Der Situationsansatz. Interkulturelles Lernen in der frühkindlichen Bildung
Hausarbeit 2014 20 Seiten
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Interkulturelles Lernen – ein Konzept für In- und Ausländer
2.1 Von der Ausländerpädagogik zum interkulturellen Lernen
2.2 Die Bedeutung interkulturellen Lernens
2.3 Die Ziele interkulturellen Lernens
3. Der Situationsansatz
3.1 Historische Entwicklung
3.2 Die Merkmale und Ziele des Situationsansatzes
3.3 Die konzeptionellen Grundsätze des Situationsansatzes
4. Die Verbindung vom Situationsansatz und interkulturellem Lernen
4.1 Interkulturelles Lernen auf der Grundlage des Situationsansatzes
4.2 Die praktische Umsetzung des Projektes „Kinderwelten“
5. Abschlussdiskussion
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Heutzutage haben es Minderheitsgesellschaften oft schwer. Manchmal sind es selbst die Regierungen oder mächtige gesellschaftliche Gruppen, die versuchen, gegen Minderheiten vorzugehen und sie loszuwerden. Sie werden in Ghettos verbannt, wie z.B. in Berlin-Neukölln oder Dortmund-Nordstadt, oder zur Anpassung gezwungen. Einwanderer in Deutschland ließen früher meist ihre Namen ändern, um nicht weiter aufzufallen, denn die Mehrheitsgesellschaften neigen dazu, die Minderheiten zu unterdrücken und sie mit negativen Stigmata zu behaften. Selbst die Journalisten bringen gerne ethnische Zusätze in ihren Berichten an, um Hinweise auf den Status des Ausländers, beispielsweise durch Namensnennung oder die Angabe der Hautfarbe, zu geben. Wächst an bestimmten Ortsgebieten der Anteil der Ausländer, so wird auch oft über negative Ereignisse im Zusammenhang mit der hinzugezogenen Gesellschaft geschrieben. „Der Durchschnittsleser wir also dort immer nur erfahren, daß (sic) sich die Ausländer eine Messerstecherei geliefert haben, daß (sic) ‚Gastarbeiter‘ beim Diebstahl ertappt worden sind und ähnliches. (…) Ausländer sind dann krimineller, fauler, schlechter als Einheimische. (…) wirksam ist eben nicht das, was real vorhanden ist, sondern vielmehr das, was in den Köpfen der Leute als Wirklichkeit gespeichert wird“ (Popp, 1996, S.216).
Der Situationsansatz in Verbindung mit interkulturellem Lernen soll dieser Ungerechtigkeit schon ab der frühen Kindheit vorbeugen. Dieses Konzept setzt auf Toleranz und ist gegen Fremdenfeindlichkeit. Der Rassismus gehört zur dunklen Seite unserer Geschichte und sollte allein der Vergangenheit angehören. Es ist von großer Bedeutung, schon bei den Kleinsten, unseren Kindern, damit anzufangen, sie offen gegenüber anderen Kulturen zu erziehen und ihnen eine multikulturelle Gesellschaft als Selbstverständlichkeit zu präsentieren (vgl. Zimmer, 2007, S.50ff.).
Im Fokus dieser Ausarbeitung steht daher die Frage, wie man mit Hilfe des Situationsansatzes interkulturelles Lernen fördern kann. Hierfür wird zunächst das interkulturelle Lernen erläutert. Dieses Konzept für In- und Ausländer war nicht immer selbstverständlich und so wird im zweiten Kapitel der Weg von der Ausländerpädagogik zum interkulturellen Lernen beschrieben. Darauf folgen die Bedeutung und Ziele des Konzeptes im Hinblick auf den pädagogischen Alltag in Bildungseinrichtungen. Im nächsten Kapitel wird der Situationsansatz näher beleuchtet. Auch hierbei wird zunächst auf die historische Entwicklung eingegangen, bevor die Merkmale und konzeptionellen Grundlagen dieses pädagogischen Ansatzes genannt werden. Das vierte Kapitel nennt die Gemeinsamkeiten, die zwischen dem Situationsansatz und dem interkulturellen Lernen bestehen. Die Verbindung dieser beiden Konzepte wird anschließend in einem Praxisbeispiel, dem Projekt „Kinderwelten“, konkretisiert. In der abschließenden Diskussion werden die Grenzen dieses Konzeptes aufgezeigt, um eine umfassende Betrachtung des Themas zu ermöglichen.
