In dieser Arbeit wird exemplarisch je ein Werk der kubanischen Exilschriftsteller Zoé Valdés und Guillermo Cabrera Infante untersucht. Der bereits verstorbene Cabrera Infante sowie die dreißig Jahre jüngere Zoé Valdés gelten als prominente Mitglieder der kubanischen Exilgemeinde. Ihre Romane „Ella Cantaba Boleros“ und „Café Nostalgia“ thematisieren das Leben in Havanna vor und nach der Revolution und erlauben daher einen Einblick in die Gedanken zweier Mitglieder der kubanischen Diaspora im Exil zum Land ihres Ursprungs.
Obwohl die Unabhängigkeit Kubas erst zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erreicht wurde, reicht die Geschichte der kubanischen Diaspora bereits 200 Jahre zurück. Anders als in anderen Ländern bestand zwischen Kuba und der kubanischen Diaspora stets ein spannungsreiches Verhältnis. Während unter verschiedenen vergangenen Regimen besonders politisch unliebsame Personen das Land verlassen mussten, wurden nach der Revolution solche Personen, die freiwillig das Land verlassen wollten, von Seiten des kubanischen Staats lange Zeit als Dissidenten geächtet. Auf der anderen Seite prägte sich unter den Exilanten eine Gegenbewegung zur Revolution heraus, die engagiert von den USA aus das Ziel des Sturzes der Regierung um Fidel Castro bis heute verfolgt. Das feindselige Klima zwischen Teilen der Diaspora und der kubanischen Regierung, sowie gegenseitiges Misstrauen und politische Konflikte zwischen Kuba und den USA führten lange Zeit zu einer Verhärtung der Fronten.
Erst in den vergangenen Jahren scheint sich der Konflikt langsam zu entspannen. Trotz gegenseitiger Vorbehalte betrachten sich große Teile der Diaspora als Teil des kubanischen Volkes mit einem ausgeprägten Interesse an kubanischer Kultur. Jedoch nahmen Diaspora und Mutterland infolge der lokalen Trennung separate, unterschiedliche Entwicklungen, die auch im kulturellen Bereich erfolgten. Während das Leben auf der Insel zwischen den Eindrücken von materiellen Engpässen und beschnittener Meinungsfreiheit auf der einen und fortschrittlichen Gesundheits- und Bildungssystemen auf der anderen Seite stand, erreichte die Gemeinschaft der Exilkubaner in den USA große Erfolge im unternehmerischen Bereich und soziales Ansehen in der US-amerikanischen Gesellschaft.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Autoren: Zoé Valdés und Guillermo Cabrera Infante
3. Exil-kubanische Identität
3.1 Kultur, Erinnerung und Identität.
3.2 Identität und Musik in der kubanischen Diaspora
4. Das vorrevolutionäre Kuba in Cabrera Infantes Ella Cantaba Boleros
4.1 Kritik an den Verhältnissen auf Kuba
4.2 Stilistische Mittel der Darstellung des nächtlichen Havannas
4.3 La Estrella als Symbol für das vorrevolutionäre Kuba
4.4 Erinnerung und Vergessen
5. Identität und Erinnerung: Café Nostalgia
5.1 Vergangenheit und die Erinnerung an Kuba
5.2 Die kubanische Diaspora in Café Nostalgia
5.3 Politische Kritik im Werk
6. Schluss
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Obwohl die Unabhängigkeit Kubas erst zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erreicht wurde, reicht die Geschichte der kubanischen Diaspora bereits 200 Jahre zurück. Nach verschiedenen Auswanderungswellen hat sich eine Gemeinschaft der Exilanten herausgebildet, die sich zunehmend gut vernetzt hat, aber heute wie damals über verschiedene Teile der Welt verstreut ist (vgl. Blanco 2011: 11). Während vor Beginn der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts besonders Einzelpersonen, die beim jeweiligen Regime in Ungnade gefallen waren, emigrieren mussten, kam es nach der kubanischen Revolution 1959 auf Grund der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen, die der politische Führungswechsel mit sich brachte, vermehrt zu Massenauswanderungswellen. Seitdem hat sich der US-amerikanische Bundesstaat Florida zum zentralen Migrationsziel der kubanischen Migranten entwickelt. Im Jahr 2010 lebten dort 1,2 Millionen Menschen mit kubanischen Wurzeln, die meisten davon im Großraum Miami (vgl. ebenda: 38).
