In der folgenden Hausarbeit soll Ricardo Piglias Roman „Plata quemada“ und die Frage nach der Verbrecherrolle thematisiert werden. Die eigentlichen Verbrecher werden in den Kritiken als die „wahren Helden“ angesehen, was die Frage aufwirft, ob nun die Polizei diese Roll einnimmt. Diese Fragen sollen im Folgenden durch die Erörterung der Verstrickung von politischer und krimineller Gewalt sowie der Darstellung der Presseberichterstattung im Vordergrund stehen. Den Ausgangsunkt bildet dabei der Erzählmodus, dessen Besonderheiten von Bedeutung für Analyse und Verständnis des gesamten Textes sind. Hierbei wird auch auf die Verflechtung von Wahrheit und Fiktion in Plata quemada eingegangen. Bei der Untersuchung der Verstrickung von politischer und krimineller Gewalt, wird zunächst die die Zusammenarbeit von Verbrechern und Polizei betrachtet. Anschließend wird auf die politischen Umstände in Argentinien im Jahr 1965, in dem der Roman spielt, eingegangen, indem die Polizeibrutalität sowie die Verbindungen der Pistoleros zum Peronismus aufgezeigt werden. Schließlich werden auch die Zustände in Institutionen wie Gefängnissen und Psychiatrien betrachtet und untersucht, inwiefern diese Verbrecher erst hervorbringen.
Dorda, einer der Protagonisten, hört Stimmen in seinem Kopf und der Polizeifunker Roque Pérez sitzt in einer schalldichten Kammer und versucht, aus den Geräuschen, die über Mikrofone aus dem Versteck der Verbrecher zu ihm gelangen, Informationen herauszufiltern. Michelle Clayton hat eine Parallele zwischen diesen beiden Arten von Stimmengwirr und der Machart des gesamten Romans festgestellt. Tatsächlich gibt es in Plata quemada keine durchgängige Erzählstimme, der Roman ist vielmehr eine Montage verschiedener Stimmen, die unterschiedliche Blickwinkel auf das Geschehen haben und sich teilweise sogar widersprechen: ein heterodiegetischer Erzähler, innere Monologe der Protagonisten, Zeugenaussagen, Presse- und Polizeiberichte und ein psychiatrisches Gutachten. Die einzelnen Stimmen gehen fließend ineinander über, sodass man nicht immer sofort weiß, um wessen Aussagen, Gedanken oder Beobachtungen es sich handelt. Was zunächst wie die Perspektive des Erzählers aussieht, entpuppt sich manchmal als erlebte Rede einer Figur. In vielen Fällen wird in Klammern spezifiziert, aus welcher Quelle die jeweiligen Informationen stammen und wessen Ansicht wiedergegeben wird.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Besonderheiten des Erzählmodus
