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Der Schleimpilz. Ein intelligentes Lebewesen unter der Vielfalt der Pflanzen

©2011 Facharbeit (Schule) 41 Seiten

Zusammenfassung

In dieser Seminararbeit wird unter Berücksichtigung des aktuellen Standes der Wissenschaft das Lebewesen Schleimpilz genauer betrachtet und sein Verhalten mithilfe selbst durchgeführter Versuche erläutert. Besonderes Augenmerk wird hierbei auf die rätselhafte Form von Intelligenz gerichtet, die es dem Schleimpilz ermöglicht, ein Verkehrsnetz zu planen.

Unter anderem werden folgende Punkte behandelt: Klassifikation von Schleimpilzen, Beschreibung des Lebenszyklus von Physarum Polycephalum, Geschwindigkeitsmessung und experimenteller Labyrinthversuch.

"Der unermesslich reichen, stets sich erneuernden Natur gegenüber wird der Mensch, soweit er auch in der wissenschaftlichen Erkenntnis fortgeschritten sein mag, immer das sich wundernde Kind bleiben und muss sich stets auf neue Überraschungen gefasst machen."
Diese Worte des Physikers Max Planck waren einem japanischen Forscherteam im Januar 2010 wohl so präsent wie noch nie. Es war ihm gelungen, eine Amöbe dazu zu bringen, eines der komplexesten Systeme überhaupt nachzubilden: Das Bahnnetz einer Großstadt. Der Einzeller hatte die Aufgabe glänzend gelöst. Er bildete das gesamte Verkehrsnetz rund um Tokio mithilfe seines eigenen Körpers maßstabsgetreu nach. Dabei übertraf der Protist mit kürzeren, effizienteren und – im Gegensatz zum Original – ausfallsichereren Verbindungen sogar die japanischen Ingenieure.

Besagter Organismus ist wohl einer der wundersamsten und rätselhaftesten Einzeller überhaupt: Der Schleimpilz. Der Myxomycet (gr. „Schleimpilz“) ist noch weitestgehend unerforscht. Diese Tatsache könnte sich aber bald ändern, da der Versuch des japanischen Forscherteams den Schleimpilz in den Fokus der Wissenschaft rückte. Es stellt sich die Frage, wie es einem Lebewesen ohne Gehirn und ohne höhere Sinnesorgane gelingen konnte, ein hochmathematisches Problem binnen Stunden zu lösen. Kann ein Schleimpilz, der nur aus einer einzigen Zelle besteht, einen Menschen mit etwa 100 Billionen Zellen in Sachen Verkehrsplanung übertreffen?

Eine höchst beängstigende Vorstellung. Andererseits stellt sich die Frage, wo das Talent des Myxomyceten hilfreich sein könnte. Das Forscherteam aus Japan will mithilfe des Schleimpilzes nicht nur Bahn-, sondern auch Strom-, Telefon- und Computernetze überarbeiten. Doch bis es soweit ist, werden wohl noch einige Jahre der Erforschung des Einzellers vergehen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung / Vorwort

2. Physarum Polycephalum
2.1 Allgemeines
2.2 Reichsspezifische Zuordnung
2.3 Erzeugung eines künstlichen Lebensraumes

3. Entwicklungszyklus
3.1 Sporen
3.2 Myxamöben
3.3 Plasmodium
3.3.1 Fortbewegungsgeschwindigkeit
3.3.2 Chemotaxis
3.4 Fruktifikation
3.5 Tod

4. Der Myxomycet und Intelligenz
4.1 Labyrinthversuch
4.1.1 Durchführung des Experiments
4.1.2 Auswertung und Deutung des Ergebnisses
4.2 Bahnnetzversuch
4.2.1 Durchführung des Experiments
4.2.2 Auswertung und Deutung des Ergebnisses

5. Bedeutung des Schleimpilzes für die Biologie

6. Anhang
6.1 Abbildungen
6.2 Glossar
6.2.1 Stichwortverzeichnis
6.2.2 Namensverzeichnis

7. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung / Vorwort

"Der unermesslich reichen, stets sich erneuernden Natur gegenüber wird der Mensch, soweit er auch in der wissenschaftlichen Erkenntnis fortgeschritten sein mag, immer das sich wundernde Kind bleiben und muss sich stets auf neue Überraschungen gefasst ma- chen."

