In der vorliegenden Hausarbeit werden Georg Büchners fragmentarisches Drama „Woyzeck“, 1836 verfasst und erst 1879 in einer überarbeiteten Fassung veröffentlicht, vor dem Hintergrund der Wahnsinnsmerkmale, mit dem realen Fall Woyzeck verglichen.
Neben den gesellschaftlichen Problemen, die dieses Drama behandelt, ist besonders der Charakter des Franz Woyzeck faszinierend, der, trotz des brutalen Mordes an Marie, der Held dieser Tragödie bleibt. Schikaniert und getrieben durch sein Umfeld versucht Woyzeck, trotz seines außerordentlich schlechten physischen und psychischen Zustandes, das Beste aus seiner ausweglosen Situation zu machen. Schlussendlich kann er dem gesellschaftlichen Druck jedoch nicht mehr standhalten und wird durch seine Wahnvorstellungen zu dieser schrecklichen Tat getrieben.
Nach einer eingehenden Dramenanalyse, bezüglich des kulturhistorischen Hintergrundes, der Epochenzuordnung und einer Gattungsbestimmung werde ich einen kleinen Exkurs über den Wahnsinnsbegriff und der forensischen Psychiatrie Anfang des 19. Jahrhunderts verfassen, der als Grundlage für eine ausführliche Gegenüberstellung des historischen und des literarischen Woyzecks dienen soll. Dabei werde ich den Fokus, neben grundsätzlichen Parallelen, wie äußerlich Einflüsse seiner Umwelt und bekannte Charakterzüge, besonders auf die Anzeichen, Ausprägungen und Auswirkungen der Wahnsinnsmerkmale des historischen und literarischen Woyzeck eingehen.
Inhalt
1. Einführung
2.1 Georg Büchner & sein Werk
2.2 Dramenanalyse Woyzeck
2.3 Figurenkonstellation
2.4 Der Wahnsinnsbegriff Anfang des 19. Jahrhundert
2.5 Der historische & literarische Woyzeck – Ein Vergleich.
3. Schluss & Ausblick
4. Literaturverzeichnis
4.1 Quellen/Primärtexte
4.2 Verwendete Literatur
1. Einführung
In der vorliegenden Hausarbeit „Der Wahnsinn Anfang des 19. Jahrhunderts- Der historische & der literarische Woyzeck. Ein Vergleich.“ werde ich Georg Büchners fragmentarisches Drama „ Woyzeck “, 1836 verfasst und erst 1879 in einer überarbeiteten Fassung veröffentlicht, vor dem Hintergrund der Wahnsinnsmerkmale, mit dem realen Fall Woyzeck vergleichen.
Nachdem wir in dem Seminar „Wahnsinn: Geisteskrankheit im Drama“, anhand von ausgewählten Werken, wie Shakespears Macbeth oder Hamlet, wichtige Merkmale des Wahnsinns beziehungsweise der Geisteskrankheit thematisiert haben, bin ich nun sehr gespannt, welche Ergebnisse ich erzielen werde, wenn ich Georg Büchners Trauerspiel Woyzeck in diesen Analysekontext setze.
Neben den gesellschaftlichen Problem, die dieses Drama behandelt, fasziniert mich besonders der Charakter des Franz Woyzeck, der, trotz des brutalen Mordes an Marie, der Held dieser Tragödie bleibt. Schikaniert und getrieben durch sein Umfeld, versucht Woyzeck, trotz seines außerordentlich schlechten physischen und psychischen Zustandes, das Beste aus seiner ausweglosen Situation zu machen. Schlussendlich kann er dem gesellschaftlichen Druck jedoch nicht mehr standhalten und wird durch seine Wahnvorstellungen zu dieser schrecklichen Tat getrieben.
Nach einer eingehenden Dramenanalyse, bezüglich des kulturhistorischen Hintergrundes, der Epochenzuordnung und einer Gattungsbestimmung werde ich einen kleinen Exkurs über den Wahnsinnsbegriff und der forensischen Psychiatrie Anfang des 19. Jahrhunderts verfassen, der als Grundlage für eine ausführliche Gegenüberstellung des historischen und des literarischen Woyzecks dienen soll. Dabei werde ich den Fokus, neben grundsätzlichen Parallelen, wie äußerlich Einflüsse seiner Umwelt und bekannte Charakterzüge, besonders auf die Anzeichen, Ausprägungen und Auswirkungen der Wahnsinnsmerkmale des historischen und literarischen Woyzeck eingehen.