Anders als in anderen Ländern bestand zwischen Kuba und der kubanischen Diaspora stets ein spannungsreiches Verhältnis. Während unter verschiedenen vergangenen Regimen besonders politisch unliebsame Personen das Land verlassen mussten, wurden nach der Revolution solche Personen, die freiwillig das Land verlassen wollten, von Seiten des kubanischen Staats lange Zeit als Dissidenten geächtet. Auf der anderen Seite prägte sich unter den Exilanten eine Gegenbewegung zur Revolution heraus, die engagiert von den USA aus das Ziel des Sturzes der Regierung um Fidel Castro bis heute verfolgt. Als Höhepunkt dieser Versuche gilt die erfolglose militärische Invasion in der Schweinebucht im Jahr 1961. Das feindselige Klima zwischen Teilen der Diaspora und der kubanischen Regierung, sowie gegenseitiges Misstrauen und politische Konflikte zwischen Kuba und den USA führten lange Zeit zu einer Verhärtung der Fronten. Erst in den vergangenen Jahren scheint sich der Konflikt langsam zu entspannen (Blanco 2011: 45).
Trotz gegenseitiger Vorbehalte betrachten sich große Teile der Diaspora als Teil des kubanischen Volkes mit einem ausgeprägten Interesse an kubanischer Kultur (vgl. ebenda: 11). Jedoch nahmen Diaspora und Mutterland infolge der lokalen Trennung separate, unterschiedliche Entwicklungen, die auch im kulturellen Bereich erfolgten. Während das Leben auf der Insel zwischen den Eindrücken von materiellen Engpässen und beschnittener Meinungsfreiheit auf der einen und fortschrittlichen Gesundheits- und Bildungssystemen auf der anderen Seite stand, erreichte die Gemeinschaft der Exilkubaner in den USA große Erfolge im unternehmerischen Bereich und soziales Ansehen in der US-amerikanischen Gesellschaft (vgl. ebenda: 13). Somit agierten die Kulturschaffenden auf beiden Seiten unter dem Einfluss grundsätzlich unterschiedlicher Lebensrealitäten.
Ebenfalls wurden kulturelle Erzeugnisse der jeweils anderen Seite von beiden Lagern aus ausgeschlossen, da sie als politisches Sprachrohr für unerwünschte Botschaften verstanden wurden. So existierte auf Kuba eine „schwarze Liste“ kubanisch-stämmiger Musiker, die sich kritisch über die kubanische Politik geäußert hatten, und deren Werke aus dem kubanischen Radio verbannt wurden (vgl. Rainsford 2012: o.S.). Auf der anderen Seite hatten die bekannten kubanischen Musiker Omara Portuondo und Silvio Rodriguez, die sich in der Öffentlichkeit positiv über die Revolution geäußert hatten, lange Zeit erhebliche Probleme bei der Einreise in die USA, um dort Konzerte geben zu können. Erst in jüngerer Vergangenheit hatten ihre Anträge auf Visa Erfolg (vgl. Henkel 2010: o.S.). Man kann jedoch davon ausgehen, dass kubanische Diaspora und Kubaner auf der Heimatinsel in den Jahren nach der Revolution mit völlig unterschiedlichen, und teilweise gegensätzlichen Kulturgütern konfrontiert wurden.
Da die Verfügbarkeit von Texten und Inhalten als Träger des kulturellen Gedächtnisses in modernen Gesellschaften gilt (vgl. Altmeyer 2002: 17), liegt der Schluss nahe, dass durch die kulturelle Trennung zwischen den Exilkubanern in der Diaspora und den Kubanern auf der Insel sich ein eigenes, modifiziertes kulturelles Gedächtnis der Diaspora herausgebildet hat. Neben der bereits beschriebenen, unterschiedlichen Lebensrealität der Exil-Kubaner, bedeutet auch der Migrationsprozess selbst und die damit verbundene Umsiedlung in ein fremdes Land einen prägenden Einschnitt in die Biographie der Migranten. Die Verarbeitung dieses Prozesses, sowie des Verlusts der Heimat und die Auseinandersetzung mit der Erinnerung an das Land des Ursprungs stellt eine Thematik dar, die wenig überraschender Weise Eingang in viele Werke der kubanischen Exil-Schriftsteller gefunden hat. Wie die Erinnerung an Kuba in den Werken der gesamten kubanischen Diaspora thematisiert und verarbeitet wird, würde sicherlich eine interessante, aber vom Umfang her kaum zu bewältigende Aufgabe darstellen, wenn man bedenkt, dass die kubanische Exil-Literatur mit Protagonisten wie José-Maria de Heredia oder José Martí bereits in die Zeit der kubanischen Unabhängigkeitsbewegung zurück reicht. An dieser Stelle soll stattdessen exemplarisch je ein Werk der kubanischen Exilschriftsteller Zoé Valdés und Guillermo Cabrera Infante untersucht werden. Der bereits verstorbene Cabrera Infante sowie die dreißig Jahre jüngere Zoé Valdés gelten als prominente Mitglieder der kubanischen Exilgemeinde. Ihre Romane Ella Cantaba Boleros und Café Nostalgia thematisieren das Leben in Havanna vor und nach der Revolution und erlauben daher einen Einblick in die Gedanken zweier Mitglieder der kubanischen Diaspora im Exil zum Land ihres Ursprungs.
