Diese Arbeit beschäftigt sich mit den Diskussionen, wie der Schulunterricht im besetzten Nachkriegsdeutschland aussehen sollte. Denn wie sollte man mit den Kindern und Jugendlichen umgehen, die kaum etwas anderes als nationalsozialistische Propaganda und einen totalitären Staat kannten? Wie konnten sie an die Demokratie herangeführt werden, die in Deutschland aufgebaut werden sollte?
Hierfür wurden unterschiedliche Konzepte entwickelt und zum Teil kontrovers diskutiert. Diese werden in dieser Arbeit als erstes vorgestellt. Dem schließt sich die Beschreibung der konkreten Umsetzung in den Schulen an. Dabei wird nachvollzogen, welche Maßnahmen letztendlich tatsächlich durchgeführt wurden. Im Anschluss daran wird behandelt, wie die demokratische Erziehung der Jugend außerhalb der Schule erreicht werden sollte. Wegen des begrenzten Umfangs dieser Seminararbeit wird nicht ganz Deutschland Erwähnung finden. Die Autorin beschränkt sich auf die amerikanische Besatzungszone.
Anschließend soll anhand einer ausgewählten Definition der Begriffe „Erziehung“ und „Bildung“ geklärt werden, ob es sich bei den angewendeten Maßnahmen der sogenannten „Re-education“-Politik also der Erziehungs- bzw. Bildungspolitik der amerikanischen Besatzungsmacht, in Bezug auf die Jugend eher um Erziehung oder um politische Bildung handelte.
Inhaltsverzeichnis
1 Das „richtige“ System
2 Grundsätzliches
2.1 Gebiet der amerikanischen Besatzungszone
2.2 „Re-education“
2.3 „Entnazifizierung“
3 Der Weg zur Re-education-Politik in der amerikanischen Besatzungszone
3.1 Bestrafungskonzept (Der Morgenthau-Plan)
3.2 Wiederaufbaukonzept
4 Re-education in der Schule
5 Re-education außerhalb der Schule (Jugendorganisationen)
6 Erziehung vs. Bildung
7 Fazit
8 Literaturverzeichnis
1 Das „richtige“ System
Schulbildung ist in unserer heutigen Gesellschaft ein ständiges Streitthema. Politiker, Pädagogen, Schüler und Eltern diskutieren über pädagogische Ansätze und Lehrpläne, schwärmen vom „richtigen“ System und schimpfen über das „falsche“. Privatschulen mit eigenen, „besseren“ Methoden schießen wie Pilze aus dem Boden. Gleichzeitig wird über ein deutschlandweit einheitliches oder eben nicht einheitliches Bildungssystem gestritten. Die Themen und Zankäpfel sind vielfältig, angefangen bei der Dauer der gymnasialen Schulbildung von acht oder neun Jahren über die Verwendung von digitalen Medien in Schulen bis hin zum Problem des Lehrermangels.
Und wie sah das vor gut 70 Jahren aus, um genau zu sein vor 72 Jahren? Da war am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation des deutschen Militärs gerade der zweite Weltkrieg zu Ende gegangen. Deutschland lag in Trümmern – wortwörtlich, aber auch im Hinblick auf viele gesellschaftliche Bereiche. Zwingenderweise begannen so wenig später die Diskussionen, wie der Schulunterricht im besetzten Nachkriegsdeutschland aussehen sollte. Denn wie sollte man mit den Kindern und Jugendlichen umgehen, die kaum etwas anderes als nationalsozialistische Propaganda und einen totalitären Staat kannten? Wie konnten sie an die Demokratie herangeführt werden, die in Deutschland aufgebaut werden sollte?
Hierfür wurden unterschiedliche Konzepte entwickelt und zum Teil kontrovers diskutiert. Diese werden in dieser Arbeit als erstes vorgestellt. Dem schließt sich die Beschreibung der konkreten Umsetzung in den Schulen an. Dabei wird nachvollzogen, welche Maßnahmen letztendlich tatsächlich durchgeführt wurden. Im Anschluss daran wird behandelt, wie die demokratische Erziehung der Jugend außerhalb der Schule erreicht werden sollte. Wegen des begrenzten Umfangs dieser Seminararbeit wird nicht ganz Deutschland Erwähnung finden, ich beschränke mich auf die amerikanische Besatzungszone.
Anschließend soll anhand einer ausgewählten Definition der Begriffe „Erziehung“ und „Bildung“ geklärt werden, ob es sich bei den angewendeten Maßnahmen der sogenannten „Re-education“-Politik, also der Erziehungs- bzw. Bildungspolitik der amerikanischen Besatzungsmacht, in Bezug auf die Jugend eher um Erziehung oder um politische Bildung handelte.