2. Interkulturelles Lernen – ein Konzept für In- und Ausländer
2.1 Von der Ausländerpädagogik zum interkulturellen Lernen
Aufgrund des Mangels an Arbeitskräften, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland herrschte, war es zu dieser Zeit vonnöten, Arbeiter aus dem Ausland anzuwerben. Viele männliche Arbeitskräfte, die Gastarbeiter, kamen aus diesem Grund nach Deutschland (vgl. Nohl, 2006, S.15f.). 1973 holten diese Gastarbeiter auch ihre Familien nach Deutschland, wodurch es in deutschen Bildungseinrichtungen zu einem Anstieg von Kindern mit Migrationshintergrund kam (vgl. Meinhardt, 2005, S. 36f.).
Zunächst hielt man eine Veränderung der Bildungsarbeit im Hinblick auf diese Kinder nicht notwendig, da die Gastarbeiter-Familien bald in ihre Herkunftsländer zurückkehren würden (vgl. Mecheril, 2004, S.83). Stattdessen blieben die Familien in Deutschland und die Zahl von Kindern mit Migrationshintergrund wuchs. Die Bildungspolitik reagierte nun darauf und führte die Ausländerpädagogik ein. Primär ging es dabei um die Fort- und Weiterbildung von Lehrern, die ausländische Kinder unterrichteten. Das pädagogische Konzept sollte den Migrantenkindern die Integration in das deutsche Bildungssystem erleichtern (vgl. Krüger-Potratz, 2005, S.55). Es umfasste defizitbezogene Maßnahmen und richtete sich ausschließlich an die zugewanderten Kinder als Randgruppe (vgl. ebd., 2005, S.121). Ziele dieses Konzeptes waren das Erlernen der deutschen Sprache und das Verinnerlichen der kulturellen Normen und Werte der Aufnahmegesellschaft (vgl. ebd., S.39).
In den 80er Jahren kam es zu einer starken Kritik an der Ausländerpädagogik, da die Einwanderer noch immer wie eine vorübergehende Erscheinung betrachtet und die erdachten Maßnahmen im bildungspolitischen Umgang mit Ausländern nicht an die aktuell bestehende Situation angepasst wurden (vgl. Schmidtke, 2005, S.152). Kritiker jedoch forderten die Anpassung der Bildungspläne an die Migranten (vgl. Nohl, 2006, S.41f.). Aus dieser Kritik heraus entstand die Interkulturelle Pädagogik, die noch heute das Bildungssystem unserer multikulturellen Gesellschaft prägt. Deutschland wurde somit als Einwanderungsland wahrgenommen und akzeptiert. Die interkulturelle Pädagogik richtet sich nicht ausschließlich an die Migranten, sondern gleichermaßen an die Einheimischen (vgl. ebd., S.45).
Der Schwerpunkt dieser Pädagogik liegt auf dem Austausch verschiedener, als gleichwertig angesehener Kulturen (vgl. Nieke, 2008, S.11f.). Die Beziehungen zwischen Menschen verschiedener Kulturen und Sprachen werden auf die Grundlage gegenseitiger Akzeptanz und des Dialogs untereinander gestellt. Der Perspektivenwechsel ist dabei eine notwendige Voraussetzung (vgl. COHEP, 2007, S.28).
