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Welche besondere Rolle nimmt der Erzähler in Thomas Manns Roman "Der Erwählte" ein?

©2016 Hausarbeit (Hauptseminar) 14 Seiten

Zusammenfassung

Der im Jahre 1951 erschienene Roman "Der Erwählte" von Thomas Mann widmet sich keinesfalls einer ganz neuen Materie. So lässt Mann die Legende des Papstes Gregorius wiederaufleben und orientiert sich dabei an der im 12. Jahrhundert entstandenen Legende „Gregorius“ von Hartmann von Aue.

Um den Roman in das Gesamtwerk Thomas Manns einordnen zu können, wird zu Beginn kurz auf die Entstehungsgeschichte des Erwählten eingegangen. Anschließend widmet sich die Arbeit der Erzählerrolle. Die genaue Betrachtung der Rolle des Erzählers ist im Roman „Der Erwählte“ sehr komplex. Um dieser Vielschichtigkeit gerecht zu werden und um die Erzählerrolle für den gesamten Roman zu beleuchten, wird in der Ausarbeitung zwischen der Rolle bzw. der Erzählhaltung des Erzählers im Einleitungskapitel und der Rolle des Erzählers im gesamten Handlungsabläufen differenziert. Fragen wie: Wer ist der „Geist der Erzählung“ oder „Welche Rolle übernimmt dieser im Werk?" sollen beantwortet werden.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Entstehungsgeschichte

III. Die Rolle des Erzähler im Roman „Der Erwählte“
1. Einleitungskapitel
2. Die Erzählinstanz „Clemens der Ire“

IV. Fazit

V. Literatur- und Quellenverzeichnis

I. Einleitung

Der im Jahre 1951 erschienene Roman „Der Erwählte“ von Thomas Mann, widmet sich keinesfalls einer ganz neuen Materie. So lässt Mann die Legende des Papstes Gregorius wiederaufleben und orientiert sich dabei an der im 12. Jahrhundert entstandenen Legende „Gregorius“ von Hartmann von Aue.[1]

"An den äußeren Gang der Handlung, wie Hartmann sie sich aneignet, hielt ich mich so getreu wie bei den Josephromanen an die Daten der Bibel. [...] Aber wenn es das Alte und Fromme, die Legende parodistisch belächelt, so ist dies Lächeln eher melancholisch als frivol, und der verspielte Stil-Roman, die Endform der Legende, bewahrt mit reinem Ernste ihren religiösen Kern, ihr Christentum, die Idee von Sünde und Gnade." [2]

In Manns Bemerkung zu seinem Roman wird deutlich, dass er die Ähnlichkeiten mit Hartmann von Aue „Gregorius“ in keinster Weise versucht zu verschweigen. Die Parallelen im Handlungsgeschehen der beiden Geschichten sind auch für den Leser kaum zu übersehen, betrachtet man die beiden Werke jedoch genauer, sticht eine Divergenz ganz klar hervor: Die Rolle des Erzählers.

Mit genau jener Thematik soll sich auch die folgende Ausarbeitung befassen. Um den Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu sprengen, ist es nicht möglich einen Vergleich der beiden Erzählerfiguren an zu stellen, so wird der Focus stattdessen auf den Erzähler in Manns Roman „Der Erwählte“ gelegt.

Um den Roman in das Gesamtwerk Thomas Manns einordnen zu können, wird zu Beginn kurz auf die Entstehungsgeschichte des Erwählten eingegangen. Anschließend wird sich im weiteren der Erzählerrolle gewidmete. Die Untersuchung der Erzählhaltung bzw. die genaue Betrachtung der Rolle des Erzählers ist im Roman „Der Erwählte“ sehr komplex. Um dieser Vielschichtigkeit gerecht zu werden und um die Erzählerrolle für den gesamten Roman zu beleuchten, wird in der Ausarbeitung zwischen der Rolle bzw. der Erzählhaltung des Erzählers im Einleitungskapitel und der Rolle des Erzählers im gesamten Handlungsabläufen differenziert. Fragen wie: Wer ist der „Geist der Erzählung“ oder „Welche Rolle übernimmt dieser im Werk? sollen im Folgenden beantwortet werden.

Für die Untersuchungen dieser Ausarbeitung wurde sich akribisch mit der Quelle selbst, dem Roman „Der Erwählte“ auseinander gesetzt und die einzelnen Textpassagen im Hinblick auf die Besonderheiten der Erzählerfigur ausgewertet. Da sich die Forschung bisher eher auf den Vergleich von Hartmanns und Manns Versionen der Gregorius-Legende fokussierte, liegt nur wenig Literatur zum Aspekt der Erzählerrolle im „Der Erwählte“ vor. Besonders einschlägig war hier jedoch, die Dissertation von Carsten Bronsema aus dem Jahr 2005, welche sich der Untersuchung zum poetischen Stellenwert von Sprache, Zitat und Wortbildung widmete.

