Die vorliegende Seminararbeit entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung SE Sprechen und Hören in einem integrativen Deutschunterricht. Die Seminararbeit soll eine vertiefende Auseinandersetzung mit der Thematik ermöglichen und veranschaulichen.
Wieso sind Hörübungen im Fremdsprachenunterricht ein essentieller Bereich und im muttersprachlichen Bereich hingegen nahezu überhaupt nicht? Wieso sind Vorträge (egal ob im schulischen oder außerschulischen Bereich) ohne visuelle Veranschaulichung so sehr verpönt und überhaupt nicht mehr vorstellbar? Sind Schulungen des auditiven Bereiches im Deutschunterricht vom Lehrplan überhaupt vorgesehen?
All diese Fragen habe ich versucht in eine Seminararbeit zu verpacken, die ein möglichst breites Spektrum abdecken soll. Beginnen werde ich mit Begriffsdefinitionen. Dabei sollen die Begrifflichkeiten Hörfertigkeit, Gehör und Verstehen analysiert und auch aus biologischer und psychologischer Sicht betrachtet werden. Das dritte Kapitel wird sich mit dem Hören in der Gesellschaft befassen. Dabei sollen seine veränderte Position in der Gesellschaft, die Überlagerung durch das Visuelle und die Gefahren von Dauerbeschallung sowie der Unterschätzung von Geräuschkulissen beleuchtet werden. Im 4. Kapitel „Hören im Lehrplan für den Deutschunterricht“ begebe ich mich auf die Suche nach den Verankerungen von Hörübungen und Hörtraining in den Bereichen Unterstufe, Oberstufe und BHS. Dabei werde ich mich auf die Lehrpläne für den Deutschunterricht beschränken. Am Ende soll eine Zusammenfassung der Ergebnisse folgen. Im letzten Hauptkapitel beschäftige ich mich mit vorhandener Literatur und den darin vorgestellten Hörübungen bzw. Höraufgaben. Für eine bessere Übersicht gliedert sich dieses Kapitel in vier Unterpunkte. Im letzten Kapitel werde ich meine Ergebnisse nochmals zusammenfassen, ein Resümee ziehen und schließlich einen Forschungsausblick wagen.
Bevor ich mit dem Verfassen meiner Seminararbeit beginne, möchte ich meine Forschungsfrage konkretisieren und die enthaltenen Unterpunkte auflisten: Inwiefern kann, soll oder muss das Lehren und Lernen des Hörens im Deutschunterricht verankert werden?
(1) Welche Stellung nimmt das Gehör in der Sinnhierarchie unserer Gesellschaft ein?;
(2) Ist die Schulung des Hörens und Zuhörens in den Lehrplänen für den Deutschunterricht verankert? Wenn ja, in welcher Weise und in welchem Ausmaß?;
(3) Wie kann das Hören Lehren und Lernen im Deutschunterricht umgesetzt werden?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsdefinitionen
3. Hören in der Gesellschaft
3.1 Der Gehörsinn: eine unverzichtbare menschliche Fähigkeit
3.2 Über die visuelle Dominanz und die Verdrängung der Sinnlichkeit
3.3 Die Gefahren des Hörens
4. Hören im Lehrplan für den Deutschunterricht
4.1 Das Hören im Gymnasiallehrplan für den Deutschunterricht: Unterstufe
4.2 Das Hören im Gymnasiallehrplan für den Deutschunterricht: Oberstufe
4.3 Das Hören im Lehrplan für den Deutschunterricht: BHS-Bereich
4.4 Zusammenfassung der Ergebnisse
5. Hören im Deutschunterricht
5.1 Übungen zur Hörsensibilisierung
5.2 Hörübungen für den Grammatik- und Rechtschreibbereich
5.3 Hörübungen für den literarischen Bereich
5.4 Übungen zur Schulung des aktiven Zuhörens
6. Zusammenfassung
Bibliographie
1. Einleitung
Die vorliegende Seminararbeit entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung SE Sprechen und Hören in einem integrativen Deutschunterricht. Bei den Vorbereitungen auf das Referat, das ich zum Thema „Hören lehren und lernen“ gehalten habe, entstand bereits ein reges Interesse für die Thematik. Die Seminararbeit dient nicht nur zur Erfüllung der Benotungskriterien, sondern soll auch eine vertiefende Auseinandersetzung mit der Thematik ermöglichen bzw. veranschaulichen.
