Heutzutage herrscht nur noch eine vage Vorstellung über die Rolle der Eunuchen, jener außergewöhnlichen männlichen Bevölkerungsgruppe, welche durch eine zumeist unfreiwillige Kastration gekennzeichnet war und folglich eine gesellschaftliche Sonderstellung einnahm, beziehungsweise einnehmen musste. Nichtsdestotrotz ist das Eunuchentum eine kulturelle Besonderheit, die in nahezu sämtlichen Phasen der Weltgeschichte in unterschiedlichen Kulturen nachgewiesen werden kann.
Ihre besondere Rolle und politische Funktion am spätrömischen Kaiserhof soll primäres Interesse der hier vorliegenden Arbeit sein. Im Einzelnen bedeutet dies, die Entwicklung der Gruppe der Eunuchen in der römischen Gesellschaft von ihrem ersten Auftreten innerhalb dieser bis hin zur Einnahme wichtiger öffentlicher Ämter und sozialer Funktionen im Umfeld des Kaisers nachzuvollziehen. Hierbei wird insbesondere die Frage nach der Größe ihres politischen Handlungsspielraums zum Zeitpunkt ihrer stärksten legitimierten Machtposition im 4. Jahrhundert bei einer gleichzeitig institutionalisierten Situation der Abhängigkeit dank „sozialer Wurzellosigkeit“ (Guyot, 179) im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen.
Diese Frage lässt sich allerdings zwangsläufig nicht ohne einen Blick auf die politischen Interessen und Absichten, also die eigentliche Handlungsmotivation, der Hofeunuchen zu jener Zeit beantworten. Ferner muss darauf aufbauend der Ursprung jener Interessen in Zusammenhang mit der sozialen Sonderstellung der Eunuchen ergründet werden. Die vorliegende Arbeit soll somit ein umfassendes Bild über die Stellung und den politischen Einfluss der Eunuchen im spätrömischen Politikgeschehen am kaiserlichen Hof zeichnen.
Index
1. Einführung
2. Hauptteil
2.1 Der soziale Aufstieg der Hofeunuchen
2.2 Eigeninitiative trotz Abhängigkeit? - Rolle & Einfluss am kaiserlichen Hof
2.3 Praepositus sacri cubiculi - Die Nähe zum Kaiser als Machtinstrument?
2.4 Kaisergebunden oder selbstmotiviert: Ziele der Amtsausübung
3. Fazit
4. Quellen- & Literaturverzeichnis
1. Einführung
Heutzutage herrscht nur noch eine vage Vorstellung über die Rolle die Eunuchen, jener außergewöhnlichen männlichen Bevölkerungsgruppe, welche durch eine zumeist unfreiwillige Kastration gekennzeichnet war und folglich eine gesellschaftliche Sonderstellung einnahm, beziehungsweise einnehmen musste. Nichtsdestotrotz ist das Eunuchentum eine kulturelle Besonderheit, die in nahezu sämtlichen Phasen der Weltgeschichte in unterschiedlichen Kulturen nachgewiesen werden kann.
Ihre besondere Rolle und politische Funktion am spätrömischen Kaiserhof soll primäres Interessengebiet der hier vorliegenden Arbeit sein. Im Einzelnen bedeutet dies, die Entwicklung der Gruppe der Eunuchen in der römischen Gesellschaft von ihrem ersten Auftreten innerhalb dieser bis hin zur Einnahme wichtiger öffentlicher Ämter und sozialer Funktionen im Umfeld des Kaisers, nachzuvollziehen. Hierbei wird insbesondere die Frage nach der Größe ihres politischen Handlungsspielraums zum Zeitpunkt ihrer stärksten legitimierten Machtposition im 4. Jahrhundert1bei einer gleichzeitig institutionierten Situation der Abhängigkeit dank„sozialer Wurzellosigkeit“(Guyot, 179) im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen. Diese Frage lässt sich allerdings zwangsläufig nicht ohne einen Blick auf die politischen Interessen und Absichten, also die eigentliche Handlungsmotivation, der Hofeunuchen zu jener Zeit beantworten. Ferner muss darauf aufbauend der Ursprung jener Interessen in Zusammenhang mit der sozialen Sonderstellung der Eunuchen ergründet werden. Die vorliegende Arbeit soll somit ein umfassendes Bild über die Stellung und den politischen Einfluss der Eunuchen im spätrömischen Politikgeschehen am kaiserlichen Hof zeichnen.
