Die folgende Hausarbeit setzt sich mit dem alttestamentlichen Sintflutbericht auseinander. Im Fokus steht eine literarkritische Betrachtung, in welcher die priesterschriftliche und die jahwistischen Textebene herausgefiltert werden. Im Klartext bedeutet das, dass der Bericht auf Sachspannungen, Widersprüche, inhaltliche Wiederholungen und Redundanzen untersucht wird. Neben der Literarkritik wird eine theologische Interpretation des Sintfluttextes herbeigeführt.
INHALTSVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
2.1 INHALTLICHER KONTEXT
2.2 ENTSTEHUNG UND ZUSAMMENSETZUNG
2.2.1 Priesterschrift und Nicht-Priesterschrift
2.2.2 Zuordnung der Textschichten in der Sintfluterz ä hlung
3 LITERARKRITIK
3.1 ZIEL DER LITERARKRITIK
3.2 DURCHFÜHRUNG
3.2.1 Sachspannungen
3.2.2 Terminologie
3.2.3 Wiederaufnahmen
3.3 ERGEBNIS
4 GESAMTAUSSAGE DER SINTFLUTPERIKOPE
5 FAZIT
6 LITERATURVERZEICHNIS
1 Einleitung
Den nachfolgenden Untersuchungen zu Gen 6,5-9,171 muss die Feststellung vorangestellt werden, dass bei allen Studien zu biblischen Texten eine zentrale Problemstellung aufkommt: Die Bibel liefert kein authentisches Quellenmaterial zur Frühzeit der jüdischen Religion. Vielmehr ist sie das Resultat eines jahrhundertlangen Auswahl- und Kanonisierungsprozesses durch mehrere Autoren.2 Vor diesem Hintergrund muss auch die Sintfluterzählung3 betrachtet werden, welche Thema dieser Hausarbeit ist.
Einen wichtigen Grundstein für die religionswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Sintflut lieferten Hupfeld (1853), Schrader (1863) und Nöldeke (1869)4, als sie belegten, dass der Genesisbericht aus zwei Textschichten besteht.5 Andere Wissenschaftler konzentrieren sich in ihrer Forschung auf die Textgenese des Genesisberichtes aus dem mesopotamischen Gedankengut. Zu nennen sind hier vor allem die sumerische Fluterzählung, das Atramchasis- Epos und das Gilgamesch-Epos. Die bekannteste Überlieferung ist wohl das Gilgamesch- Epos. Der Assyriologe George Smith konnte 1872 vor der Society of Biblical Archaeology in London einige Parallelen zwischen der mesopotamischen Flutüberlieferung des Gilgamesch- Epos und der alttestamentlichen nachweisen.6 Man kann also davon ausgehen, dass die Art der Beschreibung der biblischen Sintflut von solchen Überlieferungen inspiriert wurde. Der allgemeine Tenor ist heute jedoch, dass es trotz einiger Anspielungen und Reminiszenzen kein zwingendes Abhängigkeitsverhältnis zu den babylonischen Mythen gibt.7 Aus diesem Grund konzentriert sich meine Hausarbeit auch nicht auf den Vergleich mit anderen Erzählungen, sondern auf die angesprochene Auseinandersetzung mit zwei verschiedenen Textschichten.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, eine vermittelnde Position einzunehmen und anhand einiger wichtiger Stellen aufzuzeigen, dass die Sintflutperikope aus zwei anhand ihrer sprachlichen Heterogenität differenzierbaren Textebenen besteht. Darüber hinaus soll eine theologische Deutung des Textes vorgenommen werden.
Die Arbeit gliedert sich exklusive Einleitung und Fazit, in drei Abschnitte. Der erste Teil widmet sich der Darstellung der theoretischen Grundlagen. Diese sollen dem Leser dabei helfen, in die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Text hineinzufinden. Im Fokus des zweiten Kapitels steht die literarkritische Methode, welche den Text hauptsächlich auf seiner Sprachebene betrachtet. Daran schließt sich eine Interpretation der Gesamtaussage an. Im Folgenden werden zunächst die theoretischen Grundlagen betrachtet, die zum Verständnis und zu Durchführung der geplanten methodischen Vorgehensweise notwendig sind.