Diese Worte des Physikers Max Planck* waren einem japanischen Forscherteam im Januar 2010 wohl so präsent wie noch nie. Es war ihm gelungen, eine Amöbe* dazu zu bringen, eines der komplexesten Systeme überhaupt nachzubilden: Das Bahnnetz einer Großstadt. Der Einzeller* hatte die Aufgabe glänzend gelöst. Er bildete das gesamte Verkehrsnetz rund um Tokio mithilfe seines eigenen Körpers maßstabsgetreu nach. Dabei übertraf der Protist* mit kürzeren, effizienteren und - im Gegensatz zum Original - ausfallsichereren Verbindungen sogar die japanischen Ingenieure.

Besagter Organismus ist wohl einer der wundersamsten und rätselhaftesten Einzeller überhaupt: Der Schleimpilz. Der Myxomycet (gr. ͣSchleimpilz“) ist noch weitestgehend unerforscht. Diese Tatsache könnte sich aber bald ändern, da der Versuch des japanischen Forscherteams den Schleimpilz in den Fokus der Wissenschaft rückte. Es stellt sich die Frage, wie es einem Lebewesen ohne Gehirn und ohne höhere Sinnesorgane gelingen konnte, ein hochmathematisches Problem binnen Stunden zu lösen. Kann ein Schleimpilz, der nur aus einer einzigen Zelle besteht, einen Menschen mit etwa 100 Billionen Zellen in Sachen Verkehrsplanung übertreffen?

Eine höchst beängstigende Vorstellung. Andererseits stellt sich die Frage, wo das Talent des Myxomyceten hilfreich sein könnte. Das Forscherteam aus Japan will mithilfe des Schleimpilzes nicht nur Bahn-, sondern auch Strom-, Telefon- und Computernetze über- arbeiten. Doch bis es soweit ist, werden wohl noch einige Jahre der Erforschung des Einzellers vergehen.1

In dieser Seminararbeit wird unter Berücksichtigung des aktuellen Standes der Wissen- schaft das Lebewesen Schleimpilz genauer betrachtet und sein Verhalten mithilfe selbst durchgeführter Versuche erläutert. Besonderes Augenmerk wird hierbei auf die rätsel- hafte Form von Intelligenz gerichtet, die es dem Schleimpilz ermöglicht, ein Verkehrs- netz zu planen.

2. Physarum Polycephalum

2.1 Allgemeines

Schleimpilze sind einzellige Lebewesen, die in einer ihrer vier Entwicklungsstadien als zellwandlose*, amöboid bewegliche Plasmamassen* auftreten. Solch eine Plasmamasse kann mehrere Millionen Zellkerne* enthalten und einige Quadratmeter groß werden. Damit sind Schleimpilze die größten lebenden Zellen weltweit.2 Ähnlich den Pilzen durchlaufen Schleimpilze in ihrem Leben eine Reihe von Entwicklungsstadien, trotzdem gilt ihre Zuordnung zum Reich der Pilze als veraltet.3

Obwohl Myxomyceten noch sehr unerforscht sind, existieren sie seit etwa 700 Millionen Jahren in nahezu jeder Klimazone der Erde. Unter den mittlerweile über 1000 bekannten Arten sind sogar nivicole* zu finden. Die Entstehung der Schleimpilze ist dahingegen ungewiss. Kein anderes Lebewesen besitzt einzelne Zellen mit einer solchen Vielzahl an Zellkernen. Eine Theorie führt das Zustandekommen der Schleimpilze auf eine einzige Zelle zurück, welche sich durch ständige Kernteilung ohne Ausbildung einer Zellmemb- ran* oder -wand zum Myxomyceten weiterentwickelte. Eine weitere Theorie besagt, dass sich mehrere Einzeller unter Auflösung ihrer Membranen verbunden und so einen Ur-Myxomyceten gebildet haben könnten.4

In der gemäßigten Zone leben die lichtscheuen und feuchtigkeitsliebenden Schleimpilze bevorzugt im Wald auf Laub, Totholz oder dem Waldboden. Dort ernähren sie sich von allen Arten von nährstoffreichem Futter, beispielsweise von anderen Mikroorganismen, Bakterien oder Pilzen.5 Ausschließlich zur Fortpflanzung begeben sich die Einzeller ans Licht und ins Trockene. Die phänotypisch*auffallenden Farben in stechenden Gelb-, Orange- oder Rottönen, wegen welchen die Schleimpilze in der Vergangenheit oft ge- fürchtet und als ͣDrachendreck“ bezeichnet wurden, dienen heutigen Experten zufolge nur als Abschreckung von Fressfeinden.6

