Die Handlungsvorschläge zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in Niedersachsen sind ein guter Ansatz an dem sich Niedersachsen orientieren kann. Jedoch sieht die Wirklichkeit der Umsetzung mit dem Schwerpunkt Bildung aktuell ganz anders aus. Niedersachsen spricht zwar von Inklusion, trifft aber bisher keine geeigneten Maßnahmen ein inklusives Bildungssystem aufzubauen. Inklusion ist jedoch kein Sparmodell und erfordert höchste pädagogische Kompetenz.
Aufgrund der Tatsache werden in der Hausarbeit einige kritische Hinterfragungen und Herausforderungen zur Umsetzung der BRK aufgegriffen und vorgestellt.
Inhaltsverzeichnis
1. Zum Begriff „Inklusion“
1.1. Was bedeutet „ Inklusion“?
2. Die Behindertenrechtskonvention
2.1. Inkrafttreten, Inhalte und Ziele
3. Die Behindertenrechtskonvention in Niedersachsen
3.1. Die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in Niedersachsen
3.2. Die Wirklichkeit sieht anders aus
3.3. Herausforderungen
4. Fazit
5. Quellenverzeichnis
1. Zum Begriff „Inklusion“
1.1. Was bedeutet „ Inklusion“?
„Inklusion bedeutet Einbeziehung, Einschluss, Einbeschlossenheit, Dazugehörigkeit. Die Idee der Inklusion besteht darin, dass kein Kind oder Schüler mehr als andersartig angesehen werden soll. Alle Kinder sind förderbedürftig.“[1]
Aus der Ansicht nach Hinz und Boban ist Inklusion als „Veränderung und einen nicht endenden Prozess von gesteigertem Lernen und zunehmender Teilhabe aller SchülerInnen“ zu beschreiben.[2] Des Weiteren bedeutet Inklusion in den Bereichen Bildung und Erziehung „die gleiche Wertschätzung aller SchülerInnen und MitarbeiterInnen, die Steigerung der Teilhabe aller SchülerInnen an […] Kultur, Unterrichtsgegenständen und Gemeinschaft ihrer Schule, […] den Abbau von Barrieren für Lernen und Teilhabe aller Schülerinnen […], die Sichtweise, dass Unterschiede zwischen den SchülerInnen Chancen für das gemeinsame Lernen sind und nicht Probleme, die es zu überwinden gilt, […] das Recht auf wohnortnahe Bildung und Erziehung […].“[3]
Inklusion ist weniger ein pädagogisches Konstrukt, als ein elementares gesellschaftliches Anliegen, welches einen Perspektivwechsel anstrebt.[4] Inklusion soll systematisches Handeln fokussieren und individualisierte Förderung in den Gesamtrahmen öffentlicher und organisatorischer Ressourcen kennzeichnen. Menschen mit Behinderungen sollen außerdem als Bürger gesehen werden, welche nicht in erster Linie im Lichte des „Behindertseins“ gesehen werden. Sie fordert auch die Teilhabe in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen und verabschiedet sich von der Zwei-Gruppen-Theorie (behindert/nicht-behindert). Jeder Mensch mit Behinderung soll als eigenständige Persönlichkeit mit eigenen Kompetenzen und Lebensperspektiven ernst genommen und wertgeschätzt werden.[5]
Darüber hinaus ist Inklusion ein dialogisch angelegtes prozesshaftes Geschehen. Der Inklusionsprozess weißt sich als einen niemals endenden Vorgang auf, um die Teilhabe aller Menschen an sozialen Gemeinschaften zu steigern und individuell oder kollektiv erlebte Barrieren zu verringern.[6]
Das Ziel der Inklusion ist, verschiedene Ausmaße von Heterogenität in einer einzigen unteilbaren Gruppe zusammenzuführen. Die Leitidee aus der Inklusionspädagogik könnte demnach wie folgt heißen: Heterogenität ist Normalität. Für eine erfolgreiche Umsetzung dieser inklusiven Leitidee wären reflexive Entwicklungsprozesse von Institutionen und ein damit einhergehendes verändertes Selbstverständnis und Menschenbild von Bedeutung.[7]
Zu der Definition der Inklusion sind noch weitere Meinungen vorhanden, welche jedoch nicht mehr in der Hausarbeit aufgeführt werden.[8]
Um Inklusion besser verstehen zu können, sollte zwischen Integration und Inklusion unterschieden werden. Inklusion sowie Integration beschreiben eine Form des gesellschaftlichen Umgangs mit der Verschiedenheit der Menschen.
