Mit Amokläufen, Völkermorden, Terroranschlägen und unverschuldetem Leiden – zusammengefasst das Böse bzw. das Schlechte – ist scheinbar notwendig die Frage des „Warum?“ und „Woher?“ verbunden. Das Problem des malum weckt nicht nur das Interesse von Philosophen und Theologen, sondern beschäftigt alle Menschen, die sich mit der Natur der Dinge auseinandersetzen.
"Das Böse" - schon das Wort an sich stößt ab und zieht an, erschreckt und fasziniert. Kaum ein anderer Begriff kann die Ambivalenzen des menschlichen Daseins mitsamt seinen Abgründen so sehr fassen, kaum einer die menschliche Phantasie derart beschäftigen wie der des "Bösen". Das Gute erscheint demgegenüber eigentümlich blass [...]. (Frey/ Oberhansli-Widmer 2012).
Besonders mit der christlichen Theologie scheint das Böse bzw. das Schlechte unvereinbar zu sein: „Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe es war sehr gut“ (Gen 1, 31). Thomas von Aquin – christlicher Theologe, Philosoph und Mitglied des Dominikanerordens – beschäftigte sich mit der Frage nach dem Bösen im christlichen Kontext. Sein Werk Summa contra gentiles1 (1261-1274) schrieb er für seine Dominikanerbrüder, die sich der Bekämpfung der Ketzerbewegung und Heidenmission hingaben. Dementsprechend lautet die deutsche Übersetzung des Titels Summe gegen die Heiden, welcher das Ziel seines dreibändigen Werkes bereits antizipiert, nämlich „die Wahrheit, die der katholische Glaube benennt, [...] darzulegen und dabei entgegenstehende Irrtümer auszuschließen.“ (Scg I, 2, S. 7). Die Auseinandersetzung mit dem Begriff des Bösen bzw. des Schlechten hat eine lange Tradition und ist bis heute nicht abgeschlossen. Doch wie lässt sich das malum in einer auf das Gute hingeordneten Welt – wie Aquin sie annimmt – integrieren und ist das Problem der Theodizee ein zu lösendes?
Inhaltsverzeichnis
1. Hinführung
2. Augustinus - Wegbereiter der Privationstheorie
3. Das malum nach Thomas von Aquin
3.1. Das malum ist unbeabsichtigt
3.1.1. Gründe dagegen und ihre Widerlegung
3.2. Das malum als non ens
3.2.1. Gründe dagegen und ihre Widerlegung
3.3. Implikationen
4. Thomas malum und die Theodizee
5. Kritische Betrachtung
6. Schlussbemerkung
7. Literaturverzeichnis
7.1. Primärwerke
7.2. Sekundärwerke
1. Hinführung
Mit Amokläufen, Völkermorden, Terroranschlägen und unverschuldetem Leiden - zusammengefasst das Böse bzw. das Schlechte - ist scheinbar notwendig die Frage des „Warum?“ und „Woher?“ verbunden (vgl. Frey/ Oberhansli-Widmer 2012, S. XII). Das Problem des malum weckt nicht nur das Interesse von Philosophen und Theologen, sondern beschäftigt alle Menschen, die sich mit der Natur der Dinge auseinandersetzen.
»Das Böse« - schon das Wort an sich stößt ab und zieht an, erschreckt und fasziniert.
Kaum ein anderer Begriff kann die Ambivalenzen des menschlichen Daseins mitsamt seinen Abgründen so sehr fassen, kaum einer die menschliche Phantasie derart beschäftigen wie der des >Bösen<. Das Gute erscheint demgegenüber eigentümlich blass [...]. (Ebd., S. VII).
Besonders mit der christlichen Theologie scheint das Böse bzw. das Schlechte unvereinbar zu sein: „Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe es war sehr gut“ (Gen 1, 31). Thomas von Aquin - christlicher Theologe, Philosoph und Mitglied des Dominikanerordens - beschäftigte sich mit der Frage nach dem Bösen im christlichen Kontext. Sein Werk Summa contra gentiles[1] (1261-1274) schrieb er für seine Dominikanerbrüder, die sich der Bekämpfung der Ketzerbewegung und Heidenmission hingaben (vgl. Flasch 2013 , S. 378). Dementsprechend lautet die deutsche Übersetzung des Titels Summe gegen die Heiden, welcher das Ziel seines dreibändigen Werkes bereits antizipiert, nämlich „die Wahrheit, die der katholische Glaube benennt, [...] darzulegen und dabei entgegenstehende Irrtümer auszuschließen.“ (Scg I, 2, S. 7). Die Auseinandersetzung mit dem Begriff des Bösen bzw. des Schlechten hat eine lange Tradition und ist bis heute nicht abgeschlossen. Doch wie lässt sich das malum in einer auf das Gute hingeordneten Welt - wie Aquin sie annimmt - integrieren und ist das Problem der Theodizee ein zu lösendes?
