„Die Unabhängigkeit der Notenbank ist unverzichtbar“, betonte Otmar Issing, ehemaliger Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, erst 2015. Unabhängige Institutionen sichern die Preisstabilität innerhalb eines Wirtschaftssystems. Preisstabilität verhütet Inflationen, schafft Vertrauen in eine Währung und sorgt so für eine stabile Volkswirtschaft. Daher müssen unabhängige Institutionen vor politischen Einflussnahmen gesichert werden, damit sie weiterhin eine langfristige Preisstabilität verfolgen können und nicht kurzfristigen Agenden der politischen Repräsentanten unterliegen.
Fraglich ist nun, wie sich die institutionelle Unabhängigkeit von Europäischer Zentralbank (EZB) und Deutscher Bundesbank unterscheiden. Der Fokus fällt bei dem Vergleich auf das Europarecht und das Grundgesetz als Ankerpunkte zur Darlegung der politischen Einflussmöglichkeiten, da eine starke institutionelle Verschmelzung von EZB und Bundesbank i.R.d. Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) eine direkte Gegenüberstellung von Bundesbank und EZB erschwert und eine normorientierte Betrachtungsweise ertragreicher gestaltet.
Nachdem der Unabhängigkeitsbegriff beleuchtet wird, ist der Schwerpunkt daher, inwiefern europarechtliche und grundgesetzliche Einfallstore für mögliche politische Einflussnahme bestehen, die die Unabhängigkeit von Nationalen Zentralbanken (NZB), im speziellen der Bundesbank, und der Europäischen Zentralbank (EZB) einschränken. Die europarechtlichen Einfallstore werden nach den verschiedenen Formen der Unabhängigkeit – wie der persönlichen oder sachlichen Unabhängigkeit – aufgezeigt. Die grundgesetzlichen Einfallstore orientieren sich an der systematischen Stellung der Bundesbank und der EZB innerhalb des deutschen Verfassungsrechts.
Inhaltsverzeichnis
A. Warum Unabhängigkeit schützenswert und elementar für unseren Wohlstand ist
B. Die Idee der Unabhängigkeit
C. Europarechtliche und grundgesetzliche Einfallstore für Einflussnahmen auf die Unabhängigkeit der Bundesbank und der Europäischen Zentralbanken
I. Institutionelle Verflechtung von Nationalen Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank im Europäischen System der Zentralbanken
II. Europarechtliche Einfallstore für Einflussnahme auf die Zentralbanken
1. Sachlich-institutionelle Unabhängigkeit nach Art. 130 AEUV
2. Persönliche Unabhängigkeit
a) Einflussnahmen durch Ausschüsse, Positionsbesetzungen und informelle Gruppen
b) Einflussnahmen auf das Europäische System der Zentralbanken
c) Rolle des Bundesbankpräsidenten als Faktor für Einflussnahmen
aa) Dienst-, Fach-, Rechtsaufsicht
bb) Amtsenthebung des Bundesbankpräsidenten
(1) Regelungen im Europarecht
(2) Regelungen im deutschen Recht
(3) Heranziehen des Europarechts als Lückenfüller zum Schweigen des deutschen Rechts zur Amtsenthebung des Bundesbankenpräsidenten
(4) Amtsenthebung wie im Richterrecht
(5) Fazit zur Amtsenthebung des Bundesbankpräsidenten
cc) Fazit zur Rolle des Bundesbankpräsidenten als Einflussfaktor
d) Fazit zur persönlichen Unabhängigkeit im Rahmen des Europarechts
3. Finanzwirtschaftliche Unabhängigkeit
a) EZB-Gewinne als Einflussmöglichkeit für den Staat
b) Sonstige Geschäfte nach § 22 i.V.m. § 19 Nr. 2 bis 7 BBankG
c) Fazit zur finanzwirtschaftlichen Unabhängigkeit
4. Gesetzgeberische Unabhängigkeit
5. Austausch zwischen Europäischer Zentralbank und den anderen Organen als Einfallstor
a) Gesetzliche Grundlage für einen Informationsaustausch
b) Entlastung als Einfallstor für Einflussnahmen
c) Fazit zum Informationsaustausch zwischen EZB und anderen Staaten
6. Grenzen der Unabhängigkeit
7. Strukturierung der Nationalen Zentralbanken als Einfallstor
8. Fazit zur europarechtlichen Unabhängigkeit im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
III. Grundgesetzliche Einfallstor für Einflussnahmen auf die Zentralbanken
1. Gesetzlicher Rahmen der Bundesbank
a) Stellung der Bundesbank in Deutschland und Europa
b) Unabhängigkeitsgarantie der Bundesbank
c) § 12 2 BBankG: Pflicht zur Regierungsunterstützung
d) Fazit zum gesetzlichen Rahmen der Bundesbank
2. Europäische Zentralbank innerhalb des Grundgesetzes
D. Gesamtfazit und Ausblick