Das interkulturelle Lernen ist die Disziplin innerhalb der Interkulturellen Pädagogik, der sich jeder innerhalb einer multikulturellen Gesellschaft stellen muss. Es geht dabei um Lernprozesse, die einen angemessenen Umgang mit dieser Gegebenheit ermöglichen (vgl. DJI, 2006, S.8). Die Mehrheits- und auch die Minderheitsgesellschaften sollen durch interkulturelles Lernen auf ein gleichberechtigtes Zusammenleben vorbereitet werden (vgl. Böhm, Böhm & Deiss-Niethammer, 2004, S.35).
2.2 Die Bedeutung interkulturellen Lernens
„Interkulturelles Lernen heißt, Unvertrautem mit Neugierde zu begegnen, das Fremde als Bereicherung der eigenen Kultur und als selbstverständlichen Teil des Alltags wahrnehmen und erfahren“ (ebd., S.35).
Interkulturelles Lernen ist ein durchgängiges Lernprinzip, das sich durch den gesamten Alltag und das ganze Leben zieht. Bezogen auf den pädagogischen Alltag ist interkulturelles Lernen kein Projekt, das hin und wieder in den Fokus rückt, sondern ist maßgebend für die gesamte Arbeit und Einstellung des pädagogischen Fachpersonals. Beispielsweise wird in Bilderbüchern darauf geachtet, dass darin nicht nur einheimische Kinder zu sehen sind, sondern eine Vielfalt an verschiedenen Abstammungen. Nur durch lebenslanges Lernen in vielfältigen Beziehungen werden die Fähigkeiten erworben, die durch interkulturelles Lernen erzielt werden sollen. Wichtig ist das Aufeinander zugehen von den verschiedenen Seiten, die gemeinsam in derselben Gemeinschaft leben. Zuwanderer und deren Kinder werden auch heute noch als Ausländer bezeichnet und als fremd definiert, auch wenn sie in Deutschland heimisch und sogar geboren sind. Das, was als fremd wahrgenommen wird, löst oft Unsicherheit oder sogar Angst aus, da es von der eigenen Norm und eigenen Erwartungen abweicht. Schnell löst dies unbewusst Abwehr und Misstrauen aus, obwohl es keinen Grund dazu gibt. Vielmehr sollte das Fremde im eigenen Land realistisch wahrgenommen werden, denn erst dadurch kann eine Auseinandersetzung mit dem bisher Unbekannten erfolgen. Durch interkulturelles Lernen kann diese Auseinandersetzung unterstützt werden. Doch nicht nur die Auseinandersetzung mit der Fremdheit, sondern auch eine bewusste Wahrnehmung sozialer und politischer Situationen von Minderheiten spielt eine große Rolle beim interkulturellen Lernen (vgl. ebd., S.35ff.).
Interkulturelles Lernen heißt auch immer soziales Lernen, denn in keiner Situation findet das eine ohne das andere statt. Gerade für die nachwachsenden Generationen ist interkulturelles und somit auch soziales Lernen von immenser Bedeutung. Durch soziales Lernen erfahren Kinder nicht nur etwas über die eigenen Fähigkeiten, Stärken, Schwächen und Wünsche, sondern auch über die der anderen Menschen. Sie setzen sich mit ihrer eigenen Lebenssituation, und die ihrer Mitmenschen auseinander und lernen so den Kontext der Umwelt zu verstehen. Mit diesen gewonnenen Fähigkeiten können Kinder sich in interkulturellen Situationen angemessen verhalten und unterschiedlichen Lebensweisen begegnen sie zukünftig mit Neugier und nicht mit Distanz (vgl. ebd., S.131).
