In dem mittelalterlichen Aventiure-Roman "Wigamur" spielt die Identitätssuche eine entscheidende Rolle. Denn der Königssohn wird als Kind von nicht einmal zwei Jahren von einer Meerhexe namens Lespia entführt und viele Jahre in einer Höhle im Meer mit ihren zwei Töchtern festgehalten. Von dort gerettet wird er nach langer Zeit von einem Meerwunder, das nicht nur erkennt, dass Wigamur ein besonderer Knabe ist, sondern ihn auch noch erzieht, bis er volljährig ist. Zwar unterweist ihn dieses Wesen in einigen Disziplinen, trotzdem ist sein Auftreten sehr auffällig und seine Verhaltensweisen wirken tölpelhaft.
Nach verschiedenen Stationen und Aventiuren trifft der Held schließlich auf den Onkel von Artus, den König Ittras. Dieser Mann erfüllt Wigamur seinen Wunsch und bildet ihn innerhalb einiger Wochen zum Ritter aus. Alle späteren Ereignisse und Turniere hätte der Protagonist ohne diese Ausbildung nicht absolvieren können.
Im Folgenden sollen diese zwei Erziehungsinstanzen miteinander verglichen werden. Warum war die Ausbildung des Meerwunders zwar sehr wichtig, aber nicht ausreichend, um von Anfang an ein sicheres Auftreten zu suggerieren? Und wieso dauerte die finale Entwicklung zu einem Ritter dennoch nur knapp einen Monat? Was war nötig, um den besonderen Wigamur an das höfische Benehmen heranzuführen?
Hierbei soll auch darauf eingegangen werden, was im realen Mittelalter zur Zeit des Erscheinens des Romans üblich war, um einen jungen Mann zu erziehen und an den ritterlichen Hof zu bringen.
Als Primärliteratur wird die von Nathanael Busch herausgegebene Edition des Wigamur verwendet, die auch im Seminar genutzt wurde. Für die Sekundärliteratur werden Hochschulschriften und Aufsätze herangezogen, die sich mit mittelalterlicher, höfischer Erziehung, dem damaligen Männlichkeitsbild und den zeitgenössischen, traditionellen Vaterfiguren befassen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Wigamurs Ausbildung
2.1 Kurzer Abriss über Erziehung zum Mann im Mittelalter
2.2 Lehren des Meerwunders
2.3 Lehren des Königs Ittra
3. Gegenüberstellung der beiden Erziehungsinstanzen
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In dem mittelalterlichen Aventiure-Roman Wigamur spielt die Identitätssuche eine entscheidende Rolle. Denn der Königssohn wird als Kind von nicht einmal zwei Jahren von einer Meerhexe namens Lespia entführt und viele Jahre in einer Höhle im Meer mit ihren zwei Töchtern festgehalten. Von dort gerettet wird er nach langer Zeit von einem Meerwunder, das nicht nur erkennt, dass Wigamur ein besonderer Knabe ist, sondern ihn auch noch erzieht, bis er volljährig ist. Zwar unterweist ihn dieses Wesen in einigen Disziplinen, trotzdem ist sein Auftreten sehr auffällig und seine Verhaltensweisen wirken tölpelhaft.[1] Nach verschiedenen Stationen und Aventiuren trifft der Held schließlich auf den Onkel von Artus, den König Ittras. Dieser Mann erfüllt Wigamur seinen Wunsch und bildet ihn innerhalb einiger Wochen zum Ritter aus.[2] Alle späteren Ereignisse und Turniere hätte der Protagonist ohne diese Ausbildung nicht absolvieren können.
Im Folgenden sollen diese zwei Erziehungsinstanzen miteinander verglichen werden. Warum war die Ausbildung des Meerwunders zwar sehr wichtig, aber nicht ausreichend, um von Anfang an ein sicheres Auftreten zu suggerieren? Und wieso dauerte die finale Entwicklung zu einem Ritter dennoch nur knapp einen Monat? Was war nötig, um den besonderen Wigamur an das höfische Benehmen heranzuführen?
Hierbei soll auch darauf eingegangen werden, was im realen Mittelalter zur Zeit des Erscheinens des Romans üblich war, um einen jungen Mann zu erziehen und an den ritterlichen Hof zu bringen.
Als Primärliteratur wird die von Nathanael Busch herausgegebene Edition des Wigamur verwendet, die auch im Seminar genutzt wurde. Für die Sekundärliteratur werden Hochschulschriften und Aufsätze herangezogen, die sich mit mittelalterlicher, höfischer Erziehung, dem damaligen Männlichkeitsbild und den zeitgenössischen, traditionellen Vaterfiguren befassen.
2. Wigamurs Ausbildung
Für den jungen Wigamur dauert es nicht lange nach Verlassen des Meeres, bis er seinen ersten Kampf bestreiten muss. Dass er diesen tatsächlich gewinnt, ist nicht nur für den Herausforderer, sondern genauso für den Leser oder Hörer der Geschichte und vermutlich sogar für Wigamur selbst eine große Überraschung. Denn große Kampferfahrung oder überhaupt eine Einführung in den Lebensstil eines Ritters hat nie stattgefunden. Diese eignet sich der Held im Laufe der Zeit erst an, besonders gefördert und ausgerüstet von Ittras, dem Onkel des Artus. Die eigentümlich tölpelhafte und ungewollt unsichere Art des Wigamur macht den besonderen Charakter des Epos aus, und lässt den Protagonisten von Anfang an sympathisch wirken.
