Diese Hausarbeit möchte einen knappen Überblick über den Künstlichen Menschen generell geben und anschließend herausarbeiten, welche Mittel Hoffmann einsetzt, um den Leser zu dem Irrglauben zu bewegen, es handle sich bei der Maschine um ein menschliches Wesen aus Fleisch und Blut. Dabei sollte angemerkt werden, dass sich hier keiner erzähltheoretischen Analyse bedient, die das Werk in seiner Gesamtheit abdeckt, sondern auf konkrete Textstellen bezüglich Olimpia bezogen wird. Der Autor verwendet dabei Originalzitate des „Sandmanns“ und orientiert sich an der Erzählanalyse nach Scheffel/Martínez.
Eine Maschine ist kein Mensch, ein Mensch keine Maschine. Gefühle, Intelligenz und der Wille, zu überleben, sind mitunter die Dinge, die uns zu einem Menschen machen und uns über andere Lebensformen stellen. Dies hat technischen Fortschritt, lange Lebenszeit und ein beinahe perfektes Zusammenleben zur Folge. Doch was, wenn ebendiese Veränderungen aus dem Ruder geraten würden und der Mensch nun nicht mehr Herr seines eigenen Fortschritts wäre? Die Angst, von der eigenen Technik überholt oder sogar dominiert zu werden, mag keine sehr begründete sein, doch sie ist in den meisten von uns tief verankert. Besonders das Schaffen künstlicher „Intelligenzen“, eingebettet in ein möglichst realistisches Abbild des Menschen, hat daher Literaten und Kunstschaffende seit jeher beschäftigt. So greift auch die 1816 erschienene Novelle der Sandmann von E. T. A. Hoffmann ebendieses Phänomen auf und spinnt um es eine verstörende Geschichte, in welcher die Grenzen zwischen Maschine und Mensch verschwimmen. Hoffmann kreierte mit Olimpia einen ikonischen Vertreter der Androiden, da diese künstliche Frau bis zum Schluss nicht wirklich als solche wahrgenommen wird.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Automat
2.1 Begriffserklärung
2.2 Geschichte
2.3 Auffassung
3. Olimpia
3.1 Die erste Begegnung
3.2 Der Blick durch das Fenster
3.3 Des Coppolas Perspektiv
3.4 Der Ball
3.5 Die Stimmen der Vernunft
3.6 Die Erkenntnis
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Eine Maschine ist kein Mensch, ein Mensch keine Maschine. Gefühle, Intelligenz und der Wille zu überleben sind mitunter die Dinge, die uns zu einem Menschen machen und uns über andere Lebensformen stellen. Dies hat technischen Fortschritt, lange Lebenszeit und ein beinahe perfektes Zusammenleben zur Folge.
Doch was wenn eben diese Veränderungen aus dem Ruder geraten würden und der Mensch nun nicht mehr Herr seines eigenen Fortschritts wäre? Die Angst, von der eigenen Technik überholt oder sogar dominiert zu werden, mag keine sehr begründete sein, doch sie ist in den meisten von uns tief verankert.
Besonders das Schaffen künstlicher „Intelligenzen“, eingebettet in ein möglichst realistisches Abbild des Menschen, hat daher Literaten und Kunstschaffende seit jeher beschäftigt. So greift auch die 1816 erschienene Novelle der Sandmann von E. T. A. Hoffmann eben dieses Phänomen auf und spinnt um es eine verstörende Geschichte, in welcher die Grenzen zwischen Maschine und Mensch verschwimmen. Hoffmann kreierte mit Olimpia einen ikonischen Vertreter der Androiden, da diese künstliche Frau bis zum Schluss nicht wirklich als solche wahrgenommen wird.
Im Folgenden möchte ich deshalb einen knappen Überblick über den Künstlichen Menschen generell geben und anschließend herausarbeiten, welche Mittel Hoffmann einsetzt, um den Leser zu dem Irrglauben zu bewegen, es handle sich bei der Maschine um ein menschliches Wesen aus Fleisch und Blut.
Dabei sollte angemerkt werden, dass ich keine erzähltheoretische Analyse vornehmen werde, die das Werk in seiner Gesamtheit abdeckt, sondern mich auf konkrete Textstellen bezüglich Olimpia beziehe. Ich verwende dabei Originalzitate des Sandmanns und orientiere mich an der Erzählanalyse nach Scheffel/Martínez.
