„…andererseits besteht die dringende Notwendigkeit, über das Andere zu reden, denn wer aus Angst, dem Fremden Gewalt anzutun, schweigt, der übt Gewalt aus durch Mißachtung.“
In diesem Zitat Jochen Dubiels wird deutlich, wie wichtig die Beschäftigung mit dem europäischen Kolonialismus in der deutschen Gegenwartsliteratur ist. Dieses viel zu lange vergessene Thema wird eingeleitet durch Uwe Timms Roman Morenga (1978), der das Thema Afrika in der deutschsprachigen Literatur revolutionieren und eben diesen Teil der europäischen Geschichte ins Gedächtnis zurückrufen soll. Eine neue Perspektive soll geschaffen werden, weg von exotistischen Phantasien, Unterdrückung und Rassismus. Es geht vielmehr um eine Aufarbeitung, Auseinandersetzung und neue Sichtweisen.
Neben Uwe Timm, der den ersten Schritt einer Veränderung wagt, beschäftigen sich viele weitere namhafte Autoren mit dieser Neuvermessung der Kolonialgeschichte in der deutschen Literatur, beispielsweise Felicitas Hoppe, Hans Christoph Buch, Christof Hamann und Alex Capus. In der vorliegenden Arbeit soll vor allem Capus' Roman Munzinger Pascha (1997) untersucht werden, der die Geschichte des aus Olten stammenden Werner Munzinger mit der fiktiven Gegenwartshandlung um den Journalisten Max Mohn verbindet. Vergleicht man die Vielzahl an Werken zu eben diesem Thema, dann wird schnell deutlich, welche unterschiedlichen Herangehensweisen es hier gibt. Alex Capus tut dies auf seine eigene, teilweise humoristische Art und schafft auf authentische Weise und in besonderer Erzählform ein Werk, das in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung und Wirksamkeit ist. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Neue Historische Afrika-Roman - Entdeckungsreisen auf zwei Ebenen
2.1 Zwei Ebenen - Funktion und Wirkung
3. Alex Capus' Munzinger Pascha
3.1 Die zwei Ebenen der Entdeckungsreise
3.2 Das Berichten über die eigene Reiseerfahrung
3.3 Die Art zu reisen
4. Die zwei Ebenen der Wahrnehmung
4.1 Erlebnisse am Schreibtisch
4.2 Das Erleben des Fremden
5. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
„ Die Reise gibt dem Helden und seinem Autoren maximale Ellbogenfreiheit, sonst nichts. Das ist zwar viel, aber auch schon alles. “
(Alex Capus)1
1. Einleitung
„…andererseits besteht die dringende Notwendigkeit, über das Andere zu reden, denn wer aus Angst, dem Fremden Gewalt anzutun, schweigt, der übt Gewalt aus durch Mißachtung.“2
In diesem Zitat Jochen Dubiels wird deutlich, wie wichtig die Beschäftigung mit dem europäischen Kolonialismus in der deutschen Gegenwartsliteratur ist. Dieses viel zu lange vergessene Thema wird eingeleitet durch Uwe Timms Roman Morenga (1978), der das Thema Afrika in der deutschsprachigen Literatur revolutionieren und eben diesen Teil der europäischen Geschichte ins Gedächtnis zurückrufen soll. Eine neue Perspektive soll geschaffen werden, weg von exotistischen Phantasien, Unterdrückung und Rassismus. Es geht vielmehr um eine Aufarbeitung, Auseinandersetzung und neue Sichtweisen.
Neben Uwe Timm, der den ersten Schritt einer Veränderung wagt, beschäftigen sich viele weitere namhafte Autoren mit dieser Neuvermessung der Kolonialgeschichte in der deutschen Literatur, beispielsweise Felicitas Hoppe, Hans Christoph Buch, Christof Hamann und Alex Capus. In der vorliegenden Arbeit soll vor allem Capus' Roman Munzinger Pascha (1997) untersucht werden, der die Geschichte des aus Olten stammenden Werner Munzinger mit der fiktiven Gegenwartshandlung um den Journalisten Max Mohn verbindet. Vergleicht man die Vielzahl an Werken zu eben diesem Thema, dann wird schnell deutlich, welche unterschiedlichen Herangehensweisen es hier gibt. Alex Capus tut dies auf seine eigene, teilweise humoristische Art und schafft auf authentische Weise und in besonderer Erzählform ein Werk, das in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung und Wirksamkeit ist.
