Die Frage, inwiefern Männer heutzutage aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit vom System Grundschule bevorzugt werden, verlangt neben einer kritischen Reflexion der Frage an sich und der Untersuchung der Argumentationsfiguren, die vermeintlich die Rekrutierung von Männern in die Grundschulen befürworten, auch eine historisch chronologische Darstellung der Feminisierung des (Grundschul-) Lehrberufs. Dies ist als wichtige Voraussetzung zu sehen, um die Zusammenhänge der immer wieder auftauchenden Argumentationswahl in Pressemitteilungen oder Werbekampagnen, die Hintergründe für das Fernbleiben der Männer im Primarbereich sowie die Bevorzugung des männlichen Geschlechts nachvollziehen zu können.
Im ersten Teil der Hausarbeit wird zuerst der historische Entwicklungsverlauf im Hinblick auf den Frauenanteil im Volks- und Grundschullehrberuf zusammengefasst und darüber hinaus auf nennenswerte Ereignisse, Stimmen und Reglementierungen in dieser Zeitspanne eingegangen. Im zweiten Unterpunkt wird der Begriff Feminisierung definiert und dabei die These in Dagmar Hänsels Arbeit „Zukunft für die Reform der geschlechtersegregierten Lehrerbildung“ diskutiert. Hänsel behauptet, dass das Ausbildungs- und Berufssystem des Lehrberufs im historischen Längsschnitt eine geschlechtersegregierte Struktur aufweise und dadurch eine intergenerationelle Vermittlungsarbeit leiste, die die Wahlentscheidung leite und damit Frauen sowie Männer in je spezifische Karrieren einmünden ließe. Mit dieser These hat sich zudem Peter Lundgreen kritisch auseinandergesetzt. Warum Männer [und Frauen] heutzutage den Grundschullehrberuf meiden wird abschließend mit den Ergebnissen von dem Forschungs- und Entwicklungsprojekt Männer und Grundschule aufgezeigt.
Im nächsten Kapitel werden die Argumentationsfiguren untersucht. Dabei wird auch die Leistungsverbesserung der Jungen durch männliche Lehrkräfte berücksichtigt. Im nächsten Teil dieser Arbeit soll anhand ausgewählter Interviewsequenzen aus der Dissertation von Robert Baar überprüft werden, ob männliche Grundschullehrer im System Grundschule aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit eine Bevorzugung genießen. Als Einführung soll zuvor die männliche Perspektive in gegengeschlechtlichen Berufsfeldern aufgezeigt und beschrieben werden. Eine Zusammenfassung und ein Ausblick beendet die Arbeit.
Inhaltsverzeichnis:
1. Einführung in die Thematik
2. Die Feminisierung des (Grundschul-) Lehrberufs
2.1. Die Geschichte der Feminisierung des (Grundschul-) Lehrberufs
2.2. Zum Begriff der Feminisierung: Segregation des Geschlechts versus Pr ä ferenz der Studierenden
2.3. Zwischenfazit
3. Mehr Männer in die Grundschule? Untersuchung der Argumentationsfiguren
3.1. Leistungsverbesserung der Jungen durch m ä nnliche Lehrkr äfte
3.2. Unangemessener Umgang mit Jungen durch Lehrerinnen
3.3. Rollenvorbild Mann
3.3.1. Dermännliche Grundschullehrer als Vaterfigur
3.3.2. Grundschullehrer: Experten f ü r Jungensport
4. Männer in der Grundschule: Bevorzugung aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit?
4.1. Männer im gegengeschlechtlichen Beruf
4.2. Fallbeispiele aus der Praxis
4.2.1. David: Geschlecht schl ä gt berufliche Qualifikation
4.2.2 Sören: Der unantastbare Hahn im Korb
5. Resümee
6. Literaturverzeichnis
7. Anhang
7.1. Tabellen
7.2. Grafik
7.3. Fallbeispiele: Erl ä uterungen zu den Personen -und Schulen
1. Einführung in die Thematik
In der Institution Grundschule macht sich seit Jahrzehnten eine Entwicklung bemerk- bar, welche unaufhaltsam fortschreitet. Gewerkschaften und Verbände wie die GEW1 oder BLLV2 propagieren in ihren Pressemitteilungen diese als ein Problem: Fehlende Männer an Grundschulen. In Lehrerkollegien kommen sie vereinzelt vor, doch oft ist es der Hausmeister, der dieses Geschlecht in den Wänden einer Grundschule aus- schließlich vertritt.