2. Hauptteil
2.1 Georg Büchner & sein Werk
„[D]er früh verstorbene Darmstädter Bürgersohn Büchner; der sein Leben lang wütend gegen die philiströse bürgerliche Gesellschaft anrennende Zyniker und der sein Herz für die Ärmsten im besten Sinne ´verschwendende` Mediziner und Naturwissenschaftler; der Nihilist, dem noch sein Sterben in der lippischen Provinz zum Skandal geriet, und der Revolutionär, den eine große Trauergemeinde im Züricher Exil zu Grabe trug; der Extremist des Theaters und der Avantgardist der Dramenkunst.“[1]
Georg Büchner; seinerzeit ein Unbekannterer, wurde erst nach seinem viel zu frühen Tod zu einem der prägendsten Dichter, Revolutionäre und Wissenschaftler der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.[2]
Büchner erblickte am 17. Oktober 1813 in Goddelau, südwestlich von Darmstadt, das Licht der Welt. Seine Herkunft und sein Elternhaus haben sowohl Büchners Leben als auch seine Werke geprägt. Beide Elternteile stammen aus Familien, die der oberen Gesellschaftsschicht angehören, sodass Büchner sich über die Vor- und Nachteile dieser sozialen Klasse im Klaren war.[3]
Nachdem seine Schulzeit, in der er „bemerkenswerte[ ] rhetorische[ ] Leistungen“[4] vorweisen konnte, 1831 endet, beginnt er das Medizinstudium in Straßburg. Die Wahl des Studienortes geht auf den Wunsch des Vaters zurück, der sowohl aus persönlichen als auch fachlichen Gründen die Stadt Straßburg für seinen Sohn bevorzugte. Während des Studiums beschäftigte sich Büchner hauptsächlich mit Zoologie oder vergleichender Anatomie, aber auch Fächer wie Physik, Chemie, Physiologie und Pharmakologie gehörten in seinen Lehrplan.[5] 1933 schreibt er sich schließlich an der Medizinischen Fakultät der Großherzoglichen-Hessischen Landes-Universität Gießen ein und währenddessen engagiert sich Büchner in oppositionellen Vereinen und schreibt diverse kritische Texte, darunter wohl auch der Bekannteste Der Hessische Landbote.[6] Die im Studium erworbenen fachlichen Kenntnisse dienen als ein medizinisches Fundament, auf dem ein Teil der Handlung des Trauerspiels Woyzeck aufbaut.
Im Oktober 1836 reist Büchner schließlich als politischer Flüchtling nach Zürich, arbeitet weiter an seinen Werken Leonce und Lena und Woyzeck und hält als Privatdozent Vorlesungen über Vergleichende Anatomie. Erst, in den darauffolgenden Jahren, nach seinem Tod, am 19. Februar 1837, werden Büchners Werke, wie Leonce und Lena, Lenz und Woyzeck veröffentlicht.[7]
Für sein Trauerspiel Woyzeck dienen Büchner hauptsächlich die zwei gerichtsmedizinischen Gutachten des Dr. Johann Christian Clarus, Gutachten über den Gemütszustand des Inquisiten Johann Christian Woyzeck (1821) und Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck, nach Grundsätzen der Staatsarzeneikunde aktenmäßig erwiesen (1824) als Inspirationsquelle. Zwei weitere Mordfälle dieser Zeit, der Fall Schmolling aus dem Jahr 1817 und der Fall Dieß aus dem Jahr 1830, werden ebenfalls als Vorlage herangezogen, doch bei genauerer Betrachtung der Details, fehlt in beiden Fällen das Eifersuchtsmotiv, was die Tat des, sowohl historischen als auch literarischen, Woyzecks gewissermaßen prägt.[8]
Den ersten Kontakt mit dem Fall Johann Christian Woyzeck hatte Georg Büchner wohl väterlicherseits, da sein Vater für die Erlangener Zeitschrift zwei Medizinabhandlungen verfasst hat und Büchner dadurch die beiden Gutachten des Hofrats Clarus, die als Hauptquelle für sein Trauerspiel dienen, kannte. Zusätzlich kannte Büchners Vater Johann Christian Woyzeck aus einem holländischen Regiment, in dem er 1806/07 als Sanitätsgehilfe gedient hat, was in der Familie bestimmt nicht unerwähnt blieb.[9]
Die Kombination aus seinem medizinischen Fachwissen und dem Ärgernis über die gesellschaftlichen Strukturen und die forensische Psychiatrie des beginnenden 19. Jahrhunderts, inspirieren Georg Büchner zum Verfassen des ersten bürgerlichen Trauerspiels, das sich mit den Menschen und ihren Leiden der untersten Gesellschaftsschicht befasst.
