Welche rechtlichen Gewährleistungen sprachlicher Vielfalt existieren in der heutigen Russischen Föderation? Genau diese Frage soll im Folgenden betrachtet werden. Die Basis dafür wird der Text „Legal protection of linguistic diversity in Russia: past and present“ aus dem „Journal of Multilingual and Multicultural Development“ bilden. Verfasst wurde dieser Beitrag von Iryna Ulasiuk und befasst sich genau mit der genannten Frage.
Meine Arbeit wird wie folgt aufgebaut: Den ersten Teil wird eine knappe Darstellung des ethnischen und sprachlichen Aufbaus der Russischen Föderation bilden. Grundlage hierfür soll der Russian Census 2010 bilden. Im Anschluss daran wird sich genauer mit der rechtlichen Gewährleistung sprachlicher Vielfalt befasst. Da es sich hierbei allerdings um ein recht breites Themengebiet handelt, wird sich hauptsächlich auf den Aufsatz von Ulasiuk konzentriert. Abgerundet wird das Ganze schließlich mit einem Fazit, in dem sich kritisch mit dem zuvor vorgestellten gesetzlichen Umgang auseinander gesetzt wird.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Ethnischer und sprachlicher Aufbau der Russischen Föderation
3. Rechtliche Gewährleistung sprachlicher Vielfalt
3.1. Verfassung
3.2. Europäisches Gesetz
3.3. Wichtige nationale Gesetze
3.3.1. Sprachengesetz
3.3.2. Gesetz zur national-kulturellen Autonomie (NCA-Gesetz)
3.3.3. Gesetz zur Staatssprache
3.3.4. Die Russische Sprache
3.3.5. Gesetz zur Bildung
3.3.6. Über die Grundlagen der Gesetzgebung der Russischen Föderation zur Kultur
3.3.7. Über allgemeine Grundsätze zur Organisation lokaler Selbstverwaltungen
3.3.8. Extra Regelungen für kleine einheimische Völker
4. Fazit
5. Quellenverzeichnis
5.1. Literaturverzeichnis
5.2. Internetverzeichnis
(ii) Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildungen:
Abbildung 1: Ethnische Russen und andere Ethnien (2002 vs. 2010) 3
Tabellen:
Tabelle 1: Größten Minderheiten
1. Einleitung
Das Gebiet der heutigen Russischen Föderation war schon immer ein multiethnischer Staat, in dem unzählige Titularnationen und Sprachen nebeneinander existieren. Die Ursache hierfür liegt tief verankert in der Geschichte des Landes, die geprägt ist von territorialer Ausdehnung und damit einhergehender Integrierung anderssprachiger Gebiete. Trotzdem ist auffallend, dass trotz der Tatsache, dass so viele unterschiedliche Ethnien in der Russischen Föderation ihr Zuhause finden, diese in der Vergangenheit sowohl politisch, als auch rechtlich weitgehend vernachlässigt, wenn nicht sogar unterdrückt, wurden. Zweifelsohne gab es Perioden, die sich durch eine Förderung der sogenannten Minderheiten auszeichneten, dennoch darf nicht vergessen werden, dass es sich hierbei im Großen und Ganzen um eine Art Schaufensterpolitik[1] gehandelt hat. Die Russische Sprache war schon immer ein wichtiges Werkzeug, wenn es darum ging, einzelne Ethnien zu integrieren. Besonders in den späten 1930er Jahren war das Ziel der damaligen Innenpolitik die Erzeugung einer stabilen Homogenität innerhalb der Bevölkerung, wodurch das Russische eine immer dominantere und bedeutendere Position erlangte und dadurch die Sprachen der Titularnationen um sich herum großräumig verdrängte. Da nun in der Regel jeder der russischen Sprache mächtig war und diese in den meisten Domänen seines Leben gebrauchen musste, konnte das Merkmal „Sprache“ nicht mehr als Identitätsmarker der einzelnen Ethnien verwendet werden. Es kann behauptet werden, dass eine oberflächliche Homogenität erfolgreich eingeführt wurde, sei es auch mit Gewalt und Repressionen.
Mit dem sukzessiven Zerfall der Sowjetunion sollte das Blatt sich allerdings wenden. Die Bevölkerung fing zunehmend an, nach einer gewissen Anerkennung und Akzeptanz zu streben. Unterstützend hierfür wirkten sich die politischen Umbrüche in Lande aus, die natürlich auch ihren Einfluss auf die Menschen in unmittelbarer Nähe hatten. Im Laufe der Zeit wurde erkannt, dass es sich bei Sprachen um ein Erbe handelt, das unbedingt erhalten werden muss. Besonders die Sprachen der Minderheiten sind fragile Strukturen, die jederzeit aussterben können, wenn sich nichts ändert. Um dies zu verhindern, musste ein neues System konstruiert und eine rechtliche Grundlage geschaffen werden, in der alle Nationalitäten und Sprachen einen sicheren Platz finden konnten. Doch welche rechtlichen Gewährleistungen sprachlicher Vielfalt existieren in der heutigen Russischen Föderation? Genau diese Frage soll im Folgenden betrachtet werden. Die Basis dafür wird der Text „Legal protection of linguistic diversity in Russia: past and present“ aus dem „Journal of Multilingual and Multicultural
Development“ bilden. Verfasst wurde dieser Betrag von Iryna Ulasiuk und befasst sich genau mit der genannten Frage.