2 Grundsätzliches
Zu Beginn möchte ich einige grundlegende Dinge aufführen, die als Hintergrundwissen für das Verständnis dieser Arbeit nötig oder zumindest nützlich sind. Dazu zählt die Abgrenzung, welche Gebiete Deutschlands überhaupt zur amerikanischen Besatzungszone zählten, was es mit dem Begriff der „Re-education“ auf sich hat und was unter dem Begriff der „Entnazifizierung“ zu verstehen ist.
2. 1 Gebiet der amerikanischen Besatzungszone
Noch vor dem Ende des zweiten Weltkrieges beschlossen die USA, Großbritannien und die Sowjetunion, dass Deutschland nach dem Krieg unter diesen drei Mächten aufgeteilt werden sollte. Auf der Konferenz von Jalta, die vom 4. bis 11. Februar 1945 dauerte, legten die drei Staaten drei Besatzungszonen in Deutschland fest. Auch Berlin wurde dreigeteilt.
Erst später bezogen die USA, Großbritannien und die Sowjetunion Frankreich mit ein. Die Amerikaner und die Briten traten Teile ihrer Besatzungszonen an Frankreich ab, sodass in Deutschland schließlich vier Zonen unter den vier Besatzungsmächten etabliert wurden (Kimmel 2005).
Die amerikanische Besatzungszone umfasste zunächst Bayern, Hessen, Nordwürttemberg und Nordbaden. Auch Bremen war amerikanisch besetzt, obwohl es mitten in der von den Briten kontrollierten Zone lag. Im Sommer 1945 überantworteten die USA Gebiete an Frankreich, die später die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Saarland werden würden. Auch Teile von Württemberg und Baden wurden an die Franzosen abgegeben (Zeitklicks o. J.).
2. 2 „Re-education“
Der Begriff der „Re-education“ stammt ursprünglich aus Psychotherapie und Erziehungswissenschaft und beschreibt in beiden Bereichen jeweils unterschiedliche Aspekte. In der Psychotherapie meint der Begriff den Vorgang, in dem ein psychisch kranker Mensch gesund wird und zu normalem Verhalten zurückkehrt. In der Erziehungswissenschaft wird der Begriff verwendet, um den Prozess zu beschreiben, den Personen durchlaufen, wenn sie durch beispielsweise Krankheit verlorene Fähigkeiten wiedererlernen (Braun 2004: 16). Der Nationalsozialismus wurde als Krankheit gesehen, die Deutschen wurden wie Patienten betrachtet, denen man zur Heilung verhelfen wollte. Die Demokratie war somit – um im Bild zu bleiben – gleichzeitig Medikament und gesunder Zustand (Detjen 2007: 100).
2. 3 „Entnazifizierung“
In dieser Arbeit taucht häufig der Begriff der „Entnazifizierung“ auf. Hierbei handelt es sich um Maßnahmen der Alliierten nach Kriegsende, um NSDAP-Mitglieder aus Schlüsselpositionen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu entfernen und gegebenenfalls für Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Dazu unterschied man zwischen fünf Stufen: Hauptschuldige, Belastete oder Schuldige, Minderbelastete, Mitläufer und Entlastete. Je nachdem, welcher Kategorie eine Person zugeordnet wurde, fielen die Strafen in den Gerichtsprozessen unterschiedlich hart aus (dtv-Lexikon 1978: 133).
3 Der Weg zur Re-education-Politik in der amerikanischen Besatzungszone
Gegen Ende des zweiten Weltkrieges, als absehbar war, dass Deutschland verlieren würde, stand bei den Alliierten die Frage im Raum, was mit Nachkriegsdeutschland geschehen sollte. So war beispielsweise die Aufteilung des Landes bereits beschlossene Sache (siehe Kapitel 2. 1). Am 2. August 1945 verabschiedeten die Alliierten das Potsdamer Abkommen, das die Basis für die Umerziehungspolitik der Besatzungsmächte bildete. Darin schrieben die Siegermächte diejenigen Vorstellungen zur Zukunft Deutschlands nieder, über die sie sich untereinander einig geworden waren. So wollten sie eine komplette Abrüstung Deutschlands erreichen. Des Weiteren wurde das Ziel der Entnazifizierung festgelegt: Verbrechen sollten geahndet werden und nationalsozialistische Funktionäre ihre Positionen aufgeben müssen. Und als weiteres wichtiges Ziel wurde eine Neugestaltung der Politik genannt, Grundlage sollte die Demokratie sein (Detjen 2007: 99).
