Der Machtkampf zwischen dem Metro-Konzern und Erich Kellerhals innerhalb der Media-Saturn-GmbH geht in einer weiteren Runde vor den BGH. In der Presse nimmt die Berichterstattung Bezug auf die eigenen Werbeslogans, etwa unter den Titeln „Alle sind blöd“ oder „Streit ist nicht so geil“ als persiflierte Zusammenfassung der langwierigen, durch die Gerichtsinstanzen getragenen Streitigkeit. Bei der Beschlussfassung über eine positive Geschäftsführungsmaßnahme der Gesellschaft verwehrte ein Gesellschafter die Zustimmung aufgrund formaler Gründe. Streitig war daher, ob die Ablehnung aus formalen Gründen, die Geschäftsführung könne allein darüber entscheiden, einen Verstoß gegen die Treuepflicht darstelle. Das Zusammenspiel von gesellschafterlicher Treuepflicht und Beschlussautonomie sowie eine Enthaftung des Geschäftsführers gegenüber der Letztverantwortung der Gesellschafter sollen im Folgenden näher betrachtet werden.
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis
A. Einleitung
B. Grundlagen
I. Herleitung
II. Inhalt
1. Wirkrichtung
2. Personeller Umfang
3. Sachbezogener Umfang
4. Parameter
5. Fallgruppe: Mitwirkungspflichten
6. Zwischenergebnis
III. Rechtsprechung
1. Darstellung der Rechtsprechung
2. Zusammenfassung: Stand vor dem BGH Urteil
3. Anmerkung..
C. Das Urteil des BGH v. 12.04.2016 - II ZR 275/14
I. Sachverhalt
1. Motivlage für formale Ablehnung
2. Bejahung einer Treuepflichtverletzung durch OLG
II. Urteil
1. Zustimmungspflicht aus Treuepflicht
2. Widersprüchliches Verhalten
3. Treuwidrigkeit aus anderen Gründen
4. Ergebnis
D. Kritische Überprüfung und Diskussion der Entscheidung
I. Rechtsprechungsentwicklung oder bloße Klarstellung?
II. Missbrauch von Minoritätsrechten
III. Haftungsentledigung des Geschäftsführers
E. Konklusion und Ausblick
F. Fazit
Literaturverzeichnis
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Gebraucht werden die üblichen Abkürzungen, vgl.
Kirchner, Hildebert / Butz, Cornelie: Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache,
8. Auflage, Berlin/New York 2015
Ausarbeitung
A. Einleitung
Der Machtkampf zwischen dem Metro-Konzern und Erich Kellerhals innerhalb der Media-Saturn-GmbH geht in einer weiteren Runde vor den BGH. In der Presse nimmt die Berichterstattung Bezug auf die eigenen Werbeslogans, etwa unter den Titeln „Alle sind blöd“1 oder „Streit ist nicht so geil“2 als persiflierte Zusammen- fassung der langwierigen, durch die Gerichtsinstanzen getragenen Streitigkeit. Bei der Beschlussfassung über eine positive Geschäftsführungsmaßnahme der Gesell- schaft verwehrte ein Gesellschafter die Zustimmung aufgrund formaler Gründe. Streitig war daher, ob die Ablehnung aus formalen Gründen, die Geschäftsführung könne allein darüber entscheiden, einen Verstoß gegen die Treuepflicht darstelle. Das Zusammenspiel von gesellschafterlicher Treuepflicht und Beschlussautono- mie sowie eine Enthaftung des Geschäftsführers gegenüber der Letztverantwor- tung der Gesellschafter sollen im Folgenden näher betrachtet werden.