Da Ulasiuks Artikel allerdings bereits vor fünf Jahren veröffentlich wurde, wird sich, falls nötig, um eine Aktualisierung der Informationen bemüht.
Meine Arbeit wird wie folgt aufgebaut: Den ersten Teil wird eine knappe Darstellung des ethnischen und sprachlichen Aufbaus der Russischen Föderation bilden. Grundlage hierfür soll der Russian Census 2010 bilden. Im Anschluss daran wird sich genauer mit der rechtlichen Gewährleistung sprachlicher Vielfalt befasst. Da es sich hierbei allerdings um ein recht breites Themengebiet handelt, wird sich hauptsächlich auf den Aufsatz von Ulasiuk konzentriert. Abgerundet wird das Ganze schließlich mit einem Fazit, in dem sich kritisch mit dem zuvor vorgestellten gesetzlichen Umgang auseinander gesetzt wird.
2. Ethnischer und sprachlicher Aufbau der Russischen Föderation
Dieser Paragraph dient dazu, einen groben Überblick über den doch komplexen ethnischen und sprachlichen Aufbau der Russischen Föderation zu schaffen. Hierfür wird sich auf den von Ulasiuk (2011) erwähnten All-Russia Census bezogen. Da es sich hierbei jedoch um die 2002[2] durchgeführte Volkszählung handelt, werde ich in meiner Vorstellung noch einen Blick auf den Zensus aus dem Jahre 2010 werfen, der sich allerdings nicht wirklich gravierend von dem vorherigen unterscheidet. Wichtig ist hier zu erwähnen, dass die Teilnehmer selbst entscheiden durften, welche ethnische Angehörigkeit sie besitzen. Dies bedeutet, dass sich Einwohner Russlands selbst als Russen bezeichnen können, auch wenn sie vielleicht einer anderen Nation abstammen. Man darf nicht vergessen, dass die Zugehörigkeit zu einer Nationalität oftmals eine persönliche Entscheidung und Einstellung ist und nichts mit Objektivität zu tun hat. Wahrscheinlich spielt die Geschichte Russlands hier eine ausschlaggebende Rolle. Wie zu Beginn bereits aufgeführt, waren die Einwohner dieses Landes in der Vergangenheit gezwungen, sich anzupassen und eine russische Identität anzunehmen. Im Extremfall ging dies so weit, dass die eigene Sprache und Kultur sogar abgelegt wurden. Dies führte dazu, dass die Folgegenerationen dementsprechend aufwuchsen und sich kurzerhand als russisch definierten.
Wie bereits erwähnt, hat Russland eine vielschichtige Charakteristik geerbt. Mehr als 150 unterschiedliche Sprachen existieren parallel nebeneinander, die nicht unbedingt aus ein und derselben Sprachfamilie stammen. Nicht ohne Grund wurde sich nach Zerfall der Sowjetunion in den 1990er Jahren bei der neuen Namensfindung des Staates darum bemüht, dieser Tatsache gerecht zu werden. Übersetzt man nämlich die Bezeichnung Российская Федерация wortwörtlich ins Deutsche, erkennt man, dass es sich genau genommen um eine Russländische Föderation handelt. Hierdurch werden auch nicht-russische Nationalitäten mit einbezogen und nicht ignoriert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Ethnische Russen und andere Ethnien (2002 vs. 2010)
Dem Zensus 2010 nach besitzt Russland rund 143 Mio. Einwohner. Von diesen Leuten haben knapp 81% angegeben, sie seien ethnische Russen. 19% dagegen gaben an, eine andere ethnische Herkunft zu besitzen. Dies mag auf den ersten Blick vielleicht nicht sonderlich dramatisch zu erscheinen, rechnet man diesen Wert allerdings auf die gesamte Einwohnerschaft um, bedeutet dies, dass mehr als 27 Mio. Einwohner Russlands einer Minderheit zugehörig sind. Abbildung 1 zeigt deutlich die bereits erwähnte Tatsache, dass während der 7 Jahre anscheinend keine allzu großen Veränderungen in der Aufteilung passiert sind. Die Teilung ist im Wesentlichen konstant geblieben. Vergleicht man die einzelnen Minderheitengruppen, stellt man schnell fest, dass es auch hier keine besonders auffälligen Sprünge gibt. Betrachtet man Tabelle 1, in der einige der größten Minderheitengruppen aufgeführt sind, wird dies bestätigt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Größten Minderheiten
Russland besteht zur heutigen Zeit aus 85 Föderationssubjekten, die sich u.a. in Republiken, Kreise oder Regionen einteilen lassen. Je nach Republik unterscheiden sich die Prozentsätze der ethnischen Russen. Auffallend ist, dass sogar in ethnisch definierten territorialen Einheiten, wie zum Beispiel der Republik Baschkortostan, die Titularnation nicht überwiegt. Ulasiuk (2011) hebt hervor, dass diese nur in sieben der 21 Republiken[3] die Mehrheit seien (vgl. ebd.: 74). Ein Beispiel hierfür ist u.a. die Republik Tatarstan, in der die ethnische Zusammensetzung aus ca. 53,2% Tataren, 39,7% Russen, 3,1% Tschuwaschen und 0,6% Udmurten besteht.