Jene drei Vorhaben waren die Hauptziele. Daneben wurde aber auch die Bildungspolitik erwähnt: Jegliche militärische oder nationalsozialistische Ideologie sollte aus den Schulen verschwinden, stattdessen sollte der Fokus auf demokratische Ansätze gerichtet werden (ebenda).
Bei den Amerikanern waren zwei gegensätzliche Ansätze zu erkennen: das Bestrafungskonzept vom damaligen US-Finanzminister Henry Morgenthau und das Wiederaufbaukonzept, als dessen Hauptvertreter Richard Taylor den damals amtierenden US-Kriegsminister Henry L. Stimson sieht. Der erste Ansatz wurde auch als „idealistisch“ bezeichnet, der andere als „pragmatisch“. Morgenthaus Plan sah vor, Deutschland mithilfe von radikalen Eingriffen unfähig zu machen, jemals wieder Krieg zu führen (Taylor 2011: 171f).
Das Wiederaufbaukonzept, das laut Joachim Detjen vor allem von der Lehre des Philosophen John Dewey beeinflusst war, zielte hingegen auf den Wiederaufbau Deutschlands als demokratischer Staat (Detjen 2007: 101).
Im Folgenden werden beide als rein theoretische Konzepte vorgestellt, welche konkreten Auswirkungen sie auf die Schulen hatten, folgt in Kapitel 4.
3. 1 Bestrafungskonzept (Der Morgenthau-Plan)
Laut Gareau (1961: 517) werden als „Morgenthau-Plan“ jegliche Ansätze bezeichnet, deren Ziel es war, die Abrüstung Deutschlands nach dem Krieg durch eine industrielle Abrüstung sicherzustellen. Einen einheitlichen Morgenthau-Plan gibt es nicht, in der Literatur werden drei unterschiedliche Modelle der Deindustrialisierung Morgenthau zugeschrieben: Das radikalste Modell bezeichnet den Ansatz, Deutschland jegliche Schwer- und Leichtindustrie zu nehmen und es somit komplett in einen reinen Agrarstaat zu verwandeln. Weniger radikal ist der Plan, nur die Schwerindustrie aus Deutschland zu entfernen und dem Land die Leichtindustrie und Agrarstruktur zu belassen. Das letzte und vergleichsweise moderate Modell verfolgte das Ziel, nur einen Teil der Schwerindustrie zu entfernen (Gareau 1961: 518).
Hoffmann (2011: 54) hält es allerdings für unwahrscheinlich, dass Morgenthau jemals die vollständige Umwandlung Deutschlands in einen Agrarstaat als Ziel verfolgte. Er stützt sich auf die Aussagen des Historikers Wilfried Mausbach, der formuliert: „Es ist [...] in keiner Vorlage [...] von einer Agrarisierung Deutschlands die Rede; insofern ist die allgemein verbreitete Vorstellung vom Morgenthau-Plan ein Mythos“ (Hoffmann 2011: 54, zit. nach Mausbach 1996: 369).
Die USA hofften, mit einer Deindustrialisierung sicherstellen zu können, dass Deutschland nicht mehr in der Lage wäre, einen Krieg zu führen (Gareau 1961: 518).
Im Gegensatz zu Hoffmann interpretiert Detjen (2007: 101) den Morgenthau-Plan als Ansatz, Deutschland in einen Agrarstaat umzuformen. Dies sei für Morgenthau „die notwendige Voraussetzung der Umerziehung“ (ebenda) gewesen, die anschließend erst beginnen sollte. Um das Schulwesen von nationalsozialistischer Ideologie zu lösen, sollten Schulen und Hochschulen vorerst geschlossen werden. Wie das in der Folge neugeformte Schulwesen dann aussehen sollte, legte Morgenthau nicht fest (ebenda).
Morgenthaus Ansätze prägten die Deutschland-Politik der Vereinigten Staaten in der ersten Zeit der Besatzung, und somit auch die Richtlinien, die das Erziehungswesen betrafen. So wird in einer Direktive vom 7. Juli 1945 als Ziel gesetzt, „den Nazismus und den deutschen Militarismus [...] innerhalb des deutschen Erziehungswesens auszurotten und mittels eines positiven Umerziehungsprogramms nazistische und militaristische Doktrinen vollständig zu eliminieren sowie die Entwicklung des demokratischen Gedankenguts zu fördern“ (Detjen 2007: 101, zit. nach Froese 1969, 75ff.). Stellen innerhalb des Schulsystems sollten mit entnazifizierten Lehrern besetzt werden und im Unterricht sollte die Nazi-Ideologie keinen Platz mehr haben. Unter anderem sollten Verherrlichung des Militärs, die Diskriminierung von Minderheiten und rassistische Lehren aus dem Unterrichtsstoff entfernt werden (Detjen 2007: 101).
