Um die Frauengestalten der Sagas, insbesondere der Isländersagas, zu untersuchen, ist es sinnvoll zunächst allgemein auf die Rolle der Frauen in dieser Literaturgattung einzugehen. Hier vermutet man, dass es sich dabei mehr um Archetypen als um charakterlich ausgestaltete Figuren handelt. In den Vinlandsagas nehmen die Frauengestalten aktiver am Geschehen teil und verkörpern nicht nur die üblichen Darstellungen und Typisierungen. Der Beschreibung ihrer Herkunft, ihrer Äußerlichkeiten und ihres Wesens wird mehr Aufmerksamkeit gewidmet und das Augenmerk liegt nicht auf generischen Versatzstücken, sondern auf dem Wirken der Agierenden, wie ich im Folgenden zeigen möchte.
Die einzelnen Grundtypen tauchen als wiederkehrendes Motiv mit einer bestimmten Funktion in den Sagas auf, auch wenn Frauengestalten insgesamt weit weniger offensiv agieren als die meist männlichen Helden der Sagas und in erster Linie dem Fortgang der Handlung dienen. Sie erscheinen, erfüllen ihre Funktion und werden dann nicht wieder erwähnt. Ihr Auftritt erscheint als zweckdienliches Motiv, als Mot-vierung und als Projektionsfläche für den männlichen Protagonisten. Weibliche Figuren spielen in erster Linie eine vorbereitende und auslösende Rolle, in seltenen Fällen aber auch eine aktive, indem sie anspornend oder aufhetzend ins Geschehen eingreifen. Dieser Typus wird in der Forschungsliteratur als „Hetzerin“ bezeichnet.
Inhalt
1 Einleitung
2 Allgemeine Definitionen
2.1 Sagas
2.2 Isländersagas (Íslendinga sögur)
2.3 Vinlandsagas
3 Frauentypen in Isländersagas
3.1 Rolle der Frau allgemein
3.2 Seherinnen
3.3 Hetzerinnen
4 Frauengestalten in den Vinlandsagas
4.1 Þorbjǫrg
4.1.1 Darstellung in der Eirík saga rauđa
4.1.2 Darstellung in der Grænlendinga saga
4.2 Freydis
4.2.1 Darstellung in der Grænlendinga saga
4.2.2 Darstellung in der Eirík saga rauđa
4.3 Guđriđr
4.3.1 Darstellung in der Grænlendinga saga
4.3.2 Darstellung in der Eirík saga rauđa
5 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
1 Einleitung
Um die Frauengestalten der Sagas, insbesondere der Isländersagas, zu untersuchen ist es sinnvoll zunächst allgemein auf die Rolle der Frauen in dieser Literaturgattung einzugehen. Hier vermutet man, dass es sich dabei mehr um Archetypen als um charakterlich ausgestaltete Figuren handelt.
Die einzelnen Grundtypen tauchen als wiederkehrendes Motiv mit einer bestimm- ten Funktion in den Sagas auf, auch wenn Frauengestalten insgesamt weit weniger offensiv agieren als die meist männlichen Helden der Sagas und in erster Linie dem Fortgang der Handlung dienen. Sie erscheinen, erfüllen ihre Funktion und werden dann nicht wieder erwähnt. Ihr Auftritt erscheint als zweckdienliches Motiv, als Moti- vierung und als Projektionsfläche für den männlichen Protagonisten. Weibliche Figu- ren spielen in erster Linie eine vorbereitende und auslösende Rolle, in seltenen Fäl- len aber auch eine aktive, indem sie anspornend oder aufhetzend ins Geschehen eingreifen. Dieser Typus wird in der Forschungsliteratur als „Hetzerin“ bezeichnet.
In den Vinlandsagas nehmen die Frauengestalten aktiver am Geschehen teil und verkörpern nicht nur die üblichen Darstellungen und Typisierungen. Der Beschrei- bung ihrer Herkunft, ihrer Äußerlichkeiten und ihres Wesens wird mehr Aufmerksam- keit gewidmet und das Augenmerk liegt nicht auf generischen Versatzstücken, son- dern auf dem Wirken der Agierenden, wie ich im Folgenden zeigen möchte.
2 Allgemeine Definitionen
2.1 Sagas
Der Begriff ,saga‘, Plural ,sögur‘ ist ein Deriativ des isländischen Verbes „segja“, was ungefähr die Bedeutung „sagen/sprechen“ hat. Somit könnte man ,saga‘ mit ,Erzählung‘ oder ,Bericht‘ übersetzen. Um Verwirrung zu vermeiden wird ,Saga‘ als Fachterminus verwendet.
Gemeint sind schriftlich fixierte, mündlich tradierte literarische Werke, die im mittelalterlichen Island entstanden und anonym überliefert sind. Das zentrale Motiv ist die Bewährung eines Individuums oder eines Geschlechts im Leben. Die Schilderung der Handlung verläuft dabei dynamisch und nicht statisch.
2.2 Isländersagas (Íslendinga sögur)
Unter Isländersagas versteht man solche Sagas, deren Protagonisten Isländer sind, die ihren Hauptschauplatz in Skandinavien, meist Island, hin und wieder aber auch im Baltikum haben und in der sogenannten Sagazeit spielen. Die Sagazeit fällt mit der Zeit der Landnahme, also von 930 bis 1030 n. Chr. zusammen, allerdings werden diese Episoden aus der Sicht späterer Jahrhunderte wiedergegeben.