In dieser Seminararbeit wird stellvertretend für alle Schleimpilze mit Physarum Polyce- phalum gearbeitet, da diese Art als einfach zu halten und sehr experimentierfreudig gilt. Physarum Polycephalum (lat. ͣDer Vielköpfige“) gehört der Gattung Physarum aus der Familie Physaraceae und der Ordnung Physarales an. Die Art ist in und auf deutschen Waldböden heimisch und hat im Plasmodienstadium eine stechend gelbe phänotypische Ausprägung.7

Problematisch bei der Quellensuche für diese Arbeit erwies sich der Mangel an deutscher Fachliteratur über Myxomyceten. Der Schleimpilz scheint vor allem in Deutschland noch sehr unbekannt zu sein. Daher wird um Verständnis gebeten, wenn viele Informationen dem Internet entnommen sind.

2.2 Reichsspezifische Zuordnung

Die Zuordnung des Schleimpilzes zu einem Reich ist seit dessen Entdeckung umstritten. Kein bekanntes Lebewesen ist mit der vielkernigen Plasmamasse eines Myxomyceten im Plasmodienstadium vergleichbar.

Deutlich wird die Ungewissheit über die Verwandtschaft zu anderen Lebensformen be- reits durch die vielen, sich stets nicht verfestigten Bezeichnungen für Myxomyceten. So ist der Terminus ͣSchleimpilz“ oder ͣMyxomycet“ nur aus Gründen der Tradition be- rechtigt. Denn die Abstammung des klassischen Schleimpilzes von einer sogenannten ͣSchleimpilzgruppe“ wie den Plasmodiomorphales (parasitische Schleimpilze) oder den Labyrithuales (Netzschleimpilze) ist nach heutigem Wissensstand auszuschließen. Die Bezeichnung ist also wissenschaftlich gesehen falsch. Bedeutende Naturwissenschaftler wie Anton de Bary*, Józef Rostafinski* und Arthur Lister* verwendeten deshalb den Terminus ͣMycetozoa“ (Pilztiere), welcher sich allerdings nicht durchsetzen konnte. Den aktuellsten Vorschlag zur Namensgebung steuerte Dr. Lothar Krieglsteiner* mit seinem Begriff ͣPlasmodial- möbe“ bei. Ob sich dieser fachlich korrekte Ausdruck etablieren wird, ist noch unklar.

Als der Schleimpilz 1654 das erste Mal in der Literatur erwähnt wurde, war seine Zuord- nung zum Reich der Pilze allgemein anerkannt. Erst 1729 widersprach Pier Antonio Mi- cheli* dieser Festlegung und sah den Myxomyceten als separate, mit den Pilzen nicht vergleichbare Organismengruppe. De Bary stellte die Schleimpilze als ͣMycetozoa“ 1864 zum Tierreich, was einzelne Wissenschaftler bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts unter- stützten. Jedoch entstand bereits 1932 eine weitere Strömung, welche den Schleimpilz wieder dem Reich der Pilze zuordnen wollte. Aktuelle Forschungen belegen außerdem pflanzliche Eigenschaften wie beispielsweise die Möglichkeit zur osmotrophischen* Er- nährung in flüssigen Medien. Weiterhin kann eine Abstammung von Protozoen* nicht ausgeschlossen werden, was beispielsweise die zoologische Arbeit von Rüdiger Wehner* und Walter Gehring* von 1990 belegt.8

Da der Myxomycet sowohl Übereinstimmungen als auch Differenzen mit Pflanzen, Tie- ren, Pilzen und allen Arten von Einzellern aufweist, kann er keinem dieser Reiche ein- deutig zugeordnet werden. In dieser Seminararbeit wird das Mischwesen Schleimpilz aber als Pflanze betrachtet, da speziell auf die pflanzlichen Eigenschaften des Einzellers Wert gelegt wird.

2.3 Erzeugung eines künstlichen Lebensraumes

Um das Verhalten von Physarum Polycephalum gut nachvollziehen und eigene Versuche durchführen zu können, ist es nötig, sich den Schleimpilz als eine Art Haustier zu halten. Der natürliche Lebensraum des Einzellers ist zwar der Waldboden in der gemäßigten Zone, allerdings reagiert ein Schleimpilz auf veränderte Umweltbedingungen nicht besonders empfindlich. Deshalb ist es möglich, diese mit einfachen Mitteln nachzubilden, und so ein artgerechtes Heim für die Amöbe zu schaffen.