2.1 Montage verschiedener Stimmen
2.2 Die Rekonstruktion einer wahren Geschichte?
3 Verstrickungen politischer und krimineller Gewalt
3.1 Zusammenarbeit von Polizei und Verbrechern
3.2 1965 in Argentinien – eine hochpolitische Zeit
3.2.1 Polizeibrutalität
3.2.2 Verbindungen der Pistoleros zum Peronismus
3.3 Institutionen und Gesellschaft bringen Verbrecher hervor
4 Darstellung der Presseberichterstattung
4.1 Nutzen und Gefahr der Presse für Polizei und Verbrecher
4.2 Die Sensationslust der Öffentlichkeit
4.3 Der Sonderfall Renzi
Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Da tauchte nun der Gedanke auf, dass Geld unschuldig sei, auch wenn es das Resultat von Tod und Verbrechen sei, könnte man das Geld nicht als schuldig betrachten, es sei eher neutral, ein mehr oder weniger nützliches Zeichen, je nach dem, wie man es verwendet. (Piglia 1997: 142)
Geld stand im Mittelpunkt des Seminars „‘Money makes the world go round?‘ – Zur Poetik des Geldes und der Falschmünzerei in der argentinischen/ lateinamerikanischen Literatur“. In den behandelten Texten war es nahezu immer auf irgendeine Weise mit kriminellen Machenschaften verbunden, sei es mit Betrug an der Börse wie in La Bolsa von Julian Martel oder Diebstahl wie in El Juguete rabioso von Roberto Arlt. In Ricardo Piglias 1997 erschienenem Roman Plata quemada steht eine Bande von Kriminellen im Vordergrund, die beim Überfall eines Geldtransporters mehrere Menschen töten. Mit etwa sieben Millionen Pesos Beute fliehen die Pistoleros nach Montevideo, wo es zu einer spektakulären Belagerung der Bande durch die Polizei kommt, während der die Ganoven das gestohlene Geld verbrennen. Im Nachwort des Romans wird die Handlung als „argentinische Version einer griechischen Tragödie“ und die Pistoleros als deren „Helden“ bezeichnet.[1] Dass Verbrecher als Helden dargestellt werden, wirft die Frage auf, wer als wahrer Verbrecher in Plata quemada angesehen werden kann. Dieser Frage wird im Folgenden durch die Erörterung der Verstrickung von politischer und krimineller Gewalt sowie der Darstellung der Presseberichterstattung nachgegangen. Die drei großen Gruppen, die neben den Pistoleros betrachtet werden, sind die Polizei, die Presse sowie die Öffentlichkeit. Den Ausgangsunkt bildet dabei der Erzählmodus, dessen Besonderheiten von Bedeutung für Analyse und Verständnis des gesamten Textes sind. Hierbei wird auch auf die Verflechtung von Wahrheit und Fiktion in Plata quemada eingegangen. Bei der Untersuchung der Verstrickung von politischer und krimineller Gewalt, wird zunächst die die Zusammenarbeit von Verbrechern und Polizei betrachtet. Anschließend wird auf die politischen Umstände in Argentinien im Jahr 1965, in dem der Roman spielt, eingegangen, indem die Polizeibrutalität sowie die Verbindungen der Pistoleros zum Peronismus aufgezeigt werden. Schließlich werden auch die Zustände in Institutionen wie Gefängnissen und Psychiatrien betrachtet und untersucht, inwiefern diese Verbrecher erst hervorbringen. Die Presse bildet eine Art Schnittstelle zwischen den anderen Gruppen. In Bezug auf die Presseberichterstattung wird daher sowohl auf Nutzen und Gefahr der Presse für Polizei und Verbrecher eingegangen, als auch auf die Sensationslust der Öffentlichkeit, die von der Presse befriedigt wird. Zuletzt wird die Figur des Journalisten Renzi, der im Kontrast zu den anderen Medienvertretern im Roman steht, eingehender untersucht.
2 Besonderheiten des Erzählmodus
2.1 Montage verschiedener Stimmen
Dorda, einer der Protagonisten, hört Stimmen in seinem Kopf und der Polizeifunker Roque Pérez sitzt in einer schalldichten Kammer und versucht, aus den Geräuschen, die über Mikrofone aus dem Versteck der Verbrecher zu ihm gelangen, Informationen herauszufiltern. Michelle Clayton hat eine Parallele zwischen diesen beiden Arten von Stimmengwirr und der Machart des gesamten Romans festgestellt.