2. Das Automat
2.1 Begriffserklärung
Die Begriffe „Automat“, „Androide“, „Roboter“ oder auch das Attribut „humanoid“ werden häufig als Synonyme verwendet, eine klare Abgrenzung wage ich im Rahmen der Arbeit deshalb nicht. Da E. T. A. Hoffmann selbst jedoch den Begriff des Automaten wählt, möchte ich einen möglichen Definitionsansatz zunächst auf diesen ausrichten.
Befragt man ein grundlegendes Lexikon, welches der Entstehungszeit der Novelle entstammt, so erhält man die folgende, recht simple Begriffserklärung:
„Maschinen, die sich selbst bewegen, [...] bey denen man von aussen nicht sehen kann, was solche in Bewegung sezt.“1
Hierbei wird bereits deutlich, dass lediglich eine Maschine bezeichnet wird, deren Antrieb sich dem Zuseher nicht offenbart. Jedoch fehlt ein Verweis auf menschlich anmutende Eigenschaften völlig, weswegen ich das bereits oben genannte Synonym des Androiden heranziehen werde, um die Definition um wichtige Aspekte zu erweitern. Der Begriff „Androide“ entstammt dem Griechischen und ist zusammengesetzt aus andr ó s (Mensch oder Mann) und e ĩ dos (Gestalt). Hier wird deutlich, dass ein Androide klar über seine äußerliche Ähnlichkeit zum Menschen definiert wird. Im Hinblick auf der Sandmann ist dieser Punkt essentiell, da der Verlauf der Erzählung zu großen Teilen auf der scheinbar verblüffenden „Echtheit“ Olimpias gründet. Wann immer ich also im Laufe der Arbeit den künstlichen Menschen zu thematisieren versuche, beziehe ich mich auf die heutige Bedeutung des Androiden.
2.2 Geschichte
Ihre Ursprünge haben die Automaten bereits in der Frühen Neuzeit, als der neu aufkommende platzsparende Federantrieb erstmals Möglichkeiten bietet, Technik in filigranen Körpern zu integrieren.2 Diese überraschend frühe Entwicklung ebnet der Androidentechnologie zwangsläufig den Weg für den Siegeszug, der im Grunde bis heute anhält. Ohne allzu sehr ins Detail zu gehen, sollte vor allem betont werden, wie signifikant die technische Weiterentwicklung im Bereich der Speicherung und Verarbeitung von Informationen3 in den darauffolgenden Jahrzehnten vorangeht, und dadurch immer komplexere Bewegungsabläufe ermöglicht werden.
Seither wird die Technologie stetig verbessert, überarbeitet und erweitert, und kommt vor allem in Musikautomaten zum Tragen, die musizierende Menschen auf detaillierte Weise imitieren können. Auch wenn der technische Fortschritt durchaus für wissenschaftlichen Ehrgeiz spricht, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass diese Maschinen vor allem zu Vorführungszwecken gebaut wurden.
2.3 Auffassung
Frank Wittig zitiert in seinem Werk Bernd Weyergraf, welcher Folgendes über Automaten sagt:
„Sie greifen nicht in das Leben ein, sie erklären es. Wesentlich kontemplativer Natur, sind sie eher Sinnbilder und Gegenstände eines spielerischen Weltumgangs. Noch fehlt ihnen jeder pejorative Beigeschmack, der sich später mit ihnen verbinden wird.“4
Es wird deutlich, dass Automaten zunächst keine eigenständige Rolle zugedacht wird, viel mehr sollen sie rein darstellend wirken. Der „pejorative Beigeschmack“ lässt sich hierbei klar mit den aufkommenden industriellen Arbeitsmaschinerien erklären, welche den Automaten eine eher negative Konnotation eingebracht haben.
Dennoch bleibt die Frage bestehen, wodurch der künstliche Mensch dann als ein schauriges Element Einzug findet in die romantische Literatur, deren Auswirkungen noch immer aktuelle Vorstellungen von Horror maßgeblich beeinflussen.