Seit Jahren nehmen die Zahlen der männlichen Lehrer im Primarbereich stetig ab.
So arbeiteten in Baden-Württemberg 1971 noch 45%, 1996 etwa 30% (Innenministerium Baden-Württemberg, versch. Jahrgänge zit. nach: Eckert, 2006: 2) und 2007 im Freistaat Bayern nur noch 20% männliche Lehrer an Grundschulen (vgl Wenzel, 2011: 2). Aktuelle Studien zeigen einen deutschlandweiten männlichen Anteil von gerade einmal 12% (vgl. Statistisches Bundesamt, 2014).
Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung taucht immer wieder der Begriff „Femini- sierung des (Grundschul-)Lehrberufs“ auf. Es handelt sich dabei jedoch um keinen neuen, sondern um einen seit Mitte des 19. Jahrhunderts bestehenden Diskurs, der heute nur unter anderen Vorzeichen geführt wird: Das Vordringen von Frauen in die Lehrberufe wird seitdem kritisch verfolgt (vgl. Feminisierung des Grundschullehrerbe- rufs, 2009: 356).
Die Frage, inwiefern Männer heutzutage aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit vom System Grundschule bevorzugt werden, verlangt neben einer kritischen Reflexi- on der Frage an sich und der Untersuchung der Argumentationsfiguren, die vermeint- lich die Rekrutierung von Männern in die Grundschulen befürworten, auch eine histo- risch chronologische Darstellung der Feminisierung des (Grundschul-) Lehrberufs. Dies ist als wichtige Voraussetzung zu sehen, um die Zusammenhänge der immer wieder auftauchenden Argumentationswahl in Pressemitteilungen oder Werbekam- pagnen, die Hintergründe für das Fernbleiben der Männer im Primarbereich sowie die Bevorzugung des männlichen Geschlechts nachvollziehen zu können.
2. Die Feminisierung des (Grundschul-) Lehrberufs
In diesem Teil der Hausarbeit wird zuerst der historische Entwicklungsverlauf im Hin- blick auf den Frauenanteil im Volks- und Grundschullehrberuf zusammengefasst und darüber hinaus auf nennenswerte Ereignisse, Stimmen und Reglementierungen in dieser Zeitspanne eingegangen. Der Verlauf beginnt mit dem Einstieg von Frauen in diesem Lehrberuf und endet mit der Bildungsreform im Jahr 1965. Im zweiten Unterpunkt wird der Begriff Feminisierung definiert und dabei die These in Dagmar H ä nsels Arbeit „Zukunft für die Reform der geschlechtersegregierten Lehr- erbildung“ (Hänsel, 1997) diskutiert. Dagmar H ä nsel (1996) behauptet, dass das Ausbildungs- und Berufssystem des Lehrberufs im historischen Längsschnitt eine geschlechtersegregierte Struktur aufweise und dadurch eine intergenerationelle Vermittlungsarbeit leiste, die die Wahlentscheidung leite und damit Frauen sowie Männer in je spezifische Karrieren einmünden ließe. Mit dieser These hat sich zudem Peter Lundgreen (Lundgreen, 1999) kritisch auseinandergesetzt. Warum Männer [und Frauen] heutzutage den Grundschullehrberuf meiden wird ab- schließend mit den Ergebnissen von dem Forschungs- und Entwicklungsprojekt M ä nner und Grundschule aufgezeigt.3
2.1. Die Geschichte der Feminisierung des (Grundschul-) Lehrberufs
Etwa um 1840 konnten Frauen, welche überwiegend aus dem Bürgertum stammten, erstmalig in nennenswerter Anzahl in den Lehrberuf und somit in eine der wenigen außerhäuslichen Tätigkeiten einsteigen (vgl. Feminisierung des Grundschullehrerberufs, 2009: 356). Zuvor war dieser Beruf noch in fester Hand des Mannes, wenn auch materiell auf einem sehr geringen Niveau:
„ Vom unausgebildeten Schweinehirten, der im Winter ‚ Schule hielt ‘ , f ü hrte der Weg weiter ü ber den auf Nebenerwerb angewiesenen Landschullehrer, der vielleicht schon mal f ü r einige Zeit ein Lehrerseminar besucht hatte. Dann kam der seminaristisch pr ä parierte Schulmeister, der aber vor Ort noch lange unter geistlicher Kuratel stand “ (Thomas, 2012: 32f).