B. Grundlagen
Das Rechtsinstitut der Treuepflicht3 stellt ein Korrektiv dar, um die Belange der Gesellschaft und die mitgliedschaftlichen Interessen durch eine Pflichtenbindung in Einklang zu bringen.4 Dem Einwirkungspotential der Gesellschafter steht die Rücksichtnahme auf die Gesellschaft sowie auf andere Gesellschafter gegenüber: Die Treuepflicht zielt insbesondere darauf ab, Interessen der Gesellschaft und de- ren Gesellschafter vor einem nicht sachlich begründeten, schädlichen Einfluss aus Gesellschafterrechten zu bewahren. Das Bestehen einer gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht ist mittlerweile rechtsformübergreifend anerkannt.5 Näher eingegan- gen wird auf die Treuepflicht im Allgemeinen sowie die sich im Besonderen an- zuerkennende Stimmpflicht der Gesellschafter.
I. Herleitung
Indem die Gesellschafter einer Gesellschaft aufeinander angewiesen sind und sich damit die Möglichkeit, auf die Mitgliedschaft sowie die Interessen des anderen einzuwirken, stellt die Treuepflicht eine zivilrechtliche Reaktion, mithin ein Kor- relat von Einfluss und Verantwortung, dar.6 Rechtsfunktionelle Anknüpfungs- punkte können daher das mitgliedschaftliche Gemeinschaftsverhältnis, die mit- gliedschaftliche Zweckförderungspflicht und die Korrelation von Rechtsmacht und Verantwortung darstellen.7
Als dogmatische Grundlage wird vielfach der allgemeine Grundsatz der „rechtlichen Sonderverbindung“8 aus § 242 BGB oder die Grundnorm9 des gesamten Korporationsrechts, § 705 BGB herangezogen.10 Hilfsweise kann es auch als eine im Wege richterlicher Rechtsfortbildung geschaffene Figur, ausgehend von einer praktischen Notwendigkeit, gesehen werden.11 Die Rechtsprechung hat sich hierzu nicht geäußert, für die Praxis ist dies ohne Bedeutung.
II. Inhalt
Die Treuepflicht hat als allgemeiner Rechtsgrundsatz den Zweck, die Interessen zwischen Gesellschaftern untereinander sowie zur Gesellschaft in Einklang zu bringen.12 In Anlehnung an das AktG sei zudem der Ansatz für ein eigenständiges GmbH-Konzernrecht mit starkem Bezug zum Personengesellschaftsrecht zu se- hen.13
1. Wirkrichtung
Abzugrenzen ist die - im Fall relevante - Treuepflicht zur Gesellschaft vom Spie- gelbild der Treuepflicht einer GmbH14 gegenüber ihren Gesellschaftern bzw. ei- ner AG15 gegenüber ihren Aktionären. Während zunächst nur eine Treuepflicht im Verhältnis Gesellschaft-Gesellschafter anerkannt war, wird seit der ITT-Ent-scheidung16 bei der GmbH auch eine Treuepflicht zwischen den Gesellschaftern untereinander anerkannt. Ebenso verhält es sich bei der AG zwischen Aktionären seit der Linotype-Entscheidung.17
2. Personeller Umfang
Dem Grunde nach besteht die mitgliedschaftliche Treuepflicht für jede Gesell- schaft und jeden Gesellschafter, unabhängig von Mehrheitsverhältnissen. Ein Al- leingesellschafter jedoch unterliegt mangels zu schützender Mitgesellschafter kei- ner Bindung.18 Einflussmöglichkeiten korrelieren zwar mit den gehaltenen Antei- len, sind jedoch lediglich ein Beurteilungskriterium. Ein Mehrheitsgesellschafter unterliegt ebenso der Treuepflicht wie ein Kleinaktionär.19 Die Ausgestaltung, mithin Intensität und Tragweite der Bindung, ist von bestimmenden Faktoren im konkreten Anwendungsfall abhängig.20 So unterfallen ihr auch Anleger, die über einen Treuhänder oder Strohmann beteiligt21 sind, sowie mittelbare Gesellschaf- ter22 aufgrund der wirtschaftlich ähnlichen Beteiligung.