Um dies zu erreichen, soll im ersten Schritt eine Analyse des historischen Kontextes erfolgen, ohne welchen ein tiefgreifendes Verständnis der Situation der Hofeunuchen im 4. Jahrhundert nicht gewährleistet werden kann. Dieser Teil der Arbeit beinhaltet im Wesentlichen eine kurze Abhandlung der Geschichte der Eunuchen im römischen Reich seit ihrer verstärkten Verbreitung unter Kaiser Augustus2bis in den zentralen Untersuchungszeitraum ab 300 n. Chr. hinein. Literarische Referenz ist in diesem Abschnitt, wie auch im Rest dieser Arbeit das Buch„Eunuchen als Sklaven und Freigelassene in der griechisch-römischen Antike“Peter Guyots, welches sich in ähnlicher Art den hier untersuchten Aspekten widmet. Daraus resultierend soll im zweiten Teil sichtbar werden, welche Funktionen die Gruppe kastrierter Bediensteter am kaiserlichen Hof jener Zeit einnahm und inwiefern diese Funktion politische Relevanz inne hatte. Der Schwerpunkt der Untersuchungen liegt hierbei auf der Person despraepositus sacri cubiculi(in Folge kurz: PSC), also des obersten Kammerdieners des Kaisers und somit mächtigsten Eunuchen am Hof. In ihm spiegeln sich die zentralen und hier untersuchten Merkmale des spätrömischen Hofeunuchentums am deutlichsten wider, weshalb der PSC in der Geschichtsforschung vorrangiges Forschungsobjekt zu Themen rund um die Rolle der Eunuchen im Kreise der römischen Aristokratie ist; so auch in Dirk Schlinkerts Abhandlung„ordo senatorius und nobilitas - Die Konstitution des Senatsadels in der Spätantike“, welche als Grundlage dieser Arbeit diente. Um diesen Untersuchungspunkt zu vertiefen, erfolgt im dritten Abschnitt eine intensive Auseinandersetzung mit der besonderen Nähe zum römischen Kaiser, welche sich aus dem unter 2.2 dargelegten Arbeitsumfeld der Hofeunuchen (speziell des PSC) ergibt. Die zentrale Problematik ist hierbei die Frage inwiefern diese Nähe Möglichkeiten zu politischem Handeln und der Durchsetzung von Eigeninteressen bot. Abschließend bleibt letztlich nur noch zu klären welche Motive Hofeunuchen in ihrem möglichen politischen Agieren verfolgten. Dies wird schließlich im letzten Teil der Arbeit im Fokus stehen. Anhand dieser Struktur und mit Hilfe einiger relevanter Beispiele überlieferter Eunuchen wird abschließend ein Fazit möglich sein, welches eine umfassende Aussage über die ambivalente Rolle der Eunuchen am spätrömischen Kaiserhof möglich macht.
2. Hauptteil
2.1 Der soziale Aufstieg der Hofeunuchen
Die Beschäftigung von Eunuchensklaven und die Kastration von Menschenzum Zweck ihrer Heranziehung als Sklaven sind in der klassischen AntikeTradition geworden.3
Genauer gesagt geht die Haltung von Eunuchensklaven ungefähr auf das 5. bis 4. Jahrhundert v. Chr. zurück und übertrug sich im Laufe des 2. Jahrhunderts v. Chr. von Griechenland ausgehend auch auf das römische Reich.4Zunächst waren sie als Sklaven in Privathaushalten anzutreffen, in denen sie zumeist Dienstleistungen zu erledigen hatten, welche„mit der unmittelbaren Nähe zu ihrem Herrn oder ihrer Herrin verbunden waren“(Guyot, 67). Dies beinhaltete verschiedene Tätigkeiten, die das tägliche Leben des jeweiligen Haushaltsvorstandes betrafen. In erster Linie jedoch dienten sie als Kämmerer, machten die Betten, begleiteten Herr oder Herrin ins Bad, bedienten selbige am Tisch oder kümmerten sich um deren Garderobe. Des Weiteren wurde ihnen als Ergebnis eines entstehenden Vertrauensverhältnis bereits seit der Anfangszeit ihres Einsatzes in Griechenland im 4. Jahrhundert v. Chr. die Verwaltung des Vermögens ihres Herrn übertragen.5 Somit lassen sich erste Tendenzen einer sozialen Aufwertung erkennen, welche sich jedoch zunächst auf den Kreis der zu bedienenden Familie beschränkte. Ferner waren Eunuchen auf Grund ihres androgynen Wesens als Musiker, Schausteller, Tänzer und in anderen Formen der künstlerischen Darbietung sehr beliebt. Ebenso geschätzt wurde ihr Einsatz für die Erziehung der Söhne und Töchter ihrer Gebieter. Nachdem sie selbst eine Ausbildung in den Wissenschaften und Künsten erhalten hatten6, wurden sie als „Prinzenerzieher“ eingesetzt.