Als Absolventin eines Musikgymnasiums für Studierende der Musik und als ehemalige semiprofessionelle Klarinettistin stößt bei mir die Thematik Hören und das damit verbundene Lehren und Lernen natürlich auf offene Ohren. Trotz der Tatsache, dass ich während meiner schulischen Laufbahn in den Genuss von sehr engagierten und motivierten Deutschlehrerinnen und Deutschlehrern kam, bin ich erst im Seminar auf dieses Themenfeld gestoßen. Im ersten Moment fand ich das nur eigenartig und traurig. Jetzt beschäftigt mich die Frage des Warums? Wieso sind Hörübungen im Fremdsprachenunterricht ein essentieller Bereich und im muttersprachlichen Bereich hingegen nahezu überhaupt nicht? Wieso sind Vorträge (egal ob im schulischen oder außerschulischen Bereich) ohne visuelle Veranschaulichung so sehr verpönt und überhaupt nicht mehr vorstellbar? Sind Schulungen des auditiven Bereiches im Deutschunterrich vom Lehrplan überhaupt vorgesehen?
All diese Fragen habe ich versucht in eine Seminararbeit zu verpacken, die ein möglichst breites Spektrum abdecken soll. Beginnen werde ich mit Begriffsdefinitionen. Dabei sollen die Begrifflichkeiten Hörfertigkeit, Gehör und Verstehen analysiert und auch aus biologischer und psychologischer Sicht betrachtet werden. Das dritte Kapitel wird sich mit dem Hören in der Gesellschaft befassen. Dabei sollen seine veränderte Position in der Gesellschaft, die Überlagerung durch das Visuelle und die Gefahren von Dauerbeschallung sowie der Unterschätzung von Geräuschkulissen beleuchtet werden. Im 4. Kapitel „Hören im Lehrplan für den Deutschunterricht“ begebe ich mich auf die Suche nach den Verankerungen von Hörübungen und Hörtraining in den Bereichen Unterstufe, Oberstufe und BHS. Dabei werde ich mich auf die Lehrpläne für den Deutschunterricht beschränken. Am Ende soll eine Zusammenfassung der Ergebnisse folgen. Im letzten Hauptkapitel beschäftige ich mich mit vorhandener Literatur und den darin vorgestellten Hörübungen bzw. Höraufgaben. Für eine bessere Übersicht gliedert sich dieses Kapitel in vier Unterpunkte. Im letzten Kapitel werde ich meine Ergebnisse nochmals zusammenfassen, ein Resümee ziehen und schließlich einen Forschungsausblick wagen.
Bevor ich mit dem Verfassen meiner Seminararbeit beginne, möchte ich meine Forschungsfrage konkretisieren und die enthaltenen Unterpunkte auflisten:
Inwiefern kann, soll oder muss das Lehren und Lernen des Hörens im Deutschunterricht verankert werden?
(1) Welche Stellung nimmt das Gehör in der Sinnhierarchie unserer Gesellschaft ein?
(2) Ist die Schulung des Hörens und Zuhörens in den Lehrplänen für den Deutschunterricht verankert? Wenn ja, in welcher Weise und in welchem Ausmaß?
(3) Wie kann das Hören Lehren und Lernen im Deutschunterricht umgesetzt werden?