3. Sachbezogener Umfang
Treuepflicht der Gesellschafter zur Gesellschaft bedeutet, sich gegenüber der Gesellschaft loyal zu verhalten, ihre Zwecke aktiv zu fördern, Schaden von ihr fernzuhalten und auf die mitgliedschaftlichen Interessen der Mitgesellschafter Rücksicht zu nehmen.23 Das Interesse der Gesellschaft stellt grundsätzlich das „aggregierte“ Interesse der Gesellschafter dar, deren institutionalisierte Willensbildung im Gesellschaftervertrag sowie Gesellschafterbeschlüssen stattfindet.24 Daneben steht die Treuepflicht der einzelnen Gesellschafter untereinander.25 Hierbei werden die Interessen der Gesellschafter aggregiert betrachtet, die eine Erfüllung der Treuepflicht von Mitgesellschaftern verlangen können.26
Die Pflicht umfasst grundsätzlich nur den gesellschaftsbezogenen Bereich.27 Private Interessen sind in Ausnahmefällen zu berücksichtigen, wenn etwa die Struk- tur der Gesellschaft stark personalistisch geprägt ist. Die privaten Interessen müssten wesentlich für die ungetrübte Zusammenarbeit in der Zweckgemein- schaft und der Erhaltung des gegenseitigen persönlichen Vertrauens sein.28
4. Parameter
Zur Beurteilung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Treuepflicht gibt es Parameter, die eine grobe Richtung vorgeben können. So stellen etwa die Realstruktur der Gesellschaft sowie die Beteiligungsverhältnisse und deren Einwirkungsmöglichkeiten entscheidende Faktoren dar. Allerdings lässt sich deren Aussagekraft nur in einem fallbezogenen Gesamtzusammenhang, einer Interessenabwägung im Einzelfall, bewerten.29
a. Realstruktur
Zu unterscheiden ist zwischen einer „kapitalistischen“ und „personalistischen“ Gesellschaft.30 Bei einer rein kapitalistischen Gesellschaft kennen sich die An- teilseigner untereinander nicht und das Interesse ist auf die Gewinnerzielung fo- kussiert. Die Treuepflicht wird hierbei schwächer ausgeprägt sein. Dem gegen- über stehen sich in einer personalistischen Gesellschaft die Anteilseigner als eine kleinere und vertraute Gruppe gegenüber; die Treuepflicht wird hierbei als Kor- rektiv von Einfluss und Verantwortung einschneidender sein.31
Eine Pauschalisierung anhand von Rechtsformen scheidet aus. Eine GmbH kann in ihrer Organisation und wirtschaftlichen Betätigung in erheblichem Maße dem unmittelbaren Einfluss ihrer Gesellschafter unterliegen und damit auf eine deutliche Nähe zu einer Personengesellschaft angelegt sein.32 Schutzinteressen lassen sich folglich nur einzelfallabhängig durch eine Ermittlung der Realstruktur, mithin der gesamten statutarischen Ausgestaltung ausmachen.33
b. Beteiligungsverhältnis und Ausmaß des Einflusses
Typischerweise werden den Mehrheitsgesellschafter aufgrund höherer Einfluss- möglichkeiten weitergehende Treuepflichten treffen als den Minderheitsgesell- schafter.34 Andererseits kann sich für den Minderheitsgesellschafter auch die Pflicht ergeben, einer Maßnahme des Mehrheitsgesellschafters zuzustimmen.35 Dies kann etwa bei Sonderrechten oder abweichenden Mehrheitsanforderungen im Gesellschaftsvertrag gegeben sein.36 Statuiert wird eine Pflicht zur gegenseiti- gen Rücksichtnahme in jeder Konstellation, in der sich dem einen die Möglichkeit einer schädlichen Einflussnahme auf andere Gesellschafter ergibt.37
c. Faktoren zur Abwägung widerstreitender Interessen
Die unterschiedlichen Fallgestaltungen führen dazu, dass im Einzelfall eine Viel- zahl von Faktoren zur Abwägung widerstreitender Interessen erforderlich werden kann. Zu berücksichtigen können Gesellschaftszweck, Beteiligungsumfang und - dauer des Gesellschafters, Grad persönlicher Verbundenheit, Art und gesell- schaftliche Funktion des ausgeübten Rechts, besonderes geschaffenes Vertrauen in ein bestimmtes Verhalten sowie Art, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der fraglichen gesellschaftlichen Maßnahme sein.38 Einer Verallgemeinerung sind diese jedoch nicht zugänglich.
