Dass in den Konzentrationslagern musiziert wurde oder generell Kunst betrieben wurde ist für uns heutzutage schwer oder kaum nachvollziehbar. Es stellt sich die Frage, was den Menschen in ihrem grausamen Alltag Musik bedeutet haben könnte. Konnte die Musik die Menschen von ihren äußeren Lebensumständen ablenken? War das Musizieren die Flucht in eine andere oder bessere Welt? Oder musizierten die Menschen überhaupt nicht aus freien Stücken, sondern wurden dazu gezwungen?
Die bedeutendste Frage, die sich im Zusammenhang mit den Musikfunktionen stellt, ist jedoch, ob die Musik der Inhaftierten eine Form des Widerstands gegen die Nazis darstellen konnte und wenn ja, um welche Formen es sich hierbei handelte.
Betrachtet man die Konzentrationslager im Allgemeinen, so stellt man schnell Unterschiede in der Häftlingsstruktur, wie auch in der Funktion der einzelnen Lager fest. Besonders deutlich werden diese Unterschiede, wenn man die beiden Lager Theresienstadt und Auschwitz vergleicht. Anhand dieser Unterschiedlichkeit können die Musikfunktionen an diesen Orten gut verglichen werden und augenscheinliche Differenzen, aber auch Gemeinsamkeiten in den Lagern festgestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Der Widerstandsbegriff
3. Musik als Komponente des Lageralltags
3.1 Verflechtung von Musik und Konzentrationslager
3.2 Praktizieren von Musik
4. Grundlegende Beschreibung der beiden Lager Theresienstadt und Auschwitz
4.1 Das Vernichtungslager Auschwitz
4.1.1 Musik im Konzentrationslager Auschwitz
4.1.2 Geschichte der Orchester im Konzentrationslager Auschwitz
4.1.3 Das Mädchenorchester in Auschwitz
4.1.4 Musik bei Appellen und Bestrafungen
4.1.5 Illegales Musizieren in Auschwitz
4.2 Das Ghettolager Theresienstadt
4.2.1 Funktion des Ghettolagers in Theresienstadt
4.2.2 Entwicklung des musikalischen Lebens in Theresienstadt
4.2.3 Opernaufführungen in Theresienstadt
4.2.4 Komponisten in Theresienstadt
4.2.5 Musik als Überlebenshilfe
5. Schlusswort
Literaturverzeichnis:
1. Einführung
„Kunst ist ein Stück Lebensgestaltung in dem Sinne, als sie wesentlich dazu beiträgt, die menschliche Persönlichkeit zu formen im Geiste humanistischer Ideale- ein Element der Lebensgestaltung, der Lebensförderung, der Lebensbestätigung im Dienste der Humanität... Kunst war Widerstand im tiefsten Sinne dieses Wortes, sie war Widerstand gegen den Untergang in die Barbarei.“[1]
Mit diesem Zitat von Wilhelm Girnus wird die Rolle der Kunst und folglich die Rolle der Musik in den faschistischen Konzentrationslagern beschrieben- nämlich Kunst als Widerstand gegen Grausamkeit, Unmenschlichkeit und Barbarei.[2]
Sechs Millionen Juden, Sinti und Roma, Kommunisten, Sozialisten, Homosexuelle und andere Menschen, die dem NS- Regime nicht 'lebenswert' schienen, wurden in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs umgebracht. Die KZ waren mit Sicherheit die grausamsten Orte, an denen Menschen des 20. Jahrhunderts lebten, sofern man überhaupt von 'leben' sprechen kann. Die meisten Menschen starben in den Konzentrationslagern, ohne eine Spur der Erinnerung zu hinterlassen. Einige dieser Wenigen, die es geschafft hatten, bis heute präsent zu bleiben, waren die Menschen, die im KZ musizierten. Denn die Musiker im KZ hatten die Möglichkeit, durch ihre in den Konzentrationslagern entstandenen Kompositionen für uns heute zu sprechen, während alle diejenigen Menschen, die diese schriftlich fixierbare Kunst nicht ausüben konnten, für immer verstummt sind.[3]
Dass an diesen grausamen Orten musiziert wurde oder generell Kunst betreiben wurde, ist für uns heutzutage schwer oder kaum nachvollziehbar. Es stellt sich die Frage, was den Menschen in ihrem grausamen Alltag Musik bedeutet haben könnte. Konnte die Musik die Menschen von ihren äußeren Lebensumständen ablenken? War das Musizieren die Flucht in eine andere oder bessere Welt? Oder musizierten die Menschen überhaupt nicht aus freien Stücken, sondern wurden dazu gezwungen? Die bedeutendste Frage, die sich im Zusammenhang mit den Musikfunktionen stellt, ist jedoch, ob die Musik der Inhaftierten eine Form des Widerstands gegen die Nazis darstellen konnte und wenn ja, um welche Formen es sich hierbei handelte.