Die folgende wissenschaftliche Arbeit setzt sich mit dem thomistischen Verständnis des malum auseinander. Dabei steht die zuvor aufgeworfene Frage im Zentrum der Arbeit. Darüber hinaus soll untersucht werden, welche Eigenschaften dem Bösen bzw. dem Schlechten auf Grundlage der Summa contra gentiles III zugeschrieben werden können und ob Thomas Theorie eine Differenzierung der beiden Begriffe erforderlich macht. Bevor die Betrachtung der Theorie Aquins erfolgt, ist es zuvorderst sinnvoll, den Blick auf den Kirchenvater Augustinus zu richten, der in diesem Kontext als Wegbereiter bezeichnet werden kann. Danach folgt die Auseinandersetzung mit dem Begriff des malum nach Thomas von Aquin. Dabei orientiert sich die Arbeit an der Argumentationsstruktur Aquins, indem die ausgewählten Kapitel der Summa contra gentiles III chronologisch betrachtet und analysiert werden. Anschließend erfolgt die Beschäftigung mit Kapitel 71 des genannten Werkes mit Blick auf das Problem der Theodizee. Um die Arbeit zu komplettieren, folgt im Anschluss eine kritische Betrachtung der thomisti- schen Sichtweise in prägnanter Form. In einem letzten Schritt erfolgt ein kurzes Resümee, vordergründig jedoch die Reflexion und Rezension der gewonnen Erkenntnisse.
2. Augustinus - Wegbereiter der Privationstheorie
Augustinus Werk Confessiones[2] (396-398), das 13 Bücher umfasst, gilt als sein populärstes Hauptwerk (vgl. Mayer 2003, S. 124f.). Das den Büchern übergeordnete „Ziel ist das Lob Gottes, der aus Gnade die Menschen aus ihrer Selbstgefälligkeit und Überheblichkeit aufrüttelt und ihnen so ermöglicht, ihn zu lieben“ (ebd., S. 125). In Anbetracht der Thematik dieser Arbeit liegt der Schwerpunkt der Betrachtung von Augustinus Confessiones auf dem VII. Buch, in welchem die Frage „ unde malum?“ zentral ist. Dabei wird sein „gedanklicher Weg vom Manichäismus zur Privationstheorie des Malum“ (Hermanni 2002, S. 31) besonders deutlich.
Getrieben durch die im vorherigen Passus bereits erwähnte Frage nach dem Ursprung des malum, setzte sich der Kirchenvater zuerst mit dem Manichäismus[3] auseinander. ,,[F]ast [...] ganze(n) neun Jahre [...] [hörte sein] ruhelos schleifender Geist auf die Lehren der Manichäer” (Conf. V, 10). Eine Abwendung von dieser Offenbarungsreligion fand erst statt, als Augustinus auf eine „inteme(n) Schwierigkeit” (Hermanni 2002, S. 31) stößt: Wenn Gott das höchste Gut ist und Unveränderlichkeit und Unverderblichkeit über dem Veränderlichen und Verderbbaren stehen, dann kann Gott nur unveränderlich und un verderblich sein (vgl. Conf. VII, 6). Der Manichäismus erklärt den Ursprung des malum jedoch mit der Voraussetzung, dass ein Teil von dem Wesen Gottes veränderlich und verderbbar ist (vgl. Hermanni 2002, S. 32). Aufgrund dessen sieht Augustinus den Manichäismus als widerlegt an:
Sagten sie also, du seiest, so wie du bist, das heißt, deinem Wesen nach, unverderblich, so waren all diese Behauptungen falsch und lästerlich; sagten sie aber, du seist verderblich, so war eben dies falsch und augenblicks mit Abscheu zurückzuweisen. Das genügte also, die bedrängte Brust zu erleichtern und diejenigen ganz auszuspeien, die, wenn sie so von dir dachten und redeten, keinen Ausweg finden konnten, ohne mit Herz und Mund schändlich zu lästern. (Conf. VII, 3).