2.1 Kurzer Abriss über Erziehung zum Mann im Mittelalter
Die Erziehung eines Knaben zu einem Mann war im Mittelalter, wenn die ethischen und ständischen Werte stimmten und die Gunst des Königs gegeben war, gleichzeitig auch immer eine Erziehung zu einem Ritter. Nicht nur in der Literatur dieser Zeit, sondern auch im wahren Leben waren die Werte, die es für Männer zu erstreben gab, immer die, die einen tugendhaften Ritter ausmachten.
Was gehörte also dazu, um damals als Mann zu gelten? Und wer oder was war es letzten Endes, das den Mann zum Ritter machte?
Zuerst muss festgestellt werden, dass „Kinder als eine vom Erwachsenen abweichende Daseinsform betrachtet w[u]rden“[3], als etwas „Unfertige[s]“[4] nämlich, bis sie entweder in klösterlichem Umfeld oder anderen Bruderschaften Zucht und Ordnung eingeprägt bekamen. Dass es so viele verschiedene Bezeichnungen für Kinder im Mittelalter gab, so z.B. „infans, enfens oder kint“[5], zeigt, dass diese Phase damals eher „locker definiert“[6] wurde und alles umfing, was zwischen der Geburt und dem siebten Lebensjahr an Entwicklung stattfand. Ab diesem gewissen Punkt „wurde von einem Kind erwartet, dass es überlegt sprach […] und sich bei Tisch zu benehmen wusste.“[7]
Zu dieser Zeit änderte sich noch etwas Entscheidendes im Leben und der Erziehung der Kinder: Die weibliche Bezugsperson, die die Kinder fast ununterbrochen beaufsichtigt und umsorgt hatte, wurde von einem männlichem Vorbild abgelöst. Nun war es dessen Aufgabe, den Sohn oder den Schüler in seinem „sozialen Geschlecht unterzubringen“[8] und „auf [seine] wahrscheinliche spätere Rolle vor[zubereiten]“[9], teils mit „Spiele[n] [und] Texte[n]“[10], andererseits aber auch mit „[physischer] Disziplinierung“[11].
Um als Mann zu gelten, mussten „handwerkliche Fähigkeiten [angeeignet werden], [aber auch die] Verstandsbildung […] und geistig-charakterliche Bildung“[12] musste sich bestätigen. Darin beinhaltet waren unter anderem die „bewusste Beachtung des eigenen Benehmens, Auftretens [und] Wirkens“[13], aber auch, mit „Treue, Demut [und] Milde“[14] zu handeln und zu leben.
Hier war nicht mehr vorrangig wichtig, aus welchem Hause man stammte, von welcher Instanz man erzogen wurde oder welchen Beruf man ausübte. Am Hofe kamen „Menschen verschiedenster Provenienz“[15] zusammen, nur durch die Einhaltung der Etikette vereint. Die Zusammenführung der unterschiedlichen Stände am Hofe war aus dem Grund möglich, dass „Adel nicht mehr die „[T]ugent“ hervor[rief], sondern die „[T]ugent“ den „[A]del“.[16] Wer es verstand, „nicht zu viel zu essen und trinken, nicht ausschweifend [zu] sein, keinen [zu] beleidigen und niemanden [zu] belügen“[17], und auch die anderen gesellschaftlichen Werte einzuhalten, wurde am Hofe nicht nur geduldet, sondern bekam auch die Chance, sich die Gunst des Fürsten oder Königs zu erarbeiten. Geschah dies, war die Möglichkeit gestaltet, sich ein Leben als Ritter zu verwirklichen.
Auf dem Weg dorthin musste der Mann verschiedene Stationen durchlaufen, die „anspruchsvoll [und] teils gefährlich“[18] waren, aber von der Gemeinschaft hoch geschätzt wurden. Wenn man heutzutage Geschichten über Ritter hört oder Kinder fragt, wie sie sich einen echten, mutigen Ritter vorstellen würden, so bekommt man doch recht detaillierte Vorstellungen geliefert, die tatsächlich sehr nah an das damals realexistierende Bild herankommen. Natürlich „lässt sich nur schwer unterscheiden, was Mythos ist und was der Wirklichkeit entspricht“[19], aber einige Details stimmen mit dem Menschenbild in den Romanen der Zeit und auch mit der wissenschaftlichen Forschung überein, sodass sie nicht zu weit hergeholt wirken.