Der unter Helene Lange 1865 gegründete Allgemeine deutsche Frauenverein plä- dierte für eine höhere Anzahl an Einstellungen von Lehrerinnen im Schulwesen so- wie einer Bildungsgleichberechtigung und stützte sich auf die Wesensmerkmale der Frau, die ihr vor allem im Erziehungsbereich als besonderes Qualifikationsmerkmal und familiennahe Tätigkeit zugeschrieben wurde. Angelehnt wird dabei auch an die Schriften von Rousseau4 und Kant5, die sich bereits Ende des 18. Jahrhunderts mit den bipolaren Geschlechtscharakteren auseinandersetzten (vgl. Feminisierung des Grundschullehrerberufs, 2009: 356).
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die Geschlechter beim Zugang zur höheren Bildung sowie zum höheren Lehramt formal gleichgestellt (vgl. Hänsel, 1996: 114). So gelang es den Frauen zunehmend im Vorschul- und Elementarbereich sowie im mittleren und höheren Mädchenschulwesen einen Lehrberuf zu ergreifen, jedoch wurde diese zunehmende Ergreifung mit Skepsis verfolgt: In der Feminisierung des Lehrberufs liege eine Gefahr für die Entwicklung der Schule, für ihre Unabhängigkeit und die des gesamten Volkstums, so die Warnung des Chemnitzer Oberlehrers Lau- be im Jahre 1906, welche nur wenig Beachtung fand, da zu dieser Zeit im deutschen Reich der Lehrerinnenanteil an Volksschulen etwa 10% bis 20% betrug (vgl. Schmu- de, 1988: 4).
Daraufhin folgten neben den gesellschaftlichen Anfeindungen strukturell verankerte Diskriminierungsmechanismen in vielfältiger Weise: Die Einführung einer Quotenre- gelung und Mindestgröße einer Schule6, ein geringerer Verdienst, eine semiprofessi- onalisierte Ausbildung und das Lehrerinnenzölibat7 (vgl. Feminisierung des Grund- schullehrerberufs, 2009: 356; Schmude, 1988: 32ff; Thomas, 2012: 35f). Zu Beginn des ersten Weltkrieges fungierten die Frauen als L ü ckenf ü llerinnen für die an der Front kämpfenden Volksschullehrer, was den Frauenanteil nur kurzfristig auf 36% ansteigen ließ, da nach Kriegsende das Unterbringungsgesetz8 verabschiedet wurde und die Frauen für die Heimkehrer weichen mussten, was auf eine Bevorzu- gung männlicher Lehrkräfte hindeutet. So sank der Lehrerinnenanteil bis zu Beginn der 1930er Jahre wieder auf unter 20% (vgl. Schmude, 1988: 19f).
Nachdem der Nationalsozialismus die Macht ergriff, sank der Lehrerinnenanteil bis 1936 weiter auf 17,8% und erreichte damit seinen letzten Tiefstand. Mit Beginn des zweiten Weltkrieges und der verabschiedeten Entakademisierung trat ein allgemeiner Lehrermangel ein. Frauen wurden wieder verstärkt im Volksschullehrberuf einge- setzt, was den Anteil auf 40% erhöhte (vgl. Feminisierung des Grundschullehrerberufs, 2009: 357; Schmude, 1988: 20).
