Wahrheitstheorien im Strafverfahren
Der Wahrheit auf der Spur
Zusammenfassung
Da diese Arbeit auf der Suche nach der Wahrheit im Strafverfahren ist, richtet sich das Augenmerk im zweiten Teil auf die Bedeutung der Wahrheitstheorien für das Strafverfahren, indem Normen oder Rechtsinstitute aufgezeigt werden, in denen sich die Wahrheitstheorien verwirklichen.
Leseprobe
Gliederung
1. Einleitung
2. Wahrheitstheorien
2.1 Korrespondenztheorie
2.1.1 Wahrheitsträger der Korrespondenztheorie
2.1.2 Wahrheitsmacher der Korrespondenztheorie
2.1.3 Relation der Korrespondenztheorie
2.1.4 Kritik
2.2 Semantische Konzeption der Wahrheit nach Tarski
2.3 Kohärenztheorie
2.3.1 Kritik
3. Wahrheitsfindung im Strafverfahren
3.1 Wahrheitsfindung im Ermittlungsverfahren
3.2 Wahrheitsfindung im Hauptverfahren
3.3 Korrespondenztheorie im Strafverfahren
3.3.1 Beispiel anhand der Aussagetheorien
3.4 Kohärenztheorie im Strafverfahren
4. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Was ist Wahrheit? Johannes 18,37-38
Lautete die Frage des Pontius Pilatus an Jesus nach seinem Verhör. Diese rhetorische und zugleich skeptische Frage des Pilatus zeigt wie schwierig gerechte Urteilsfindung ist. Möglicherweise macht diese Frage sogar auf die Unmöglichkeit von Wahrheitsfindung aufmerksam. 1
Der „Begriff der Wahrheit" beschäftigt die Philosophie schon seit ihrer Entstehung. Ihre Aufgabe ist die Suche und Forschung nach Wahrheit.2 Die Wahrheit ist nicht nur in der Philosophie ein immer schon existierender Themenkomplex, sie ist vielmehr auch in unserer Gesellschaft verankert.
Was ist Wahrheit und wie erkenne ich sie? Spricht die Fterson die Wahrheit? - Dies sind Fragen, die so alt sind wie die Menschheit selbst.3 Der „Begriff der Wahrheit" ist somit sowohl in der Gedankenwelt als auch in der Praxis für unseren Alltag von zentraler Bedeutung.
Die Wahrheitsproblematik ist daher ein Alltagsproblem.4 Dieses Alltagsproblem spielt eine zentrale Rolle für unser Leben, denn die Wahrheit entscheidet über Schuld oder Unschuld, Freiheit oder Gefangenschaft und in manchen Ländern sogar Uber Leben oder Tod.
Der erste Teil der Arbeit gibt einleitend eine Darstellung über die philosophischen Wahrheitstheorien. Hervorgehoben werden die Korrespondenz- und Kohärenztheorie.
Da diese Arbeit auf der Suche nach der Wahrheit im Strafverfahren ist, richtet sich das Augenmerk im zweiten Teil auf die Bedeutung der Wahrheitstheorien für das Strafverfahren, indem Normen oder Rechtsinstitute aufgezeigt werden, in denen sich die Wahrheitstheorien verwirklichen.