2. Begriffsdefinitionen
Hörfertigkeit
Möchte man den Begriff Hörfertigkeit definieren, so geht es in erster Linie darum, den Wortteil Fertigkeit des Kompositums näher zu beleuchten. Doch ist dies, wie auch Leubolt in ihrer Diplomarbeit hinweist, keine leichte Angelegenheit. (Vgl. Leubolt 2006, S.20) Duden unterscheidet zwei Grundformen der Bedeutung von Fertigkeit: (1) bei der Ausführung bestimmter Tätigkeiten erworbene Geschicklichkeit; Routine, Technik (2) Kenntnisse Fähigkeiten. (Duden, Stichwort: Fertigkeit). Die erste Assoziation mit dem Begriff fällt häufig auf die drei Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen. Diese spielen ab Schuleintritt eine besonders wichtige Rolle. Beschäftigt man sich hingegen mit der Fremdsprachendidaktik, so wird hier meist von vier klassischen Fertigkeiten gesprochen: Hören, Lesen, Sprechen und Schreiben. (Vgl. Leubolt 2006, S.20)
Damit scheinen wir uns unserer Thematik angenähert zu haben. Wichtig ist, dass die Begriffe Fertigkeit und Fähigkeit nicht synonym zu verwenden sind, da der Begriff Fertigkeit immer im Zusammenhang mit einem übenden Lernprozess steht, was beim Begriff Fähigkeit nicht zwangsläufig der Fall ist. Wills erklärt dies noch vertiefender:
… unter Fähigkeiten dispositionell bestimmte Eigenschaften zu verstehen, die man durch Training so zu Fertigkeiten entwickeln kann, daß sie den Menschen in die Lage versetzen, eine fremd- oder selbstgestellte Aufgabe ohne viel kognitiven Aufwand oder manuelle Experimentierarbeit zufrieden stellend oder gar meisterhaft zu bewältigen. […] Fähigkeit ist im Vergleich zu Fertigkeit offenbar der umfassendere – allerdings auch der vagere – Begriff. (Wills 1992, S.144)
Für ein Verständnis des Wortes Hörverständnis ist es essentiell zu verstehen, dass das Hören generell nicht nur eine angeborene Fähigkeit ist, über die alle ein gesundes Gehör besitzenden Menschen als biologische Eigenschaft verfügen, sondern auch eine sprachliche Fertigkeit, die geübt und trainiert werden muss. Vergleichbar mit den Fertigkeiten Lesen, Schreiben und Sprechen, kann nicht bei Schuleintritt eine solche Fertigkeit vorausgesetzt werden. Das Hören ist als individuelle Sprachfertigkeit einem Entwicklungsprozess unterworfen. (Vgl. Leubolt 2006, S.20)
Gehör
Das Gehör ermöglicht uns das Wahrnehmen und Beurteilen akustischer Erscheinungen. Akustische Erscheinungen sind jene Hörereignisse, deren Longitudinalwellen bestimmbare Frequenzen aufweisen. Das Gehör wird auch als auditives System bezeichnet und ist die Gesamtheit aller anatomischen Strukturen und physiologischen Prozesse, auf deren Funktionstüchtigkeit das Hörvermögen angewiesen ist. Der Hörvorgang geht wie folgt von statten: Über den äußeren Gehörgang, das Trommelfell und die Gehörknöchelchenkette gelangen die Schalwellen an das Innenohr. Im ovalen Fenster kommt es zur Druckverstärkung und somit zu einer Anpassung an die Schnecke, welche über einen hohen akustischen Scheinwiderstand (=schallhartes Medium der Perilymphe) verfügt. In Folge dessen erregen Wanderwellen die Haarzellen des Corti-Organs und diese wiederrum leiten die Erregung an den Hörnerv weiter. In der Medulla oblongata, im Mittelhirn, im Thalamus und in der Großhirnrinde erfolgt die zentrale Verarbeitung. Der menschliche Gehörsinn kann Schwingungsfrequenzen von 0,02 bis 20kHz aufnehmen und verarbeiten. (Roche Lexikon Medizin, Gehör(s)sinn)
Verstehen
Das Wort Verstehen beschäftigt viele unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen. Psychologie, Philosophie (vor allem die Teilbereiche Logik und Sprachphilosophie), Theologie, Biologie und natürlich die unterschiedlichsten linguistischen Wissenschaftsdisziplinen versuchen das „Mysterium Verstehen“ zu erforschen und zu definieren.
