Die vorliegende Arbeit mit dem Titel „Soziale Ungleichheit im Studium nach der Bildungsexpansion: Wer sind die Verlierer, und warum?“ beschäftigt sich, wie aus dem Titel hervorgeht, mit der sozialen Ungleichheit im Studium; ein Thema, welches leider auch für viele der heutigen Studierenden und Schulabgänger mit (Fach-)Hochschulreife noch von Bedeutung ist.
Dabei wird diese Ausarbeitung versuchen, die Leitfrage zu beantworten: Welche Personengruppen sind in welchem Ausmaß von sozialer Ungleichheit im Studium betroffen und vor allem: Worin äußern sich diese Ungleichheiten?
Zur Beantwortung der Leitfrage werden zunächst die von sozialer Ungleichheit im Studium betroffenen Personengruppen vorgestellt. So kann ein Überblick darüber gegeben werden, wie weitreichend das Thema ist, auch wenn es von vielen nicht direkt wahrgenommen wird. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die soziale Herkunft gelegt, da dieser Aspekt das wohl größte Potenzial für Chancenungleichheiten aufweist.
Im zweiten Schritt werden dann die Erscheinungsformen sozialer Ungleichheit bei Studierenden diskutiert, um noch heute existente Missstände aufzudecken und ein erweitertes Verständnis für die so entstehende Chancenungleichheit zu schaffen. Letztlich wird ein Ausblick gegeben, der Veränderungsvorschläge für das Hochschulwesen der Zukunft enthält.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Disparitäten im Studium
2.1 Geschlecht
2.2 Art der Hochschulreife
2.3 Migrationshintergrund
2.4 Soziale Herkunft
2.4.1 Benachteiligungen von Arbeiter- im Vergleich zu Akademikerkindern
2.4.2 Habitus-Struktur-Konflikte
3 Erscheinungsformen sozialer Ungleichheit im Studium
4 Möglichkeiten des Abbaus von sozialer Ungleichheit im Studium
5 Zusammenfassung
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Seit Beginn der Bildungsexpansion hat selbiger Begriff in Deutschland zunehmend an Bedeutung gewonnen. Durch die Bildungsexpansion sollte das deutsche Schulsystem durchlässiger gemacht und das deutsche Hochschulwesen ausgebaut werden. Ziel dieser Maßnahme sollte es sein, einer größeren Masse möglichst hohe Bildung und damit Privilegien wie ein hohes Einkommen, berufliches und gesellschaftliches Ansehen und ein insgesamt besseres Leben zu ermöglichen (vgl. Heine: 2010, 40). Kurz: Durch die Bildungsexpansion sollte mehr Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem geschaffen werden. Doch inwiefern konnte dieses Ziel bis heute, mehr als 50 Jahre nach Beginn, erreicht werden?
Die vorliegende Arbeit mit dem Titel „Soziale Ungleichheit im Studium nach der Bildungsexpansion: Wer sind die Verlierer, und warum?“ beschäftigt sich, wie aus dem Titel hervorgeht, mit der sozialen Ungleichheit im Studium; ein Thema, welches leider auch für viele der heutigen Studierenden und Schulabgänger mit (Fach-)Hochschulreife noch von Bedeutung ist. Dabei wird diese Ausarbeitung versuchen, die Leitfrage zu beantworten: Welche Personengruppen sind in welchem Ausmaß von sozialer Ungleichheit im Studium betroffen und vor allem: Worin äußern sich diese Ungleichheiten?
Zur Beantwortung der Leitfrage werden zunächst die von sozialer Ungleichheit im Studium betroffenen Personengruppen vorgestellt. So kann ein Überblick darüber gegeben werden, wie weitreichend das Thema ist, auch wenn es von vielen nicht direkt wahrgenommen wird. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die soziale Herkunft gelegt, da dieser Aspekt das wohl größte Potenzial für Chancenungleichheiten aufweist. Im zweiten Schritt werden dann die Erscheinungsformen sozialer Ungleichheit bei Studierenden diskutiert, um noch heute existente Missstände aufzudecken und ein erweitertes Verständnis für die so entstehende Chancenungleichheit zu schaffen. Letztlich wird ein Ausblick gegeben, der Veränderungsvorschläge für das Hochschulwesen der Zukunft enthält. Alle Ergebnisse der Arbeit werden im Fazit zusammengetragen.
