstellung und Bildungsfähigkeit, Bevölkerungsschicht und Teilnahme mit Interessen, wie auch Ansätze zur Differenzierung bis zur Millieuforschung folgten in den den weiteren Jahrzehnten; die Göttinger Studie bildet hier die Basis für spätere Betrachtungen.3 Ein Blickpunkt dabei ist die, seit den später 1970ern bis ins aktuelle Jahrzehnt beobachtete Weiterbildungsschere, mit geringerer Teilnahmeneigung bei geringerer Vorbildung; die Oldenburg-Studie knüpfte dazu an die Göttinger Studie an.4 Adressatenforschung wurde lange Zeit stark in Verbindung mit Volkshochschulen als vorherrschende Marktmacht in der Weiterbildung betrachtet.5
Mitte der 1980er Jahre veränderte sich die Sichtweise auf Weiterbildung in Deutschland. Die Bedeutung von Bildung als Wirtschaftsfaktor erhielt Aufmerksamkeit und resultierte in einer Differenzierung des Angebotes. Der zunehmende Rückzug des Staates aus der Förderung von Weiterbildung veränderte den Charakter dieses Marktes bis heute. Betriebswirtschaftliche Überlegungen hielten, trotz der sozialwissenschaftlichen Widerstände gegen Ökonomisierung, Einzug in den Weiterbildungsmarkt. Größere Heterogenität des Angebotes und wenig Überblick einer fragmentierten Struktur machten eine gezielte Vermarktung notwendig, um relevante Zielgruppen zu erreichen. Bis zum Ende des ersten Jahrzehnts der neuen Jahrtausends resultierte diese Entwicklung in der Nutzung von zielgruppenorientiertem Marketing durch mehr als 80% der Anbieter.6
Auf Basis der Leitstudien, namentlich der Hildesheimer-, Göttinger- und Oldenburger-Studien werden vier Grundrichtungen unterschieden; (1) qualitative Teilnehmer- und Kursforschung, (2) soziodemografische Adressaten- und Teilnehmerforschung, (3) Biografieforschung und (4) milieubasierte Forschungen.7
Die Auswirkungen der Ausrichtung von Weiterbildung auf Nachfrage geht über das operatives Marketing hinaus. Die Programmplanung wird an den Adressaten ausgerichtet, um diese erst zu Teilnehmern machen zu können. Weiterbildung musste erkennen, das Angebote auf Bedarfe und Nachfrage ausgerichtet werden müssen, da in ökonomischen Rahmenbedingungen ein Überleben gesichert werden muss. Anspräche, Bedürfnisse und Interessen der Teilnehmer und häufig ungleichen Zahlern der Weiterbildungsangebote werden somit berücksichtigt. Letztlich ist eine wirtschaftlich arbeitende Einrichtung gezwungen, sich auch von Wettbewerbern zu unterscheiden.8
Adressaten lassen sich nicht mit dem Blick auf andere Anbieter finden, hierzu eignen sich Statistiken und Analysen der Nachfrageseite.9 Eine relevante Quelle war hierzu das Berichtssystem Weiterbildung, heute der Nachfolger Adult Education Service.10 Nachfrager sind jedoch nicht nur die bereits nachfragenden Personen, sondern künftig auch Interessierte, die an Weiterbildung teilnahmen, sobald etwas ihren Wünschen entspricht.
Adressaten werden von Teilnehmern und Zielgruppen abgegrenzt. Adressaten sind alle, die erreicht werden sollen, also die Personen, welche möglicherweise Teilnehmer werden könnten bzw. sollen. Zielgruppen werden aus Adressaten gebildet, die gemeinsame Merkmale aufweisen. Die Basis dieser Merkmale bilden soziale Gruppen, demografische oder regionale Strukturen, z.B. Erwerbstätige zwischen 35 und 55 Jahren. Teilnehmer sind die Personen, die tatsächlich die Weiterbildung beginnen.11
Die Auswirkung der Adressatenforschung ist, den möglichen Teilnehmer in das Zentrum der Planung von Kursen zu stellen. Dazu werden Interessen und Lernziele von Teilnehmer herangezogen und um die Interessen und Ziele von möglichen Teilnehmern erweitert. Auch bekannte Lernbarrieren finden Berücksichtigung.12
Die Perspektive des Individuums in der Adressatenforschung bezieht dessen Motivation, Einstellungen und Bedarfe mit ein, die Zielgruppen stellen diese Faktoren in gruppierter Form dar und erleichtern eine kollektive Ansprache. Angebote werden dann an diese gruppierten Adressaten gerichtet.13
Hinwendungen zur Ausrichtung am Adressaten erfolgten in den 1990er Jahren verstärkt, als Weiterbildung sich auf die Mitte der Gesellschaft auszurichten begann. Da die Mitte der Gesellschaft in unserem staatlichen System nicht gefördert wird, bedeutete dies zwangsläufig eine Ökonomisierung der Programmplanung. Freiwillige Teilnehmer bringen dabei Erwartungen und Interessen mit, ebenso wie konkrete Bedarfe. Ein rational denkender Teilnehmer wählt den Kurs aus, der persönlich als passendster empfunden wird. Erfolgreiche Kurse müssen somit diese Erwartungen bedienen.14
Marktwirtschaftlich operierende Weiterbildungseinrichtungen sind gezwungen sich auf Adressatenforschung zu stützen, um ihr Angebot auf den Markt auszurichten.
Aufgabe 2: Die wichtigsten millieu-übergreifenden Befunde der Studien „Lebenswelten von Menschen mit Migrationshintergrund“ sowie „Bildung, Milieu & Migration“. Diskussion: Welche Bedeutung haben diese Erkenntnisse für die Erwachsenenbildung/ Weiterbildung?