Sucht man das Verb verstehen im Duden kann man die Vielfalt dieses Wortes erahnen: (1) Gesprochenes deutlich hören (2a) den Sinn von etwas erfassen; etwas begreifen (2b) in bestimmter Weise auslegen, deuten, auffassen (2c) ein bestimmtes Bild von sich haben; sich in bestimmter Weise, als Bestimmtes sehen (3a) sich in jemanden, in jemandes Lage hineinversetzen können; Verständnis für jemanden haben/zeigen (3b) (jemandes Verhaltensweise, Haltung, Reaktion, Gefühl von dessen Standpunkt gesehen) natürlich, konsequent, richtig, normal finden (4) mit jemanden gut auskommen, ein gutes Verhältnis haben. (Duden, verstehen) Um mögliche Missverständnisse zu vermeiden und gleichzeitig das Blickfeld zu weiten, stelle ich psychologische Überlegungen meiner weiteren Arbeit voran.
Beim Verstehen geht es um das Erfassen des Sinnes und nicht um die Fixierung auf den genauen Inhalt. Eine zu starke Inhaltsfixierung führt dazu, dass man jedes kleine Detail verstehen möchte. Beispielsweise achtet man auf den genauen Wortsinn, so kommt es nicht selten zu einer endlosen Fragenkette. Das Gegenüber spricht in der Zwischenzeit weiter und man verliert den Anschluss. Häufig trifft man auf die Annahme, Verstehen sei etwas vollkommen Subjektives. Missverständnisse sind Teil unseres Alltages und die Suche nach „DER einzig wahren Wahrheit“ ist Teil der menschlichen Natur. Etwas Besonderes ist das Phänomen, dass wir in der Lage sind einander zu verstehen, selbst wenn wir nicht derselben Meinung sind. Im Grunde spielt der Wahrheitsgehalt keine Rolle. Man kann sich etwas ausdenken und wird von seinem Gegenüber dennoch verstanden. Wichtig ist lediglich, dass das Gehörte in die eigenen Wirklichkeits- und Denkkonstruktionen eingeordnet werden kann. (Vgl. Das Psychologie Lexikon, Verstehen)
3. Hören in der Gesellschaft
3.1 Der Gehörsinn: eine unverzichtbare menschliche Fähigkeit
Berendt betont, dass man bereits in der frühen Entwicklung des Menschen erkennen kann, wie wesentlich der Gehörsinn ist. Es ist allgemein bekannt, dass bei den Menschen der Gehörsinn bereits vor der Geburt ausgebildet ist. Besonders interessant ist, dass es bereits etwa sieben Tage nach der Befruchtung am Embryo zwar besonders kleine, aber dennoch erkennbare Ansätze zur Ohrenbildung vorhanden sind. Die Ausbildung des Innenohres erfolgt in der neunten Schwangerschaftswoche und nach viereinhalb Monaten ist der Fötus im Besitz eines vollständigen Hörorgans in seiner endgültigen Größe. (Vgl. Berendt 1992, S.12)
Ratgeber, die den werdenden Müttern das Hören von Mozart und Bach empfehlen, liegen insofern nicht völlig falsch, da die Tatsache, dass wir schon lange vor unserer Geburt beginnen die Umwelt akustisch wahrzunehmen, als bewiesen gilt. Besonders Interessant finde ich den Hinweis Berendts, dass der Embryo bzw. der Fötus durch seine zusammengekauerte und auf den Kopf stehende Position im Mutterleib selbst wie ein Ohr aussieht. (Vgl. Berendt 2004, S.68) Weiters geht Berendt auf Ergebnisse aus der Sterbeforschung ein. Diese betont nämlich, dass beim Sterbevorgang der Gehörsinn derjenige Sinn ist, der als letzter erlischt. (Vgl. Berendt 1992, S.8)
Leubolt betont in ihrer Diplomarbeit die Besonderheit, dass wir – natürlich nur bis zu einem bestimmten Grad – selber darüber entscheiden können, was und wie laut wir etwas akustisch wahrnehmen. Die in unseren Ohren eingebauten Mechanismen, die als Verstärker und Schalldämpfer fungieren, können Lautes leiser und Leises lauter machen. Ein Beispiel dafür ist ein uns interessierender, aber leiser Stimulus. Unser Gehirn unterstützt uns dabei diesen Stimulus besser wahrzunehmen, in dem er Störgeräusche (Verkehrslärm, Lärm des Nachbarn, Maschinengeräusche) ausblendet. Dies steht selbstverständlich in einem engen Zusammenhang mit unserem Konzentrationsvermögen. (Vgl. Leubolt 2006, S.9)