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Inhaltlicher Kontext
Der übergeordnete Erzählstrang in der Genesis handelt von der Entstehung des Volkes Israel sowie der Bildung seiner religiösen Identität.8 Der Strang kann in drei Epochen eingeteilt werden.9 Teil eins widmet sich der „Urgeschichte der Welt“ (Kap. 1-9). In dieser befindet sich die Sintflutperikope. Daran schließt sich die Anfangsgeschichte Israels und seiner Nachbarvölker an. (Kap. 10-36). Im dritten Teil wird die Josefsgeschichte in das Zentrum gerückt (Kap. 37-47) und episodisch die völkerweise Rückkehr Israels nach Ägypten skizziert (Kap. 37-50).10 Relevant für diese Hausarbeit ist die Urgeschichte, welche ebenfalls in drei übergeordnete Abschnitte eingeteilt werden kann.11 Im ersten Abschnitt wird der Mensch geschaffen und bekommt die Option auf ein paradiesisches Leben in Aussicht gestellt. Trotz der guten Ausgangslage folgen Konflikt und Vergehen seitens der Menschen, weswegen Gott interveniert. Die Erdenbewohner müssen fortan unter schwierigeren Lebensumständen leben (Gen 1-3). Der zweite Abschnitt hat die Genealogien respektive die Nachkommen Adams zum Thema (Gen 4-5). Der dritte Teil handelt von der Sintflut sowie der Verheißung der Menschheit und der Tiere. Im Zentrum steht Noach, dem in dem globalen „Großereignis“ eine Schlüsselrolle zukommt (Gen 6-9).
Inhaltlich zusammengefasst passiert in der Erzählung Folgendes: (1) die bevorstehende Katastrophe wird durch Gott Noach offenbart; (2) Noach wird durch Gott angewiesen, eine riesige Arche zu bauen, um das Leben auf der Erde zu erhalten; (3) die physikalischen Ursachen der Flut werden beschrieben; (4) es werden genaue Angaben bezüglich der Dauer 8 Erich Zenger: Die Bücher der Tora/des Pentateuchs, in: Einleitung in das Alte Testament, hg. v. Erich Zenger u. a., 7., durchges. Aufl., Stuttgart 2008, S. 60-185, hier: S. 63. der Flut gemacht; (5) während der Flut findet Noach eine Anlegestelle für die Arche; (6) die Flut klingt ab; (7) Noach und seine Söhne erhalten von Gott einen besonderen Segen nach der Katastrophe; (8) es gibt einen neuen Bund zwischen Gott und Mensch, der symbolisch durch einen erscheinenden Regenbogen verdeutlicht wird.
2.2 Entstehung und Zusammensetzung
2.2.1 Priesterschrift und Nicht-Priesterschrift
Größtenteils ist man sich heute darüber einig, dass die Genesis mindestens aus zwei Quellschichten besteht. Zumeist spricht die Literatur von der Priesterschrift (P) und dem Jahwisten (J). Die ältere Schicht, J, wird meist in die Zeit vom 10 Jh. an bis in die Exilszeit eingeordnet, während P in die exilisch-spätexilische Zeit des späten 6. Jh. v. Chr. datiert wird.12 Prof. Dr. Ludwig Schmidt vertritt in seinem Kommentar die Position, wonach P eine selbstständige Einheit sei, die im Zusammenhang gelesen werden müsse.13 Dafür spricht, dass P hinsichtlich ihrer literarischen Geschlossenheit vollständiger überliefert ist.14 Schmidt ist der Ansicht, dass die P- Konzeption durch den Einbau der vorpriesterlichen Schicht J erweitert wurde.15 Einen antagonistischen Standpunkt vertritt Jacob Benno: „Als das größte Hindernis eines richtigen Verständnisses ist die sogenannte Quellenscheidung im Pentateuch zu betrachten“16. Benno kommt zum Schluss, dass das Pentateuch im Allgemeinen und die Genesis im Speziellen vielmehr als einheitliches Werk zu verstehen und lesen ist.17 Demnach würde keine Trennung zwischen zwei Ebenen erfolgen.
In der Literatur gibt es zahlreiche unterschiedliche Meinungen bezüglich der Benennung der Schichten, ihrer Datierung oder der Zusammensetzung des Textes generell. Eine allgemeingültige Exegese oder einen verbindlichen wissenschaftlichen Standpunkt gibt es nicht.18 Diese Hausarbeit geht von zwei Textschichten aus und betrachtet den Bibeltext auch von diesem Standpunkt aus. Nachfolgend werden unterschiedliche Zuordnungsversionen der zwei Textschichten in Gen 6,5-9,17 vorgestellt, welche einerseits die Unterschiede bei der Textbetrachtung deutlich machen, andererseits jedoch exemplarisch für die Kontinuität in der Forschung sind.