2. Wahrheitstheorien
Die weit gefassten Wahrheitstheorien entsprechen einer Auffassung, Konzeption oder Darstellung der Wahrheit in einem allgemeinen Sinne.5 Die engen Auffassungen der Theorien stellen Wahrheitskon- zeptionen dar, die mit streng methodischer Herangehensweise und Wis- senschaftlichkeitsanspruch, auf die Wahrheitsproblematik eine Antwort geben sollen.6
Die modernen Konzeptionen folgen der engen Auffassung, um der Wissenschaftlichkeit durch Präzision gerecht zu werden.7 Die gemeinsame Grundstruktur der Wahrheitstheorien ist die Erkenntnisrelation. Im Mittelpunkt steht die Relation eines erkennenden Subjekts und dem zu erkennenden oder erkannten Objekt.8
Wahrheit ist also stets mit einer Erkenntnis verbunden. Die Wahrheit wird von Erkenntnissen wie Meinungen, Sätze, Urteile oder Behauptungen ausgesagt.9 Die unterschiedliche Betonung der „Momente" der Erkenntnisrelation führen zu unterschiedlichen Ausdeutungen von Wahrheitstheorien.10
Grundsätzlich gibt es definitionale und kriteriologische Wahrheitstheorien. Erstere behandelt das Wesensmerkmal der Wahrheit.11 In der modernen Sprachanalytik spricht man nicht mehr von dem anspruchsvollen „Wesen der Wahrheit", sondern von der Bedeutung des Wahrheitsbegriffs innerhalb einer Sprache.12
Letztere beschäftigt sich mit dem Kriterium der Wahrheit. Hierbei wird ein Verfahren der Wahrheitsermittlung angestrebt.13 Es wird gefragt, wie festgestellt werden kann, dass eine Aussage wahr ist.14
Die „Wahrheit" sei weder definierbar, noch sei sie analysierbar.15 Aver stellt fest, dass Philosophen nicht auf der Suche nach einer Definition der Wahrheit sind - sie sind vielmehr auf der Suche nach einem Kriterium der Wahrheit „a cirterion of validity".16 Popper entgegnet, dass es kein „Wahrheitskriterium" gäbe.17
Es haben sich zwei zentrale Hauptgruppen der Wahrheitstheorien gebildet:18 Die nicht-epistemischen Wahrheitstheorien, welche die Grundannahme haben, dass Wahrheit bereits auf der Welt gegeben und von unserem Wissen nicht abhängig ist.19 Diese Theorie betont den Moment der Erkenntnisrelation. Ein Beispiel für diese Gruppe ist die Korrespondenztheorie. Die epistemischen Wahrheitstheorien machen, als deren „Gegenlager" den „Begriff der Wahrheit" von dem Begriff des „Fürwahrhalten" abhängig.20 Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem „Subjektbegriff der Erkenntnisrelation".21
Ein Beispiel für diese Gruppe ist die Kohärenztheorie. Die Wahrheitsbestimmung hat folglich einen metaphysischen oder einen epistemologischen Ausgangspunkt.
2.1 Korrespondenztheorie
Die Korrespondenztheorie ist die älteste und bekannteste, sowie auch die herrschende Wahrheitstheorie in der Philosophie.22 Unser Alltags- und Bildungsverständnis der Wahrheit ist ebenfalls von ihr geprägt.23 Gemäß der Korrespondenztheorie ist eine Aussage wahr, wenn sie mit der Wirklichkeit bzw. mit dem Sachverhalt korrespondiert.24 Noch ge- nauer formuliert, besteht die Wahrheit einer Aussage in der Übereinstimmung seines Satzinhalts (Proposition) mit dem bestehenden Sachverhalt, auf den sie sich bezieht.25
Die Korrespondenztheorie ist schon auf Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) zurückzuführen.26 Er formulierte im vierten Buch der Metaphysik: „Falsch ist es, vom Seienden zu sagen, es sei nicht und vom Nichtsei-enden, es sei. Wahr ist es, vom Seienden zu sagen, es sei, und vom Nichtseinden, es sei nicht. Also wird jeder, der sagt, etwas sei, oder sagt, etwas sei nicht, entweder wahr oder falsch reden" (TV, 7, 1011 b 26f.).27 Demzufolge muss das „Sein" mit der Äußerung übereinstimmen. Wahrheit besteht folglich in Relation des erkannten Objekts „Sein" und dem erkennenden Subjekt.
An einer anderen Stelle schreibt Aristoteles: „Nicht durch das bloße FUrwahrhalten, dass du weiß seist, bist du weiß, sondern weil du weiß bist, reden wir wahr, wenn wir das behaupten" (1051 b).28
An dieser Stelle wird deutlich, dass die Wahrheit nicht von unserem Wissen, sondern von der Wirklichkeit abhängig ist. Diese Wirklichkeit wird von der Welt vorgegeben. Die Formulierung ist folglich in die nicht-epistemische Hauptgruppe einzuordnen.