In der vorliegenden Arbeit soll, um den Rahmen nicht zu sprengen, der Fokus auf der Literarisierung von Entdeckungsreisen liegen, mit besonderer Aufmerksamkeit auf die Erzählstruktur auf mehreren Ebenen. In diesem Zusammenhang soll zunächst ein Überblick zum neuen historischen Afrika-Roman geboten werden, zu seiner Entstehung, Entwicklung, zu den besonderen Merkmalen und den wichtigsten Werken.
Dabei soll speziell auf Werke eingegangen werden, die eine Verbindung von gegenwärtiger und historischer Geschichte schaffen. Welche Funktion diese Erzählweise hat und welche Wirkung eben diese Autoren damit erzielen möchten, das soll ebenfalls im zweiten Kapitel gezeigt werden.
Im dritten Kapitel soll dann genauer auf Alex Capus' Munzinger Pascha eingegangen werden. Dabei sind zunächst die zwei Ebenen der Entdeckungsreise von Bedeutung. Es soll untersucht werden, wie Capus die beiden Geschichten miteinander verbindet.
Hierzu gibt es zunächst einen kurzen historischen Rückblick zum Thema Entdeckungsreisen und der dazugehörigen Berichterstattung. Anhand von Capus' Munzinger Pascha sollen dann die Berichte der Reiseerfahrungen von Werner Munzinger und Max Mohn verglichen werden und es soll festgestellt werden, ob sich die Art über eine Entdeckungsreise zu berichten, unterscheidet. Außerdem wird in diesem Kapitel die Art zu reisen untersucht, sprich Dauer der Reise und Art der Fortbewegung und wie sich diese Aspekte im Laufe der Zeit verändert haben. Dies soll eine detaillierte Untersuchung des Textes hervorbringen.
In Kapitel vier soll die Wahrnehmung des Erlebten und des Fremden analysiert werden, wobei in einem ersten Punkt vor allem Lese- und Schreibszenen wichtig sein werden. Capus durchzieht seinen Roman mit Abschnitten, die an Schreibtischen stattfinden. Eine Analyse dieser Szenen soll zeigen, welche Wirkung er damit erzielen möchte und inwiefern eine Entdeckungsreise im Schreibtischgebiet möglich ist. In einem weiteren Schritt soll dann das tatsächliche Erleben des Fremden untersucht werden. Hierbei ist vor allem wichtig, wie sowohl Werner Munzinger, als auch Max Mohn sich in der fremden Welt verhalten, was sie darüber denken und ob sie in Kontakt mit Einheimischen kommen. In diesem Zusammenhang wird zudem von Bedeutung sein, ob eine persönliche Entwicklung oder Veränderung der beiden zu erkennen ist und wie die beiden in umgekehrter Form auf die Einheimischen wirken, wie diese auf sie reagieren und ob die Einheimischen in Capus' Roman überhaupt eine Stimme haben.
2. Der Neue Historische Afrika-Roman - Entdeckungsreisen auf zwei Ebenen
Im Umgang mit dem Thema Afrika in der deutschsprachigen Literatur, hat es im Laufe der Jahre einige Veränderungen gegeben. Während die „koloniale Begegnung“ Anfang des 19. Jahrhunderts noch „von Rassismus, Missachtung und Unterdrückung gekennzeichnet“ (Hofmann 2012:7) war, bricht diese Darstellung mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ab und es soll ein neues Afrikabild vermittelt werden. Autoren, die im späten 19. Jahrhundert beziehungsweise im frühen 20. Jahrhundert Romane zum Thema Afrika verfassen, wollen die Epoche des Kolonialismus neu aufleben lassen und so ein „detailliertes und kritisches Verständnis der kolonialen Welt“ (Göttsche: 2012: 173) in der europäischen Gesellschaft verankern. Für das gewachsene Interesse an diesem Thema nennt Göttsche3 drei Gründe: den „hundertsten Jahrestag des deutschen Kolonialkrieges in Namibia 2004 […] entsprechende Forschungen zur (Kultur-)Geschichte des deutschen Kolonialismus und die Rezeption der Postkolonialen Theorien4 in den Geschichts- und Kulturwissenschaften“ (Göttsche 2012: 173). Wie bereits erwähnt ist Uwe Timm mit seinem kritischen Roman Morenga (1978) der erste, der sich „mit der Niederschlagung des Aufstandes der Nama (´Hottentotten´) in Deutsch-Südwestafrika 1904-07 auseinandersetzt.“ (Göttsche 2012: 176). Er zeigt auf wie wirksam die Verbindung von dokumentarischem Material und Fiktion als Ideologiekritik sein kann. Damit schafft er einen „Übergang vom 'Dritte Welt'-Diskurs der 1960er Jahre5 zum Postkolonialismus-Diskurs seit den 1980er Jahren“ (Göttsche 2012: 177) und ist in diesem Zusammenhang auch ein wichtiger Vorreiter für das Projekt 'rereading and rewriting colonialsm',6 das eine literarische Vergegenwärtigung der Kolonialgeschichte hervorrufen soll, nicht nur durch eine neue Sichtweise, sondern auch durch neue Stimmen in der Literatur.