II. Entstehungsgeschichte

Wie in der Einleitung bereits erwähnt, orientierte sich Mann bei seiner Ausarbeitung der Gregorius Legende zwar an Hartmanns von Aue Legende, doch begegnete ihm der Stoff der Papstlegende in einem anderem Zusammenhang.

Wie die Mitschrift einer Vorlesung zum Thema „Höfische Epik“ aus Manns Studienjahren in München zeigt, weckte die Gregorius – Legende bereits zu diesem Zeitpunkt das Interesse des jungen Thomas Manns.[3] Jedoch erneut aktuell wurde diese Thematik erst wieder, während der Arbeit an seinem Werk Doktor Faustus, als er sich mit der Lektüre der Gesta Romanorum beschäftigte. Die Legende des Gregorius baute er hier erstmals als Puppenspiel in eines seiner Werke ein. Doch sein Wunsch nach Aufarbeitung der Legende schien an diesem Punkt immer noch nicht gestillt, so schrieb er in einem Brief an seinen Freund Samuel Singer im Jahre 1948 folgendes:

„Die Sache ist, daß ich die Geschichte, die schon im 'Faustus' kurz vorkommt, und die so lange, verzweigte Wurzeln in der Tradition hat, gern mit modernen Posa-Mitteln noch einmal erzählen möchte, als fromme Grotesk-Legende“. [4]

Kurz nach dieser Aussage, begann Thomas Mann mit den Quellenstudien zu Gregoriuslegende. Dabei setzte er sich sowohl mit der Mittelhochdeutschen Sprache als auch mit der Kirchengeschichte des 9. und 10. Jahrhunderts auseinander. Die Gregorius Legende Hartmanns von Aue, lies er sich von seinen Mitarbeitern eine Neuhochdeutsche Fassung übersetzen um sich so besser am Inhalt orientieren zu können. Bis zu Fertigstellung und Veröffentlichung des Romans im Jahre 1951 vergingen zwei Jahre.[5]

III. Die Rolle des Erzähler im Roman „Der Erwählte“

1. Einleitungskapitel

„Gloockenschall, Glockenschall supra urbem“[6] - so lauten die ersten Worte des Einleitungskapitels in Manns Roman. Thomas Mann beginnt sein Werk mit der Ende der Gregorius-Legende, dem Einzug des neuen Papstes in die heilige Stadt.

Nach einer ausgiebigen Beschreibung dieses Wunders, wird die Frage des Urhebers des Glockenläutens gestellt: Wer läutet?[7] – diese Frage wird nicht nur im Fließtext gestellte, Mann betitelt sein Einleitungskapitel in „Der Erwählte“ ebenso. Der Titel des ersten Kapitels scheint jedoch nicht wahllos ausgesucht worden zu sein, so wird gleich zu Beginn eine für diese Ausarbeitung so essentielle Frage gestellt und im Laufe des Kapitels beantwortet. Ein mittelalterlicher Erzähler, wie in der Vorlage Hartmanns von Aue, hätte vermutlich auf die Frage nach dem Wunder der läutenden Glocken verzichtet. Thomas Mann nutzt dagegen diese Gelegenheit um seinen Erzähler einzuführen. Die Frage nach dem Urheber des Läutens wird mit dem „Der Geist der Erzählung“ beantwortet.

Ausgehend von dieser Frage, stellt sich der „Geist der Erzählung“ im Laufe des Kapitels als Erzähler der Geschichte vor. Er erwähnt, dass es der Geist der Erzählung ist, der spricht und auch die Glocken läutet.[8] Demnach lässt sich schließen, dass es sich bei dem „Geist der Erzählung“ auch um den Erzähler handelt.

Wen bzw. was kann man sich jedoch unter dem „Geist der Erzählung“ vorstellen? Er charakterisiert sich selbst als „luftig, körperlos, allgegenwärtig (und) nicht unterworfen dem Unterschiede Hier und Dort“[9]. Begründet werden diese Eigenschaften mit dem Leuten der Glocken an verschiedenen Orten, welches all jene Charakteristika voraussetzt, da es andernfalls unmöglich scheint, an verschiedenen Orten gleichzeitig zu sein.