Die vorliegende Arbeit begrenzt sich in ihrer Ausführung auf Schulabgänger, die ihr Abitur oder ihre Fachhochschulreife über die gymnasiale Oberstufe oder eine entsprechende berufsbildende Schule erworben haben. Solche Studierende, die ihre (Fach-)Hochschulreife über den zweiten Bildungsweg erworben oder bereits im Vorhinein eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, werden nicht einbezogen. Auch thematisiert diese Arbeit nicht die Auswirkungen sozialer Ungleichheit auf die Wahl des Studienfachs, welche aber durchaus existent sind.
2 Disparitäten im Studium
Unsere Gesellschaft teilt sich, früher wie heute, in verschiedene Gruppenzugehörigkeiten auf. Demnach ordnen wir uns alle bestimmten Gruppen zu, nach denen wir dann unsere Kleidung, Hobbys, Lebensstile, Ansichten und Haltungen ausrichten (vgl. Schmitt: 2010, 58). Diese „[sozialen] Klassen- und Gruppenstrukturen haben sich mit dem Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft“ (Wolter: 2011, o.S.) maßgeblich verändert, sodass wir meist nicht mehr in diese Gruppen hineingeboren werden, sondern sie selbst wählen können. Schmitt (2010, 58) argumentiert, dass durch diese freie Wählbarkeit theoretisch keine Chancenungleichheit nach sozialer Herkunft oder Geschlecht mehr möglich ist. Auf den folgenden Seiten werden wir sehen, dass er mit dieser generellen Annahme falsch liegt.
2.1 Geschlecht
Dass Mädchen und junge Frauen, die von Bildung vor einigen Jahrzehnten noch gänzlich ferngehalten wurden, diesen Rückstand im 21. Jahrhundert ausgeglichen haben, ist offensichtlich. Oftmals werden gar die Jungen als Bildungsverlierer dargestellt, da sie vor allem in jüngeren Jahrgangsstufen nicht dieselben Leistungen erbringen wie Mädchen. Diesen „Vorsprung vor ihren männlichen Altersgenossen im allgemeinbildenden Schulsystem“ können die Studentinnen jedoch „im Verlauf des Studiums nicht halten“ (Von Below: 2002, 113). Die Leistungen der Frauen verschlechtern sich, während die Männer an ihnen vorbeiziehen.
Aber nicht nur bei den Leistungen gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Auch bei den Gründen, die für oder gegen ein Studium sprechen, unterscheiden sich Abiturienten und Abiturientinnen. Dies fanden Heine und Quast (2011, 41-47) in einer Studie heraus, in der die Probanden auf einer Skala von 1 bis 5 Gründe für den Verzicht eines Studiums bewerten sollten. So kamen Sie zu dem Fazit, dass die Probandinnen eine generelle Orientierung zu nicht-akademischen Lebensplänen hatten. Männer hingegen zogen öfter einen akademischen Werdegang in Erwägung, 43% wollten dabei aber nicht ihre gewohnte Umgebung verlassen, während Frauen dies nur zu 34% angaben (vgl. ebd., 43). Weiter stellten die Autoren fest, dass für Frauen die finanziellen Hürden eines Studium von größerer Bedeutung sind als für Männer. So gaben 74% der Frauen und 66% der Männer an, auf ein Studium zu verzichten, um sich nicht durch Studienkredite und BAföG-Darlehen zu verschulden. Für 72% der Frauen sind zudem Studiengebühren ein Verzichtsgrund, bei den Männern gaben dies lediglich 63% an (vgl. ebd., 46 ff.).
Insgesamt ist das Merkmal des Geschlechtes somit ein Punkt, in dem die soziale Ungleichheit im Vergleich zu früher abgenommen hat. Frauen haben im Bildungssystem nun dieselben Chancen wie Männer. Ob sie diese wahrnehmen, hängt zwar wiederum von meist geschlechtsspezifischen Denkweisen ab; diese lassen sich aber keineswegs unter den Begriff der sozialen Ungleichheit fassen.