2. Die Autoren: Zoé Valdés und Guillermo Cabrera Infante
Guillermo Cabrera Infante wurde am 22. April 1929 in einem Dorf in der Provinz Oriente geboren. Im Jahr 1941 siedelt die Familie in die Hauptstadt Havanna über, womit Cabrera Infante in einem Umfeld groß wurde, das sein Schreiben später nachhaltig prägen sollte. Besonders das vorrevolutionäre Havanna der Vergangenheit stellt ein wiederkehrendes, zentrales Thema in seinen Werken dar (vgl. Hammerschmidt 2005: 3f).
Nachdem er 1950 das Studium an einer Journalistenschule aufnahm, machte er bereits zwei Jahre später zum ersten Mal mit der kubanischen Zensurbehörde unter dem damaligen Diktator Fulgencio Batista Bekanntschaft. Wegen der Verwendung von obszöner Sprache in einer von ihm publizierten Kurzgeschichte kam er für kurze Zeit in Polizeigewahrsam und musste eine Geldstrafe bezahlen. Seine Eltern waren als Mitbegründer der kommunistischen Partei Kubas zur damaligen Zeit ebenfalls Oppositionelle. Diese Erfahrungen führen bei Cabrera Infante zu einer ausgeprägten Gegnerschaft zum Regime Batistas, so dass er anfangs ein Anhänger der kubanischen Revolution war (vgl. Berger 2005: o.S.). In den Jahren nach der Revolution hatte er mehrere öffentliche Posten inne, in deren Rahmen er als Direktor des Nationalen Kulturrats und des Filminstituts, sowie als Herausgeber von Lunes de Revolución agierte. Als mit der Politik Castros immer mehr die Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit einherging, wuchs seine Distanz zur neuen Regierung Kubas (vgl. ebenda). Mit dem Verbot des Kurzfilms P.M., in dem Orlando Jiménez Leal und Guillermo Cabrera Infantes Bruder Sabá das Nachtleben Havannas porträtierten, kam es zum offenen Bruch mit Castros Politik. Nachdem er sich in einem offenen Brief, gemeinsam mit anderen Künstlern und Intellektuellen an Castro wandte, wurde Lunes de Revolución verboten und Cabrera Infante bald darauf als Kulturattaché nach Belgien geschickt (vgl. Hammeschmidt 2005: 5).
Als er 1965 ein letztes Mal wegen dem Tod seiner Mutter nach Kuba zurückkehrte, empfand er die Situation vor Ort als derart bedrückend, dass er beschloss, Kuba endgültig den Rücken zuzukehren. Über Madrid zog er 1966 ins Exil nach London, wo ihn seine Heimat und das Schicksal seiner dort verbliebenen Freunde aber unablässig beschäftigen. Alle seine darauf erschienenen Texte dienten laut Cabrera Infante selbst, dem Zweck der Verarbeitung dieser traumatischen Erfahrung (vgl. ebenda). Als sein wichtigstes Werk gilt der bereits im Jahr 1967 erschienene Roman Tres Tristes Tigres, dessen Schauplatz das vorrevolutionäre Havanna darstellt, und für den er im Jahr 1997 den Premio Cervantes erhielt (vgl. ebenda: 6). Im selben Jahr erklärte Cabrera Infante noch er wolle erst nach Ende der Herrschaft Castros nach Kuba zurückkehren. Er starb im Jahr 2005 an einer Blutvergiftung in London, wo seine Familie nach wie vor lebt (vgl. Berger 2005: o.S.).