Das führt uns zu der Feststellung, dass unsere Fähigkeiten akustische Phänomene zu erfassen und zu verarbeiten nicht nur davon abhängen, wie die physikalische Beschaffenheit des Klangereignisses aussieht, sondern untrennbar mit der persönlichen Wahrnehmungs- und Entschlüsselungsfähigkeit des Hörenden verbunden sind. (Vgl. Leubolt 2006, S.10)
Schick beschreibt dies näher:
Die menschliche Hörwahrnehmung komponiert vieles hinzu und gestaltet so sinnvolle und bedeutungshaltige Höreindrücke. Ganz allgemein gilt: In jeder Hörerfahrung, selbst in jene der Lautheitsempfindungen, gehen vielfältige Faktoren der Persönlichkeit und der situativen Umstände und ihres situativen Zusammenwirkens ein; d.h. der physikalische Schall liefert nur die Grundlage für einen komplexen Weiterverarbeitungs- und Transformationsprozeß. Kurzgefaßt: Unsere Hörerfahrungen bzw. Hörwahrnehmungen beruhen auf einem vielfältigen Bedingungsgefüge von Detektion, Identifikation, Diskrimination, Wiedererkennen, Kategorisieren und Klassifizieren. (Schick 1997, S.50)
Daraus folgert Schick, dass unsere Wahrnehmungsleistung gezielt trainier- und veränderbar ist. Die eben aufgelisteten, wesentlichen Faktoren Detektion, Identifikation, Diskrimination, Wiederkennen, Kategorisieren und Klassifizieren können gezielt beeinflusst und ausgebaut werden. (Vgl. Schick 1997, S.51)
Berendt weist auf das weitverbreitete Missverständnis hin, dass der Gehörsinn nur mittels Ohren funktioniert. „Jeder hör- und musikempfindliche Mensch hat die Erfahrung gemacht: Wir hören nicht nur mit unseren Ohren; wir hören mit unserem Körper – buchstäblich mit jeder Pore und Zelle.“ (Berendt 2004, S.97)
Für eine linguistische Perspektive des Hörens, sind die während des Hörvorgangs ablaufenden psycholinguistischen Prozesse, besonders wichtig. Wode beispielsweise unterscheidet zwischen kontinuierlichem und kategorialem Hören. Beim kontinuierlichen Hören ist der Mensch in der Lage feinste Geräusche zu unterscheiden. Das Kategoriale Hören hingegen basiert auf dem Entweder-oder-Prinzip. Auch das Sprachhören wird kategorial vollzogen und die einzelnen Elemente werden den Klassen zugeordnet. Diese sogenannten Schallkategorien werden beim Erstsprachenerwerb im Kleinkindesalter erlernt und in Folge immer weiter ausgebaut. (Vgl. Wode 1990, S.19-23)
Leubolt zitiert in ihrer Diplomarbeit Kant und geht damit auf einen weiteren wichtigen Aspekt des Hörens ein: „Nicht-sehen trennt den Menschen von den Dingen. Nicht-hören trennt den Menschen vom Menschen.“ (Immanuel Kant zitiert nach Leubolt 2006, S.11)
Unsere Gesellschaft basiert auf Sprache und der Mensch ist auf das Wahrnehmen von Sprache mit Hilfe des Gehörsinns konditioniert. Die essentielle soziale Funktion steht und stand wohl zu jeder Zeit außer Diskussion. Ist jemand in seinem Hörvermögen eingeschränkt entsteht daraus zwangsläufig eine Einschränkung auf der Basis der medialen Berichterstattung, aber auch des sozialen, gesellschaftlichen Alltaglebens. Die Gebärdensprache dient der zumindest partiellen Abnahme solcher Hürden und dem Erschaffen einer eigenen Hörkultur. Das Selbstverständnis, mit dem Hörende die Hörfähigkeit und die damit verbundenen Vorteile und Privilegien behandeln, wird meist erst dann kritisch reflektiert, wenn es aus gesundheitlichen Gründen zu einer Einschränkung der Hörleistung kommt. Von solchen Schicksalsschlägen Getroffene, häufig sind das ältere Menschen, sprechen von einer enorm eingeschränkten Kommunikationsfähigkeit und seelischen Belastungen. Nicht selten hat dies soziale Isolation zur Folge. Das Überhören oder Missverstehen von Fragen führt zu fehlenden oder unpassenden Antworten. Betroffene werden rasch als abwesend, verwirrt und sogar intellektuell minderbemittelt eingeschätzt. (Vgl. Leubolt 2006, S.11)
Die frühe Ausbildung und das späte Erlöschen des Gehörsinnes, seine lebenslange Trainierbarkeit sowie seine enorme Wichtigkeit in der Gesellschaft und dem sozialen Alltagsleben sind Belege für die Unverzichtbarkeit dieser menschlichen Fähigkeit.