5. Fallgruppe: Mitwirkungspflichten
Fallgruppen lassen sich grob danach bilden, ob die Treuepflicht eine Pflicht zur Wahrnehmung des Stimmrechts oder die Vornahme oder Unterlassung einer sonstigen Handlung statuiert.39 Auf letztere „sonstigen Verhaltenspflichten“40 soll nicht eingegangen werden. Im Zentrum des Media-Saturn-Urteils steht die posi- tive Stimmpflicht als Ausprägung der Mitwirkungspflichten von Gesellschaftern. Wenn mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis, insbesondere zur Erhaltung des Geschaffenen oder zur Vermeidung erheblicher Verluste, die die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter erleiden können, eine Zustimmung objektiv unabweisbar erforderlich ist und den Gesellschaftern unter Berücksichtigung ihrer eigenen schutzwürdigen Belange zumutbar ist, insbesondere nachteilige Auswirkungen41 nicht zu erwarten sind, kann sich die Treuepflicht zu einer Stimmpflicht verdich- ten.42
6. Zwischenergebnis
Festzuhalten ist, dass die Treuepflicht ein allgemeiner Rechtsgrundsatz ist und ein eigenständiges, gewohnheitsrechtlich und richterlich anerkanntes Rechtsinstitut darstellt.43 Dieser Rechtsgrundsatz bedarf hinsichtlich Ausmaß und Intensität einer näheren Konkretisierung. Eine solche Konkretisierung, mithin ein angemessener Interessenausgleich, kann nur im Einzelfall hinreichend beurteilt werden.44 Die bereits judizierten Fallgruppen erweisen sich daher zur Bestimmung von Schranken sowie Mitwirkungspflichten als notwendig.
III. Rechtsprechung
Die Rechtsprechung zur gesellschaftlichen Treuepflicht entwickelte sich aufgrund der engen persönlichen Nähe der Gesellschafter bei Personengesellschaften: Als zentraler Rechtssatz datiert die erste Rechtsprechung bis vor den ersten Weltkrieg zurück.45 Bei Verbänden etwa sind Treuepflichten organisationsrechtlich als Bestandteile des Mitgliedschaftsverhältnis zu erfassen.46 Im Sinne der Erhaltung und Zweckerfüllung der Gesellschaft sind die judizierten Grundsätze auf Kapitalgesellschaften zu übertragen.47
1. Darstellung der Rechtsprechung
Der BGH verweist in dem zu diskutierenden Urteil auf die folgenden Entscheidun- gen und gibt in seiner Entscheidung das Substrat derer wieder.48 Die Entscheidun- gen haben gemein das Verhältnis der Gesellschafter zur Gesellschaft, nicht etwa das Verhältnis der Gesellschafter untereinander. Im Folgenden eine Darstellung der zugrundeliegenden Streitigkeiten sowie der zentralen Erwägungen des BGH:
a. BGH v. 24.04.1954 - II ZR 35/53
Der Kläger begehrte, den Gesellschaftsvertrag zu ändern: Der BGH verwies darauf, dass eine Verpflichtung zur Zustimmung nur in „besonderen Umständen“ bestehen kann, wenn eine Änderung zur Erhaltung wesentlicher Werte bzw. zur Vermeidung wesentlicher Verluste mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis sowie Rechtsbeziehungen zwischen den Gesellschaftern „erforderlich“ erscheint.49 Dennoch muss ein Gesellschafter seine eigenen Interessen nicht hinter denen der Gesellschaft zurückstellen.50
b. BGH v. 17.12.1959 - II ZR 81/59
Im Fall einer Kommanditgesellschaft, deren Komplementär die Auflösung bean- tragte, entnahm der BGH der gesellschaftlichen Treuepflicht zulasten der Kom- manditisten die Rechtspflicht, für die Gesellschaft nach objektiver Beurteilung notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.51 Die Notwendigkeit der Geschäftsauflö- sung wird anhand des Kriteriums der Wirtschaftlichkeit und der Haftung des Komplementäres dargelegt.