Thomas von Aquin (1225 - 1274) formulierte die traditionelle Korrespondenztheorie, zurückführend auf Aristoteles, wie folgt: „Die Übereinstimmung des Seienden mit der Erkenntnis [...] drückt [...] das Wahre aus". „Das [...] Verhältnis des Seienden zum erkennenden Geist besteht also darin, dass das Seiende dem erkennenden Geist entspricht. Die Entsprechung wird als Übereinstimmung der Sache und Erkenntnis (adaequatio rei et intellectus) bezeichnet".29
Die Korrespondenztheorie wurde im 20 Jh. insbesondere von Bertrand Russell geprägt.30 Russell beschreibt die Wahrheit als etwasaußerhalb des Denkens Liegendes", unabhängig vom Bewusstsein Existierendes.31 Er macht die Erwägung, dass zumindest eine gewisse Menge an Wahrheit vorgegeben ist.32 Das bedeutet, dass die Welt bestimmte Gegebenheit vorgibt, sie macht die Dinge wahr oder falsch. Des Weiteren behauptet Russell, dass „die Übereinstimmung mit Tatsachen, die Korrespondenz zwischen Meinung und Tatsachen, das Wesen der Wahrheit" ist.33
Die Korrespondenztheorie wird insgesamt durch drei Stützen getragen: Einem Wahrheitsträger, einem Wahrheitsmacher und der Relation zwischen diesen beiden heterogenen Elementen.
Die zwei Elemente, welche miteinander korrespondieren müssen, setzten an verschiedene Ebenen an, welche z.B. Denken und Sein, Subjekt und Objekt, Bewusstsein und Welt oder Erkenntnis und Wirklichkeit betrifft.34 Nach diesen Darlegungen ergibt sich die Formel:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten35
Folglich ist eine Aussage, in Form eines sprachlichen Ausdrucks „p" wahr (links), wenn sie mit dem bestehenden Sachverhalt, auf den sich „p" bezieht übereinstimmt (rechts).
2.1.1 Wahrheitsträger der Korrespondenztheorie
Es ist festzustellen, dass Wahrheit nach ganz herrschender Ansicht stets eine Eigenschaft von Aussagen ist.36 Man geht weder von der Wahrheit des Objekts, noch des Subjekts aus. Die Wahrheit kann also nur auf Wahrheitsträger zutreffen.
Wahrheitsträger sind mentale Operatoren eines Bewusstseins. Dieses Bewusstsein nennt Russell „Subjekt' .37 Ein Wahrheitsträger kann in diesem Rahmen ein Glaube, Gedanke, Urteil, eine Behauptung, Idee, Äußerung oder ein Satz sein. Die Wahrheitsträger der Korrespondenztheorie sind sprachlicher Natur.38 Sie müssen „meaningful" sein,39 folglich etwas über die Welt aussagen können.
Hier wird jedoch nicht nach einer bestimmten Sprache differenziert. Es wird nur an den Sinn des Satzes angeknüpft.40
Es gibt primäre und sekundäre Wahrheitsträger. Letztere werden aus den Wahrheitswerten von primären Wahrheitsträgern abgeleitet. Die Wahrheit oder Falschheit der primären Wahrheitsträger wird nicht abgeleitet. Zu den sekundären Wahrheitsträgern gehören z.B. Sätze, welche aus der alltäglichen Sprache entnommen werden, ihre Wahrheit oder Falschheit wird aus der Proposition (primäre Wahrheitsträger), dem reinen Satzinhalt, entnommen.41
2.1.2 Wahrheitsmacher der Korrespondenztheorie
Nach den modernen Korrespondenztheorien ist ein Glaube wahr, wenn eine adäquate Entität existiert, welche mit dem Wahrheitsträger Ubereinstimmt.42 Der Wahrheitsmacher ist nicht in der sprachlichen Sphäre behaftet, sie wurzelt vielmehr in einer ontologischen Ebene der Realität, welche bestimmte Tatsachen vorgibt.43
Entitäten bestehen aus Eigenschaften, Beziehungen und Einheiten. Sie stammen aus den Gedanken der Metaphysik.44 Mit diesem Gedanken wird von der Welt eine angemessene strukturierte Gesamtheit von Entitäten gestellt, welche die Wahrheit beinhalten. Dies plädiert für die Objektivität der Welt.45 Der Anspruch auf Objektivität ist für die Korrespondenztheorie prägend.
[...]