[2] Tatsächlich gibt es in Plata quemada keine durchgängige Erzählstimme, der Roman ist vielmehr eine Montage verschiedener Stimmen, die unterschiedliche Blickwinkel auf das Geschehen haben und sich teilweise sogar widersprechen: ein heterodiegetischer Erzähler, innere Monologe der Protagonisten, Zeugenaussagen, Presse- und Polizeiberichte und ein psychiatrisches Gutachten. Die einzelnen Stimmen gehen fließend ineinander über, sodass man nicht immer sofort weiß, um wessen Aussagen, Gedanken oder Beobachtungen es sich handelt. Was zunächst wie die Perspektive des Erzählers aussieht, entpuppt sich manchmal als erlebte Rede einer Figur.[3] In vielen Fällen wird in Klammern spezifiziert, aus welcher Quelle die jeweiligen Informationen stammen und wessen Ansicht wiedergegeben wird. Der heterodiegetische Erzähler, der oft hinter die verschiedenen Stimmen zurücktritt, wird vor allem innerhalb dieser Klammern sichtbar. Er wählt Aussagen aus, ordnet diese, weist ihnen ihre Quellen zu und ergänzt Informationen. Hier sollen zur Veranschaulichung nur ein paar der unzähligen Beispiele für diese Zitationsweise im Roman wiedergegeben werden:
Reyes war nervös. In Wirklichkeit gelähmt vor Angst (wie er später erklärte). (Piglia 1997: 14)
Der Wagen der Bankräuber vollführte (laut Polizeibericht) eine spektakuläre Kehrtwendung, wobei er fast umstürzte. (Piglia 1997: 34)
Er kniete vor diesen Unbekannten, er beugte vor ihnen das Haupt (müßte man sagen, hatte er gesagt, erzählte das Mädchen), als wären sie Götter […]. (Piglia 1997: 76).
Das letzte Beispiel zeigt, dass manche Informationen sogar über mehrere Personen hinweg weitergeben wurden.
2.2 Die Rekonstruktion einer wahren Geschichte?
Eine gewisse Orientierung durch den Stimmendschungel bietet laut Gutiérrez González das Nachwort.[4] Es besteht aus zwei Teilen und beginnt mit der Aussage: „Dieser Roman erzählt eine wahre Geschichte.“[5] Die Äußerungen und Handlungen der Figuren seien aus authentischem Material rekonstruiert heißt es und diese Quellen werden auf den folgenden Seiten aufgezählt.[6] Dadurch erschließt sich zunächst der Sinn der eingeklammerten Quellenangaben, nämlich, den Wahrheitsgehalt des Textes zu unterstreichen. Solche Angaben sind in Werken von Piglia allerdings mit Vorsicht zu genießen, wie sein Roman Nombre falso zeigt: Dessen Protagonist trägt den Namen des Autors und ist angeblich auf eine unveröffentlichte Erzählung Roberto Arlts gestoßen, die ebenfalls im Roman enthalten ist und von vielen Lesern tatsächlich für eine Erzählung Arlts gehalten wurde.[7] Das Nachwort von Plata quemada ist nur mit „Buenos Aires, 25. Juli 1997“,[8] dem Erscheinungsjahr des Romans, unterzeichnet, dennoch geht man als Leser vermutlich zunächst davon aus, dass es sich um eine Botschaft des Autors handelt. Man sollte sich jedoch klarmachen, wer hier eigentlich spricht: der Autor Piglia oder ein Erzähler Piglia wie in Nombre falso ? Gutiérrez Gonzáles legt Letzteres nahe. Ihm zufolge erfährt die Erzählstimme im Nachwort eine Spaltung. Sie steht nun statt in der dritten in der ersten Person Singular und referiert auf sich selbst als Autorenstimme.[9] Dies trägt dazu bei, glaubhaft zu machen, dass es sich um eine reale Geschichte handelt. Dass der Erzähler der gleiche ist wie im restlichen Roman, macht Gutiérrez González an Ähnlichkeiten des Stils wie dem journalistischen Register und dem Einfügen zusätzlicher Informationen in Klammern fest.[10]
Im zweiten Teil des Nachworts kommt es Gutiérrez González zufolge zu einer Metalepse, wenn der Erzähler-Autor behauptet, Blanca Galeano, die Freundin eines der Pistoleros, im Zug getroffen und durch sie mehr von der Geschichte erfahren zu haben.[11] Danach habe sich der Erzähler-Autor alles aufgeschrieben, recherchierte und eine erste Version des Buches geschrieben, welche er schließlich verwarf. Erst Jahre später habe er eine zweite Version geschrieben. Der zweite Teil des Nachworts bildet somit eine Art Rahmenhandlung des Romans, die erklärt, wie er angeblich entstanden sein soll. Die zweitägige Zugreise mit Blanca Galeano liefert eine Erklärung dafür, dass der Erzähler Wissen über Vorstellungen und Gefühle einiger der Protagonisten sowie darüber, was sich vor und nach dem Überfall in der Wohnung der Pistoleros in Buenos Aires abgespielt hat, besitzt, und verstärkt somit ebenfalls den Eindruck, dass es sich um eine reale Erzählung handelt.