Anstatt auf dem feuchten Waldboden fühlt Physarum Polycephalum sich auch in einem Einmachglas oder einer Petrischale wohl. Um ständige Feuchtigkeit zu ermöglichen wird der Boden mit wasserdurchtränktem Filterpapier ausgelegt. Das Aufbewahrungsgefäß sollte tagsüber in einem Schuhkarton aufbewahrt werden, um den lichtscheuen Schleimpilz vor Austrocknung zu schützen. Den Ersatz für Pilze oder anderes nährstoff- reiches Futter stellen Haferflocken oder Zucker dar. Utensilien, wie beispielsweise Hand- schuhe oder Besteck, die den Umgang mit dem Schleimpilz erleichtern sollen, müssen stets steril gehalten werden. Ebenso sollte alles andere, das mit der Amöbe in Berührung kommt, einschließlich des Futters, möglichst keimfrei sein. Ansonsten könnte schnell ein Schimmelpilz entstehen, welcher ein natürlicher Fressfeind des Schleimpilzes ist. Die einfachste Möglichkeit die benötigten Gegenstände zu Sterilisieren ist die zehnminütige Erwärmung im Backofen bei 115°C.9

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Eine Petrischale eignet sich hervorragend als Aufbewahrungsgefäß für einen Schleimpilz

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2: Arbeitsplatz für einen artgerechten Umgang mit Physarum Polycephalum

Erst wenn diese Nachbildung des natürlichen Lebensraumes für den Schleimpilz bereit- steht, sollte man sich die Frage stellen, wie man sich ein Exemplar beschaffen kann. Ge- nerell gibt es hierfür drei Möglichkeiten. Die Erste ist im ursprünglichen Lebensraum, also dem Wald, nach einem Schleimpilz zu suchen. Problematisch ist hierbei, dass es für das ungeübte Auge äußerst schwierig ist, einen Schleimpilz auszumachen, zumal sich der Großteil des Schleimpilzlebens unter der Erdoberfläche abspielt. Weitere Nachteile sind die Ungewissheit über mögliche Krankheiten der Amöbe sowie die Unkenntnis darüber, welche Art man gefunden hat. Die zweite Möglichkeit ist jemanden zu fragen, der schon im Besitz eines Schleimpilzes ist. Da dies aber wohl nur selten der Fall ist, empfiehlt sich die dritte Möglichkeit: Die Bestellung im Internet. Auf deutschen Internetseiten wird man allerdings vergeblich suchen: Der Schleimpilz ist hier noch zu unbekannt. Es ist al- lerdings möglich, einen Schleimpilz im Ausland zu bestellen. Ein Beispiel hierfür ist der amerikanische Versandservice carolina.com, der Physarum Polycephalum für $11.90 (Stand: 24. 01. 2011) anbietet. Nachteilhaft hierbei sind die hohen Kosten der Verschif- fung von $25.00 sowie die lange Wartezeit von etwa einem Monat.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Die Seite carolina.com

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Schleimpilze findet man unter →Living Organisms → Protists → Slime Mold Cultures and Sets (rot markiert: Physarum Polycephalum)

Die anschließende Handhabung von Physarum Polycephalum erweist sich allerdings als sehr simpel. Es sollte ausschließlich darauf geachtet werden, dass der Schleimpilz immer genügend befeuchtet ist und er sollte nur gefüttert werden, wenn das gesamte vorherige Futter bereits vom Einzeller umschlossen ist.

Im Rahmen dieser Seminararbeit wird ein Exemplar von Physarum Polycephalum nach den oben beschriebenen Rahmenbedingungen gehalten. Der Schleimpilz befindet sich während der gesamten Haltung und allen Versuchen in einem abgedunkelten Raum, welcher durch Raumtemperatur, normalen Druck, normale Luftfeuchtigkeit und wind- stille gekennzeichnet ist. Zwar sind alle Utensilien relativ steril, trotzdem ist die Umge- bung des Schleimpilzes nicht restlos keimfrei. Die vorliegenden Bedingungen sind weder Labor- noch Naturbedingungen, und werden in dieser Arbeit als ͣgegebene Bedingun- gen“ bezeichnet.

3. Entwicklungszyklus

Im Laufe seines Lebens durchläuft ein Schleimpilz eine Reihe von Entwicklungsstadien, die sich artenspezifisch stark unterscheiden. Im Folgenden werden die vier verschiede- nen Lebensstadien und die Möglichkeiten für einen natürlichen Tod von Physarum Poly- cephalum eingehender erläutert. Dabei werden auch die verschiedenen Überdauerungs- formen näher betrachtet.