Die neuen Afrika-Romane zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie historisches Material und Fiktion miteinander verbinden, es geht also sowohl um das historische Verständnis, als auch um eine Abrechnung mit der Gegenwart. Eine Schwierigkeit hierbei ist es, tatsächlich eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Kolonialismus zu schaffen und eine „Remythisierung des Kolonialismus“ (Göttsche 2014: 357) zu vermeiden. Es soll keine Fortschreibung exotistischer Fantasien stattfinden, sondern eine „kritische Rekonstruktion“ (Göttsche 2014: 357).
Um diese beiden Ebenen miteinander zu verbinden, wird häufig mit Erinnerungen, Familiengeschichten oder historischen Dokumenten gearbeitet. Ein beliebtes Thema sind Entdeckungsreisen, da auf diese Weise zwei oder mehrere Geschichten auf unterschiedlichen Zeitebenen parallel stattfinden können und zudem die Möglichkeit besteht, die Ebenen bei Bedarf miteinander zu verbinden.
Dieser Technik bedient sich nicht nur Alex Capus, auch beispielsweise Hans Christoph Buch verwendet in seinem Roman Kain und Abel in Afrika (2001) zwei Ebenen, auf denen er „Kolonialgeschichte und afrikanische Zeitgeschichte miteinander verknüpft“ (Göttsche 2003: 278). In seinem Roman verarbeitet er durch fiktive Reportagen Vertreibung und Elend der Menschen im kongolesischen Bürgerkriegsgeschehen und auf historischer Ebene die Geschichte von Dr. Richard Kandt. Dadurch, dass der Erzähler sich selbst die Geschichte erzählt (Du-Form), schafft Buch die nötige „reflexive Distanz zum erlebenden Ich und beansprucht zugleich Intersubjektivität“ (Göttsche 2003: 279). Zwei Zeitebenen verwendet auch Manfred Gebert in Welwitschia mirabilis (2007), in dem sich ein Neffe in die Fußstapfen seines Urgroßvaters Gottlob Riebold begibt und nach Namibia reist. Auch eine Familiengeschichte und die Spurensuche eines Enkels findet sich in Wackwitz' Ein unsichtbares Land (2005). Ebenfalls zu erwähnen ist Monika Czernins Roman über die Kolonialschriftstellerin Frieda von Bülow „ Jenes herrliche Gefühl von Freiheit “ : Frieda von Bülow und die Sehnsucht nach Afrika (2008). In ihrem Roman zeichnet Monika Czernin das Portrait der Schriftstellerin aus ihrem Nachlass (Tagebücher, Berichte usw.) und zeigt damit, was für eine eigenwillige, widersprüchliche und gleichsam faszinierende Frau Frieda von Bülow war.
In Christoph Ransmayrs Roman Die Schrecken des Eises und der Finsternis (1984) gibt es ebenfalls zwei Ebenen, die dokumentarisches Material und Fiktion miteinander verbinden. In seinem Werk verarbeitet er Tagebucheinträge der von 1872 bis 1874 durchgeführten Arktisexpedition, die Carl Weyprecht und Julius Payer leiteten und verbindet dieses historische Material mit der fiktiven Gegenwartshandlung von Josef Mazzini, der ihren Spuren einhundert Jahre später nachreist. Mazzini verschwindet bei seiner Reise im Gletscher. Die Erzählstruktur bei Ransmayr ist sehr komplex und enthält mehrere Ebenen. Durch unterschiedliches dokumentarisches Material entstehen in seinem Werk unterschiedliche Perspektiven. Diese verbindet er damit, dass er zudem soziale und kulturelle Unterschiede im Text deutlich macht. Ransmayr erzählt also nicht nur eine Geschichte. Auf der Gegenwartsebene erzählt er, wie bereits erwähnt, die fiktive Geschichte von Josef Mazzini, der, begeistert von der Geschichte der Nordpolarexpedition, zum Nachfahren wird.7 Diese von Ransmayr verwendeten Erzählstrategien8 verlagern sich in den Romanen über koloniale Entdeckungsreisen auf den Schaupatz Afrika.