Zwar sah Augustinus von da an von dem manichäischen Dualismus ab, jedoch war seine Gottesvorstellung immer noch eine materialistische. Von diesem Standpunkt aus stellt er im siebten Kapitel des siebten Buches der Confessiones fest, dass er so keine Antwort auf seine Frage nach dem Ursprung des Bösen finden würde: „Vor dir [Gott] war all mein Verlangen, und das Licht meiner Augen war nicht bei mir. Nein, im Raume war es nicht. Ich aber dachte nur an das, was sich in Räumen ausbreitet, und fand da keine Ruhestätte, nichts, was mich hätte aufnehmen können (ebd., 11). Schließ lich erkannte er durch die Lektüre neuplatonischer Schriften, dass es neben der phänomenalen Welt auch eine noumenale gibt, dass Gott und das menschliche Denken - die beide nicht körperlich sind - einer intelligiblen Welt angehören (vgl. ebd., 14 u. 16-17) und verwarf die Vorstellung von einer materialistischen Ontologie: „Wenn nämlich zu sein nicht generell bedeutet, körperlich ausgedehnt zu sein, muß (sic) auch das Malum keine ausgedehnte Masse, keine körperliche Substanz sein [...]“ (Hermanni 2002, S. 35).
Nachdem er den ontologischen Status des malum nicht mehr ohne weitere Reflexion voraussetzte, erkannte Augustinus, dass die Frage nach dem Ursprung des Bösen die fundamentalere Frage nach dem Wesen des malum - was ist das malum? - überspringt. Durch die Fokussierung der zuletzt genannten Frage kommt Augustinus zu seiner Privationstheorie. In Anlehnung an Plotin bestimmt Augustin, jedoch mit einer eigenständigen Begründung, das malum als Privation. Davon ausgehend, dass das malum etwas verderbt und wiederum nur etwas Gutes verderbt werden kann (nicht aber Gott, „denn wäre es das höchste Gut, wär' es unverderblich" (Conf. VII, 18)), muss das Wesen des Bösen bzw. des Schlechten in einer Privation des Guten liegen: „Denn Verderbnis schadet, und kein Schaden ohne Minderung des Guten“ (ebd.). Ergo spricht Augustinus dem malum einen „Schädigungscharakter“ (Schönberger 1998, S. 34) zu. Daran anschließend kommt er zu dem Schluss, dass alles, was ist, auch gut ist und dass dem malum kein Sein zukommt.[4]
3. Das malum nach Thomas von Aquin
Thomas von Aquin führt das Böse bzw. das Schlechte erstmalig im vierten Kapitel in seinem Werk Summa contra gentiles III ein, wobei er zuvor in Kapitel drei das Gute als Ziel alles Tätigen bestimmt, was die folgende Behandlung des malum notwendig macht. (vgl. Scg III, 3, S. 13-17). Eine Auseinandersetzung in extenso und unabhängig von anderen Gedankenzusammenhängen erfolgte später in seiner Schrift Quaestiones disputate de malo bzw. De malo. Wie bereits in der Hinführung angedeutet wurde, legt diese Arbeit jedoch den Schwerpunkt auf die Betrachtung der malum-Theorie wie sie Thomas von Aquin in der Summa contra gentiles III im Verlauf von circa 15 Kapiteln darlegt. Hierbei steht die Theorie des malum unter dem übergeordneten Thema des Bandes: „Die Bewegung der rationalen Kreaturen auf Gott hin“ (Slenczka 2003, S. 672).
Signifikant für Aquins Auslegung des malum ist, dass er nicht zwischen vernunftbegabten und nicht vernunftbegabten Lebewesen differenziert und so potenzielle Wege, das Böse bzw. das Schlechte im Menschen zu erklären, offeriert (vgl. Schönberger 2001, S. 118). Demzufolge sind Menschen sowohl zu natürlichen Tätigkeiten (z.B. Fortpflanzungstrieb, Reflexe, etc.) wie die Tiere[5] als auch - im Gegensatz zu den Tieren - zu willentlichen Tätigkeiten fähig.