Betrachtet man die Konzentrationslager im Allgemeinen, so stellt man schnell Unterschiede in der Häftlingsstruktur, wie auch in der Funktion der einzelnen Lager fest. Besonders deutlich werden diese Unterschiede, wenn man die beiden Lager Theresienstadt und Auschwitz vergleicht. Anhand dieser Unterschiedlichkeit können die Musikfunktionen an diesen Orten gut verglichen werden und augenscheinliche Differenzen, aber auch Gemeinsamkeiten in den Lagern festgestellt werden.
2. Der Widerstandsbegriff
Um herauszufinden, um welche Formen des Widerstands gegen die Nazis es sich handelte, muss zunächst der Begriff 'Widerstand' genau definiert und abgegrenzt werden. Eine allgemeine Definition dieses Begriffs ist sehr schwierig, denn auf der einen Seite kann man ihn eng sehen und darunter nur den aktiven Kampf gegen die Wachmannschaften verstehen. Auf der anderen Seite kann man ihn aber auch weit fassen und somit alles zusammenfassen, was gegen die Intention der Lagerführung geschah und geplant wurde.[4]
In einem von Wolfgang Benz verfassten Artikel heißt es diesbezüglich zunächst sehr allgemein: „Die Bezeichnung Widerstand fasst zunächst als Oberbegriff verschiedenartige Einstellungen, Haltungen und Handlungen zusammen, die gegen den Nationalsozialismus als Ideologie und praktische Herrschaft gerichtet waren.“[5] Unter diesem Oberbegriff sind also alle Möglichkeiten eines aktiven und passiven Widerstands zusammengefasst. Später konkretisiert der Autor diese Definition, indem er Widerstand auf Handlungen eingrenzt, die als „bewusste Anstrengungen zur Änderung der Verhältnisse“[6] interpretiert werden können. Diese Möglichkeit des Widerstands hatten die Inhaftierten des KZ allerdings nicht, da die Machtverhältnisse zu ungleich waren, um einen Putschversuch o. Ä. durchzuführen. Doch ein anderer vom Autor angeführter Aspekt dieses engen Widerstandbegriffs trifft auf die Gefangenen der Lager völlig zu: Nämlich die mit persönlichem Einsatz verbundene Gefährdung. Denn allein durch die Beliebigkeit, mit der die SS gegen die Inhaftierten vorging, konnte jedes Handeln, ob nun als Widerstand geplant oder nicht, strengste Konsequenzen nach sich ziehen.[7]
Eine Definition, die ausschließlich das aktive Handeln gegen die Nazis als Widerstand meint, ist dementsprechend zu eng gefasst. Wolfgang Benz sieht den Widerstand als die Steigerung der „Verweigerung (als persönliche Abwehr und Selbstbehauptung)“[8] an. Besonders der Begriff der Selbstbehauptung ist hierbei sehr bedeutend, da es Ziel der Lager war, die Menschen moralisch zu zerbrechen, ja physisch zu vernichten.[9] Somit muss meines Erachtens jede Handlung der Inhaftierten, die die Moral aufrichten und helfen konnte, das Leben zu bewahren, als Widerstand gegen das Regime in den KZ gewertet werden. Teilte beispielsweise jemand sein Brot mit einem, der noch stärker an Hunger litt als er selbst, half er ihm somit physisch und psychisch. Genauso ist das Musizieren als eine Form des Widerstands einzuordnen, wenn Musiker anderen mit Musik helfen konnten, dem Grauen des Lageralltags zu 'widerstehen' und neue Kraft und neuen Mut aufzubauen.
3. Musik als Komponente des Lageralltags
Bevor ich auf die Musik der beiden Lager Theresienstadt und Auschwitz eingehe, möchte ich zunächst einen allgemeinen Überblick über die Rolle und Funktion der Musik im KZ geben, denn erst dann kann man die Differenzen und Gemeinsamkeiten in den beiden oben genannten Lagern erkennen und verstehen.