1956 wurde das Lehrerinnenzölibat aufgehoben und damit eine „formale Gleichheit zwischen Lehrerinnen und Lehrern erreicht“ (Feminisierung des Grundschullehrerberufs, 2009, S. 357).9
Mit der Bildungsexpansion 1965 wurde schließlich die Basis geschaffen, die bis in die Gegenwart reicht: Frauen dominieren vor allem im Grundschullehrberuf(ebd.).
2.2. Zum Begriff der Feminisierung:
Segregation des Geschlechts versus Pr ä ferenz der Studierenden
Der Begriff Feminisierung oder auch Verweiblichung kommt ursprünglich aus den Sexualwissenschaften und beinhaltet den Übergang eines genetischen Mannes zur Frau. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde dieser Begriff hingegen auf eine gesell- schaftliche Ebene übertragen: Auf den Lehrberuf bezogen beschreibt dieser Begriff den „Anstieg des Frauenanteils“ (Schmude, 1988: 4) beziehungsweise das mengen- mäßige Verhältnis der Geschlechter (vgl. Feminisierung des Grundschullehrerberufs, 2009: 357f).
Aus der soziologischen Perspektive kann die Feminisierung des Lehrberufs auch als ein Prozess verstanden werden: Der Wechsel von einem Männer- hin zu einem Frauen dominierten Berufsfeld, welcher mit Einschränkungen von Karrierechancen, einem sinkenden Ansehen und der Leugnung einer vorhandenen Professionalität einhergeht(vgl. ebd.).
Mit diesen Definitionen soll verdeutlicht werden, dass der Begriff Feminisierung ledig- lich in den Sexualwissenschaften im neutralen Sinne gebraucht wird. Im Bereich der Lehrerberufsforschung wird dieser Begriff unter doppelten Gesichtspunkten gefasst: Zum einen als dynamischer Prozess, der seit Mitte des 19.Jahrhunderts bis heute anhält und zum anderen das Eindringen der Frauen in einem „ursprünglich Männern vorbehaltenen Beruf“, welche die Männer sogar zunehmend aus diesem Beruf ver- drängen und einen „allmählichen Wandel zum Frauenberuf bewirkt“ (Hänsel, 1997: 130f).
Die Feminisierungstheoretiker kritisieren einen „zunehmenden Verfall“ (Hänsel, 1997: 132) des Lehrberufs im Bezug auf seine Professionalität, wenn Frauen zu diesem Beruf Zugang haben. Das bedeute, so H ä nsel, dass die Frauen vom Lehrberuf ausgeschlossen werden müssen, wenn man die Professionalität des Berufs nicht aufs Spiel setzen möchte (vgl. ebd.) - oder aber, weiter gedacht, teile man den Frauen einen [niederen] Schulbereich zu, in dem sie unter sich blieben und ihre spezifisch weiblichen Fähigkeiten voll und ganz zur Entfaltung bringen können. Der zunehmende Verfall der Professionalität wäre somit unerheblich.
Wird mit dem vorangegangenen Gedankengang das deutsche Bildungssystem un- tersucht, dann ist die Grundschule wohl der zugeteilte Bereich des Lehrberufs. Dar- über hinaus sinkt der Frauenanteil mit zunehmender Hierarchieebene (vgl. Statisti- sches Bundesamt, 2014) sowohl innerhalb einer Schulstufe10 als auch in anderen [höheren] Bildungssegmenten(ebd.). Die Berufswahl wäre somit vorherbestimmt. Der Grundschullehrberuf wird unter den verschiedenen Lehrämtern als „weiblich“ und diesbezüglich als „hausarbeitsnaher Beruf“ (Hänsel, 1997: 136) konnotiert und von den Frauen bevorzugt. Wäre hiermit der Beweis einer geschlechtersegregierten Struktur im Lehrberuf und der daraus resultierenden Wahlentscheidung geliefert und somit unumstritten?