c. BGH v. 10.06.1965 - II ZR 6/63
Ausgehend von den Kriterien der Notwendigkeit und Werterhaltung stellte der BGH hinsichtlich einer begehrten Vergütungserhöhung für den Geschäftsführer die Frage, ob diese für eine verständige Weiterverfolgung des Gesellschaftszwecks erforderlich ist.52
d. BGH v. 24.01.1972 - II ZR 3/69
Eine Zustimmungspflicht bestehe bei einstimmiger Geschäftsführung nur zu notwendigen Geschäftsführungsmaßnahmen i.S.d. § 744 II BGB oder wenn die Zustimmung ohne vertretbaren Grund verweigert wird, obwohl Zweck und Interesse ebendiese erfordern.53
[...]
1 FAZ v. 30.05.2014, siehe http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/streit-um-media- saturn-alle-sind-bloed-12965068.html, abgerufen am 06.06.17.
2 Frankfurter Rundschau v. 16.07.2014, siehe http://www.fr-online.de/wirtschaft/erich-kellerhals- und-media-saturn-streit-ist-nicht-so-geil,1472780,27861624.html, abgerufen am 06.06.17.
3 Schiessl/Böhm in MüHdb GesR III § 32 Rn 18.
4 Vgl. Verse in Henssler/Stroh § 14 Rn 98.
5 Vgl. LG Ingolstadt v. 15.10.2013 - 1 HKO 188/13 II 1; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 13 GmbHG Rn 20 ff.; Fastrich in Baumbach/Hueck § 13 GmbHG Rn 18 ff., 21 m.w.N.
6 Merkt in MüKo GmbHG § 13 Rn 88; Hennrichs in AcP 195, 221, 235.
7 Schmidt, GesR § 20 IV S. 588; abw. Lutter, AcP 180, 102, 120 f.; Zöllner, Schranken S. 338
8 Roth in MüKo BGB § 242 Rn 119 f.; Kübler in Kübler/Assmann GesR, § 6 II 2 c.
9 Lutter, ZHR 153, 446, 454.
10 Hennrichs, AcP 195, 221, 226 ff.; Wicke, GmbHG § 13 Rn 19; Hadding/Kiesling in Soergel BGB § 705 Rn 58; Lutter, AcP 180, 84, 102 ff; Fastrich in Baumbach/Hueck GmbHG § 13 Rn 20; vgl. auch Winter, Treuebindungen, S.173; Lutter, AcP 180, 84, 104 f.
11 Pöschke, NZG 2015, 550, 570 mWN; a.A. Flume in ZIP 1995, 161, 164; Verse in Habersack/Bayer Band II Kapitel 13 Rn 27.
12 Altmeppen in Roth/Altmeppen GmbHG § 13 Rn 32.
13 Fastrich in Baumbach/Hueck GmbHG § 13 Rn 25.
14 BGH NJW 1953, 780, 781; 1976, 191, 193; 1992, 368, 369; WM 1972, 931, 933.
15 BGH NJW 1994, 3094, 3095; 1954, 1401; 1988, 1579.
16 BGHZ 65, 15.
17 BGHZ 103, 84.
18 BGH NJW 1993, 193; 1999, 2817.
19 Hennrichs, AcP 105, 221, 236 f.
20 Fastrich in Baumbach/Hueck GmbHG § 13 Rn 22.
21 Verse in Henssler/Strohn § 13 Rn 100.
22 BGH NJW 1976, 191; 1984, 1351, 1352 f.
23 BGHZ 9, 157, 163; Wicke, GmbHG § 13 Rn 19; Schindler in BeckOK GmbHG § 47 Rn 55; Fastrich in Baumbach/Hueck GmbHG § 13 Rn 21; Michaelski/Funke in Michaelski § 13 Rn 136.