Tatsächlich sind der Überfall des Geldtransportes sowie die Belagerung der Wohnung in Montevideo reale historische Ereignisse, doch der entscheidende Moment von Plata quemada, die Verbrennung des erbeuteten Geldes, hat niemals stattgefunden.[12] Die Namen der Handelnden hat Piglia Laera zufolge zwar übernommen, doch er hat ihr Alter, sowie ihre Funktionen in der Gruppe und ihre Beziehungen untereinander verändert.[13] Wie aus einem Zeitungsartikel hervorgeht, hat es auch nie ein Treffen zwischen Piglia und der realen Blanca Galeano, die ihn später sogar verklagte, da er ohne ihr Einverständnis ihren Namen sowie falsche Informationen über sie veröffentlicht habe, gegeben.[14] Jagoe entlarvt eine weitere angebliche Hauptinformationsquelle des vermeintlichen Piglias als falsch: Da es sich bei Emilio Renzi um eine Figur handelt, die auch in anderen Werken Piglias auftaucht, können die von ihm verfassten Zeitungsberichte nicht real sein, wodurch alle anderen Quellen ebenfalls verdächtig werden.[15] Dass zumindest ein Teil der Quellen offensichtlich erfunden ist, verdeutlicht ebenfalls, dass im Nachwort ein Erzähler und nicht der reale Autor Piglia spricht. In Plata quemada ist also eine Mischung aus Fakten und Fiktion in einen komplexen vielstimmigen Bericht verwebt, wie Jagoe es ausdrückt.[16]
3 Verstrickungen politischer und krimineller Gewalt
3.1 Zusammenarbeit von Polizei und Verbrechern
Jagoe, die sich in ihrem Aufsatz auf das konzentriert, was in Plata quemada zu hören ist, hat eine Verbindung zwischen den Pistoleros und der Polizei durch die Ähnlichkeit ihrer Sprache festgestellt:
[…] making it a novel that seeks to convey affect rather than information. This affect is one that connects the police with the criminals, the torturer and the tortured. In a society that would seek to demarcate the lines between criminal action and lawful control, the novel depicts the interconnectedness of violence through a shared language of profanity and brutality. Some of the men in the novel wear uniforms and some do not; all are criminals, all are victims. (Jagoe 2009: 147)
Tatsächlich ist die Dichotomie zwischen den guten Gesetzeshütern und den bösen Verbrechern in Plata quemada aufgehoben. Das Interesse der Polizei daran, die Pistoleros zu ergreifen, ist nicht nur mit ihrer Aufgabe verbunden, für Recht und Ordnung zu sorgen, sondern beruht auch auf ihrer eigenen Beteiligung an dem Überfall: „Malito […] hatte […] die Verbindungen zu den Politikern und den Bullen hergestellt, von ihnen hatte er Informationen und Lagepläne.“[17] Für ihre Mithilfe steht denen, „die das Geschäft vermitteln, einschließlich Bullen und Stadträte[n]“[18] die Hälfte der Beute zu. Die Pistoleros beschließen jedoch, „nicht zu zahlen und alle Welt zu bescheißen.“[19] Durch diese Entscheidung ziehen sie die besondere Aufmerksamkeit der Polizei, die sie bei Erhalt des versprochenen Anteils vermutlich hätte entkommen lassen, auf sich. Eine der Stimmen im Roman, dem Anschein nach Renzis, spekuliert darüber, dass die argentinische Polizei bei der Belagerung die Absicht hegt, die Pistoleros zu töten, um die eigene Beteiligung zu vertuschen.