2.2 Dramenanalyse Woyzeck
Das Drama Woyzeck ist ein „bürgerliches Trauerspiel“[10], 1836 verfasst, des, im darauf folgenden Jahr, mit nur 23 Jahren, verstorbenen Georg Büchners. Veröffentlicht wurde dieses Werk jedoch erst Jahrzehnte später; 1978 unter dem Titel Wozzeck. Ein Trauerspiel-Fragment von Georg Büchner in dem neu gegründeten Journal Mehr Licht! Eine deutsche Wochenschrift für Literatur und Kunst, ediert von Karl Emil Franzos. Dieser hat es geschafft, Woyzeck einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, trotz einer großen Diskussion darüber, ob und in wie weit er die Schriften Büchners mit seinen eigenen Ideen modifiziert hat.[11]
Die Uraufführung fand am 8. November 1913 im Residenztheater in München unter der Regie von Eugen Kilian statt und noch bis heute gilt Woyzeck als das weltweit meist gespielte deutsche Theaterstück.[12]
„Kein anderer dramatischer Text der deutschen Literatur hat zu so unterschiedlichen editionsphilologischen – und damit verbunden interpretatorischen – Ergebnissen geführt wie Büchners Woyzeck, kein Stück ist in so unterschiedlichen Fassungen verbreitet.“[13] Dies liegt daran, dass dieses Drama ohne Titel, ohne festgelegte Szenenfolge, bestehend aus vier Handschriftenentwürfen und einem fehlenden Personenverzeichnis an die literarische Nachwelt überliefert wurde, sodass seine Unabschließbarkeit und Vieldeutigkeit dieses Dramenfragment prägen.[14]
Da es sich bei Woyzeck um ein fragmentarisches Drama handelt, fallen, aufgrund der vielen unterschiedlichen Überlieferungen, die Akte und Szenen im klassischen Sinne weg. Die daraus resultierenden zeitlichen und örtlichen Sprünge und die kleinen, die Haupthandlung umrahmenden, Nebenhandlungen sind Indiz für ein Drama offener Form. Zusätzlich fehlt Büchners Trauerspiel, auf Grund seiner fragmentarischen Herkunft, ein Epilog, sodass es zusammenhangslos mit der Szene „ Freies Feld. Die Stadt in der Ferne.“ beginnt, was ebenfalls prägnant für die offene Form des Dramas ist.
Die Gattungsfrage dieses Werkes ist relativ schnell beantwortet, da es sich hierbei ganz klar um ein Trauerspiel handelt. Trotzdem erfüllt dieses Werk nicht die normativen Richtlinien einer klassischen Tragödie, da ein Mensch der untersten Gesellschaftsschicht, als Protagonist, im Fokus dieses Dramas steht, während die höhere, gebildete Schicht in einem sehr schlechten Licht dasteht. Somit bestimmt das Verhalten der Unterschicht die Wertmaßstäbe dieser Tragödie, was im scharfen Widerspruch zu den bisherigen Dramenkonzeptionen steht.[15]
„Hier sei nur auf ein allgemeines bedeutendes literaturhistorisches Phänomen in Büchners dichterischen Werken hingewiesen, das auf eine bewußte Abkehr von der normativen Gattungspoetik hindeutet: Sowohl Leonce und Lena als auch Woyzeck stellen Stoffe dar, welche nach der Poetik des 18. Jahrhunderts für die Gattung der Komödie bzw. der Tragödie ausdrücklich nicht zulässig sind.“[16]
Neben der Wahl des Inhalts ist auch die Sprache des Dramas, indem Büchner auf die standardisierte hohe Tragödiensprache verzichtet, revolutionär.[17]
Durch seine „neuartige Ausgestaltung unterschiedlicher Sprachebenen“[18] entsteht ein Variationsreichtum an Sprachstilen, die dieses Trauerspiel noch authentischer erscheinen lassen.
„Neben hochdeutschen Passagen finden sich mit verschiedenen Nuancen des Darmstädter Stadtdialekts bei Doktor und Hauptmann und des (nicht konsequent ausgeführten) Basisdialekts der unteren Schichten auch regionalsprachliche Varianten; dazu kommen noch das Radebrechen der Kirmesleute und jiddische Spuren in den Repliken des Krämers.“[19]
Die Abwendung der tragödienspezifischen Ästhetisierung von Sprache, dessen Merkmale eine ausgewählte Ausdrucksweise, Rhythmisierungen und rhetorischen Argumentationsstrategien sind, führt zur Hinwendung einer Sprache, die der dialogischen Wirklichkeit entspricht und mit der Büchner die gesellschaftlichen Differenzen zwischen Ober- und Unterschicht deutlich aufzeigt.[20] Dies wird an dem folgenden Dialog zwischen Woyzeck und dem Hauptmann deutlich, indem der Hauptmann, als Vertreter der Oberschicht, über einen ausgeprägten Wortschatz verfügt und Woyzeck dagegen nur einzelne, teilweise zusammenhangslose Begriffe in den Raum wirft.