Ein Ritter musste „verlässlich, treu und tugendhaft“[20] sein. Seine Aufgaben überstiegen die, die das einfache Männlichkeitsideal erfüllte. Er musste nicht mehr nur „Schutz, Ordnung, Recht [und] Verteidigung“[21] bieten, sondern auch noch die „sieben ritterlichen Künste“[22] beherrschen, um den Ritterschlag zu verdienen. Diese bestanden im „Reiten[…], Schwimmen[…], Pfeilschießen[…], Fechten[…], Jagen[…], [dem] Schachspiel und dem Versemachen“[23]. Hier trat anfangs allein der körperliche Anspruch in den Vordergrund, doch der geistige war später nicht minder gefragt. Um den ritterlichen Aufgaben völlig gerecht zu werden, war auch das „musisch-ästhetische[…]“[24] Element mit dem höfischen Tanz und der generellen musikalischen Bildung nicht zu missachten. Wie zu erwarten mussten auch die „christlichen Lehre[n]“[25] vertraut sein, denn die Kirche hatte damals einen erheblich größeren Stellenwert in der Gesellschaft als heute. Als das Ritter-Dasein bekannt wurde, verbreitete sich durch diese Institution die „Theorie, dass das Rittertum ein heiliger, von Gott befohlener Dienst“[26] war, was aus heutiger Sicht eindeutig kritisch zu beurteilen ist.
Natürlich benötigte ein Ritter außerdem eine Rüstung und Waffen, wenn er alle diese Aufgaben bestehen und seiner Berufung gerecht werden wollte. Er bediente sich verschiedenen „Jagdutensilien[,] [wie] Pfeil und Bogen, [dem] Wurfspeer und Spie[ßen]“[27], und natürlich dem „doppelschneidige[n] Schwert“[28] und dem Schild, den beiden klassischen, unverzichtbaren Waffen für einen Aventiure-Ritter. Was selbstverständlich nicht fehlen durfte, waren „Reiterkünste“[29] und ein eigenes Pferd samt Ausrüstung, denn spätestens in der Kriegsführung war ein Pferd für den Ritter unerlässlich, um die Beweglichkeit und den Schutz des Kriegers zu garantieren.
Als letztes Detail musste ein Ritter eine Gefolgschaft aufweisen, „Knappen und Knechte“[30] sein Eigen nennen können. Das diente nicht nur der Vereinfachung des eigenen Lebens, sondern war ganz klar auch ein „Statussymbol“[31]. Je größer und edler gekleidet die Begleitung war, desto tugendreicher und bedeutender war der Ritter, der sie befehligte und beschützte.
Diese vielen verschiedenen Elemente des Rittertums eröffneten natürlich etliche Wege, die ein Ritter einschlagen konnte. Nicht jeder Held musste in jedem Gebiet gleichsam erfolgreich oder bekannt sein. So könnte man z.B. zwischen „feudalen, […] religiösen [oder] romantischen“[32] Typen unterscheiden. Die Ideale waren teilweise unterschiedlich oder wurden anders umgesetzt, doch eines hatten alle Arten gemeinsam: Erst wenn er ein Ritter war, also erst wenn der Fürst dem Mann „mit dem flachen Schwert dreimal die Schulter berührt[e]“[33], erst dann war ein Mann wirklich jemand. Eine „Funktion [in] der konkreten höfischen Lebensgemeinschaft“[34] manifestierte die Identität der Person.
[...]
[1] Siehe Busch: Wigamur. V. 108 – 418.
[2] Siehe Ebd. V. 1311 – 1368.
[3] Bischof: Erziehung zur Männlichkeit. S. 25.
[4] Winkel: Aspekte mittelalterlicher Erziehung. S. 70.
[5] Ebd. S. 26.
[6] Ebd. S. 26.
[7] Ebd. S. 26.
[8] Ebd. S. 30.
[9] Ebd. S. 30.
[10] Ebd. S. 30.
[11] Ebd. S. 27.
[12] Winkel: Aspekte mittelalterlicher Erziehung. S. 86.
[13] Winter: Kindheit und Jugend im Mittelalter. S. 104.
[14] Winkel: Aspekte mittelalterlicher Erziehung. S. 86.
[15] Winter: Kindheit und Jugend im Mittelalter. S. 97.
[16] Winkel: Aspekte mittelalterlicher Erziehung. S. 89.
[17] Winter: Kindheit und Jugend im Mittelalter. S. 103.
[18] Bischof: Erziehung zur Männlichkeit. S. 33.
[19] Goff: Ritter, Einhorn und Troubadoure. S. 75.
[20] Bischof: Erziehung zur Männlichkeit. S. 33.
[21] Ebd. S. 31.
[22] Bischof: Erziehung zur Männlichkeit. S. 89.
[23] Ebd. S. 89.
[24] Ebd. S. 90.
[25] Schwenk: Geschichte der Bildung und Erziehung. S. 246
[26] Borst: Das Rittertum im Mittelalter. S. 32.
[27] Bischof: Erziehung zur Männlichkeit. S. 89.
[28] Goff: Ritter, Einhorn, Troubadoure. S. 76.
[29] Bischof: Erziehung zur Männlichkeit. S. 90.
[30] Ebd. S. 109.
[31] Ebd. S. 110.
[32] Ebd. S. 31.
[33] Borst: das Rittertum im Mittelalter. S. 130.
[34] Storp: Vater und Söhne. S. 184.