3.1. Das malum ist unbeabsichtigt
Das Fliehen vor dem Schlechten und das Streben nach dem Guten sind im Grunde dasselbe, so wie auch die Bewegung von unten und die Bewegung nach oben im Grunde dasselbe sind. Es zeigt sich aber, daß (sic) alles vor dem Schlechten flieht (Scg III, 3, S. 15).
Dies ist eins der vielen Argumente, die Aquin gebraucht, um im dritten Kapitel des dritten Buches der Summa contra gentiles zu zeigen, dass „alles um eines Guten willen tätig ist“ (Scg III, 3, S. 15). Darüber hinaus verdeutlich diese Textstelle, dass Thomas von Aquin das Böse bzw. das Schlechte nicht negiert. Für die folgende Betrachtung ist wichtig, dass „Thomas [...] hier also den Begriff des Guten als Implikat des Strebens- begriffs ein[führt]“ (Schönberger2001, S. 121).
Davon ausgehend, dass alles Tätige nach dem Guten strebt und dass dies nicht zufällig ist - wie Aquin darlegt (vgl. Scg III, 3, S. 17) - ergibt sich für den Theologen und Philosophen die logische Schlussfolgerung, „daß (sic) sich das Schlechte in den Dingen ohne Absicht des Tätigen einstellt“ (ebd., 4, S. 17). Diese These begründet er darin, dass das Gute und das malum konträr sind und wenn mit jeder Tätigkeit nicht zufällig das Gute intendiert wird, kann das Böse bzw. das Schlechte nur unbeabsichtigt sein (vgl. ebd.). Dies gilt nicht nur für natürliche Tätigkeiten, sondern auch für willentliche Tätigkeiten, denn für Thomas ist die Absicht bzw. das angestrebte Ziel ausschlaggebend. Wird dieses verfehlt, beispielsweise aufgrund einer falschen Einschätzung, so geschieht dies nicht mit Absicht: „Da nun dem durch den Verstand und dem durch den Naturtrieb Tätigen gemeinsam ist, nach einem Guten zu Streben, geht ein Schlechtes aus der Absicht eines Tätigen unbeabsichtigt hervor“ (ebd., S. 19).
Darüber hinaus, ausgehend von der eingangs angeführten These, dass der Tätige mit seiner Tätigkeit das Gute erstrebt, ist ein malum - in Form einer „mangelhaften oder ausgebliebenen Realisierung“ (Schönberger 2001, S. 124) des durch die Tätigkeit erstrebten Ziels - nur möglich, sofern ein „Mangel(s) in den Prinzipien der Tätigkeit“ (Scg III, 4, S. 17) vorliegt. Schönberger fasst das, was Aquin als Prinzipien der Tätigkeit bezeichnet, unter der ,,innere[n] Form der Dinge“ (Schönberger 2001, S. 124) zusammen, die als Maßstab fungiert. Ist diese nicht mangelhaft, so wird mit der Tätigkeit das angestrebte Ziele - das Gute - erreicht, liegt jedoch ein Mangel vor und die Tätigkeit wirkt im Hinblick auf die dem Tätigen gegebene Kraft nicht optimal, so bleibt auch die Wirkung dessen hinter ihrem Maximum zurück, was jedoch nicht dem vorausgegangen Ziel der Tätigkeit entspricht (vgl. Scg III, 4, S. 17 und Schönberger 2001, S. 124). Aufgrund dessen ist das malum unbeabsichtigt.