[20] Da der genaue Grad der Beteiligung der Polizei jedoch unbekannt ist, erscheint die Belagerungsszene Dabove zufolge obskur, denn man wisse nicht, ob es sich um eine Operation zur Durchsetzung der Gesetze, eine monumentale Verhüllungsaktion oder einen Racheakt einer kriminellen Fraktion gegen ehemalige Verbündete handele.[21] Insgesamt existiert in Plata quemada ein undurchsichtiges Netz von Verbindungen zwischen der Polizei und Kriminellen. So arbeiten zum Beispiel Verbrecher wie der Chueco Bazán als Informanten für die Polizei, die sie im Gegenzug ihren kriminellen Aktivitäten nachgehen lässt: „Silva hielt ihn sich seit einem Jahr als Spitzel, als Gegenleistung durfte er im Hafenviertel mit Drogen und Frauen handeln.“[22]
3.2 1965 in Argentinien – eine hochpolitische Zeit
3.2.1 Polizeibrutalität
Der Roman spielt im Jahr 1965, einer hochpolitischen Zeit in Argentinien. Obwohl sich der ehemalige Staatschef Perón seit zehn Jahren im Exil befand und Peronisten in Argentinien verfolgt wurden, verfügte er über eine große Anhängerschaft in seinem ehemaligen Heimatland. Diese war in rivalisierende Gruppen gespalten, die von Perón aus dem Exil gelenkt wurden. Die Zeit zwischen 1955 und 1983 war in Argentinien von ständigen Regierungswechseln und verschiedenen Regierungsformen geprägt.[23] Dadurch befand sich die Bevölkerung in Unsicherheit. Man konnte scheinbar niemandem trauen. In Plata quemada wird das auch daran deutlich, dass alle Pförtner aus Nandos Sicht entweder zur Kommunistischen Partei gehören oder mit der Polizei zusammenarbeiten.[24] Waldmann geht davon aus, dass Argentiniens Lage in dieser Zeit alle Merkmale einer anomischen Situation zeigte, was bedeutet, dass herkömmliche Normen und Regelmechanismen größtenteils außer Kraft gesetzt waren. Eine Folge davon war der starke Anstieg der Gewaltkriminalität, was dazu führte, dass die Polizei auch gegen harmlose Verbrecher immer brutaler vorging.[25]
Die Polizeibrutalität wird in Plata quemada immer wieder thematisiert. Die Pistoleros erwähnen mehrfach die Picana, ein elektrisches Folterinstrument, das die Polizei offenbar gerne gegen Verbrecher anwendete. Überhaupt wird Folter neben der Kooperation mit Spitzeln unter den Kriminellen als die wesentliche Methode der Polizei und insbesondere des Inspektors Silva dargestellt, um an Informationen zu gelangen. So heißt es z. B., dass „Inspektor Silva vom Raubdezernat […] keine Untersuchungen an[stellt], er greift zur Picana und verwendet den Verrat als Methode“[26] und dass der Zufall „zusammen mit Folter und Verrat […] das wichtigste Instrument [ist], das die Fahnder haben.“[27] Aus Sicht von Mereles sind viele Polizisten nur dazu gut „irgendwelche Langefinger niederzuknüppeln und sie in die Nieren zu treten […], wenn sie wehrlos am Boden lagen.“[28] Silvas Verhörmethoden werden noch eingehender beschrieben:
[…] während er einen Langfinger oder eine Nutte oder einen Schwarzspieler weichzuklopfen versuchte, es war immer dasselbe, jahrein, jahraus, Schläge in den Magen irgendeines Kerls, der am Stuhl gefesselt war, ihn anbrüllen mit verletzender Stimme, als wollte man eine Nadel im Ohr einer Voodoo-Puppe versenken, und der Typ weigert sich, zu sagen, was man hören will. (Piglia 1997: 137)