2.2 Art der Hochschulreife
In Deutschland ist auch die Art der Hochschulreife von Relevanz, denn nicht alle bringen dieselben Möglichkeiten des Studierens mit sich. So kann ein Schulabgänger mit einer Fachhochschulreife lediglich Fachhochschulen besuchen, während es Schulabgängern mit Abitur offen steht, welche Art von Hochschule sie besuchen möchten. In diesem Zusammenhang stellt Lörz (2012, 307) heraus, dass auch die Bildungsbiografie an sich Auswirkungen auf das Studium haben kann. So wurden die Absolventen von berufsbildenden Schulen meist schon auf eine bestimmte Fachrichtung vorbereitet, während an Absolventen der gymnasialen Oberstufe ein allgemeineres Wissen herangetragen wurde, was ihnen ein breiteres Feld an Wahlmöglichkeiten eröffnet (vgl. ebd.). Auf der anderen Seite haben Schüler, die nach dem Hauptschulabschluss den Realschulabschluss und letztlich das (Fach-)Abitur machen bereits mehrere Selektionsprozesse und Institutionswechsel durchlaufen, weshalb ihnen der Wechsel ins Studium oft leichter fällt als StudienanfängerInnen, deren Werdegang durchweg am Gymnasium verläuft.
Des Weiteren stellten Heine und Quast (2011, 47) fest, dass Jugendliche, die die Fachhochschulreife erworben haben, öfter auf ein Studium verzichten als Abiturienten allgemeinbildender Schulen. Als Gründe hierfür wurde von 50% der Probanden mit Fachhochschulreife ‚unzureichende Fähigkeiten‘ angegeben[1] (vgl. ebd.). Dies zeigt, dass sich die Hälfte jener, die die Fachhochschulreife erworben haben, nicht qualifiziert genug für ein entsprechendes Studium fühlt. Eine traurige Bilanz angesichts dessen, dass eben diese Qualifikation die frühe Selektion nach der Grundschule umkehren und so mehr Jugendliche zum Studium bewegen soll. Weiter gaben 65% der Probanden mit Fachhochschulreife an, ein Berufsziel zu haben, für das kein Studium erforderlich sei; bei den Probanden mit Hochschulreife waren es 56% (vgl. ebd.).
Die Art der Hochschulreife schränkt somit nicht nur jene mit Fachhochschulreife in ihrer Hochschul- und so auch Studienfachwahl ein. Die Hälfte der Absolventen mit Fachhochschulreife fühlt sich zudem subjektiv schlechter auf ein Studium vorbereitet, obwohl gerade dies mit einer fachspezifischen Schulbildung an berufsbildenden Schulen nicht der Fall sein sollte. Es kann also in Bezug auf die Art der Hochschulreife von sozialer Ungleichheit gesprochen werden.
2.3 Migrationshintergrund
Sprechen wir von sozialer Ungleichheit, assoziieren die meisten Menschen dies mit Migranten. Doch gilt dieses Schubladendenken auch in Verbindung mit dem Studium? Zumindest Von Below (2002, 72) konnte herausfinden, dass „Ausländer [insgesamt] deutlich geringere Bildungsabschlüsse [aufweisen] als Deutsche“. Dies macht sie sowohl vom Bildungsstand der Eltern als auch vom Alter bei der Migration abhängig (vgl. ebd., 72 ff.). Vor allem die auftretenden Sprachbarrieren mögen ein denkbarer Grund für das schlechtere Abschneiden der Migranten sein.
Darüber hinaus stellt von Below (2002, 73) aber auch eine Entwicklung zum Positiven fest, sodass die Disparitäten zwischen den Bildungsabschlüssen der Migranten und denen Deutscher immer kleiner werden. Man kann sogar sagen, dass Migrantenkinder mit Hochschulreife vergleichsweise häufiger ein Studium aufnehmen als Nicht-Migranten mit Hochschulreife (vgl. Heine: 2010, 25). Als Grund hierfür nennt Heine (ebd.) die erschwerten Bedingungen, die die meisten Migrantenkinder vorfinden. Sie werden bereits in der frühen schulischen Bildung selektiert und müssen – nicht zuletzt auch wegen Vorurteilen – insgesamt mehr Anstrengungen aufbringen, die sich dann in der Hochschulreife und einem darauf folgenden Studium bezahlt machen (vgl. ebd.). Dennoch entscheiden sich aber auch viele Migranten von Grund auf gegen die (Fach-)Hochschulreife und somit auch gegen das Studieren, sodass insgesamt wenige Migranten an Hochschulen zu finden sind (vgl. Wolter: 2011, o. S.). Zahlreiche Autoren berufen sich hierbei auf die primären und sekundären Herkunftseffekte nach Boudon aus dem Jahre 1974. Primäre Herkunftseffekte sind demzufolge „herkunftsspezifische Unterschiede in der schulischen Performanz“ (Heine & Quast: 2011, 6), sodass einige Schüler beispielsweise durch mangelnde Sprachkompetenzen eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit haben. Unter sekundären Effekten hingegen versteht man gruppenspezifische Entscheidungsmuster (vgl. ebd., 7). Darunter fallen unter anderem das Ansehen eines Studiums in der entsprechenden Gruppe oder die subjektiven Kosten-Nutzen-Kalkulationen (vgl. ebd.).