„WOYZECK: Ja wohl, Herr Hauptmann.
HAUPTMANN: Woyzeck Er sieht immer so verhetzt aus. Ein guter Mensch thut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat. – Red´ Er doch was Woyzeck. Was ist heut für Wetter?
WOYZECK: Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm; Wind.
HAUPTMANN: Ich spür`s schon, s` ist so was Geschwindes draußen; so ein Wind macht mir den Effect wie eine Maus. (Pfiffig.) Ich glaub` wir haben so was aus Süd-Nord.
WOYZECK: Ja wohl, Herr Hauptmann.“[21]
Die Beantwortung der Frage nach einer bestimmten Epoche für Büchners Drama entpuppt sich als weitaus schwieriger. Während der 1930er Jahre befand sich die literarische Welt in einer Umbruchphase, hin und hergerissen zwischen der ästhetisierten Welt der Romantik und des Biedermeiers und den revolutionären Epochen des Vormärz und des Jungen Deutschland. Büchner wendet sich in seinem Trauerspiel Woyzeck ganz klar von dem, bisher die Literatur bestimmenden, Ästhetizismus ab und zeigt die Realität und die Probleme seiner Zeit auf ungeschönte Weise auf. Daher ist Büchners Werk eindeutig der literarischen Strömung des Vormärz beziehungsweise des Jungen Deutschland zuzuordnen, in der sich die Autoren, belastet durch neue Zensurgesetze und strebend nach einem vereinten und demokratischen Deutschland, kritisch mit den Gesellschaftsstrukturen in der Zeit vor der Märzrevolution 1848 auseinandersetzten. Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass den größten Einfluss auf Georg Büchners Werk, der reale, sowohl medizinisch als auch juristisch mangelhaft bearbeitete Mordfall des mittellosen Soldaten Johann Christian Woyzeck, der am 21. Juni 1821 seine Geliebte Johanna Christiane Woost erstach und am 27. August 1824 dafür öffentlich, auf dem Leipziger Marktplatz, hingerichtet wurde, ausübt.[22]
Sein Leben ist „ein Musterbeispiel für die ökonomische Deklassierung eines Handwerkgesellen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Lediglich die Mordkatastrophe machte Woyzeck zur spektakulären Variante eines kollektiven sozialen Schicksals.“[23]
[...]
[1] Eke, Norbert Otto: Einführung in die Literatur des Vormärz, S. 82.
[2] Hauschild, Jan-Christoph: Georg Büchner, S. 7.
[3] ebd., S. 11f.
[4] ebd., S. 25.
[5] Vgl.: ebd., S. 30ff.
[6] Vgl.: ebd., S. 174.
[7] Vgl.: ebd., S. 175.
[8] Vgl.: Issa, Hoda: Das Niederländische und die Autopsie, S. 104f.
[9] Vgl.: Hauschild, Jan-Christoph: Georg Büchner, S. 143 & 145.
[10] Neuhuber, Christian: Georg Büchner, S. 160.
[11] Vgl.: Martin, Ariane; Stauffer, Isabelle: Georg Büchner & das 19. Jahrhundert, S. 277ff.
[12] Vgl.: Neuhuber, Christian: Georg Büchner, S. 173f.
[13] ebd., S. 161.
[14] Vgl.: Martin, Ariane; Stauffer, Isabelle: Georg Büchner & das 19. Jahrhundert, S. 273.
[15] Vgl.: Issa, Hoda: Das Niederländische und die Autopsie, S. 28.
[16] ebd., S. 27.
[17] Vgl.: Hauschild, Jan-Christoph: Georg Büchner, S. 138.
[18] Neuhuber, Christian: Georg Büchner, S. 172.
[19] ebd., S. 172.
[20] Vgl.: ebd., S. 172.
[21] Büchner, Georg: Woyzeck, S. 10.
[22] Vgl.: Neuhuber, Christian: Georg Büchner, S. 145.
[23] Hauschild, Jan-Christoph: Georg Büchner, S. 138.