3.2.2 Verbindungen der Pistoleros zum Peronismus
Sein Vorgehen rechtfertigt Silva hauptsächlich mit der Hypothese, dass jedes Verbrechen einen politischen Hintergrund habe. Die Ganoven seien peronistisch geworden und Silva unterstellt ihnen, Krieg gegen die ganze Gesellschaft zu führen, weshalb es notwendig sei, Polizeiaktionen mit der Staatssicherheit abzustimmen.[29] Auch der Überfall auf den Geldtransport wird zunächst offiziell mit einem peronistischen Angriff auf ein Krankenhaus in Verbindung gebracht, die Polizei geht von einer Zusammenarbeit nationalistischer Peronisten mit gewöhnlichen Kriminellen aus und das Gerücht geht um, die Bande würde vom peronistischen Widerstand unterstützt.[30] Das einzige Mitglied der Bande, das tatsächlich mit der Politik in Verbindung steht, ist jedoch Nando, ein ehemaliges Mitglied der Alianza Libertadora Nacionalista, der sich bei seiner Verhaftung darauf beruft, für die Rückkehr Peróns zu kämpfen. Ebendieser bezweifelt, dass die Polizei tatsächlich nach Verbindungen der Pistoleros zu peronistischen Gruppen sucht.[31] Die Behauptung könnte nur ein Vorwand zur Rechtfertigung des brutalen Vorgehens der Polizei sein, wie auch Dabove mutmaßt.[32] Dass es sich bei den Pistoleros nicht um Peronisten im Widerstand handelt, gibt Silva nur „off the record“ zu.[33] Die genauen Beziehungen der einzelnen Pistoleros zum Peronismus bleiben allerdings unklar. Der Nene verkündet beispielweise durch den Elektroportier, sie seien peronistische Politiker im Exil und behauptet, er sei im Gefängnis Peronist geworden, doch man erfährt zuvor, dass ihn Peróns Rückkehr nicht interessiert.[34] Man kann also davon ausgehen, dass er nicht tatsächlich Peronist ist, sondern es sich bei der Behauptung wie Laera schreibt, um eine beliebte Selbstdarstellung handelt, die man im Gefängnis annimmt, oder die, wie Dabove vermutet, aus wahnhafter Fantasie oder sarkastischen Legitimationsversuchen heraus entsteht.[35] Der Überfall ist somit nicht als politisch motiviertes Verbrechen zu betrachten.
3.3 Institutionen und Gesellschaft bringen Verbrecher hervor
Die Polizei arbeitet in Plata quemada nicht nur mit Verbrechern zusammen, sie scheint sie auch hervorzubringen. Dies zeigt vor allem die Geschichte des Nenes, der als Teenager unschuldig als Mittäter verhaftet wird, da Freunde ihn unter falschem Vorwand dazu bringen, sie nach einem Überfall mit Todesfolge abzuholen, und die Mordwaffe in seinem Auto deponieren. Als er aus dem Gefängnis entlassen wird, bleibt er auf der schiefen Bahn. Er erzählt, er sei im Gefängnis schwul, süchtig, Dieb, Spieler und Peronist geworden und dass die Zeit im Gefängnis einen kaputtmache, sodass man, wenn man entlassen werde, immer wieder dort lande.[36] Dass viele Gefängnisinsassen ihre Verbrecherkarriere nach ihrer Haftstrafe fortsetzen, hat sicher viele Gründe. Z. B. knüpfen sie im Gefängnis Kontakte mit anderen Kriminellen, mit denen sie nach ihrer Entlassung weiter zusammenarbeiten, wie dies auch bei Nando und Malito sowie bei Dorda und dem Nene der Fall war.