Zusammenfassend ist zu sagen, dass Menschen mit Migrationshintergrund nach wie vor zu den Benachteiligten im deutschen Bildungssystem gehören, nicht zuletzt wegen mangelnder Sprachförderung direkt nach der Einreise. Nichtsdestotrotz ist hier ein positiver Trend zu verzeichnen, sodass zumindest jene Migranten, die eine Hochschulzugangsberechtigung besitzen, selbige auch überdurchschnittlich oft nutzen.
2.4 Soziale Herkunft
Die soziale Herkunft ist der wohl am meisten diskutierte Aspekt in der Literatur zum Thema ‚Soziale Ungleichheit im Studium‘. Nur wenige werden zu ‚Bildungsaufsteigern‘ wie der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (vgl. Funk: 2015, o. S.), die studieren, während ihre Eltern keinen Hochschulabschluss haben (vgl. Bargel & Bargel: 2010, 7). Viele verzichten gar bewusst auf ein Studium. Gründe hierfür sind in der Literatur zahlreiche zu finden. Doch was macht die soziale Herkunft überhaupt aus? Der soziale Status einer Familie setzt sich aus dem Einkommen, der Bildung[2] und dem Berufsprestige der Eltern zusammen (vgl. Von Below: 2002, 58). Alle drei Aspekte sind für den Bildungserfolg des Kindes maßgeblich, wie wir im Folgenden sehen werden.
2.4.1 Benachteiligungen von Arbeiter- im Vergleich zu Akademikerkindern
Viele Arbeiterkinder sind sich bereits sehr früh sicher, dass sie das Abitur machen wollen und wechseln dementsprechend nach der Grundschule oft direkt auf ein Gymnasium (vgl. Schmitt: 2010, 72). Sie „[profitieren] von der Vielfältigkeit und Anerkennung dort“ (ebd., 249) und gehen daher meist gern in die Schule, weshalb sie auch ein Studium zum Ziel haben. Bereits in der Oberstufe erhalten sie dann schon einen ersten Rückschlag, wenn die Klassengemeinschaft aufgelöst und damit die „individualisierten, entkollektivierten Lernbedingungen“ (ebd., 72), wie sie später auch im Studium vorzufinden sind, eingeführt werden. Akademikerkinder hingegen gehen, beispielsweise wegen Mobbing, oft ungern in die Schule. Dennoch nehmen viele von ihnen ein Studium auf, da sie unter anderem über ein hohes Maß an Spezialisierungslust und Fachinteresse verfügen (vgl. ebd., 249 ff.).
Nachdem sie ihre Hochschulreife erfolgreich, teils sogar mit überdurchschnittlich guten Noten erworben haben, verzichten dann jedoch viele Arbeiterkinder auf ein anschließendes Studium, während viele unterdurchschnittlich gute Akademikerkinder sich für ein Studium entscheiden (vgl. Wolter: 2011, o.S.). Ein Grund für diese niedrige Studierneigung von Arbeiterkindern ist der finanzielle Aspekt, der mit dem Einkommen der Eltern in Verbindung steht. Auf der einen Seite möchten sie schnell eigenes Geld verdienen (vgl. Schmitt: 2010, 140), da sie sich gerade in einkommensschwachen Familien „zur frühen ökonomischen Selbstständigkeit verpflichtet [fühlen]“ (Hillmert & Jacob: 2002, 24). Auf der anderen Seite kommen im Falle eines Studiums Semesterbeiträge, Lebenshaltungs- oder Fahrtkosten sowie Studium interne Kosten wie die teilweise verpflichtenden Auslandsaufenthalte auf diese Familien zu: Kosten, die von vielen nicht bewerkstelligt werden können, sodass hier eine Diskriminierung stattfindet (vgl. Bargel & Bargel: 2010, 13). So können nur 35% der Arbeiterkinder auf die Studienfinanzierung durch die Eltern hoffen, während es bei Akademikerkindern 66% sind (vgl. ebd.). Schulden durch Kredite oder BAföG wirken Bargel und Bargel (ebd.) zufolge eher abschreckend auf die AbiturientInnen und sprechen daher gegen ein Studium. Hinzu kommt, dass die Großzahl der Arbeiterkinder während des Studiums eine Nebenbeschäftigung ausführen muss, um ihre Kosten zu decken. Dies erschwert und verlängert ihr Studium, sodass auch an dieser Stelle von Benachteiligung die Rede sein kann (vgl. ebd., 13 ff.).