3.1 Verflechtung von Musik und Konzentrationslager
Wenn man den Wegweiser am Schutzhaftlager Buchenwald betrachtet, kommt die fundamentale Verflechtung von Musik und Konzentrationslager ganz klar zum Ausdruck. Denn auf dem Weg zum Tor des „Schutzhaftlagers“ des KZ Buchenwald mussten die Häftlinge einen Wegweiser passieren, der das unverdächtige Motto trug „doch stets ein frohes Lied erklingt“. Dieses auf Anweisung der SS von Inhaftierten geschnitzte Holzschild bezeichnete den „Caracho-Weg“. Die darauf angebrachte Figurengruppe spurtender Häftlinge verwies darauf, dass diese gefürchtete Straße beim Ein- und Ausrücken oftmals singend zurückgelegt werden musste.[10] Damit zeigt sich, dass das Wunschdenken von Johann Gottfried Seumes Sinnspruch „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen kennen keine Lieder“[11], sich als Irrtum erweist. Mit solchen bei Appellen und beim Marschieren angeordneten Liedern verschönerte sich das Wachpersonal ihren mörderischen Arbeitsplatz, während es für die Inhaftierten das gefürchtete Lagerritual, den Weg singend und im Laufschritt zu passieren, symbolisierte. Dieses groteske Zeremoniell der musikalisch inszenierte Appelle, Ein- und Ausmärsche zeigte die 'absolute Macht' der SS, die somit nicht nur auf den physischen Zustand der Häftlinge zielte, sondern auch auf deren Geist und Kultur. Als subtiles Instrument der Verspottung, Disziplinierung, Demütigung und Maßregelung prägte das von der SS angeordneten Musizieren nachhaltig den Lageralltag jedes Häftlings.[12]
Die Gefangenen profitierten aber auch von dem von der SS angeordneten Musizieren: Sei es als Zuhörer bei Proben oder Konzerten oder als aktiver Musiker, da musikalische Ensembles einen 'Schonraum' für diese bedeuteten und von dort aus eigene Musikaktivitäten ausgingen. Die Musik konnte für die Inhaftierten im KZ neue Kraft und neuen Mut bedeuten und ihren Glauben an die Zivilisation und Moral retten, also zum Symbol des Mensch-Seins unter unmenschlichen Bedingungen werden.
Trotzdem kann man die Musik nicht nur auf ihre positive Wirkung reduzieren. Denn trotz aller Phantasie und Kreativität konnte das Musizieren nichts an den Haftbedingungen ändern und diente unter den täglichen Torturen nur bedingt als Trost.[13]
Vielmehr spielte sich die Musik zwischen den Polen Herrschaftsinstrument der SS und Überlebensstrategie der Opfer ab. Somit steht die Musik für beide Seiten im KZ: Während sie für die Opfer ein Zeichen geistig- kulturellen Widerstands darstellte, missbrauchte sie die SS gezielt als Entwürdigungs-, Disziplinierungs- und Terrorinstrument.[14]
3.2 Praktizieren von Musik
Überwog anfangs das gemeinsame Singen von Liedern der Arbeiter- und Jugendbewegung, so erweiterte sich das Musikleben im Lager nach Beginn des Zweiten Weltkriegs um die Traditionen neu inhaftierter Gefangenengruppen, wie beispielsweise der Sinti und Roma.[15]
Musikalische Aktivitäten der Inhaftierten fanden nur dann heimlich statt, wenn sie in direkter Opposition zu den Tätern standen, beispielsweise anlässlich konspirativer Gedenkfeiern. Größere musikalische Veranstaltungen dagegen organisierten die Häftlinge mit Genehmigung und Zensur durch die Lagerleitung. In einigen Lagern fanden regelmäßig derartige Aufführungen statt, wie z.B. die „Bunten Abende“ in der Kinohalle des KZ Buchenwald mit Musik, Sketchen, Artistik, Karbarett- und Theatereinlagen von Häftlingsgruppen.[16] Von der SS wurden durchaus auch andere Musikdarbietungen gebilligt, sofern diese den Lagerbetrieb nicht einschränkten und ihre Autorität infrage stellten.