Mit dem Begriff Integration wird vorwiegend die sozial-und bildungspolitische Absicht ausgedrückt, Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft einzugliedern.[9] Während Integration nach der Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in die bestehende Gesellschaft strebt, will Inklusion die Veränderung bestehender Strukturen und Auffassungen dahingehend, dass die Unterschiedlichkeit der Menschen zur Normalität wird, erreichen. Integration meint, dass Menschen, die ausgegrenzt worden sind, wieder in die Gesellschaft hinein geholt werden, um dort gleichberechtigt zu leben. Inklusion vermeidet Ausgrenzung.
Andreas Hinz stellt die Integration der Inklusion in ihrer Praxis gegenüber.[10] Die Praxis der Integration bezeichnet er durch das Vorhandensein eines differenzierten Systems je nach Schädigung, einer Zwei-Gruppen Theorie und einem durch Experten gesteuerten individuumszentrierten Ansatz. Dagegen wäre die Praxis der Inklusion durch ein umfassendes System für alle gekennzeichnet. Sowohl gemeinsames als auch individuelles Leben und Lernen aller Kinder in einer allgemeinen Schule kennzeichnen die Inklusionspädagogik.
Inklusion als zentralen Grundgedanken haben der Index für Inklusion und die Behindertenrechtskonvention aufgenommen. Der Index für Inklusion will eine inklusive Schulentwicklung fördern und mit seinen dazugehörigen Materialsammlung (z.B. Fragebögen) den Weg zu einer „Schule für alle“ erleichtern. Er kann den Schulen dazu dienen, ein inklusives Leitbild zu entwickeln. Die Behindertenrechtskonvention wird im weiteren Hausarbeitstextverlauf noch näher betrachtet.
2. Die Behindertenrechtskonvention
2.1. Inkrafttreten, Inhalte und Ziele
„Alle Menschen haben Rechte. Menschen mit Behinderungen haben die gleichen Rechte wie alle anderen Menschen. Überall auf dieser Welt“[11]. Dieses Zitat soll die Kernbotschaft der UN-Behindertenrechtskonvention verdeutlichen.
Die Behindertenrechtskonvention, kurz genannt BRK, wurde am 13. Dezember 2006 in New York durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet.[12] An der Entstehung waren 192 UN-Mitgliedsstaaten beteiligt.[13] Die Generalversammlung beschloss im Jahr 2001, dass Vorschläge und ein internationales Übereinkommen zur Förderung und zum Schutz der Rechte von Behinderten entwickelt werden sollen. Demnach ist die Konvention der erste universelle Völkerrechtsvertrag, der den anerkannten Katalog der Menschenrechte, wie er im International Bill of Human Rights zum Ausdruck kommt, auf die Situation behinderter Menschen zuschneidet. Außerdem ist er das erste universelle Rechtsdokument, welches die bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte schützt.[14] Der Vertrag weist zwei Völkerrechtsverträge auf: das Übereinkommen mit 50 Artikeln und das Fakultativprotokoll mit 18 Artikeln.[15] Das Fakultativprotokoll enthält ein Individualbeschwerdeverfahren, mit dem sich Individuen oder Gruppen gegen erlebte Menschenrechtsverletzungen wehren können und darüber hinaus ein Untersuchungsverfahren für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen.
Die Konvention wurde in sechs offiziell anerkannten Sprachen verfasst (Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch).[16]
Die BRK ist für alle Träger öffentlicher Gewalt und für den Bund, die Länder und Kommunen völkerrechtlich verbindlich.[17] Die Umsetzung nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes liegt verstärkend in den Händen der Länder und Kommunen.