Zunächst widme ich mich einem psychologischen Ansatz: dem Phänomen „Uncanny Valley“5 (dt. Akzeptanzlücke). Dieses Prinzip sagt aus, dass dem Unterbewusstsein Defizite im menschlichen Verhalten negativ auffallen, wenn diese von einem menschenähnlichen Objekt stammen. Hierbei werden die internen Erwartungen des Menschen und der visuelle Eindruck so durcheinandergewirbelt, dass keine klare Abgrenzung mehr möglich ist und dies so zu Unbehagen führt. Das ist beispielsweise der Grund, warum Animationsfilme auf einen vereinfachten Look setzen, um so mit ihren Charakteren keine „menschlichen“ Erwartungen erfüllen zu müssen. Dies würde zwar ein generelles Unbehagen gegenüber Androiden erklären, da jedoch Literatur nur bedingt auf visueller Ebene stattfindet, ist diese Antwort allein unzureichend.
Lange Zeit sind Maschinen ein Sinnbild für die menschlichen Funktionen und das Leben selbst, was sich beispielsweise an den Theorien des Mechanizismus von René Descartes erkennen lässt.6 Frank Wittig sieht die Antwort deshalb vor allem in dem sich langsam verändernden Menschenbild des 18. Jahrhunderts.7
Im Laufe ist 18. Jahrhunderts ist ein anderes Bewusstsein aufgekommen, welches vorsieht, sich stärker über Gefühle und seinen Geist8 - also nicht maschinelle, ungreifbare Dinge - zu definieren. Diese Verrückung des Weltbildes führt zu einer klaren Abgrenzung des Menschen vom Maschinellen und schafft somit Unbehagen vor dem „Unbekannten“. Romantiker, vor allem aber die Vertreter der Schwarzen Romantik, haben mit Vorliebe einen subtilen, nicht greifbaren Schrecken thematisiert, welcher sich vor allem in der Psyche des Menschen verorten lässt. Dass also genau dieses Befremden zur Maschine gerne aufgegriffen wird, überrascht nicht.
3. Olimpia
3.1 Die erste Begegnung
Der erste „Auftritt“ Olimpias - zugegebenermaßen ein sehr passiver - erfolgt im dritten der aneinandergereihten Briefe. Bereits aus dieser Situation ergeben sich einige erzähltheoretische Rahmenbedingungen, die vorweg festgehalten werden sollten.
Die Briefe stehen allesamt in einem intradiegetischen Verhältnis zur Rahmenhandlung des Sandmanns und sind deshalb wie Binnenerzählungen zu werten. Daraus ergibt sich, dass erzähltheoretische Ergebnisse, die sich zwar auf das Werk in seiner Gesamtheit beziehen, hier nur bedingt zu einer stimmigen Analyse führen können. Um jedoch näher auf die konkrete Textstelle eingehen zu können, führe ich zunächst den Beginn des folgenden Zitates an:
„Ein hohes, sehr schlank im reinsten Ebenmaß gewachsenes, herrlich gekleidetes Frauenzimmer saß im Zimmer vor einem kleinen Tisch, auf den sie beide Ärme, die Hände zusammengefaltet, gelegt hatte. Sie saß der Türe gegenüber, so, dass ich ihr engelschönes Gesicht ganz erblickte.“9
Betrachet man diese Stelle, so wird eine interne Fokalisierung deutlich. Schließlich ist es Nathanael selbst, der hier von seinen eigenen Erlebnissen berichtet, weswegen er nicht mehr berichten kann, als er selbst zu wissen glaubt. Dennoch scheue ich mich davor, ihn mit dem Erzähler gleichzusetzen, da sich durch die zeitliche Verschiebung zwischen Erlebtem und dem Niederschreiben des Briefes eine völlig neue Situation ergibt und man argumentieren könnte, dass Nathanael zu diesem späteren Zeitpunkt nicht mehr der „völlig Gleiche“ wäre. Nathanael gibt in dem Brief zwar zwangsläufig Gedanken preis, dennoch erkenne ich darin eher eine Erzählung von Ereignissen im dramatischen Modus, da sich eine sehr unmittelbare Distanz, oder anders ausgedrückt, Nähe zum Erzählten ergibt.
Auf inhaltlicher Ebene ist interessant, wie wenig Verdacht Nathanael zunächst zu schöpfen scheint. Im Haus seines Professors sieht er die junge Frau zum ersten Mal und kann sich ihrer Schönheit und Perfektion nicht vollends entziehen. Gerade die Tatsache, dass er einen Blick in ihr Gesicht wirft und sich dennoch nicht sofort bewusst wird, dass es sich bei dem Mädchen um eine Holzpuppe handelt, spricht entweder für die täuschend echte Verarbeitung oder schlichtweg für die Arglosigkeit des Studenten.