Eng mit dem finanziellen Aspekt in Zusammenhang steht das Sicherheitsmotiv, denn die meisten bildungsfernen Familien sehen ein Studium als unsicher an (vgl. ebd., 9). Infolgedessen beginnen viele Arbeiterkinder eine Ausbildung in Wohnortnähe oder verzichten auf Mobilität bei der Hochschulwahl[3]. Außerdem wählen sie meist kurze, praktisch orientierte Studiengänge mit klaren Berufsbildern, wie beispielsweise Lehramt oder Ingenieurwesen (vgl. ebd., 10). Hiervon versprechen sie sich ein möglichst kleines (finanzielles) Risiko und möglichst große Sicherheiten. Das Gefühl, durch diese Einschränkungen hinsichtlich der Studienmöglichkeiten benachteiligt zu sein, haben diese Studierenden dennoch (vgl. ebd., 10). Es wird also auch an dieser Stelle sehr deutlich, dass Studierende mit bildungsferner Herkunft nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv betrachtet benachteiligt sind.
Des Weiteren werden Arbeiterkinder im Studium meist durch Noten, intrinsische Motivation und vor allem auch die beruflichen Aussichten angetrieben (vgl. ebd., 11). Dies hat zur Folge, dass mehr Studierende ihr Studium abbrechen, sobald sich die Berufschancen verschlechtern (vgl. ebd.), da dies erneut ihrem Sicherheitsmotiv widerspricht. Außerdem bringen sie von Haus aus kaum soziales und kulturelles Wissen mit, sodass sie universitäre Angebote wie beispielsweise Sprachtandems nur selten nutzen (vgl. ebd., 12). Auch Leistungsnachweise wie beispielsweise die Teilnahme an Diskussionsrunden fällt Arbeiterkindern aufgrund dieses mangelnden Wissens schwer (vgl. ebd., 18 ff.).
Ferner spielt auch die Bildung der Eltern eine Rolle bei den Disparitäten an der Hochschule. Dies beginnt bereits bei der Entscheidung, ob ein Studium begonnen werden soll. Lörz (2012, 304) spricht in dieser Hinsicht von der Kostenkomponente, der Ertragskomponente und den Erfolgsaussichten. Die Kosten und der Ertrag eines Studiums werden dabei zu den Erfolgsaussichten in Relation gesetzt und so subjektiv bewertet. Von Below (2002, 58) sagt hierzu: „Entscheidungen für oder gegen bestimmte Bildungswege [werden] z.B. als individuelle bzw. familienbezogene Nutzen maximierende Investitionsentscheidungen in Humankapital angesehen.“ Aus diesem Zitat geht hervor, dass bei der Entscheidung, ob ein Studium abgeschlossen werden soll, nicht nur die persönlichen Faktoren eine Rolle spielen. Auch die Haltung der Familie, welchen Nutzen ihrer Meinung nach das Studium mit sich bringt, ist ein ausschlaggebender Punkt. Wichtig ist dabei die „soziale Distanz zum System höherer Bildung“ (Lörz: 2012, 304), was bedeutet, dass solche, die selbst über eine hohe Bildung verfügen, eine realistischere Bewertung durchführen können als solche mit größerer sozialer Distanz. Zusätzlich ist Lörz (vgl. ebd., 307) der Überzeugung, dass auch auf fachlich-inhaltlicher Ebene die Tätigkeiten der Eltern Auswirkungen auf die Studienwahl ihrer Kinder haben. Er argumentiert, dass die Kinder so in einigen Fähigkeiten und Interessen mehr gefördert werden als in anderen: Ein Aspekt, der natürlich auch auf Akademikerkinder zutrifft. Von Below (2002, 58) spricht dabei von „intergenerationaler Statusvererbung in der Familie“, was erklärt, warum viele Kinder beispielsweise die Arztpraxen oder Kanzleien ihrer Eltern übernehmen (vgl. Lörz: 2012, 312). Haben die Eltern zudem eine hohe Bildung, haben sie auch hohe soziale und kulturelle Ressourcen, mit denen sie ihr Kind optimal im Studium unterstützen können (vgl. Hillmert & Jacob: 2002, 23).