Hierzu gehört beispielsweise Christof Hamanns Roman Usambara (2007), in dem auf der „historischen Ebene die erfolgreiche Erstbesteigung des Kilimandscharo durch Hans Meyer, Ludwig Purtscheller und - bei Hamann - Leonhard Hagebucher im Jahr 1889 sowie einen früheren, gescheiterten Versuch, an dem an Stelle des Bergführers Purtscheller der Afrikaforscher Oscar Baumann beteiligt war.“ (Bay 2012: 118). Hagebucher, Sohn eines Gärtners, erzählt die Geschichte aus seiner Sicht. Er ist auf der Suche nach dem Usambara-Veilchen, was Konflikte auslöst und dazu beiträgt, dass die Geschichte teilweise grotesk wirkt. Auch in diesem Roman gibt es eine zweite Ebene, in der es um den Urenkel Hagebuchers, Fritz Binder, geht, der „zu einem Berglauf auf den Kilimandscharo aufbricht.“ (Bay 2012: 118), dem sogenannten „Kilimandscharo Benefit Run“, um so seinem Urgroßvater näherzukommen und seine Familiengeschichte aufzuarbeiten. Dieser Handlungsstrang wird aus seiner Sicht erzählt, wobei im Laufe des Romans deutlich wird, dass beide Erzählstränge aus seiner Sicht erzählt werden. Binder versucht sich „recherchierend, erinnernd und erzählend - von der Allgegenwärtigkeit der Urgroßvaterfigur zu emanzipieren“ (Catani 2009: 160).
Durch die familiäre Beziehung und Gedächtnis- und Erinnerungsarbeit9 und die Verstrickungen im Roman, wird er außerdem zu einer „deutlichen Spitze gegen neokoloniale Tendenzen der Gegenwart.“ (Bay 2012: 119). Leonhard Hagebucher ist hier eine fiktive Figur und wurde übernommen aus Wilhelm Raabes Abu Telfan oder Die Heimkehr vom Mondgebirge (1867). Da sein Name nicht in den aufgeführten historischen Dokumenten vorkommt, stellt sich zunächst die Frage, ob Hagebucher bei der Expedition überhaupt dabei war. Afrikanische Bewohner, die ebenfalls beteiligt waren, werden natürlich entweder in den Schatten gestellt und fungieren nur im Hintergrund oder werden eben gänzlich außer Acht gelassen und mit keinem Wort erwähnt.10
Die Figur Leonhard Hagebucher findet sich außerdem in Felicitas Hoppes Verbrecher und Versager (2004). Hoppe verwendet die historischen Fakten „weniger als Nacherzählung der Vergangenheit denn als Nachdenken über die Gegenwart“ (Catani 2009: 149). Durch eine mehrstimmige Rekonstruktion durch verschiedene Erzählerstimmen setzt sie die historischen Stimmen „in Bezug zur Gegenwart“ (Catani 2009: 149). In den fünf Porträts,11 um die es in Hoppes Werk geht, wird mit Fiktion und Fakten gespielt. Alles „gleitet ineinander über“ und es ist „nie ganz sicher zu unterscheiden zwischen realen und erfundenen Dokumenten, zwischen Mythos und Mystifikation.“ (Catani 2009: 151), die Geschichtsschreibung bei Felicitas Hoppe ist durchgehend unzuverlässig.
Einer der ersten Romane der deutschen Gegenwartsliteratur, der sich mit literarischen Entdeckungsreisen beschäftigt, ist Michael Roes' Rub' al-Khali. Leeres Viertel. Inventionüber das Spiel (1996). Hier verbindet auch er auf zwei Ebenen die Geschichte eines Ethnologen, ein junger Mann aus Berlin, der namenlos bleibt. Er reist in den Jemen, da er „die Bedeutung des Spiels im arabischen Kulturkreis“ (Dunker 2009: 203) erforschen möchte. Seine Tagebucheinträge, in denen er Erlebnisse und Ergebnisse seiner Forschung festhält, bilden einen Teil des Romans. Die zweite Ebene besteht aus Reiseberichten des Weimarer Puppentheaterdirektors Alois Schnittke,12 der eine Orient- Expedition begleitete. Auf der historischen Ebene ist eine Verbindung zu Goethe nicht zu übersehen: Schnittke stammt aus Weimar und seine Expedition findet in der Zeit um 1800 statt (Goethe-Zeit), außerdem ist er Puppenspieldirektor, was auf Goethes Tätigkeit als Leiter des Weimarer Hoftheaters (1791-1817) deutet und nicht zu vergessen ist, dass Goethe selbst ein Reisender und von fremden Kulturen begeistert war.13
Die beiden Ebenen nähern sich am Ende des Romans an, wenn Schnittke und der junge Ethnologe sich beide in völliger Isolation wiederfinden. Der Namenlose befindet sich in Gefangenschaft bei einem Beduinenstamm und träumt einen Fiebertraum, in dem er sich an den selben Plätzen wiederfindet, die auch Schnittke besucht hat. „Hier verschränken sich nicht nur die Zeitebenen miteinander, sondern auch Erlebtes und Gelesenen werden ineinander geführt, das nur Gelesene wird erlebt.“14 (Dunker 2009: 215).