Peter Lundgreen setzte sich mit H ä nsels zentraler These und der historischen Beweisführung kritisch auseinander:
„ Die Frage nach der Segregierung von Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sollte scharf unterschieden werden von der Frage nach dem Wahlverhalten, den Pr ä ferenzen von Frauen und M ä nnern, die das Abitur haben und studieren wollen “ (Lundgreen, 1999: 129).
Er konnte nachweisen, dass eine Feminisierung in allen Lehramtsstudiengängen und sogar in den einzelnen Fächern stattfindet (Tab. 1). Im Volks- und Grundschullehramt ist der Frauenanteil von 27% (1931) auf 84% (1991) und an den höheren Schulen von 30% (1931) auf 57% (1991) angestiegen.
Bei dem Wahlverhalten und den Präferenzen von Frauen und Männern, auf alle aka- demische Studiengänge bezogen, ist beim Lehramtsstudiengang ein Rückgang nicht nur bei den Männern, sondern auch bei den Frauen zu sehen. Bei den Männern fal- len die Lehramtsstudierenden von 24% (1931) über 20% (1967) auf 4% (1991) und bei den Frauen von 53% (1931) auf 14% (1991)(Tab. 2)11. Das liege vor allem daran, dass der Lehrerarbeitsmarkt mehr als gesättigt sei (vgl. Lundgreen, 1999: 135).12 Gerade der Lehrberuf lässt sich mit der Familie gut vereinbaren und darüber hinaus kann man als Lehrerin auch von der Teilzeitarbeit13 oder sogar von einer Beurlau- bung Gebrauch machen. Dabei wird auch auf individuelle Wünsche eingegangen. „Solche Bedingungen könnten eine rationale Erklärung dafür geben, dass die Lehre- rinnenkarriere bis in die jüngste Zeit ein Frauenberuf geblieben ist(…)“ (Lundgreen, 1999: 135).
Ferner ist jedoch zu erwähnen, dass es sich hierbei lediglich um statistische Befunde handelt. Die Intention, ein Lehramtsstudium aufzunehmen und ebenso eines abzu- lehnen, bleibt hierbei ungeklärt. Das liegt jedoch daran, dass qualitative Forschungen zu diesem Zeitpunkt gefehlt haben. Interessant wäre, die Gründe zu hinterfragen, warum sich Studierende für ein Lehramtsstudium entschieden haben und warum die Studierendenzahl trotzdem zurückgegangen ist. Dazu müssen jedoch Befragungen durchgeführt werden.
Hannelore Faulstich-Wieland u.a. versucht dies zu begründen (Faulstich-Wieland, Niehaus & Scholand, 2010a). Die Universität Hamburg führte Mitte 2008 diesbezüglich das Forschungs- und Entwicklungsprojekt M ä nner und Grundschule durch. Mit Schülerinnen und Schülern der gymnasialen Oberstufe wurden Gruppendiskussionen14 zu ihren Studien- und Berufswünschen geführt und eine Befragung der Erstsemesterstudierenden der Lehrämter vorgenommen.15
Bei den Schülerinnen und Schülern wurde festgestellt, dass sich sehr wenige ein Lehramtsstudium vorstellen können und ganz besonders nicht für ein Grundschulleh- ramtsstudium. Dabei wurden Ablehnungsgründe angeführt, die Faulstich-Wieland in zwei Stränge unterteilt: Der erste Strang basiert auf der „ inhaltlichen Ebene “ (Faul- stich-Wieland et al., 2010a: 34) : „Als Lehrkraft müsse man jedes Jahr immer wieder denselben Unterrichtsstoff vermitteln und ausschließlich gesichertes Wissen repro- duzieren“(Faulstich-Wieland et al., 2010a: 30). Als Grundschullehrer habe man sich lediglich mit einfachen Grundlagen auseinanderzusetzen und das mache ihn an- spruchslos und eintönig. Dazu gäbe es so gut wie keine Aufstiegsmöglichkeiten und auch die Vergütung des Lehrberufs erscheine für viele Schülerinnen und Schüler wenig attraktiv (vgl. ebd.).