2.2.2 Zuordnung der Textschichten in der Sintfluterzählung
Schrader, der Erste, der sich mit der Quellenscheidung im Pentateuch auseinandersetzte, vertritt die Ansicht, dass sich im Sintflutbericht verschiedenartige Bestandteile wiederfinden, die sich auf die unterschiedlichen Gottesbezeichnungen (Elohim und Jahve) zurückführen lassen.19 Priesterschriftliche Textabschnitte, die die Bezeichnung „Elohim“ enthalten, erhalten von ihm die Bezeichnung „Annalistischer Erzähler“. Den Verfasser von J bezeichnet er als „Prophetischen Erzähler“.20 Die in jüngster Zeit erschienenen Studien von Bosshard- Nepustil knüpfen indirekt an solche Forschungsergebnisse wie jene von Schrader an. Bosshard-Nepustil kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass der gesamte Text aus mehreren Schichten bestehen muss. Er spricht jedoch nicht von einem annalistischen und prophetischen Erzähler, sondern verwendet die heute üblichen Bezeichnungen Priesterschrift und Jahwist. Er merkt jedoch an, dass die jahwistische Textebene P als eine redaktionelle Ergänzung gedient haben muss, welche die Priesterschrift erweiterte.21 J ist demnach die Grundschicht. Nicht genauer bestimmbare Passagen beschreibt der Autor als spätere Ergänzungen.22
Die nachfolgende Darstellung ist eine Konklusion von Ergebnissen der beiden Forscher. Schrader und Bosshard-Nepustil untersuchen jeden Vers und ordnen ihn einer bestimmten Textschicht zu. Zum besseren Verständnis für den Leser wird sowohl in der Darstellung, als auch im weiteren Verlauf der Arbeit, auf eine einheitliche Bezeichnung der Schichten J und P geachtet. Die Kleinbuchstaben a und b, die hinter manchen Versangaben stehen, weisen darauf hin, dass entweder der erste Teil des Verses (also a) oder der Zweite (also b) an dieser Stelle betrachtet wird:
(Schrader 186323 )
Der Textschicht J angehörig: 6,5-8; 7,1-5.10.13.16b.17.23; 8,2b-3a.6-12.13b.20-22
Der Textschicht P angehörig: 6,9-22; 7,6.7-9.11.13-16a.18-21.22; 8,1.2a.3b-5.13a.14-19; 9,1-17
(Bosshard-Nepustil 200524 )
Der Textschicht J angehörig: 6,5-8; 7,1-5.10.12.16b-17a.22-23; 8,2b-3a.6-12.13b.20-22 Der Textschicht P angehörig: 6,9-22; 7,6.11.13-16a.17b-21.24-8,1a; 8,1.2a.3b-5.13a.14-19; 9,1-17
Nicht genauer identifizierbare Ergänzungen: 7,7-9; 8,1b
Die Unterschiede habe ich durch Fett-Schrift hervorgehoben. Zunächst einmal wird hier deutlich, dass die Gemeinsamkeiten in der Zuordnung deutlich überwiegen. Unterschiede sind jedoch vorhanden. Vers 7,13 ist bei Schrader J angehörig, während Bossshard-Nepustil ihn der Priesterschrift zuschreibt. Während die in Vers 7 befindlichen Absätze 7-9 nach Schrader zur Priesterschrift gehören, verfolgt Bosshard-Nepustil den Standpunkt das diese Absätze weder J noch P zugeordnet werden können. Er ist generell etwas feingliedriger. Vers 7,17 unterteilt Bosshard-Nepustil in Teil a und Teil b. Er ordnet a J zu sowie b P. Das gleiche gilt für Vers 8,1. Schrader geht von davon aus, dass 8,1 komplett P zugordnet wird, während Bosshard-Nepustil wieder zwischen 8,1a und 8,1b unterscheidet. 8,1b ist laut seiner Studien nicht genau identifizierbar.
3 Literarkritik
3.1 Ziel der Literarkritik
Die Literarkritik wird als Werkzeug für die historisch-kritische Bibelexegese angewendet. Der Text wird dabei insbesondere im Hinblick auf seine zu unterscheidenden Quellen betrachtet. Das Ziel der Methode ist, divergente Textschichten voneinander zu trennen, um infolgedessen zu einem besseren Verständnis für den Gesamttext zu gelangen.25 Durch den Vorgang können aus den einzelnen Schichtbestandteilen kohärente Schichten zusammengestellt werden. Wie dergleichen aussehen kann, wurde beispielhaft im vorangegangenen Kapitel in der Darstellung zu Schrader und Bosshard-Nepustil, gezeigt. Die Beispiele stellen jedoch bereits das Endergebnis dar. Die Literarkritik wird nun eingesetzt, um
[...]