2.3 Die Ziele interkulturellen Lernens
Das Entwickeln eines angemessenen Umgangs mit der Befremdung ist ein wichtiges Ziel des interkulturellen Lernens. Manche Menschen gehen sehr offen mit Unbekanntem um, andere hingegen sehr distanziert. Dies hängt mit den jeweiligen Vorerfahrungen zusammen. Aus diesem Grund ist es wichtig, das vermeintlich Bedrohliche beim Namen zu nennen und darüber zu sprechen. Es besteht die Chance, so die Bedrohung oder Irritation durch das Fremde in Neugierde umzuwandeln (vgl. ebd., S.45f.).
Ein weiteres Ziel ist das Erwerben toleranter Verhaltensweisen. Dies ist ein sehr komplexes Ziel, da es um die persönliche Haltung eines Menschen geht. Diese Haltung kann durch Erziehung zwar gelenkt, jedoch nicht garantiert hergestellt werden. Toleranz sollte zu einer Selbstverständlichkeit innerhalb einer multikulturellen Gesellschaft werden und Konflikte sollten nicht hierarchisch, sondern partnerschaftlich gelöst werden (vgl. ebd., S.46f.). Der erste Schritt zur Konfliktlösung ist ein klärendes Gespräch, in denen die unterschiedlichen Sichtweisen und Beweggründe deutlich werden (vgl. ebd., S.51). Dadurch hat jeder Beteiligte das Gefühl, ernst genommen zu werden, was wiederum zu persönlicher Zufriedenheit führt (vgl. ebd., S.47).
Ein ebenso wichtiges Ziel ist es, zu erfahren, „daß (sic) die eigene Lebensweise eine unter vielen ist“ (ebd., S.48). Ohne diese Erfahrung ist unsere Offenheit gegenüber anderen Lebensweisen eingeschränkt. Gerade bei den Zugewanderten fällt es oft schwer, ihre Gewohnheiten zu akzeptieren. Sie können und sollten diese allerdings nicht einfach ablegen, denn sie sind zentraler Bestandteil ihrer Identität.
Gerade in Bildungseinrichtungen können verschiedene Lebensweisen als Bereicherung wahrgenommen und durch verschiedene Aktionen sichtbar gemacht werden. So kann z.B. in der Puppenecke die Esskultur durch unterschiedliche Küchengeräte verdeutlicht werden oder in der Verkleidungskiste landestypische Kleidung zur Verfügung gestellt werden. So wird die Lebensweise anderer unbewusst widergespiegelt und als Selbstverständlichkeit wahrgenommen. Die Vielfalt der Kulturen wird dadurch zu etwas Alltäglichem (vgl. ebd., S.48).
Auch die Zielsetzung, andere religiöse Traditionen zu akzeptieren, ist mit der persönlichen Haltung verbunden und kann durch Erziehung in die richtige Richtung gelenkt werden. Ein Basiswissen über andere Religionen und deren besondere Traditionen ist für dieses Ziel unumgänglich. Des Weiteren wird versucht, durch das interkulturelle Lernen Empathie für Benachteiligte zu entwickeln. Dieses Ziel ist stark mit dem Gerechtigkeitssinn verbunden, den Kinder ab einem gewissen Alter entwickeln. Kindern ist es wichtig, dass für alle die gleichen Regeln gelten und achten auch gezielt darauf. Andererseits reagieren sie sensibel darauf, wenn mit einer Person respektlos umgegangen wird und passen sich dieser Verhaltensweise an.
[...]
Details
- Seiten
- 20
- Jahr
- 2014
- ISBN (eBook)
- 9783668350953
- ISBN (Buch)
- 9783668350960
- Dateigröße
- 531 KB
- Sprache
- Deutsch
- Katalognummer
- v345316
- Institution / Hochschule
- Fachhochschule Südwestfalen; Abteilung Soest
- Note
- 1,3
- Schlagworte
- Situationsansatz Kindheitspädagogik interkulturelle Pädagogik interkulturelles Lernen frühkindliche Bildung Bildung Erziehung Frühpädagogik Elementarpädagogik Kindergarten Kita Kindertageseinrichtung Kindertagesstätte