3.1 Sporen

Die etwa 10µm großen, ungeschlechtlich erzeugten Sporen von Physarum Polycephalum werden meist durch Wind oder Insekten verbreitet. Sie enthalten einen halben Chromo- somensatz, sind also haploid*. In dieser Form kann das Erbgut des Schleimpilzes lange überdauern.10 Der Rekord liegt bei einer noch nach 75 Jahren im Labor erzeugten fruchtbaren Spore.

Hat eine Spore länger Kontakt zu Feuchtigkeit und die richtige Temperatur, so beginnt sie zu keimen und platzt auf. Ob auch Osmose* oder Enzyme als Erreger der Sporenkeimung von Bedeutung sind, ist noch ungeklärt. Heraus schlüpfen bis zu vier haploide Schleimpilze in ihrem nächsten Lebensstadium: als Myxamöben.11

3.2 Myxamöben

Eine Myxamöbe ist eine Plasmamasse*, die einen Zellkern* enthält und von einer dün- nen Zellmembran* umgeben ist. Die Myxamöbe ist - wie der Name bereits andeutet - vergleichbar mit einer haploiden Amöbe. Diese kann sich selbstständig bewegen und durch das Prinzip der Phagozytose Nahrung aufnehmen.12 Dabei verflüssigt sich dass Zellplasma der Myxamöbe an der entsprechenden Stelle und kann so Nahrungspartikel umfließen, sie in einer Nahrungsvakuole einschließen und verdauen. Gegenteilig können Unverdauliches und Fremdkörper durch das Prinzip der Exozytose wieder ausgeschieden werden.

Ist eine Myxamöbe von sehr viel Feuchtigkeit umgeben, so bildet sie zwei Geißeln aus und wird somit zum Myxoflagellat. Die Geißeln benutzt dieser sowohl zur Fortbewegung im Wasser als auch zur Nahrungsaufnahme. Schwindet die Flüssigkeit, so kann der Myxoflagellat sich wieder zur Myxamöbe zurückbilden. Trocknet die Umgebung kom- plett aus, so kann die Myxamöbe in das Mikrozystenstadium übergehen. Dabei bildet der Einzeller eine schützende Kapsel und kann sich in dieser einige Wochen zurückzie- hen.

Erst wenn zwei Gameten (Myxamöben oder Myxoflagellaten) miteinander verschmelzen kann wieder ein diploides* Lebewesen entstehen.13 Dieser Vorgang nennt sich Gameto- gamie und ist mit der sexuellen Fortpflanzung vergleichbar. Er lässt sich in die Ver- schmelzung der Zellplasmen (Plasmogamie) und die Fusion* der Zellkerne (Karyogamie) einteilen. Der so entstandene, diploide Zellkern teilt sich nun mehrmals, ohne dass dabei die Zelle geteilt wird. So entsteht unter ständiger Nahrungsaufnahme ein junges Plas- modium. Dieser Vorgang kann mehrere Monate in Anspruch nehmen.14

3.3 Plasmodium

„Viele bis unzählige Zellkerne, die sich zudem synchron teilen, in einer einzigen, sich fortbewegenden, durch Nahrungsaufnahme ständig wachsenden ‚Riesenzelle͚.“15, so beschreibt Wolfgang Nowotny* das plasmodiale Lebensstadium von Schleimpilzen in einem Satz.

Diese Art von Leben ist sowohl in der Tier- als auch in der Pflanzenwelt nahezu einzigar- tig und kaum erforscht. Bekannt ist, dass sich Schleimpilzplasmodien von Bakterien, Protozoen, Algen, höheren Pilzen wie beispielsweise Gelbstieligen Seitlingen und ähnli- chem organischem Material nach dem Prinzip der Phagozytose (→ 3.2 Myxamöben) ernähren. Aufgrund ihrer spezifischen Größe, Färbung und Lebensweise lassen sich drei charakteristische Ordnungen von Plasmodien unterscheiden: Phaneroplasmodien, Aphanoplasmodien und Protoplasmodien. Physarum Polycephalum ist eindeutig der Ordnung der Phaneroplasmodien zuzuordnen. Diese ist charakteristisch für ihre auffal- lende Färbung in Weiß-, Gelb- oder Orangetönen und eine aderig-netzige Struktur (vgl. Abb.5). Die Art der Fortbewegung ist in allen drei Ordnungen gleich und wird durch das Cytoskelett* ermöglicht. Dabei kontrahiert dieses lokal und erzeugt an der entsprechen- den Stelle einen Druck im Cytoplasma*, ein sogenanntes Scheinfüßchen. Das restliche Cytoplasma fließt entlang des Druckgefälles in das Scheinfüßchen und bewegt so die gesamte Zelle in Bewegungsrichtung. Im Gegensatz zu Plasmaströmungen von Pflanzen- zellen, welche Geschwindigkeiten von 2-78 µm/sec erreichen, wurden bei Plasmodien von Myxomyceten bereits Strömungsgeschwindigkeiten von bis zu 1000 µm/sec gemes- sen. Weiterhin erfolgt bei allen drei Ordnungen eine synchrone Kernteilung. Wie dieser Mechanismus gesteuert wird, ist bis heute ungeklärt.16