Eine der zentralen Assoziationen, die mit der gängigen Vorstellung des Lebens eines Eunuchen verknüpft ist, war jedoch ihre Funktion als Lustknaben. Sowohl als passive Sexualpartner, so genannte „pathici“ (die sich „wie eine Frau hingaben“)7 in homoerotischen Beziehungen8, als auch zur Befriedigung griechischer und römischer Frauen wurden Eunuchen auf Grund ihrer Zeugungsunfähigkeit genutzt. Wie gelang es den Eunuchen also aus diesem Umfeld einfachster Dienertätigkeiten in eine Position zu gelangen, die es dem Eunuchen Eutropios wenige Jahrhunderte später 399 n. Chr. ermöglichte das politische Amt eines Konsuls auszuüben und somit die höchste zivile und militärische Auszeichnung des cursus honorum zu erreichen?9 Die Tradition höfischer Eunuchen erreicht das römische Reich zwar schon lange vor der Herrschaft der Kaiser Augustus (30 v. Chr. - 14 n. Chr.), jedoch setzte sie sich erst während seiner Zeit endgültig durch und verlor fortan auch nicht wieder an Bedeutung. So besaß bereits unter Claudius faktisch jedes Mitglied des kaiserlichen
Haushaltes eigene Eunuchen. Diese Veränderungen in den höfischen Strukturen sind auf zwei Entwicklungen zurückzuführen. Zum einen entstand im römischen Reich mehr und mehr eine Bereitschaft sich orientalischen Kultureinflüssen zu öffnen10, was die Tradition der Hofeunuchen beinhaltete, zum anderen trat als „Folgeerscheinung [dieser]östlichen Kultureinflüsse [...], ermöglicht durch die sich ökonomisch immer mehr differenzierte Gesellschaft und die Ausbildung einer reichen Oberschicht“(Guyot, 177) die Beschäftigung von Luxussklaven als Kämmerer immer häufiger auf. Entwickelten sich diese beiden soziokulturellen Tendenzen zunächst unabhängig voneinander, fungierten schon bald größtenteils Eunuchen als Luxussklaven, was sie zunehmend in die römische Aristokratie und insbesondere in den Kaiserhof integrierte und ihren Lebensmittelpunkt direkt ans Zentrum politischer Macht heranrückte.
Es stellt sich nun jedoch die Frage aus welchem Grund vorwiegend Eunuchen für den Dienst der Luxussklaven herangezogen wurden. In erster Linie lässt sich diese Entwicklung mit der Tatsache erklären, dass Eunuchen dank ihrer anatomischen und sozialen Benachteiligung ihr Leben von der Gunst ihres Herren abhängig sahen und demnach als besonders loyal selbigem gegenüber galten. Diese Benachteiligung gründete sich unter anderem auf ihrer orientalisch-barbarischen Herkunft,„da die Kastration auf Boden des römischen Reiches spätestens seit den christlichen Kaisern das vierten Jahrhunderts verboten war“(Butz, 207) und sie somit zu großen Teilen von Sklavenmärkten aus dem Osten importiert wurden. Ferner machte es ihr physischer Defekt unmöglich eine Familie zu gründen, geschweige denn eine Erbfolge zu verwirklichen. Somit waren sie ebenso wenig in der Lage mögliche Funktionen bzw. Ämter am Hof zu vererben. Ihre ebenso offensichtliche körperliche und sexuelle Anormalität, von Guyot als„Perversion des Natürlichen“(17) beschrieben, definiert sie schließlich endgültig als Randgruppe und macht sie von Zuwendungen abhängig, um der sozialen Ausgrenzung entgegenzutreten. Dank dieser Voraussetzungen neigte man bereits zur Zeit des Prinzipats11sowohl in den „domus des Senatsadels“ als auch in derfamilia principis, dem Haus des Augustus und seiner Nachfolger12, Eunuchen im Status eines Sklaven am Hof zu beschäftigen. Der endgültigen Schritt„ihr Schattendasein am Rande der Gesellschaft zu verlassen, sozial aufzusteigen und in die Nähe des Herrschers zu gelangen“(Schlinkert, 247)
[...]
1Vgl. Guyot, S. 178.
2Vgl. Ebd., S. 177.
3Guyot, S. 177.
4Vgl. Guyot, S. 177.
5Vgl. Ebd., S.57., nach: Prospographie Nr. 53 (Hermias).
6Zur Bildung von Sklaven innerhalb der familia: Vgl. Forbes, S. 321-360
7Vgl. Guyot, S. 59. nach Vorberg, Glossarium Eroticum, Stuttgart 1932, S. 439 ff.
8Vgl. Hopfner, S. 418-421.
9Vgl. König 1997, S. 508.
10Vgl. Guyot, S. 177.
11Prinzipat: Bezeichnung für römische Herrschaftsstruktur zwischen 27 v. Chr. und 284 n. Chr.
12Vgl. Schlinkert, S. 243.