Die besten Bedingungen für eine langfristig gesicherte Existenz einer Sprache ist 1. eine kompakte Ansiedlung der Ethnie und 2. das Vorhandensein einer relativ großen Population. Die zahlreichen Sprachen, die auf die Russische Föderation verstreut sind, erfüllen diese Kriterien nicht. Daher muss festgestellt werden, dass die meisten Minderheitssprachen Russlands im Allgemeinen stark bis minderstark bedroht sind und einen besonderen Schutz fordern. Vor diesem Hintergrund wurde das Sprachproblem Russlands mit der Zeit zu einer wichtigen Fokussierung der Gesetzgebung, die im nächsten Kapitel genauer betrachtet werden soll.
3. Rechtliche Gewährleistung sprachlicher Vielfalt
Nachdem nun die zahlreichen ethnischen und sprachlichen Facetten der russländischen Bevölkerung grob dargestellt wurden, wird sich in diesem Kapitel mit dem eigentlichen Thema dieser Ausarbeitung befasst, und zwar der Sprachenpolitik Russlands nach Zerfall der Sowjetunion.
Mit Gorbatschows Konzepten der Perestroika (dt. Umgestaltung) und Glasnost (dt. Offenheit) fing der demokratische Prozess im Lande an. Plötzlich kamen zahlreiche Defizite zum Vorschein, darunter auch im Umgang mit den Minderheiten. Diese Defizite galten nun zu beheben, indem Reformen im Lande durchgeführt und neue rechtliche Grundgelagen geschaffen wurden. Einige dieser Grundlagen greift Ulasiuk (2011) in ihrer Arbeit auf, die nun im Folgenden vorgestellt werden sollen.
3.1. Verfassung
Am 13. Dezember 1993 wurde die Verfassung der Russischen Föderation verabschiedet. Auf diese Weise sollte eine komplette Trennung von der kommunistischen Diktatur signalisiert werden. Des Weiteren wurde eine neue sprachenpolitische Route eingeschlagen, um somit mit der Beseitigung der Defizite der Vergangenheit beginnen zu können. Diese neue Route lässt sich explizit in vier der knapp 140 Artikel wiederfinden. Hierbei handelt es sich um Artikel 19, 26, 29 und besonders um Artikel 68. Letzteres wurde komplett der Sprachensituation des Vielvölkerstaates gewidmet und bildet somit eine Art Basis für die Sprachenpolitik Russlands.
Die ersten drei Artikel (Artikel 19, 26, 29) sagen im Wesentlichen ähnliches aus. Genauer gesagt wird hier die Gleichheit aller festgelegt, egal welcher Ethnie man abstammt oder welche Sprache man spricht. Jeder genießt dieselben Bürgerrechte. Dies beinhaltet natürlich auch die Verwendung der Muttersprache, die jedem frei und nach ihren Wünschen zusteht und das Verbot des Propagierens und des Aufhetzens gegen eine bestimmte Ethnie. Niemand darf sich aufgrund seiner Zugehörigkeit überlegener fühlen.
Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei dem vierten relevanten Artikel um eine genau auf die Sprachsituation abgestimmte Regelung, die das gröbste in sich zusammenfasst und versucht zu regeln. Artikel 68 der Russländischen Verfassung legt fest, dass die russische Sprache Staatssprache der gesamten Russischen Föderation sein soll. Trotzdem wird den Republiken dieses Vielvölkerstaates die Erlaubnis erteilt, eine zusätzliche, eigene Staatssprache
[...]
[1] Die Leninsche Sprachen- und Nationalitätenpolitik der 1920er Jahre fällt u.a. in diese Kategorie. Einerseits wurde sich um eine Förderung, Gleichstellung und Standardisierung bemüht, andererseits existierten trotz alledem auch in dieser Zeit starke Unstimmigkeiten, Benachteiligungen und fragwürdige sprachpolitische Entscheidungen.
[2] Bei dieser Zählung handelt es sich um die erste Volkszählung nach Zerfall der Sowjetunion.
[3] Seit 2014 gibt es eine 22. Republik, nämlich die Autonome Republik Krim. Da Ulasiuks Artikel allerdings bereits 2011 veröffentlicht wurde, ist in meiner Arbeit die Rede von 21 Republiken.