Verändern sich die Umweltbedingungen für den Schleimpilz nachteilhaft, beispielsweise durch Trockenheit, zu hohe oder zu niedrige Temperatur, Nahrungsmangel, zu geringen oder zu hohen PH-Wert, zu hohen osmotischen Druck oder Einwirkung durch Schwermetalle, so reagieren alle drei Typen unterschiedlich. Phaneroplasmodien verhärten sich hornartig und gehen in das Ruhestadium des Sklerotiums über (siehe Abb.6).17 Einige Arten der Pysarales können so den Winter überdauern.18

[...]

1 Vgl. PM Magazin (Hans-Hermann Sprado 07/2010), S. 84-89

Namen und Fachbegriffe mit * siehe Glossar ab Seite 35 Bildquellennachweise im Anhang

2 Vgl. ͣKompaktlexikon der Biologie 3 Rept bis Z“ (Spektrum kademischer Verlag 2002), S.68

3 Vgl. ͣBrock Mikrobiologie” (Pearson Studium 2009), S. 526

4 Vgl. ͣWolfsblut und Lohblüte - Lebensformen zwischen Tier und Pflanze“, Wolfgang Nowotny (Biologiezentrum des oö. Landesmuseums 2000), S. 11

5 Vgl. http://www.planet-wissen.de/natur_technik/mikroorganismen/schleimpilze/index.jsp (Stand: 11.06.2011)

6 Vgl. http://www.schleimpilz-liz.de/index.php?option=com_content&view=category&id=4&Item id= 16&lang=de (Stand. 02.08.2011)

7 Vgl. http://www.schleimpilz-liz.de/index.php?option=com_content&view=category&id=9&Item id=12&lang=de (Stand: 01.04.2011)

8 Vgl. ͣWolfsblut und Lohblüte - Lebensformen zwischen Tier und Pflanze“, Wolfgang Nowotny (Biologiezentrum des oö. Landesmuseums 2000), S. 8-9

9 Vgl. http://www.schleimpilz-liz.de/index.php?option=com_content&view=category&id=11&Itemid=22& lang=de (Stand: 12.03.2011)

10 Vgl. http://www.schleimpilz-liz.de/index.php?option=com_content&view=category&id=2& Itemid=18&lang=de (Stand: 19.07.2011)

11 Vgl. Wolfsblut und Lohblüte - Lebensformen zwischen Tier und Pflanze, Wolfgang Nowotny (Biologiezentrum des oö. Landesmuseums 2000), S. 9

12 Vgl. Brock Mikrobiologie (Pearson Studium Verlag 2009), S.526

13 Ebd. S.527

14 Vgl. http://www.schleimpilz-liz.de/index.php?option=com_content&view=category&id=3&Itemid =15&lang=de (Stand: 01.08.2011)

15 Wolfsblut und Lohblüte - Lebensformen zwischen Tier und Pflanze, Wolfgang Nowotny (Biologiezentrum des oö. Landesmuseums 2000), S. 14

16 Vgl. Wolfsblut und Lohblüte - Lebensformen zwischen Tier und Pflanze, Wolfgang Nowotny (Biologiezentrum des oö. Landesmuseums 2000), S. 15

17 Vgl. ebd. S. 14-16

18 Vgl. 3sat - ͣ ls wären sie nicht von dieser Welt“ (21.08.2008, 20:15 Uhr)

Details

Seiten
41
Jahr
2011
ISBN (eBook)
9783668249981
ISBN (Paperback)
9783668249998
Dateigröße
3.3 MB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Juni)
Note
1+
Schlagworte
Schleimpilz Myxomycet Einzeller; Labyrinth Physarum Polycephalum
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Titel: Der Schleimpilz. Ein intelligentes Lebewesen unter der Vielfalt der Pflanzen