Der Begriff 'Legende' leitet sich von dem lateinischen Ausdruck 'legenda' ab, was so viel bedeutet wie "das, was zu lesen ist". Legenden handeln von dem Leben und den Taten von Heiligen. Im Mittelalter spielte die Gattung der Legendendichtung eine große Rolle. Es gab sowohl Legendensammlungen als auch längere Dichtungen, die einzelnen Heiligen gewidmet waren. Hierzu zählt Hartmann von Aues Werk "Gregorius", mit dem ich mich in dieser Hausarbeit näher beschäftigen möchte.
Im Mittelalter waren die Heiligen allgegenwärtig: Im Gottesdienst, bei Heiligenfesten und Prozessionen. Angebetet wurde dabei nicht nur die Person eines Heiligen, sondern auch seine Reliquien. Verehrung fanden Knochen oder Körperteile des Heiligen, die man auf verschiedene Kirchen verteilte. Zu den Reliquien gehörten zudem Gegenstände, die der Heilige berührt hatte oder berührt haben sollte. Auch dort, wo sich das Grab eines Heiligen befand, erhoffte man sich Hilfe und pilgerte zu den heiligen Stätten. Durch den Erwerb einer Reliquie versprach man sich einen Platz im Himmel sichern zu können. Außerdem glaubte man, dass von den Reliquien eine schützende und heilende Kraft ausging. Die Heiligenverehrung bestimmte den Alltag und die Lebenswirklichkeit der mittelalterlichen Menschen sehr stark, weshalb die Legendendichtung eine wichtige Gattung dieser Zeit darstellte.
Eine Besonderheit unter den Heiligen bildeten die sogenannten 'sündigen Heiligen'.
Sündige Heilige sind Heilige, die in ihrem Leben nicht sündenfrei blieben, sondern – im Gegenteil – sogar teilweise schwere Sünden begingen. In der Regel fanden sie durch Reue und Buße den Weg zurück zu Gott und galten deshalb trotz ihrer begangenen Sünden als Vorbilder. Als ein solcher 'sündiger Heiliger' wird auch Gregorius verstanden. In manchen Ausgaben hat die Dichtung den Untertitel "Der gute Sünder". Trifft diese paradoxe Eigen-schaft auf Gregorius zu? Und wenn ja, warum? Dieser Fragestellung möchte ich mich in der nachfolgenden Arbeit widmen und dabei vor allem auf das Verhältnis von Schuld und Buße eingehen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Sündige Heilige
3. Schuld im Gregorius
3.1 Geschwisterinzest
3.2 Mutter-Sohn Inzest
4. Buße im Gregorius
4.1 Buße der Mutter
4.2 Buße des Gregorius
5. Papsttum
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Begriff 'Legende' leitet sich von dem lateinischen Ausdruck 'legenda' ab, was so viel bedeutet wie "das, was zu lesen ist". Legenden handeln von dem Leben und den Taten von Heiligen. Im Mittelalter spielte die Gattung der Legendendichtung eine große Rolle. Es gab sowohl Legendensammlungen (z.B. Legenda aurea, Der Heiligen Leben) als auch längere Dichtungen, die einzelnen Heiligen gewidmet waren. Hierzu zählt Hartmann von Aues Werk Gregorius, mit dem ich mich in dieser Hausarbeit näher beschäftigen möchte.
Im Mittelalter waren die Heiligen allgegenwärtig: Im Gottesdienst, bei Heiligenfesten und Prozessionen. Angebetet wurde dabei nicht nur die Person eines Heiligen, sondern auch seine Reliquien. Verehrung fanden Knochen oder Körperteile des Heiligen, die man auf verschiedene Kirchen verteilte. Zu den Reliquien gehörten zudem Gegenstände, die der Heilige berührt hatte oder berührt haben sollte. Auch dort, wo sich das Grab eines Heiligen befand, erhoffte man sich Hilfe und pilgerte zu den heiligen Stätten. Durch den Erwerb einer Reliquie versprach man sich einen Platz im Himmel sichern zu können. Außerdem glaubte man, dass von den Reliquien eine schützende und heilende Kraft ausging. Die Hei- ligenverehrung bestimmte den Alltag und die Lebenswirklichkeit der mittelalterlichen Menschen sehr stark, weshalb die Legendendichtung eine wichtige Gattung dieser Zeit darstellte.
Eine Besonderheit unter den Heiligen bildeten die sogenannten 'sündigen Heiligen'.1 Sün- dige Heilige sind Heilige, die in ihrem Leben nicht sündenfrei blieben, sondern - im Ge- genteil - sogar teilweise schwere Sünden begingen. In der Regel fanden sie durch Reue und Buße den Weg zurück zu Gott und galten deshalb trotz ihrer begangenen Sünden als Vorbilder. Als ein solcher 'sündiger Heiliger' wird auch Gregorius verstanden. In manchen Ausgaben hat die Dichtung den Untertitel "Der gute Sünder". Trifft diese paradoxe Eigen- schaft auf Gregorius zu? Und wenn ja, warum? Dieser Fragestellung möchte ich mich in der nachfolgenden Arbeit widmen und dabei vor allem auf das Verhältnis von Schuld und Buße eingehen.
2. Sündige Heilige
Als 'sündige Heilige' galten jene Heilige, die in ihrem Leben nicht sündenfrei blieben. Auf den ersten Blick scheinen sich die Begriffe 'Sünder' und 'Heiliger' gegenseitig auszuschließen, doch obwohl es zunächst überraschend erscheint, dass ein 'Sünder' trotz seiner Verfehlungen zu einem Heiligen ernannt werden konnte, erfüllten die Legenden um die Sünderheiligen einen ganz bestimmten Zweck.