In einem nächsten Schritt greift Thomas für seine Argumentation eine bereits im dritten Kapitel herausgearbeitete These auf, nämlich dass „jede [...] Bewegung um eines Guten willen statt[findet]“ (Scg III, 3, S. 13), woraus sich für ihn die Schlussfolgerung ergibt, dass ,,[d]as Bewegbare [...] nach einem Schlechten nur zufällig und unbeabsichtigt [strebt]“ (Scg III, 4, S. 17). Indessen kann jedoch auch das Vergehen als eine natürliche Bewegung verstanden werden - ebenso wie das Entstehen. Beide Bewegungen bedingen sich insofern, dass etwas nur entstehen kann, wenn etwas anderes vergeht oder anders formuliert, wenn etwas anderes zerstört wird. Die Zerstörung schreibt Thomas jedoch dem malum zu (vgl. Scg III, 3, S. 13-17). Dies scheint auf den ersten Blick einen Widerspruch zu evozieren: Ist das Ziel des Strebens bei einer formverändernden Tätigkeit nicht doch das Vergehen bzw. die Zerstörung? Demgegenüber argumentiert Thomas, dass eine Materie, die von einer bestimmten Form bestimmt wird, sowohl in Potentialität zu einer anderen Form als auch in Privation zu der bereits vorhandenen Form steht (vgl. ebd., 4, S. 19). Entscheidend ist hierbei, dass ,,[d]ie Absicht und das Streben der Materie [...] aber nicht auf die Privation [geht], sondern auf die Form“ (ebd.). Mit der Änderung bzw. dem Vergehen der Form geht notwendig eine Privation der Form einher, wodurch sie lediglich Bedingung, nicht aber Gehalt des Strebens ist. Daraus resultierend „ist beim Entstehen und Vergehen die Umwandlung der Materie an sich auf die Form hingeordnet, die Privation tritt unbeabsichtigt ein“ (ebd.).
Infolge Thomas Argumentation kann konstatiert werden, dass das Schlechte bzw. das Böse unbeabsichtigt ist. In den zwei Folgekapiteln (siehe ebd., 5/6, S. 21-27) setzt sich der Theologe und Philosoph mit Gegenpositionen auseinander mit dem Ziel, diese anschließend zu widerlegen. Das folgende Kapitel dieser Arbeit setzt sich mit Thomas Umgang der entgegengesetzten Positionen auseinander.
3.1.1. Gründe dagegen und ihre Widerlegung
Wie im vorherigen Kapitel bereits angedeutet, beschäftigt sich dieses Kapitel mit Thesen, die zu belegen scheinen, dass das Böse bzw. das Schlechte nicht unbeabsichtigt ist. Darauf bezugnehmend hebt Slenczka „die tiefe Gewissenhaftigkeit [Aquins] im Umgang mit Gegenpositionen, die auf der Basis ihrer eigenen Voraussetzungen widerlegt werden sollen“ (Slenczka 2003, S. 673) hervor. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den Gründen, die für die Absichtlichkeit des malum sprechen, ist deshalb wichtig, da, wenn Thomas These falsch wäre, alles, was folgend von ihr logisch abgeleitet wird, nicht haltbar wäre. Schönberger unterstreicht prägnant die Konsequenzen, die sich so für die thomistische Theorie ergäben:
Wenn das Ziel nicht den Charakter des Guten hätte, ließe sich das Konzept des Strebens, d.h. die Lehre der Naturfinalität nicht aufrechterhalten. Dann könnte man zwar weiterhin sagen, dass die Welt die Schöpfung Gottes ist, aber nicht mehr sagen, dass diese Welt „gut“ ist (Schönberger 2001, S. 124f.).
Es ist evident, dass der Widerlegung der Einwände gegen die Unabsichtlichkeitsthese eine hohe Relevanz zukommt. Während Thomas in der Summa contra gentiles III zuvorderst alle Einwände benennt und diese erst nachfolgend der Reihe nach widerlegt, zieht es diese Arbeit aufgrund des Kriteriums der Überschaubarkeit vor, unmittelbar nach der Darlegung eines Einwandes dessen Widerlegung anzuschließen.