[37] Eine große Rolle spielen vermutlich aber auch die Umstände, die in Gefängnissen sowie Besserungsanstalten und Psychiatrien herrschen. Es wird gefoltert, Dorda wird in der Psychiatrie von Krankenwärtern sexuell missbraucht und im Gefängnis von Sierra Chica bei Brot und Wasser eingesperrt und wie ein Tier behandelt, die Stimmen versucht man ihm mit Elektroschocks und Insulinspritzen aus seinem Kopf zu treiben und Mereles kommt im Gefängnis an Drogen, indem er den Direktor mit seiner Freundin schlafen lässt, was dort angeblich Gang und Gebe ist.[38] Das Gefängnis- und Psychiatriepersonal wird im Roman durchgängig so dargestellt, als habe es eine Freude daran, die Insassen zu quälen und zu erniedrigen, zusätzlich geht es kleine illegale Handel mit ihnen ein. Die Behandlung, die die Verbrecher in den Institutionen erfahren, schürt ihren Hass gegen die Polizei und die Tatsache, dass sie dort gelandet sind, entfremdet sie von ihren Familien. Der Vater des Nene stirbt sogar an Herzversagen, als sein Sohn verhaftet wird.[39] Die Institutionen sowie die Gesellschaft tragen also ihren Teil dazu bei, dass die Ganoven es nicht mehr schaffen, die schiefe Bahn hinter sich zu lassen. Auch Dabove bezeichnet die Banditen in Plata quemada als institutionalisierte Subjekte, die in Gefängnissen und psychiatrischen Abteilungen zu Gewohnheitsverbrechern werden und keine Gemeinschaft haben, in die sie zurückkehren können.[40]
4 Darstellung der Presseberichterstattung
Die Presse bzw. die Medien bilden in Plata quemada eine Art Schnittstelle zwischen Öffentlichkeit, Polizei und den Verbrechern. Genau wie die Polizei taucht die Presse auf, sobald sich der Überfall ereignet hat[41] und nimmt einen wichtigen Platz unter den verschiedenen Stimmen ein. Oft werden Zeitungsberichte als Quelle von Aussagen angeführt, welche sie jedoch meist auch nur aus zweiter Hand, nämlich von Zeugen oder der Polizei erhalten haben.
4.1 Nutzen und Gefahr der Presse für Polizei und Verbrecher
Die Beziehung zwischen Polizei und Presse beschreibt Clayton als symbiotische Spannung und verweist auf die Abhängigkeit der beiden voneinander.[42] Die Presse ist einerseits auf Informationen von der Polizei angewiesen, um über das Verbrechen zu berichten, andererseits braucht die Polizei die Presse, um die Verbrecher zu lenken: So lässt sie über die Zeitungen verbreiten, dass der von den Pistoleros angeschossen zurückgelassene Yamandú mit der Polizei zusammenarbeitet.[43] Der Polizei ist bewusst, dass die Verbrecher die Zeitung lesen und darin nach versteckten Informationen suchen: „In den Zeitungen waren Informationen zwischen den Zeilen versteckt, und die Nachrichten wurden zur psychologischen Kriegsführung verwendet.“[44] Die Kriminellen versuchen, anhand der Zeitungsberichte nachzuverfolgen, welchen Fährten die Polizei nachgeht und wie dicht sie ihnen auf den Fersen ist. Deshalb muss die Polizei aufpassen, wie viel sie preisgeben kann, ohne den Verbrechen die Flucht zu erleichtern. Das macht die Polizeiaussagen und somit die Presseberichte, die auf ihnen basieren, weniger glaubwürdig.