1 Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung, hg. im Auftrag der Bischöfe Deutschlands u.a., Stuttgart 1980.
2 Vgl. Oda Wischmeyer: Kanon und Hermeneutik in Zeiten der Dekonstruktion, in: Auf dem Weg zur neutestamentlichen Hermeneutik. Oda Wischmeyer zum 70. Geburtstag, hg. v. Eva-Marie Becker, Stefan Scholz, Tübingen 2014, S. 13-70, hier: S. 37.
3 Zur etymologischen Bedeutung des Begriffs „Sintflut“ s. Jürgen Ebach: Noah: die Geschichte eines Überlebenden, Leipzig 2001 (Biblische Gestalten, Bd. 3), S. 12.
4 Bei weiterführendem Interesse vgl. Hermann Hupfeld: Die Quellen der Genesis und die Art ihrer Zusammensetzung, Berlin 1853; Theodor Nöldeke: Untersuchungen zur Kritik des Alten Testaments, Kiel 1869; Eberhard Schrader: Studien zur Kritik und Erklärung der biblischen Urgeschichte, Zürich 1863.
5 Vgl. Erich Bosshard-Nepustil: Vor uns die Sintflut: Studien zu Text, Kontexten und Rezeption der Fluterzählung Genesis 6-9, Stuttgart 2005, S. 11.
6 Vgl. Paul Kübel: Metamorphosen der Paradieserzählung, Göttingen 2007, S. 169; zum Nachschlagen s. George Smith: Chaldean Account of Genesis 1876.
7 Vgl. Bosshard-Nepustil: Studien, S. 11.
8 Erich Zenger: Die Bücher der Tora/des Pentateuchs, in: Einleitung in das Alte Testament, hg. v. Erich Zenger u. a., 7., durchges. Aufl., Stuttgart 2008, S. 60-185, hier: S. 63.
9 Vgl. Martin Arneth: Durch Adams Fall ist ganz Verderb. Studien zur Entstehung der alttestamentlichen Urgeschichte, Göttingen 2007, S. 22-83.
10 Vgl. Zenger: Die Bücher, S. 63.
11 Vgl. Markus Witte: Die Biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologiegeschichtliche Beobachtungen zu Genesis 1,1- 11,26, in: Beihefte zur Zeitschrift für alttestamentliche Wissenschaft 265 (1998), S. 119 ff.
12 Vgl. Bosshard-Nepustil: Studien, S. 11.
13 Vgl. Ludwig Schmidt: Studien zur Priesterschrift, in: ZAW 214 (1993), S. 34.
14 Vgl. Erhard Blum: Studien zur Komposition des Pentateuchs, Berlin 1990, S. 282.
15 Vgl. Schmidt: Studien, S. 34.
16 Jacob Benno: Das erste Buch der Tora. Genesis übersetzt und erklärt, Berlin 2000, S. 9.
17 Vgl. Benno: Genesis, S. 9.
18 Vgl. Arneth: Durch Adams Fall, S. 43; Bosshard-Nepustil: Studien, S. 62.
19 Vgl. Norbert Clemens Baumgart: Sintflut/ Sintfluterzählung (2005), https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das- bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/sintflut-sintfluterzaehlung/ch/ccec5a2cd4f616ccc2ffd63eb2f69540/#h11 [eingesehen am 15.9.2016].
20 Vgl. Schrader: Studien, S. 274 f.
21 Vgl. Bosshard-Nepustil: Studien, S. 53.
22 Vgl. Bosshard-Nepustil: Studien, S. 106.
23 Modifiziert entnommen aus Baumgart: Sintflut/ Sintfluterzählung (2005).
24 Modifiziert entnommen aus Baumgart: Sintflut/ Sintfluterzählung (2005).
25 Vgl. Jutta Krispenz: Die doppelte Frage nach Heterogenität und Homogenität: Die Literarkritik, in: Lesarten der Bibel. Untersuchungen zu einer Theorie der Exegese des Alten Testaments, hg. v. Helmut Utzschneider u. Erhard Blum, Stuttgart 2006, S. 215- 250, hier: S. 215 f.