Morgenthaus Pläne waren maßgeblich auf repressives Vorgehen ausgerichtet. Sie nutzten die erste Zeit nach dem Krieg, als die USA die besten Möglichkeiten zur Einflussnahme hatten, nicht für konstruktive Ansätze. Als die Pläne der Bevölkerung bekannt wurden, hatte das heftige Ressentiments zur Folge (ebenda).
Der US-amerikanische Kriegsminister Henry L. Stimson war gegen den Plan, die deutsche Wirtschaft zu beschneiden. Er war der Ansicht, dass derartige Maßnahmen bei der deutschen Bevölkerung Widerwille und Spannungen hervorrufen und eventuell sogar die Grundlage für einen neuen Krieg legen würden (Taylor 2011: 173f.). Tatsächlich wurde der Morgenthau-Plan rasch immer weniger populär, nachdem die Öffentlichkeit von seinem Inhalt erfahren und ihn vernichtend berurteilt hatte (Bundeszentrale für politische Bildung 2006).
3. 2 Wiederaufbaukonzept
Dem Morgenthau-Plan entgegen stand das Wiederaufbaukonzept, das auf der pragmatistischen Erziehungsphilosophie John Deweys beruhte. Nachdem der Morgenthau-Plan ad acta gelegt worden war, löste der Pragmatismus das Bestrafungskonzept ab. Die ab 1946 Verantwortlichen für die Umerziehung vertraten alle mehr oder weniger eindeutig die pragmatistische Sichtweise (Detjen 2007: 101).
Für Dewey ist Demokratie nicht nur eine Regierungsform, sondern „in erster Linie eine Form des Zusammenlebens, der gemeinsamen und miteinander geteilten Erfahrung“ (Dewey 1964: 121, zit. nach Tielking 1998: 46). Eine demokratische Gesellschaft sieht Dewey als „komplizierte, vielfältig ineinander verwobene Struktur [...]. Alle Elemente dieses Systems stehen in Wechselbeziehung zueinander, eine Veränderung in einem Teil des Systems hat automatisch Auswirkung auf alle anderen Teilsysteme.“ (Tielking 1998: 46). Eine demokratische Gesellschaft verändert sich also stetig. Eine demokratische Regierung geht davon aus, dass die Bürger sich ihr aus freien Stücken unterordnen, nicht zuletzt weil sie ein begründetes Interesse daran haben. Deshalb ist es gerade für eine Demokratie wesentlich, ihre Bürger gezielt zu erziehen. Damit kann sie sicherstellen, dass die demokratischen Freiheiten – insbesondere politischer Natur – innerhalb ihrer Gesellschaft sinnvoll genutzt werden. Dafür müssen die Menschen den Aufbau und die Wechselwirkungen ihrer demokratischen Gesellschaft verstehen. Außerdem müssen sie die Fähigkeiten erwerben, diese Wechselwirkungen zu nutzen und selbst aktiv zu werden (Tielking 1998: 46).
Tatsächlich formulierte eine Beraterkommission aus Hochschullehrern bereits im Mai und Juni 1945 konkrete Inhalte für die Re-education. Allerdings bestimmten die Amerikaner erst Mitte 1946 diese Vorstellungen zur neuen offiziellen Richtlinie für die Umerziehung. Deren zentraler Inhalt waren fünf Prinzipien, die sehr offensichtlich unvereinbar mit den Lehren des Nationalsozialismus waren: Sie besagten, dass Menschen und Nationen füreinander verantwortlich seien, ungeachtet ihrer Rasse, Nation oder Gruppe; dass Individuen unantastbare Würde besäßen und kein Werkzeug des Staates seien; und dass Bürger für die Gesellschaft mitverantwortlich sind und sie nicht nur das Recht haben, sondern auch verpflichtet sind, an der Regierungsbildung mitzuwirken. Die Regierung basiert dabei darauf, dass die Staatsbürger sie unterstützen. Außerdem sei die Wahrheit ein grundlegender Wert, ebenso wie die Toleranz gegenüber allen Kulturen und Rassen (Detjen 2007: 102).
Die sogenannte „Zook-Kommission“ unter George F. Zook (offiziell „United States Education Mission to Germany“) orientierte sich ebenfalls stark an der pragmatistischen Pädagogik. Bei einer Reise durch die amerikanische Besatzungszone begutachtete sie die aktuelle Erziehungspolitik und arbeitete Vorschläge für Verbesserungen aus. Im September 1946 veröffentlichte die Zook-Kommission einen Bericht, der die weitere Re-education-Politik entscheidend beeinflusste (Detjen 2007: 102).
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