24 Altmeppen in Roth/Altmeppen GmbHG § 13 Rn 32.
25 BGH v. 05.06.1975 - II ZR 23/74 („ITT“) = NJW 1976, 191; Pentz in Rowedder/Schmidt- Leithoff § 13 Rn 36 f.; Fastrich in Baumbach/Hueck § 13 Rn 26; Raiser in Ulmer/H/L § 14 Rn 72.
26 Michaelski/Funke in Michaelski § 13 Rn 142.
27 BGH NJW 1992, 3167, 3171.
28 BGHZ 9, 157, 163; 65, 15, 19; 98, 276, 279 f.; 103, 184, 195; Luther, AcP 180, 84, 128 f.; Zöllner, Schranken S. 349.
29 BGH NZG 2007, 582 Rn 6; Emmerich in Scholz § 13 Rn 39; Pöschke, Auskunftsrechte ZGR 2015, 550, 573; Altmeppen in Roth/Altmeppen § 13 Rn 30; Hennrichs, AcP 195, 221, 228.
30 BGHZ 9, 163; 65, 19; 103; Fastrich in Baumbach/Hueck GmbHG § 13 Rn 22; Raiser in Ulmer/H/L GmbHG § 14 Rn 69.
31 Winter, Treuebindungen, S. 188; Luther, AcP 180, 84, 105 ff.
32 BGH v. 05.06.1975 - II ZR 23/74 = NJW 1976, 191, 192.
33 Winter, Treuebindungen, S. 188.
34 Merkt in MüKo GmbHG § 13 Rn 90 f.
35 Bayer in Lutter/Hommelhoff § 13 Rn 22.
36 Zöllner, Schranken S. 109 f.; Weller/Discher in Bork/Schäfer § 13 Rn 9.
37 Emmerich in Scholz § 13 Rn 39b; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff § 13 Rn 38; Weller/Di- scher in Bork/Schäfer § 13 Rn 9.
38 Merkt in MüKo GmbHG § 13 Rn 89 m.w.N.
39 Merkt in MüKo GmbHG § 13 Rn 110; Weller/Discher in Bork/Schäfer § 13 Rn 11 f.
40 Merkt in MüKo GmbHG § 13 Rn 142 ff.
41 BGH v. 25.09.1986 - II ZR 262/85, I Nr. 2 = DNotZ 1987, 236, 238.
42 BGHZ 44, 40, 41; 64, 263, 258; BGH v. 05.11.1984 - II ZR 111/84 = WM 1985, 195, 196; BGH v. 25.09.1986 - II ZR 262/85 = DNotZ 1987, 236, 237; Altmeppen in Roth/Altmeppen GmbHG § 13 Rn 52 ff.
43 Merkt in MüKo GmbHG § 13 Rn 88 ff.
44 Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff § 13 Rn 43; Raiser in Ulmer/H/L § 13 Rn 67; Funke in Michaelski § 13 Rn 140.
45 Schäfer in MüKo BGB § 705 Rn 221 m.w.N.
46 Vgl. Winter, Treuepflichten S. 63 ff.
47 RGZ 132, 149, 163; BGHZ 9, 157, 163; 14, 25, 38; vgl. Rechtsprechungswende zur Publi- kumsKG BGH NJW 1985, 972, 973; 1985, 974, 974; weiterführend Ulmer, Anmerkung zu BGH v. 05.06.1975 - II ZR 23/74 („ITT“) in NJW 1976, 191, 193; Winter, Treuepflichten, S. 179.
48 BGH v. 12.04.2016 - II ZR 275/14 Rn 13a.
49 BGH v. 24.04.1954 - II ZR 35/53 = JurionRS 1954, 13679 Rn 11.
50 BGH v. 24.04.1954 - II ZR 35/53 = JurionRS 1954, 13679 Rn 15.
51 BGH v. 17.12.1959 - II ZR 81/59 = NJW 1960, 434, 434 f.
52 BGH v. 10.06.1965 - II ZR 6/63 = NJW 1965, 1960.
53 BGH v. 24.01.1972 - II ZR 3/69 = NJW 1972, 862. 863.