Milieustudien berücksichtigen über die alt-hergebrachten Faktoren von Einkommen und sozialer Schicht auch Lebensstile und Werte in unterschiedlichen Differenzierungen.15
Die Studie „Lebenswelten von Menschen mit Migrationshintergrund“ wurde vom Forschungsinstitut Sinus durchgeführt. In der Studie wurden Erwartungen, Werte, Wünsche und Ziele von Migranten erforscht. Sinus bediente sich Interviews in den Muttersprachen der Befragten und reduzierte somit Sprachbarrieren bei der Beantwortung. Im Ergebnis wurden Migranten in acht Milieus aufgeteilt, die sich in das System der bestehenden Milieustudien einreihen.16
Die acht Milieus von Migranten wurden als Zweiergruppen gebildet. Diese Zweiergruppen sind ambitioniert, bürgerlich, prekär und traditionsverwurzelt. Ambitionierte unterteilen sich in intellektuell-kosmopolitische und multikulturelle Performer. Die Bürgerlichen werden in adaptiv Bürgerliche und Statusorientierte aufgeteilt. Prekäre sind Entwurzelte und das hedonisitisch-subkulturelle Milieu. Die Traditionsverwurzelten sind zum einen das traditionelle Arbeitermilieu, zum anderen Religiösverwurzelte. Die kleinsten Gruppen bilden Entwurzelte und Religiösverwurzelte mit sieben und neun Prozent, die größten mit 16% adaptiv-bürgerliche und traditionelles Arbeitermilieu.17
Eine bedeutende Erkenntnis von Sinus was die geringere Bedeutung der Religion für das Weiterbildungsverhalten gegenüber den Erwartungen, zumindest außerhalb der religiös-verwurzelten Gruppe. Insgesamt wurden ethnische, religiöse und Zugehörigkeit, wie auch der Migrationsgrund als Einflussfaktoren bestätigt. Die Zuwanderungsgeschichte zeigte sich von Bedeutung, dennoch bleibt eine Veränderung hinsichtlich der Zugehörigkeit zu einem Milieu deutlich bestehen. Die Milieus sind heterogen bezüglich der Herkunftskulturen.18
Hinsichtlich der Weiterbildung bringt die Studie Erkenntnisse, obwohl dies nicht Zielsetzung war. Ein grundsätzliches Interesse an einer Teilnahme von 41% steht einer deutlich geringeren realen Teilnahme entgegnen, worin kaum ein Unterschied zur deutschen Bevölkerung besteht. Auch die Teilnahmebereitschaft verhält sich ähnlich zu den analogen Milieus ohne Migrationshintergrund, hohe Vorbildung und soziale Lage ergibt hohes Interesse an Weiterbildung. Ebenso erreicht die Studie als geeignete Basis für die weitere Untersuchung von Gründen der Nicht-Teilnahme auf Basis der differenzierten Milieus.19
Die Studie „Bildung, Milieu und Migration“ geht diesen weiteren Schritt in der Suche nach einer Differenzierung nach Herkunftskulturen und Milieus mit samt der Auswirkungen auf Einstellungen, Erfahrungen und Verläufe von Bildung. Der Ansatz der durchführenden Universität Düsseldorf ist chancen-orientiert. Zielsetzung waren Handlungsempfehlungen für unterschiedliche Milieus und Hintergründe auf Basis von Best-Practices. Diese Erfahrungen wurden mit Befragungen und Experteninterviews gesammelt und systematisch aufbereitet.20
Die vorliegenden Zwischenergebnisse zum Ende 2013 zeigten keine grundlegende Benachteiligung bei der Bildung aufgrund von Migrationshintergrund. Unterschiede bezüglich der Erfahrungen, Milieus, Rolle der Eltern, Verlauf bisheriger Bildung und deren Beratungsbedarf wurden dagegen festgestellt.21
Eine Zielsetzung der Studie war zielgruppen-bezogene Förderung und Beratung. Bildungsrelevante Erkenntnisse wurden für für einzelne Gruppen zusammengeführt. Die Entwurzelten zeigen Anpassungsschwierigkeiten, die in Einzelfällen durch stark engagierte Lehrkräfte überwunden werden können. Dazu kommen Sprachbarrieren deren Überwindung erst den Zugang ermöglichen kann. Die deutsche Sprache in diesem Milieu zunächst zu entwickeln, stellt also eine Voraussetzung dar, um Weiterbildungsbeteiligung erhöhen zu können. Das adaptiv-bürgerliche Milieu formuliert seine Forderungen offensiv, so dass Weiterbildung lediglich zuhören muss. Hier ist kostengünstige Bildung ein bedeutender Faktor, da die Mittel begrenzt sind und damit bewusst gewirtschaftet wird. Hedonistisch-Subkulturelle stellen den Spaß an der beruflichen Aufgabe in den Vordergrund der Auswahl. Entsprechend wählen diese auch eher Weiterbildungen, deren Anlage eine angenehme Atmosphäre und Spaß versprechen. Ist die spaß-orientierte Lebenswelt mit einer Maßnahme gegen die von dieser Gruppe gefühlte schlechte Chancenlage am Arbeitsmarkt kombinierbar, so kann eine Entwicklung der Weiterbildungsbeteiligung auf deren Basis geschehen.22
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1 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 9
2 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 9 bis 10
3 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 10
4 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 10 bis 11
5 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 11
6 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 4
7 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 12
8 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 4 bis 5
9 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 13
10 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 13
11 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 7
12 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 9
13 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 8 bis 9
14 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 8 und 13 bis 14
15 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 14
16 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 24 bis 25
17 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 25
18 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 26
19 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 26 bis 27
20 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 27 bis 28
21 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 28
22 Vgl. Reich-Classen, Weiterbildung und soziale Milieus, Seite 28 bis 32