Des Weiteren erfahren viele Arbeiterkinder Neid von Geschwistern, die den Weg ins Studium (noch) nicht geschafft haben und auf ihrem Bildungsweg weniger unterstützt werden (vgl. Schmitt: 2010, 247). Nicht nur deshalb fühlen sich viele Arbeiterkinder in der Familie oder der Hochschule fremd, da sie als einzige Akademiker aus den üblichen Mustern ausbrechen (vgl. ebd., 253) und es ihnen an Vorbildern mangelt (vgl. Hollstein: 2012, o. S.). Gleichzeitig haben sie Zweifel, den neuen Ansprüchen möglicherweise nicht gerecht werden zu können (vgl. Schmitt: 2010, 263).[4]
Insgesamt sind Arbeiterkinder im Vergleich zu ihren Kommilitonen aus Akademikerfamilien also wesentlich benachteiligt. Dabei mangelt es ihnen nicht nur an finanziellen Mitteln, sondern vor allem auch an familiärem Verständnis, Rückhalt und entsprechenden Vorbildern. Hierunter müssen auf langfristige Sicht auch ihre Leistungen im Studium leiden.
2.4.2 Habitus-Struktur-Konflikte
In der Literatur von Schmitt (2010) ist der Begriff der ‚Habitus-Struktur-Konflikte‘ ein zentraler. Dazu sagt er, dass „Habitus-Struktur-Konflikte […] vorwiegend am bildungsfernen Pol angesiedelt [sind]“ (Schmitt: 2010, 236) und somit gerade für Familien mit niedriger sozialer Herkunft ein Thema sind. Doch was sagt dieser Begriff genau aus?
Bereits zu Beginn von Kapitel 2 war die Rede von den verschiedenen Personengruppen, in die die Gesellschaft gegliedert ist. Als Habitus definiert Schmitt (ebd., 58) nun Lebensstile, Ansichten, Haltungen und sogar Gefühle, die für die verschiedenen Gruppenzugehörigkeiten kennzeichnend sind. So hat beispielsweise das Kind zweier Mediziner andere Ansichten als das von zwei Frisören. In der Hochschule treffen nun nicht nur diese Gruppen aufeinander, sondern auch auf die neuen Strukturen des Hochschulwesens, die gerade für Arbeiterkinder oft befremdlich sind. Sie sind mit den akademischen Strukturen der Hochschule in der Regel nicht so vertraut wie es Akademikerkinder von Haus aus sind. Trifft also dieser gruppeneigene Habitus auf die neuen Strukturen der Hochschule, geraten beide Komponenten schnell aus dem Gleichgewicht, sodass Habitus-Struktur-Konflikte aufkommen, woraus ernsthafte Identitätskrisen entstehen können (vgl. ebd., 59 ff.).
[...]
[1] Nur 38% der Probanden mit Abitur gaben dies als Studienverzichtsgrund an.
[2] gemessen an entsprechenden Bildungsabschlüssen
[3] „29% der Studierenden mit niedriger Herkunft wohnen bei den Eltern.“ (Schmitt: 2010, 81). Dies ist eine beträchtliche Zahl, wenn man bedenkt, dass einerseits viele dieser Arbeiterkinder in ländlichen Gegenden wohnen und andererseits das Studium der Beginn eines neuen, eigenständigen Lebensabschnitts ist, zu dem ein Umzug meist dazugehört.
[4] Schmitt (2010, 268) nennt diese Zweifel das „Problem der Nicht-Passung“.