Der erste Einwand basiert auf der Beobachtung, dass das Böse bzw. das Schlechte häufig und nicht nur selten eintritt, woraus zu resultieren scheint, dass es nicht unbeabsichtigt sein kann. Wenn nämlich eine Wirkung entsteht, ohne dass der Tätige diese zuvor intendiert hat, so sagt man, dass es sich unvorhersehbar oder zufällig ereignet hat und nur selten vorkommt (vgl. Scg III, 5, S. 21). Bevor Thomas den Einwand widerlegt, differenziert er das malum in „zwei Weisen des Schlechten“ (Hermanni 2002, S. 97; Hervorhebung im Original): Zum einen das malum in substantia und zum anderen das malum in actione (vgl. ebd.). Ersteres ist das Böse bzw. das Schlechte an einer Substanz, das sich daraus ergibt, „daß (sic) ihr [der Substanz] etwas fehlt, worauf sie von Natur aus angelegt ist und was sie haben muß (sic)“ (Scg III, 6, S. 21). Die zweite Weise des malum ist das Böse bzw. das Schlechte an einer Tätigkeit, welches ,,[e]ine Privation der erforderlichen Ordnung oder Maßgerechtheit in einer Tätigkeit“ (ebd., S. 23) ist. Thomas führt „keine geringe Korrektur an seiner Theorie der Privation“ (Schönberger 2001, S. 127), um den ersten Einwand zu widerlegen: Das Tätigwerden durch die Natur und das durch den Willen. Um den ersten Einwand zu entkräften, bezieht sich Thomas nur auf den an erster Stelle genannten Typ des Tätigwerdens, bei dem die Privation lediglich die notwendige Bedingung zur Erreichung des erstrebten Guten darstellt. Dass das Entstehen auch immer mit einem Vergehen einhergeht,[6] ist weder unvorhergesehen noch zufällig, jedoch richtet sich die Absicht nicht auf das Böse bzw. das Schlechte des Vergehens, sondern auf das Gute - das Entstehen - und ist somit „das Schlechte von etwas“ (Scg III, 6, S. 23-25). Folgt etwas Böses bzw. Schlechtes nicht notwendig auf das angestrebte Gute, so ist es „ein zufällig Schlechtes“ (ebd., S. 25) und steht im Widerspruch zu der Absicht (vgl. ebd.). Es wird deutlich, dass Thomas von
[...]
[1] Die folgende wissenschaftliche Arbeit setzt sich in erster Linie mit Thomas von Aquins Summa contra gentiles auseinander. Als Quelle dient dabei die Herausgeberschrift von Karl Albert und Paulus Engelhart unter Mitarbeit von Leo Dümpelmann, die sowohl den lateinischen Originaltext als auch die deutschsprachige Übersetzung umfasst. Im Folgenden wird dem Beispiel „Scg I, 2, S. 7“ folgend zitiert, wobei die Abkürzung „Scg“ für den Titel des Werkes steht. Die Buchnummer wird jeweils in römischen Zahlen angegeben und im Anschluss daran in arabischen Zahlen das Kapitel und die Seitenzahl.
[2] Alle folgenden Zitate aus den Confessiones werden aus der Reihe Sammlung Tusculum, die neben dem lateinischen Originaltext eine Übersetzung von Wilhelm Thimme enthält, entnommen. Beim Zitieren der Confessiones wird der Titel im Folgenden mit der Abkürzung „Conf.“ benannt, während Nummer von Buch und Paragraph direkt folgend aufgeführt werden.
[3] Der Manichäismus basiert auf einem Dualismus, demzufolge Gott und das Böse sich gegenüberstehend, sich begrenzend, gleichursprünglich und körperlich sind. Dies ergibt sich aus zwei Prämissen: Zum einen aus der Annahme, dass alles, was ist, auch körperlich ist und zum anderen, dass nichts Böses von Gott geschaffen wurde (vgl. dazu Hermanni 2002, S. 31).
[4] „Also entweder schadet die Verderbnis nichts, was doch nicht möglich ist, oder aber, und das ist ganz gewiß (sic), alles was verderbt wird verliert etwas Gutes. Verlöre es aber alles Gute, würde es überhaupt aufhören zu sein. Denn wenn es wäre und nicht mehr verderbt werden könnte, wäre es ein Besseres geworden, weil es nun unverderblich bliebe. [...] Also was ist, ist auch gut, und das Böse, nach dessen Ursprung ich fragte, ist nichts Wesenhaftes, denn wäre es ein Wesen wäre es gut. Denn entweder wäre es ein unverderbliches Wesen - fürwahr ein großes Gut! - oder aber ein verderbliches Wesen, das nicht verderblich sein könnte, wäre es nicht auch gut“ (Conf. VII, 18).
[5] Diese Übereinstimmung zwischen Tieren und Menschen bezüglich der natürlichen Tätigkeiten legitimiert das Zurückgreifen auf Beispiele aus der Tierwelt, um eine anschauliche Erläuterung spezifischer Aspekte des malum gewährleisten zu können.
[6] Siehe hierzu auch die Erläuterung zum Entstehen und Vergehen in Kapitel 3.1. dieser Arbeit.