Zoé Valdés repräsentiert eine neuere Generation der kubanischen Exil-Autoren als Cabrera Infante. Sie wurde im Jahr 1959, wenige Monate nach dem Triumpf der kubanischen Revolution in Havanna geboren und kennt daher, im Gegensatz zu Cabrera Infante das vorrevolutionäre Kuba nur aus Erzählungen. Obwohl sie ihre Familie als arm beschreibt, war das Lesen in ihrer Familie wichtig und ihre Großmutter versorgte sie ständig mit Büchern, die auf dem kubanischen Index standen (vgl. Jocks 2004: o.S.). In jungen Jahren engagierte sie sich politisch in verschiedenen Organisationen der kommunistischen Partei Kubas (vgl. Borchmeyer.2004: o.S.). Nachdem sie von Seiten des Planungsapparates des kubanischen Staats eine Ausbildung als Physikerin zugeteilt bekam, wendete sie sich später der Kultur zu und lebte ab 1983 für fünf Jahre mit dem kubanischen Schriftsteller Manuel Pereira in Paris, wo sie eine Position innerhalb der kubanischen UNESCO Delegation bekleidete und erstmals als Schriftstellerin aktiv wurde (vgl. Hage 1996: 247). Im Jahr 1988 kehrte sie nach Kuba zurück, wo sie die Romane Sangre azul und La nada cotidiana fertigstellte. Während 1994 Sangre azul dort publiziert wurde, zeichnete sich ab, dass La nada cotidiana keine Chance auf Veröffentlichung in Kuba hatte, woraufhin sie mit ihrer Familie auf Einladung zu einer Kulturveranstaltung nach Paris reiste und nicht wieder zurückkehrte (vgl. ebenda). Von Paris aus, wo sie bis heute lebt, führte sie eine produktive und mehrfach prämierte Schriftstellerkarriere fort. Die Kritik an den bestehenden politischen Verhältnissen auf Kuba stellt ein wiederkehrendes Thema in ihren Arbeiten dar. Diese Tatsache, sowie die Umstände ihres Exils stellen sie an die Spitze der Castro-kritischen Autoren der Gegenwart und machen sie gleichzeitig zur Reizfigur für Anhänger der kubanischen Revolution (vgl. Borchmeyer 2004: o.S.).
3. Exil-kubanische Identität
Die kubanische Exil-Gemeinde stellt sich, anders als sich auf den ersten Blick vermuten lässt, als äußerst heterogen dar. Während sich ihre Mitglieder durch Merkmale wie wirtschaftlichen Erfolg, politische Ansichten und - eng damit verknüpft - Migrationszeitpunkt sowie andere sozioökonomische Merkmale formell voneinander unterscheiden, berichtet Pedraza-Bailey auch von offenen Konflikten innerhalb der Diaspora-Gemeinde. So beobachtete sie bereits 1985, zum Zeitpunkt des Erscheinens ihres Textes, dass solche Kubaner, die auf Kuba einen hohen sozialen Status inne hatten und bereits kurze Zeit nach der Revolution die Insel verlassen hatten, auf diejenigen herabblickten, die niedrigeren Schichten entstammten und erst später den Weg ins Exil wagten (vgl. Pedraza-Bailey 1985: 28f). Dramatischere Folgen hatten die Auseinandersetzungen im Lager der Exil-Kubaner, als es Ende der siebziger Jahre auf Initiative von Fidel Castro zu Annäherungsgesprächen zwischen Teilen der Diaspora- Gemeinde und der kubanischen Regierung kam, in deren Verlauf zwei Exil-Kubaner, die für die politische Öffnung zu Kuba eintraten, von militanten Castro-Gegnern ermordet wurden (vgl. ebenda: 22). Diese Beispiele verdeutlichen die Konflikte innerhalb der kubanischen Exilanten-Gemeinde, die durch ihre heterogene Struktur zu Tage treten, was es nicht ganz problemlos macht, von einer gemeinsamen Identität der Exil-Kubaner zu sprechen. Jedoch scheint der Ausdruck angebracht, wenn man Identität als historisch konzipiert, und in Verbindung mit dem literaturwissenschaftlichen Erinnerungsbegriff betrachtet. Den kulturellen Gütern der kubanischen Exil-Gemeinde kommt dabei eine wesentliche Bedeutung für die Schaffung einer solchen erinnerungsbasierten Identität zu.