Der Vertrag setzt wichtige Impulse für weitere Entwicklungsprozesse mit der Intention der aktiven gesellschaftlichen Teilhabe aller Menschen mit Behinderungen.
Die vorhandenen acht Prinzipien der Behindertenrechtskonvention in Artikel 3 sollen die Grundgedanken für die Umsetzung auf den unterschiedlichen Handlungsebenen des Staates und die wahre Bedeutung des Übereinkommens aufzeigen sowie den Interpretationsrahmen der einzelnen normativen Bestimmungen abstecken. Das sind die folgenden acht Prinzipien: 1.Respekt vor der Würde und individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen, 2. Nichtdiskriminierung, 3. Volle und effektive Partizipation an der und Inklusion in die Gesellschaft, 4. Achtung vor der Differenz und Akzeptanz von Menschen mit Behinderungen als Teil der menschlichen Diversität und Humanität, 5. Chancengleichheit, 6. Barrierefreiheit, 7. Gleichheit zwischen Mann und Frau, 8. Respekt vor den sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern mit Behinderungen und Achtung ihres Wahrungsrechts ihrer Identität.[18]
Würde, Barrierefreiheit, Chancengleichheit, Inklusion, Selbstbestimmung, Empowerment und Partizipation sind die zentralen Leitbegriffe der Konvention. Marianne Schulze, freischaffende australisch-österreichische Menschenrechtskonsulentin in Wien, fasst diese in folgende Gruppen zusammen: 1. Generelle Bestimmungen, die der Anti-Diskriminierung dienen (z.B. Art. 5, Art. 7, Art. 9), 2. Personenschutzrechte, die die Rechte auf Leben, Freiheit von Folter, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung, Schutz der Person vor Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch garantieren (z.B. Art. 16), 3. Selbstbestimmungsrechte, die die Rechts- und Geschäftsfähigkeit von Menschen mit Behinderung schützen (z.B. Art 10), 4. Recht auf Barrierefreiheit und Partizipation, durch die Teilhabe in der Gesellschaft und den freien Zugang zur Justiz und Politik, 5. Freiheitsrechte wie das Recht auf Nationalität, persönliche Mobilität, das Recht von Eltern, ihr behindertes Kind zu versorgen und das Recht behinderter Eltern, für ihr Kind zu sorgen, 6. Wirtschaftliche und soziale Rechte, wie das Recht auf inklusive Bildung, Gesundheitsversorgung, Arbeit und adäquater sozialer Schutz.[19]
Grundlegend für die Konvention ist die Leitidee der Inklusion: Menschen mit Behinderung gehören von Anfang an mitten in die Gesellschaft. Ziel der Behindertenrechtskonvention ist die volle und gleichberechtigte Teilhabe an allen Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern, sowie Diskriminierungen zu beseitigen(vgl. Art. 1 VN-BRK). Die BRK ermöglicht, Menschenrechtsverletzungen, die behinderte Menschen erleben, als solche wahrzunehmen, statt sie als unvermeidliches individuelles Schicksal zu verharmlosen. Behinderung soll als kulturelle Bereicherung aufgefasst und nicht nur aus medizinischer oder sozialer Sicht betrachtet werden.
Des Weiteren stellen die Vertragsstaaten bei der Umsetzung der BRK sicher, dass „...Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben..“(Art. 24, 2b)[20].
[...]
[1] Vgl. Gewerkschaft, Erziehung und Wissenschaft über Inklusion, http://www.gew.de/Inklusion_3.html.
[2] Vgl. Ines Boban,Andreas Hinz: Index für Inklusion. Lernen und Teilhabe in der Schule der Vielfalt entwickeln, Halle, 2003, S.10.
[3] Vgl. ebenda, S. 10.
[4] Vgl. Stefan Kornherr: Inklusion als Utopie der Offenen Behindertenarbeit – Wandel von Integration zu Inklusion als Aufgabe des Sozialmanagements, Books on Demand GmbH, Norderstedt, S. 23.