Während sich die Polizei der Presse auf diese Weise bedient, stellt die Presse auch eine Gefahr für die Polizei dar, indem sie ebenfalls als Ermittler agiert und Informationen und Handlungen der Polizei infrage stellt. Sie könnte Dinge ans Licht bringen, die die Polizei geheim zu halten versucht und damit einerseits die Polizei in ein schlechtes Licht rücken, andererseits hoffen die Verbrecher auf einen gewissen Schutz durch die Presse. Nando ist sich „sicher, daß die Presse der Polizei auf den Fersen blieb und schreiben würde, daß sie ihn geschnappt hatten.“[45] Mehrfach wird spekuliert, ob die Polizei es wagen kann, die Pistoleros im Beisein der Presse zu töten. Beispielsweise diskutieren die belagerten Pistoleros:
„he, guck doch mal hin, überall Journalisten … Wenn du dich ergibst, können sie dich nicht abknallen.“
„Die knallen dich trotzdem ab, Arschloch“, sagt Zwei. „Die knallen dich ab und bringen dich als Leiche weg, und wenn noch so viele Journalisten da sind … Sind doch nur Hampelmänner, die Journalisten …“ (Piglia 1997: 136)
Zudem weist Renzi Silva mit ironischem Tonfall darauf hin, dass Journalisten es nicht gerne sähen, wenn man Geistesgestörte umbringe.[46] Sowohl Polizei als auch Verbrecher profitieren also von der Presse und geraten gleichzeitig durch sie in Gefahr, indem sie genutzt wird, um die Ganoven auf falsche Fährten zu locken bzw. Fehlverhalten der Polizei aufdeckt oder für die Verbrecher hilfreiche Informationen offenbart.
4.2 Die Sensationslust der Öffentlichkeit
Ebenfalls von der Presse und somit in gewisser Weise auch von den Verbrechern und der Polizei abhängig ist die Öffentlichkeit, die ihre Sensationslust damit stillt, die Berichte über die Verbrechen zu lesen. Am deutlichsten wird diese Sensationslust in Plata quemada am Beispiel von Lucía Passero gezeigt, die aus dem Schaufenster einer Bäckerei heraus beobachtet, wie die Pistoleros ein Nummernschild austauschen und sich kurz darauf eine
[...]
[1] Piglia 1997: 186.
[2] vgl. Clayton 1998: 50.
[3] vgl. Gutiérrez Gonzáles 2003: 123.
[4] Gutiérrez González 2003: 118.
[5] Piglia 1997: 183.
[6] Piglia 1997: 183–185.
[7] vgl. Jagoe 2009: 143.
[8] Piglia 1997: 187.
[9] vgl. Gutiérrez González 2003: 118, 121.
[10] vgl. Gutiérrez González 2003: 121.
[11] vgl. Gutiérrez González 2003: 119.
[12] vgl. Iglesiasvie 2014.
[13] Laera 2009: 228.
[14] vgl. Iglesiasvie 2014.
[15] vgl. Jagoe 2009: 144.
[16] Jagoe 2009: 144.
[17] Piglia 1997: 9.
[18] Piglia 1997: 54.
[19] Piglia 1997: 58.
[20] vgl. Piglia 1997: 102, 145.
[21] Dabove 2010: 167.
[22] Piglia 1997: 59.
[23] Vgl. Waldmann 1996: 940–942, 951.
[24] Piglia 1997: 41–42.
[25] Waldmann 1996: 952–953.
[26] Piglia 1997: 46.
[27] Piglia 1997: 40.
[28] Piglia 1997: 89.
[29] Piglia 1997: 46–47
[30] Piglia 1997: 37, 41.
[31] Piglia 1997: 16–17, 46, 96.
[32] Dabove 2010: 167.
[33] Piglia 1997: 66–67.
[34] Piglia 1997: 43, 68, 118.
[35] Laera 2009: 230; Dabove 2010: 167.
[36] Piglia 1997: 67–71.
[37] vgl. Piglia 1997: 44–45, 53.
[38] vgl. Piglia 1997: 33, 45, 52, 166–168.
[39] Piglia 1997: 67.
[40] Dabove 2010: 162.
[41] Piglia 1997: 24: „Journalisten schwärmten bereits umher, und die Polizisten riegelten die Straße ab.“
[42] Clayton 1998: 48.
[43] Piglia 1997: 98.
[44] Piglia 1997: 37.
[45] Piglia 1997: 97.
[46] Piglia 1997: 146.