Erhard Dorn, der den Begriff der 'sündigen Heiligen' im Wesentlichen geprägt hat, unterscheidet zwischen vier verschiedenen Typen von Sündern: Sünder wider Gott und den Glauben, Sünder wider den Leib, Sünder wider das Leben und Sünder wieder das Eigentum.2Die Inzest-Heiligen bilden einen Sonderfall der Sünder wider den Leib, zu denen somit auch Gregorius zählt.
Im Leben eines Sünderheiligen gibt es drei Stufen. Die erste Stufe ist die der Sünde, hier befindet sich der Heilige in einem Zustand der Gottferne. Im zweiten Zustand, der Buße, soll der Sünder zu Gott zurückkehren, um dann im dritten Zustand begnadigt werden zu können. Ziel und Aufgabe der Legenden um die Sünderheiligen waren vor allem die Erbauung der Gläubigen und das Lob Gottes. Die Sünderheiligen demonstrierten, dass Gott sich jedes Menschen erbarmen könne, sofern dieser ehrlich bereut.
Die Sünderheiligenlegende war vor allem bedeutsam, da sie die Möglichkeit der Rekonzi- liation bekräftigte3: Gleichgültig wie groß die Sünde auch sein mochte, Gott konnte dem Sünder Gnade zuteilwerden lassen und ihm nicht nur seine Sünden vergeben, sondern ihn sogar über jeden Makel erheben. Dies trifft auch auf Gregorius zu, der nach seiner 17- jährigen Buße auf einem Stein zum Papst ernannt wird. Die Sünderheiligen wurden gehei- ligt durch die Tiefe ihrer Reue und die Hartnäckigkeit ihrer Buße, die dann mit der voll- ständigen Rekonziliation belohnt wurde.4 Im Folgenden soll dieser Weg in Bezug auf Gre- gorius genauer untersucht werden.
3. Schuld im Gregorius
Die Schuld, in der es in Hartmanns Werk geht, ist die zweier Inzestfälle. Das Inzestverbot ist in fast allen Gesellschaften eine natürliche Regel. Besonders im Mittelalter war Inzest eine besonders große Sünde, da die Blutsverwandtschaft grundlegend für die damalige Herrschaftskonstellation war und Inzest diese Ordnung zerstörte.5
Die Inzestfälle im Gregorius unterscheiden sich vor allem in drei Punkten. Zum Einen handelt es sich um eine unterschiedliche Figurenkonstellation: Im ersten Fall ist es ein Ge- schwisterinzest, im zweiten Fall ein Mutter-Sohn Inzest. Zum Anderen sind es unterschied- liche Handlungssysteme: In dem ersten Fall geschieht der Inzest aus Liebe zwischen den beiden Geschwistern, im zweiten Fall hat er einen Aventiure Hintergrund, da Gregorius, der Retter und Beschützer der Landesherrin, diese dann auch heiraten darf. Der größte Un- terschied zwischen beiden Fällen ist allerdings die Frage nach Gesetz und Wissen, denn im Gegensatz zum ersten Fall sind sich Mutter und Sohn während des zweiten Inzestes ihrer Sünde zunächst nicht bewusst. Man könnte somit den ersten Inzest als ein Problem der Moral bewerten, den zweiten dagegen als ein Problem des Schicksals.6 Die Frage nach der Schuld beschäftigt die Forschung seit vielen Jahren. Im Folgenden sollen die beiden In- zestfälle näher untersucht werden.
3.1 Geschwisterinzest
Gregorius ist ein Inzestkind, da seine Eltern Geschwister waren. Der Inzest der beiden Herzogskinder wird in der Dichtung als schwere Sünde und "grôze missetât"7 charakteri- siert. Viele Forscher gehen davon aus, dass der Geschwisterinzest im Gregorius als eine Sünde dargestellt wird, die im Wesentlichen durch den Teufel verursacht wurde. Aller- dings ist zu beachten, dass der Erzähler für den Inzest insgesamt vier Gründe anführt, was darauf schließen lässt, dass der Bruder auch aus eigener Überzeugung gehandelt hat:
Daz eine was diu minne/ diu im verriet die sinne,/ daz ander sîner swester schoene,/ daz dritte des tiuvels hoene,/ daz vierde was sîn kintheit/ diu ûf in mit dem tiuvel streit/ unz er in dar ûf brâhte/ daz er benamen gedâhte/ mit sîner swester slâfen.8
[...]
1Diese Bezeichnung wurde vor allem durch Erhard Dorn geprägt.
2Dorn, Erhard: Der sündige Heilige in der Legende des Mittelalters. München: Fink 1967 (=Medium Aevum, 10), S. 20.
3Münkler, Marina: "Individualität in der Faustus-Historia." In: Peter Strohschneider (Hrsg.): Literarische und religiöse Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit. Berlin: de Gruyter 2009, S. 29.
4Ebd, S. 30.
5Strohschneider, Peter: "Inzest-Heiligkeit. Krise und Aufhebung der Unterschiede in Hartmanns Gregorius." In: Christoph Huber/ Burghart Wachinger/ Hans-Joachim Ziegeler (Hrsg.): Geistliches in weltlicher und Weltliches in geistlicher Literatur des Mittelalters. Tübingen: Niemeyer 2000, hier S. 116.
Im Folgenden zitiert: Strohschneider, Peter: Inzest-Heiligkeit, Seitenzahl.
6Ebd., S. 119.
7von Aue, Hartmann: Gregorius: Der gute Sünder. Mittelhochdt. Text nach der Ausgabe von Friedrich Neumann. Übertr. von Burkhard Kippenberg. Nachwort von Hugo Kuhn. Stuttgart: Reclam 1972, Vers 340. Im Folgenden zitiert: Gregorius, Verszahl.
8Ebd., Vers 323 - 331.