[5] Vgl. Stephanie Stangier, Eva-Maria Thoms: Eine Schule für alle – Inklusion umsetzen in der Sekundarstufe, mittendrin e.V., Verlag an der Ruhr, Mühlheim an der Ruhr, 2012, S. 346.
[6] Vgl. Bettina Amrhein: Inklusion in der Sekundarstufe – eine empirische Analyse, Klinkhardt Verlag, 2011, S. 15.
[7] Vgl. Kristin Kunert: Integration? Inklusion? – Verschiedenheit der mit diesen Begriffen verbundenen Ziele und Forderungen, Studienarbeit, Grin Verlag, 1. Auflage, 2009. S. 8.
[8] Siehe z.B. Tony Booth, vgl. Buch: Inklusion in der Sekundarstufe – eine empirische Analyse; oder Schuchardt und Schablon, vgl. Integration? Inklusion? – Verschiedenheit der mit diesen Begriffen verbundenen Ziele und Forderungen etc. (in der Literatur sind auch weitere Definitionen zur Integration vorhanden).
[9] Vgl. Carolin Kulp: Inklusion nach der Behindertenrechtskonvention, Studienarbeit, Grin Verlag, 1. Auflage, 2010, S.5.
[10] Vgl. Andreas Hinz, Inklusion – mehr als nur ein neues Wort, 20.11.2007, http://www.gemeinsamleben-rheinlandpfalz.de/Hinz_Inklusion_.prf.
[11] Vgl. Daniela Gobat, Susanne Grebe-Deppe, Monika Nölting: Es ist normal verschieden zu sein. Handlungsvorschläge zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in den Kommunen in Niedersachsen, Februar 2011; Zitiert aus einem Referat von Bärbel Pieschke, Behindertenbeirat Aurich.
[12] Vgl. Prof. Dr. Theresia Degener: Welche legislativen Herausforderungen bestehen in Bezug auf die nationale Implementierung der UN-Behindertenrechtskonvention in Bund und Ländern,S.1 http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=1&ved=0CFMQFjAA&url=http%3A%2F%2Fwww.netzwerk-artikel-3.de%2Fdokumente%2Fdoc_download%2F40-legislative-herausforderungen-aus-der-brk&ei=7fgbUIHYJ8aRswaHwoGoBQ&usg=AFQjCNGcb8aViE1cMxwwa7cRkNyL8HKG0w.
[13] Vgl. Monika Schumann: Die „Behindertenrechtskonvention“ in Kraft! – Ein Meilenstein auf dem Weg zur inklusiven Bildung in Deutschland?!, In: Zeitschrift für Inklusion Nr.2, 2009, S. 2, http://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion/article/viewArticle/35/42#_edn11 ; vgl. Schulze, M.: Die Konvention: Ihre Notwendigkeit und ihre Möglichkeiten. In: Behinderte Menschen (2009), S. 21.
[14] Vgl. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.11.2010: Pädagogische und rechtliche Aspekte der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention – VN-BRK) in der schulischen Bildung, S. 2.
[15] Vgl. Prof. Dr. Theresia Degener: Welche legislativen Herausforderungen bestehen in Bezug auf die nationale Implementierung der UN-Behindertenrechtskonvention in Bund und Ländern, S. 2.
[16] Vgl. Monika Schumann: Die „Behindertenrechtskonvention“ in Kraft!, S. 2.
[17] Vgl. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.11.2010, S. 2.
[18] Vgl. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.11.2010, S. 2.
[19] Vgl. Monika Schuhmann: Die „Behindertenrechtskonvention“ in Kraft!, S.2 ; vgl. Schulze, M.: Die Konvention: Ihre Notwendigkeit und ihre Möglichkeiten. In: Behinderte Menschen (2009), S. 23.
[20] Vgl. Monika Schuhmann: Die „Behindertenrechtskonvention“ in Kraft!, S.2 ; vgl. Schulze, M.: Die Konvention: Ihre Notwendigkeit und ihre Möglichkeiten. In: Behinderte Menschen (2009), S. 4.