Mit Hilfe eines Spiels, lässt der „Geist der Erzählung“ seine Person immer abstrakter wirken. Er eröffnet dem Leser, dass ihm die ersten drei Personalpromina singularis zugeschrieben werden können[10], er sich aber im Gesamten zur Person des Mönches Clemens des Iren zusammen zieht. Durch diese spielerische Darstellung „gibt sich der Erzähler Clemens als jemand zu erkennen, der erstens keine außer textliche Identität hat, der also nur Produkt eines grammatischen Spieles ist, und zweitens auch noch darum weiß“[11]. Im Zuge des Spieles erläutert er seine Herkunft, seinen derzeitigen Aufenthaltsort, seine Ausbildung und seinen Orden. So handelt es sich bei Clemens um einen irischen Benediktiner Mönch, der von seinem Abt Clomacois entsandt wurde. Noch vor seiner Zeit als Gottesdiener, hieß dieser Morhold. Zum Zeitpunkt, zu dem er von der Geschichte des Gregorius erzählt, sitzt er am Pult des Stammlers Notkers in der Bibliothek des Klosters Sankt Gallen.[12] Einen genauen Zeitpunkt gibt der Erzähler jedoch nicht an, auch mit Hilfe der Ortsangaben oder der genannten Personen lassen sich keine genauen Daten rekonstruieren.

Des Weiteren verzichtet Clemens auf die Einbettung der Erzählung selbst in einen zeitlichen Rahmen. Der Leser schwebt demnach in Bezug auf den zeitlichen Kontext in völliger Orientierungslosigkeit. „In diesem Verzicht auf eine zeitliche Fixierung des Berichteten, in seiner heimlichen Umwertung zu einem abstrakten Zeichen für Vergangenheit, verrät sich eine unverhüllte Gleichgültigkeit des Erzählers gegen das Historische in seiner bloßen Historizität“[13]

Der „Geist der Erzählung“ verdeutlicht jedoch, dass nicht nur auf einen zeitlichen Rahmen verzichtet wird, so werden auch keinen sprachlichen Grenzen gesetzt. Es verhält sich nämlich so, dass „der Geist der Erzählung ein bis zur Abstraktheit ungebundener Geist ist, dessen Mittel die Sprache an sich und als solche, die Sprache selbst ist, welche sich als absolut setzt und nicht viel nach Idiomen und sprachlichen Landesgöttern fragt. Das wäre ja auch polytheistisch und heidnisch. Gott ist Geist, und über den Sprachen ist die Sprache.“[14]

[...]


[1] Kurzke, Hermann: Thomas Mann. Epoche – Werk – Wirkung. München 1997. S.283

[2] Mann, Thomas: Bemerkungen zu dem Roman "Der Erwählte", in: Altes und Neues. Kleine Prosa aus fünf Jahrzehnten, Frankfurt a. M. 1953, S. 261/263.

[3] Makoschey, Klaus: Quellenkritische Untersuchungen zum Spätwerk Thomas Manns. „Joseph, Der Ernährer“, „Das Gesetz“, „Der Erwählte“. Frankfurt/Main 1998.S.135.

[4] Mann, Thomas, Selbstkommentare: Der Erwählte. Frankfurt/Main 1989. S. 9f. Zitiert nach: Beer, Ulrike: Das Gregorius-Motiv. Hartmanns von Aue „Gregorius“ und seine Rezeption bei Thomas Mann. Meldorf 2002. S. 71.

[5] Beer, Ulrike: Das Gregorius-Motiv. Hartmanns von Aue „Gregorius“ und seine Rezeption bei Thomas Mann. Meldorf 2002. S. 71.

[6] Mann, Thomas: Der Erwählte. Berlin 1956. S. 7.

[7] Mann, Thomas: Erwählte.1956. S. 7.

[8] Ebd. S.8.

[9] Ebd. S. 8.

[10] Ebd. S.8

[11] Bronsema, Carsten: Thomas Manns Roman „Der Erwählte“. Eine Untersuchung zum poetischen Stellenwert von Sprache, Zitat und Wortbildung. Osnabrück 2005. S.15.

[12] Mann, Thomas: Erwählte. S.1956 S. 8 -10

[13] Stackmann, Karl: „Der Erwählte“. Thomas Manns Mittelalter-Parodie, in: Euphorion 53 (1959).S. 65.

[14] Mann, Thomas: Erwählte. 1956. S.13.

Details

Seiten
Jahr
2016
ISBN (eBook)
9783668540156
ISBN (Buch)
9783668540163
Dateigröße
522 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Erscheinungsdatum
2017 (Oktober)
Note
1,7
Schlagworte
welche rolle erzähler thomas manns roman erwählte
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