Der Leser wird bis zu dieser Textstelle lediglich mit den drei Briefen konfrontiert, eine distanziertere Erzählinstanz fehlt vorerst noch völlig, wodurch sich das bisherige Ausbleiben von Pessimismus gegenüber Nathanaels Glaubwürdigkeit erklären lässt. Erst in den darauffolgenden Sätzen spricht der Student einige Eigenarten an, die ihm Bezug auf Olimpia aufzufallen scheinen, wodurch auch die Leserschaft zum ersten Mal beginnt, die junge Frau mit anderen Augen zu sehen:
„Sie schien mich nicht zu bemerken, und überhaupt hatten ihre Augen etwas Starres, beinahe möchte ich sagen, keine Sehkraft, es war mir so, als schliefe sie mit offnen Augen. Mir wurde ganz unheimlich und deshalb schlich ich leise fort“10
Nathanael äußert hier erste Bedenken, die sich hauptsächlich über die Regungslosigkeit seines Gegenübers begründen, jedoch noch keinen Hinweis auf ihre wahre Natur geben. Interessant ist auch, dass hier bereits das Motiv der Augen zum Tragen kommt, welches sich durch die ganze Novelle zieht und bereits Vorlage für zahllose Abhandlungen ist. Da Olimpias Blick jedoch später einer der Hauptgründe ist, um die menschliche Wirkung auf Nathanael nachzuvollziehen, sollte der klare Kontrast festgehalten werden, der sich im Verlaufe des Werks aus ihrem leeren Blick und dem plötzlichen „Brennen“ später ergibt. Es offenbart sich dennoch ein Hinweis darauf, weshalb die Androidin zunächst durchaus menschlich wirkt:
„Nachher erfuhr ich, dass die Gestalt [...] Spalanzanis Tochter, Olimpia war, die er sonderbarer und schlechter Weise einsperrt [...] - Am Ende hat es eine Bewandtnis mit ihr, sie ist vielleicht blödsinnig oder sonst.“11
Hier wird Olimpia um einige weitere - äußerst menschliche - Komponenten erweitert. Zunächst versucht sich Nathanael Olimpias eigenartiges Verhalten und die Situation ihrer Abgeschiedenheit über geistige Defizite zu erklären. Dies lässt erneut deutlich werden, dass der Student in keiner Weise an ihrer Menschlichkeit zweifelt.
Der Leser erfährt hier auch zum ersten Mal einen Namen, der der starren „Person“ weiteres Leben einhaucht. Leblose Dinge erhalten in der Regel keine Vornamen, und wie man beispielsweise auch an Haustieren erkennt, soll eine Namensgebung eine ganz bewusste Verbundenheit darstellen.
[...]
1 J. Roth: Gemeinnütziges lexikon für leser aller klassen, besonders für unstudierte: Oder kurze und deutliche erklärung der, in mündlichen unterhaltungen und in schriftlichen aufsätzen gebräuchlichsten redensarten, ausdrücke und kunstworte, in alphabetischer ordnung, Halle 1807 , Seite 47.
2 vgl. Frank Wittig: Maschinenmenschen. Zur Geschichte eines literarischen Motivs im Kontext von Philosophie, Naturwissenschaft und Technik, Würzburg 1997, S.50.
3 vgl. Frank Wittig, Maschinenmenschen (Anm. 2), S. 51.
4 Bernd Weyergraf: Wozu Maschinen gut sind, [o. Ort] 1988, S. 64 zit. nach Frank Wittig, Maschinenmenschen, S. 53.
5 Dana Neumann: Uncanny Valley: Unheimliche Begegnungen der Roboterart (15.08.2015) URL: http://www.roboterwelt.de/magazin/uncanny-valley-unheimliche-begegnungen-der-roboterart/ (Stand: 22.10.2016).
6 Richard Watson: Cartesianism (o. J.), URL: https://www.britannica.com/topic/Cartesianism (Stand: 18.10.2016).
7 vgl. Frank Wittig, Maschinenmenschen, S. 54.
8 vgl. Frank Wittig, Maschinenmenschen, S. 54.
9 E. T. A. Hoffmann, Der Sandmann, Stuttgart 2015, S. 17.
10 E. T. A. Hoffmann, Sandmann (Anm. 9), S. 17.
11 ebd.