3.1 Kultur, Erinnerung und Identität
Trotz der Vielzahl an Gegensätzen vereint einen Großteil der kubanischen Exil-Gemeinde die enthusiastisch zelebrierte Identifikation mit der zurückgelassenen kubanischen Heimat sowie die nostalgische Erinnerung daran (vgl. ebenda: 12ff). Zwischen den USA und verschiedenen karibischen Ländern hat sich ein Wirtschaftszweig, der sogenannte nostalgic trade herausgebildet, dessen einziger Zweck es ist, die hohe Nachfrage der Migranten nach Lebensmitteln, Genussmitteln oder Kulturgütern zu befriedigen (vgl. Blanco 2011: 36f). Die aktive Heimatverbundenheit äußert sich in der kubanischen Diaspora unter anderem in einem starken Interesse für kubanische Kultur und, damit einhergehend, in einem ausgeprägten und produktiven Kulturbetrieb (vgl. Fabiola 2003: o.S.). Mehrere Generationen von Exil Kubanern kamen somit mit der Musik, Kunst und Literatur anderer Exil-Kubaner in Berührung, in denen die gemeinsamen Erfahrungen der Migranten und deren Erinnerung an Kuba thematisiert und reproduziert wurden.
Wie wichtig der Rückbezug auf Kuba oder das Leben vor dem Exil für die kubanische Diaspora ist, zeigt sich bei der wissenschaftlichen Beachtung der Bedeutung von Erinnerung für die Identität einer Person. Durch ihren autobiographischen Charakter ist die Erinnerung einer Person stark emotional aufgeladen und erlangt damit einen deutlichen Einfluss auf die Identität des Einzelnen (vgl. Neumann: 154). Die Erinnerung besteht aber nicht aus einer exakten Reproduktion von historischen Ereignissen, sondern existiert stets im Kontext zu subjektiver Aktualität, ist also einem Einfluss, gegebenenfalls von außen unterworfen. Durch diesen Bezug zur Gegenwart kann es bei der Rekonstruktion der Erinnerungen zu inhaltlichen Verzerrungen kommen (vgl. ebenda: 153). An dieser Stelle lässt sich besonders deutlich die Bedeutung der Kulturgüter, die Kuba als Thema haben, für die Identität der Exil-Kubaner erkennen. Diese Texte, Lieder oder Kunstwerke lassen die Erinnerung an Kuba in einem neuen Licht wiederauferstehen. Dieses Bild wird durch die Rezipienten aufgenommen wodurch eine Modifizierung der Erinnerung der Konsumenten der Kultur geschieht. Betrachtet man nun die Verbindung von Erinnerung und Identität kann man schlussfolgern, dass den Kulturgütern nicht nur eine ästhetische Funktion zukommt, sondern dass sie auch eine Rolle im Prozess der Identitätsbildung einnehmen (vgl. ebenda: 155).
Neben der Betrachtung der Wirkung der Kulturgüter auf die Identität des Einzelnen stellt sich die Frage nach der Gruppe und damit nach der Entstehung einer historisch gewachsenen Exil- kubanischen Identität. Gedächtnistheorien betonen, dass kollektive Erinnerungen ebenfalls nicht per se existieren, sondern konstruiert werden und zudem einen starken Einfluss auf die Identität der Gruppe haben können (vgl. ebenda: 159). Maurice Halbwachs betont sogar in seiner Theorie vom Mémoire collective, dass Erinnerungen immer kollektiv seien und erst durch den ständigen Dialog mit anderen für das Individuum in den sozialen Bezugsrahmen gestellt werden, durch den sie interpretierbar und abrufbar bleiben (vgl. ebenda 159f). Dieser Theorie folgend lässt sich über die Exil-kubanische Gemeinschaft sagen, dass durch die Verbreitung der Erinnerung an Kuba in deren populären Werken die geteilte Erinnerung zu einem Teil des kollektiven Diskurses wird, innerhalb dessen die Erinnerung wiederbelebt und gleichzeitig fortwährend neu konstruiert wird. Diese Erneuerung der geteilten Erfahrungen durch die Gruppe wiederum schafft eine überindividuelle Gruppenidentität (vgl. ebenda: 159), die den Mitgliedern der kubanischen Diaspora zu Teil wird.
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