Ab der zweiten Hälfte des Krieges vergrößerte sich der Spielraum für Musikveranstaltungen, denn durch die zunehmende Gefangenenzahl wurde des Geschehen im KZ für die SS immer schwerer kontrollierbar. Des Weiteren wuchs der Einfluss des von der Lagerleitung eingesetzten Hilfspersonals, welches großen Einfluss auf ein organisiertes Kulturleben hatte. Dies erleichterte das selbstbestimmte Musizieren der Häftlinge, denn es war nun leichter möglich, Musikinstrumente zu beschaffen, Chöre und andere Instrumentalgruppen zu bilden, sowie öfters Konzerte, Gesangsabende oder Theateraufführungen zu geben.[17]
Die Besonderheit des Musizierens im Lager war die Verschiedenheit der Häftlinge. Menschen aus verschiedensten Ländern, mit unterschiedlichster Kultur und Religion machten zusammen Musik. Obwohl die meisten nicht dieselbe Sprache sprachen, war es ihnen trotzdem möglich, gemeinsam zu musizieren. Das Repertoire der Häftlinge war folglich von diesen internationalen Akteuren geprägt. Miroslav Hejtmar, ein Insasse im KZ Buchenwald, beschrieb die Wirkung dessen so: „Musik die als „rassisch unrein“ galt, war im Dritten Reich streng verboten und wurde im Konzentrationslager von einem so internationalen Publikum gespielt, wie es sich sonst nicht hätte zusammenfinden können. Und all diese Zuhörer verstanden, worum es ging. Die SS-Leute aber begriffen nichts.“[18] So findet man in den Lagern immer wieder Musikkulturen, denen das NS- Regime den Kampf angesagt hatte: Musik der Arbeiterbewegung, der Sinti und Roma, der Ostjuden, der slawischen Häftlinge, aber auch politisches Kabarett, Jazz oder klassisch unerwünschte Werke.[19]
Die Lieder, die in den Konzentrationslagern erklangen, waren meistens Lieder, die die Häftlinge schon vor ihrer Gefangenschaft gelernt hatten. Oft handelte es sich um einfache Gebrauchslyrik, bei der weniger das Ästhetische als das gemeinschaftliche Singen im Vordergrund stand.[20] Gesungen wurde meistens in Gruppen, einstimmig und unbegleitet, da dies kaum Aufsehen erregte und zu jedem Zeitpunkt und ohne Hilfsmittel ausführbar war. Unter den Lagerliedern, deren Anzahl in die Hunderte geht und die den Hauptteil der Lager- Kompositionen ausmachten, dominierten lagerspezifische Themen und Begriffe, wie die Lagerrealität, die bedrückende Haftsituation, der harte Lageralltag und die Ängste und Hoffnungen der Häftlinge. Demgegenüber ist aber kein übergreifender kompositorischer Lagerlied- Stil feststellbar. In den einzelnen Lagern orientierte man sich eher an populären Vorbildern oder an Liedtraditionen einzelner Häftlingsgruppen. Zudem waren die Lagersysteme, wie an den beiden Lagern Theresienstadt und Auschwitz im Folgenden gezeigt wird, jeweils spezifischen Bedingungen unterworfen. Dies betrifft unter andrem die äußeren Randbedingungen für kulturelle Häftlingsaktivitäten, die von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Lagerkategorie und der Funktion eines Lagers abhängig waren.[21]
[...]
[1] Peitzmeier, S. 3.
[2] Vgl. Peitzmeier, S. 3.
[3] Vgl. file:///C:/Users/Rebecca/AppData/Local/Temp/Fackler_Musik_KZ-2.pdf
[4] Vgl. Langbein, Nicht wie die Schafe zur Schlachtbank... , S. 57.
[5] Informationen zur politischen Bildung, Heft 243, S.8.
[6] Informationen zur politischen Bildung, Heft 243, S.8.
[7] Vgl. Langbein, Nicht wie die Schafe zur Schlachtbank..., S. 60.
[8] Informationen zur politischen Bildung, Heft 243, S.8.
[9] Vgl. Langbein, Nicht wie die Schafe zur Schlachtbank..., S. 57.
[10] Vgl. Fackler, Des Lagers Stimme, S.141.
[11] Fackler, Des Lagers Stimme, S.141.
[12] Vgl. http://www.aspm-samples.de/Samples6/fackler.pdf.
[13] Vgl. http://www.aspm-samples.de/Samples6/fackler.pdf.
[14] Vgl. http://www.aspm-samples.de/Samples6/fackler.pdf.
[15] Vgl. http://www.aspm-samples.de/Samples6/fackler.pdf.
[16] Vgl. http://www.aspm-samples.de/Samples6/fackler.pdf.
[17] Vgl. Fackler, Des Lagers Stimme, S.2.
[18] Hejtmar, Miroslav, Rhythmus hinter Drähten, S.252.
[19] Vgl. http://www.aspm-samples.de/Samples6/fackler.pdf.
[20] Vgl. http://www.aspm-samples.de/Samples6/fackler.pdf.
[21] Vgl. http://www.aspm-samples.de/Samples6/fackler.pdf.