1 Siehe Janich, Was ist Wahrheit?, S. 7.
2 So Gloy. Wahrheitstheorien, S. 2
3 Stamp, Die Wahrheit im Strafverfahren. S. 31
4 Janich. Was ist Wahrheit?, S. 13.
5 Vergleiche hierzu Gloy, Wahrheitstheorien, S. 5.
6 Siehe Puntel, Wahrheitstheorien. S. 2f.
7 So auch Gloy, Wahrheitstheorien. S. 6.
8 In diesem Sinne auch Gloy, Wahrheitstheorien, S. 7.
9 Ebd.; Hilgendorf im GA 1993, Der Wahrheitsbegriff im Strafrecht. 547,549.
10 Gloy, Wahrheitstheorien, S. 8.
11 Gloy, Wahrheitstheorien, S. 14.
12 Ebd.; Puntel. Wahrheitstheorien, S. 4.
13 Puntel, Wahrheitstheorien. S. 5, 88, 175. 206; Gloy, Wahrheitstheorien, S. 41; Stamp. Wahrheit im Strafverfahren. S. 30.
14 Hilgendorf m: GA 1993. Der Wahrheitsbegriff im Strafrecht, 547, 548.
15 Khatchadourian. Truth. S. 2 f.; Janich. Was ist Wahrheit?, S. 11 f.
16 Khatchadourian. Truth. S. 2 ff.
17 Popper. Logik. Physik und Geschichte in: Ders. Objektive Erkenntnis. S. 345
18 Zimmermann, Popper. Wittgenstein und der Feuerhaken. S. 16.
19 Martens. Schnädelbach,, Philosophie: Ein Grundkurs. S. 122; Hartmann. Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis. S. 407.
20 Martens. Schnädelbach, Philosophie: Ein Grundkurs. S. 122.
21 Gloy. Wahrheitstheorien, S. 8.
22 Hilgendorf \n\ GA 1993. Der Wahrheitsbegriff im Strafrecht. 547, 549; Puntel. Wahrheitstheorien, S. 26; Stomp. Die Wahrheit im Strafverfahren, S. 33; Andere Ansicht Kaufmann. FS-Baumann. 119,127.
23 Puntel, Wahrheitstheorien, S. 26; Hilgendorf in: GA 1993, Der Wahrheitsbegriff ün Strafrecht, 547.548.
24 Hilgendorf in: GA 1993. Der Wahrheitsbegriff im Strafrecht, 547, 549; Barron. Redlich aber falsch. S. 27.
25 So auch Park, Wahrheitsfindung im Ermittlungsverfahren, S. 25.
26 Hilgendorf in: GA 1993. Der Wahrheitsbegriff im Strafiecht. 547. 549; Park. Die Wahrheitsfindung im Ermittlungsverfahren. S. 24.
27 Hetzer. Wahrheitsfindung im Strafprozeß. S. 36; Stomp. Wahrheit im Strafverfahren, S. 32; Janich, Was ist Wahrheit?, S. 41.
28 Hamburger. Wahrheit. S. 16.
29 Zitiert in Stamp. Wahrheit im Strafverfahren. S. 32 Thomas von Aquino. I. Quaestio, 1. Art., S. 10 f. Übersetzung von Edith Stein.
30 Nachzulesen auf ht t ix //plato. st an ford. od u/areh i ve s/fa 112014/e ntrio s-'tru t IV.
31 Vgl. Russell in Skirbekk. Wahrheit und Falschheit (1912), S. 65. 72.
32 Ebd. S. 108.
33 Vgl. Ebd. S. 66.
34 Puntel. Wahrheitstheorien. S. 28.
35 Puntel. Wahrheitstheorien. S. 28.
36 Stomp. Wahrheit Im Strafverfahren S. 34; Kraft. Erkenntnislehre, S. 156.
37 Russell in Skirbekk. Wahrheit und Falschheit (1912), S. 69.
38 Zimmermann. Popper. Wittgenstein und der Feuerhaken. S. 17.
39 http://plato. stanford.edu/archives/fall2014/entries/trutlV.
40 Kraft. Erkenntnislehre. S. 156.
4l hup;//plaiq. flanfrrd.gdu/archivga'faO 14Ar mriga/init IV.
42 Ebd.
43 Zimmermann. Popper. Wittgenstein und der Feuerhaken S. 17; Puntel. Wahrheitstheorien, S. 29ff.
44 hup;//platp. aanft>rü.gdii/archivgs/fall2Q 14/giurigs/trutlV.
45 Zimmermann. Popper. Wittgenstein und der Feuerhaken. S. 18.