Typischerweise wird die Geschichte einer Region, einer Familie oder eines Einzelnen thematisiert. Üblicherweise stehen dabei ein Individuum und seine Ausei- nandersetzung mit der Umwelt im Mittelpunkt. Anders als bei kontinentaleuropäi- schen mittelalterlichen Texten lässt sich hier kein Heilsbezug herstellen und der Pro- tagonist ist meist zum Scheitern verurteilt. Trotzdem ist der Konflikt am Ende beige- legt, das Unrecht wiedergutgemacht und das Gleichgewicht wiederhergestellt.
Charakteristisch für diese Art der Sagas ist ihre Schwerpunktsetzung auf Ge- nealogien, ihr realistischer, sachlicher Erzählstil, der erhebliche Anteil direkter Rede und der Anschein ihrer mündlichen Tradierung, wodurch „Geschichte transportiert“ und „Vergangenheit konstruiert“1 wird. Auch eine identitätsstiftende Komponente und eine Unterstreichung der eigenen Besonderheit kann nicht von der Hand gewiesen werden.
Generell wird ein betont objektiver Erzählstil gewählt, was besonders an dem formelhaften Gebrauch von Versatzstücken wie „so wird erzählt“ und „so sagen die Leute“ deutlich wird. Die externe Fokalisierung, das heißt das Ausblenden des Innen- lebens der Figuren, die alleinige Schilderung von Äußerem unterstreicht diesen Ein- druck.
2.3 Vinlandsagas
Als Vinlandsagas bezeichnet man die zwei Isländersagas, die die Fahrten nach Vin- land und die dortige Siedlung der die Isländer bzw. Grönländer thematisieren. Dies meint zum einen die Saga von Erik dem Roten (Eirík saga rauđa), von der vermutet wird, dass sie im 13. Jahrhundert entstand und die heute in zwei sich zum Teil erheblich unterscheidenden Versionen erhalten ist. Überliefert ist sie in der im 14. Jahrhundert entstandenen hauksbók und der ein Jahrhundert später nieder-geschriebenen skálholtsbók. Die Handlung spielt sich Anfang des 11. Jahrhunderts auf Island ab und behandelt die Geschichte von Erik dem Roten und seiner direkten und indirekten Familie.
Auch die Entstehung der zweiten Vinlandsaga, der Saga von den Grönländern (Grænlendinga saga) wird ins 13. Jahrhundert datiert. Allerdings ist sie nur in einer einzigen Handschrift erhalten und zwar in der im späten 14. Jahrhundert verfassten flateyarbók.
Isländersagas sind offen konzipiert, das heißt sie konnten von Abschreibern verändert werden. Dies erklärt den ähnlichen Stoff, aber die unterschiedliche Schwerpunktsetzung und Ausarbeitung dieser beiden Vinlandsagas.
3 Frauentypen in Isländersagas
3.1 Rolle der Frau allgemein
Allgemein werden Frauengestalten in den Isländersagas vier Grundtypen zugeordnet und zwar der Kriegerin, der Zauberin, der Rächerin und der Hetzerin. Im Rahmen dieser Arbeit werde ich mich auf die Darstellung der gewöhnlichen Frauengestalt, die der Zauberin bzw. Seherin und die der Hetzerin konzentrieren.
In den meisten Fällen ist das Auftauchen von Frauengestalten in den Isländersagas in erster Linie zweckorientiert. Entweder stellen sie Bindeglieder zwischen Familien dar, indem sie verheiratet werden und dem Protagonisten so Bündnisse und Helfer in Notlagen verschaffen, oder werden selbst zum Helfer für ihre nächsten männlichen Verwandten, vor allem Ehemännern und Söhnen gegenüber.
Allgemein kommt Frauen eine eher auslösende und vorbereitende Rolle, sozusagen als passiver Angelpunkt, in der Handlung zu. Das hängt auch mit dem genau geregelten und strikt abgegrenzten Wirkungskreis von Männern und Frauen zusammen. Frauen hatten das Sagen bei allem, was sich innerhalb des Haushaltes abspielte, während das Vertreten der Familie nach außen hin und die Verteidigung der Familienehre in den Zuständigkeitsbereich der Männer fielen. Die Isländersagas berichten kaum etwas von friedlichem Familienleben, weswegen Frauengestalten nicht als charakterlich distinkt wahrnehmbare Figuren geschildert werden, sondern nur mit wenigen typischen Merkmalen, wie zum Beispiel „schön“ und „ratgebend“, ausgestattet sind.
Häufig taucht das literarische Motiv und künstlerische Stilmittel der Warnungen und Ahnungen auf, welche von Frauengestalten in Bezug auf ihre nahen männlichen Verwandten vorgebracht werden. Diese Ahnungen erfüllen sich später meistens, was die Schicksalshaftigkeit der Begebenheit betont und so auf ein unausweichliches Ende hindeutet.
Nachdem die Funktion der finalen Motivierung erfüllt ist, ist die warnende Frau nicht mehr von Bedeutung und wird nicht wieder erwähnt.
3.2 Seherinnen
Die Abgrenzung von Seherinnen, Zauberinnen und Priesterinnen ist schwierig, da sie sowohl in den Sagas an sich nicht immer klar voneinander getrennt sind, als auch in der Forschungsliteratur oft gemeinsam behandelt werden.
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1 Uecker, Heiko 2004: Geschichte der altnordischen Literatur. Stuttgart., S. 114.