3.2 Über die visuelle Dominanz und die Verdrängung der Sinnlichkeit
Unbestritten ist, dass der Sehsinn und der Gehörsinn in der Sinneshierarchie weit oben stehen. Die Antwort auf die Frage, welcher Sinn der führende ist bzw. war verschob sich im Laufe der Zeit. Gegenwärtig zeichnet sich ein Primat des Sehens ab, was durch die visuell orientierte Zivilisation verdeutlicht wird. Das ist natürlich keine Erfindung des gegenwärtigen Jahrhunderts, sondern blickt bereits auf eine lange Tradition zurück. (Vgl. Leubolt 2006, S.12) Dies betont auch Berendt, wenn auch in einer sehr extremen Weise: „Der westliche Mensch lebt nicht erst seit dem Fernsehen in einer Augenkultur. Da entartete sie. Die abendländische Kultur ist von Anfang an visionär.“ (Berendt 2004, S.44)
Wie die Frage um eine Spitzenstellung in der Sinneshierarchie beantwortet wird, hängt natürlich von den Aufgaben, Problemen und Wünschen einer Kultur ab. Wendet man seinen Blick zurück in Richtung Frühzeit, trifft man auf sehr verschiedene Sinnesanforderungen. Reflektiert man die von einer Flucht ausgehenden Gefahren und die bei der Jagd herrschenden Bedingungen und Erfordernissen, scheint ein Primat des Hörens sehr plausibel zu sein. Die Klänge der Natur waren für die Sicherheit und die damit einhergehende erhöhte Wahrscheinlichkeit eines Überlebens essentiell. (Vgl. Ackermann 2003, S.70f.)
Neben der unterschiedlichen Wichtigkeit des Naturwahrnehmens, hat sich auch noch ein zweiter Bezugspunkt vollkommen verändert. Die Sprachwahrnehmung vollzog in der Menschheitsgeschichte einen besonders auffallenden Wandel. Bevor es zur Etablierung der Schriftlichkeit kam, wurde Sprache auditiv wahrgenommen. Die Oralität bestimmte die Sprachkultur. Durch das Auftreten der Literalität wurde die menschliche Kommunikationsbandbreite erweitert und zugleich verändert. Ackermann vermutet, dass diese Kommunikationsveränderung auch zu einer Veränderung bzw. Ablösung des Hörprimates geführt haben könnte. Aber welche konkreten Folgen für den Gehörsinn entstanden dadurch?
Denn was sich in Zeiträumen menschlicher Entwicklung wandeln konnte, war kaum die biologische Grundausstattung des Menschen. Nicht seine Sensorik änderte sich grundlegend, sondern das Verhältnis, das die Sprache zu seinen Sinnen einnahm. Ihre Stellung zueinander gestaltete sich neu, schon deshalb wohl, weil Sprache den Sinnen unterschiedlich zugeführt wurde: erst galt sie überwiegend dem Hören, dann dem Lesen, erst war sie dem Ohr, dann dem Auge. So ist in der Geschichte des Hörens eine Geschichte wechselnden Interesses enthalten, die zu tun hat mit den wechselnden Techniken der Kommunikation, mit Oralität und Literalität. So wird die Geschichte des Hörens eine Geschichte der Kulturtechniken. (Ackermann 2003, S.69)
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