2.1 Zwei Ebenen - Funktion und Wirkung
Fiktionale Erzählungen historischer Reiseberichte und Überschneidungen in Zeitebenen und Figurenkonstellationen finden sich also nicht nur bei Capus, viele weitere Autoren bedienen sich der zwei Zeitebenen. Damit soll die Möglichkeit geschaffen werden, zwischen zwei oder mehreren Personen eine parallel ablaufende Handlung geschehen zu lassen, die aber teilweise grenzüberschreitend stattfindet. Die Personen reisen in fremde Länder und das im „Gestern und Heute“ (Haman/Honold 2009: 14) Hierbei bedienen sich die Autoren einer wirkungsvollen Methode: sie nehmen „fiktive Protagonisten aus der Lebenswelt der europäischen Gegenwart“ (Haman/Honold 2009: 14), die sich einer Person und ihrer Reise in ein fremdes Land annähern sollen und somit ihre Nachfolger darstellen.
[...]
1 Capus 2009: 184.
2 Dubiel, Jochen: „Dialektik der postkolonialen Hybridität. Die intrakulturelle Überwindung des kolonialen Blicks in der Literatur. Bielefeld: Aisthesis 2007. 147.
3 Göttsche, Dirk: „Rekonstruktion und Remythisierung der kolonialen Welt. Neue historische Romane über den deutschen Kolonialismus in Afrika.“ Deutsch-afrikanische Diskurse in Geschichte und Gegenwart. Literatur- und Kulturwissenschaftliche Perspektiven. Hg. Michael Hofmann und Rita Morrien. Amsterdam, New York, 2012. 171-195.
4 Wichtige Vertreter sind zum Beispiel: Homi K. Bhabha, Edward Said und Franz Fanon.
5 Die europäische Linke beginnt sich „im Rahmen ihrer Ideologie- und Systemkritik am westlichen Kapitalismus und seinem 'Imperialismus' für die 'Dritte Welt' und ihre (Selbst-)Befreiung aus dem (Neo-)Kolonialismus zu interessieren“ (Göttsche 2003: 262).
6 Bill Ashcroft, Gareth Griffiths und Helen Tiffin: The Empire Writes Back. Theory and Practice in PostColonial Literatures. London-New York: Routledge 2. Aufl. 2002, S. 221.
7 Vgl. hierzu: Bay 2012: 115f.
8 „dokumentarisches Verfahren, polyphones Erzählen, Verzicht auf einen zentralen Protagonisten, Zugriff auf zusätzliche Archive, Einbeziehung fiktiver Figuren und Handlungsstränge, Verdoppelung oder Vervielfachung der Zeit- und Handlungsebenen, autopoetologische Reflexion und anderes mehr“ (Bay 2012: 117).
9 Vgl. hierzu: Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in früheren Hochkulturen, 5. Aufl., München 2005, S.76. oder: Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, 3. Aufl., München 2006, S. 133. Oder: Harald Welzer, Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung, München 2005, S.33.
10 Vgl. hierzu zu den Merkmalen des Genre Expeditionsbericht: Bay 2012: 109ff.
11 Georg Meister (!653-1713), Franz Josef Kampf (1759-1791), Franz Wilhelm Junghuhn (1809-1864), John Hagenbeck (1866-1940) und Leonhard Hagebucher (fiktive Person), siehe hierzu: Catani 2009: 147.
12 Der Reisebericht ist fiktiv und wurde von Michael Roes aus anderen Reiseberichten des 18. Und 19. Jahrhunderts erstellt. Dazu gehören unter anderem „Carsten Niebuhrs Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern (1774)“ und aus „Johann Ludwig Burckhardts Reisen nach Arabien (1830) und Eduard Glasers Reise nach Marib (1913)“ siehe hierzu: Dunker 2009: 204.
13 Man betrachte hierzu Goethes West-östlichen Divan oder Die italienische Reise.
14 Auch in Capus´ Munzinger Pascha finden viele Erlebnisse durch die Lektüre statt, vgl. hierzu Kapitel 4.1 dieser Arbeit. Die Plätze werden nicht besucht, aber die Lektüre historischer Dokumente lässt das Abenteuer zu.