Die Vergütung ist nicht niedrig. Die Grundschullehrkraft in Baden-Württemberg, so- fern sie verbeamtet wurde, fällt unter die Besoldungsgruppe A12 und beginnt mit Stufe 4. Die Höhe des Bruttogehalts beträgt zu Beginn 3.330,76 € und endet nach 32 Jahren mit Stufe 12 bei 4340,41 € (Tab. 4). Diese Regelungen gelten gemäß LBesGBW §2 für beide Geschlechter. Dazu ist eine Grundschullehrkraft mit einer Beamtenpensionierung ebenfalls gut versorgt: Das Ruhegehalt(brutto) einer Grundschullehrkraft beträgt in etwa 3258,29 €.16
Aufstiegsmöglichkeiten gibt es sehr wohl auch im Grundschullehrberuf: Die Schullei- tung. Neben der Besoldungsgruppe A12 erhält ein Schulleiter eine Amtszulage in einer Höhe von 160,66 €. Warum Männer dennoch fernbleiben, kann auch dieses Zitat begründen:
„ (1) Frauen sind bei Einstellung, Bef ö rderung, H ö hergruppierung und Aufstieg in die n ä chsth ö here Laufbahn bei gleichwertiger Eignung, Bef ä higung und fachlicher Leistung bevorzugt zu ber ü cksichtigen, soweit und solange eine Unterrepr ä sentanz ( § 4 Abs. 3) vorliegt “ (Rheinland-Pfalz, 1999). 17
Dies schmälert die Chancen einer Aufstiegsmöglichkeit im Grundschullehrberuf für die Männer. Dass dies ebenfalls ein Grund für die männliche Unterrepräsentanz im Grundschullehrberuf sein kann, wird jedoch von keinem berücksichtigt. Auch die politische Seite ist ein entscheidender Faktor wenn es darum geht, die Unterrepräsentanz von Männern zu verringern.
[...]
1 Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft
2 Bayrischer Lehrer- und Lehrerinnenverband e.V.
3 in Textpassagen bis 1960 Volksschule - gleichzusetzen mit einer Grund- und Hauptschule - genannt. Nach acht Jahren erwarb man den sogenannten Volksschulabschluss, der dem heutigen Hauptschulabschluss nahe kommt.
4 Rousseau: Das Frauenzimmer
5 Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht
6 1.4.1880: gesetzliche Regelung aus dem badischen Schulgesetz, die den Einsatz von Frauen nach bestandener Prüfung im Volksschullehrdienst nur an Volksschulen mit mindestens 3 Lehrkraftstellen und einem maximalen Lehrerinnenanteil von 5% erlaubte, was 1892 auf 10% erhöht wurde. (vgl. Schmude (1988, 32)
7 durch welches sie, im Falle einer Heirat, aus ihrem Beruf ausschieden.
8 Die aus dem Krieg heimkehrenden Flüchtlingslehrer wurden vorrangig angestellt
9 durch Art. 3 GG und Art. 117 GG von 1953 aufgehoben. Zölibatsklausel blieb in Baden-Württemberg bis 1956 im Dienstrecht.
10 z.B. Schulleitung
11 Auch die Zahlen der bestandenen Lehramtsprüfungen aus allen akademisch bestandenen Prüfungen zeigen einen Rückgang beider Geschlechter deutlich: Bei Männern fallen die bestandenen Prüfungen von 23% (1977) über 5,8% (1997) auf 5% (2012) und bei den Frauen von 55% (1977) über 20% (1997) auf 13% (2012) (vgl. Statistisches Bundesamt 2013; 2013b)
12 Aktuellen Prognosen zufolge werden in Baden Württemberg zwar Stellen durch Pensionierungen frei, doch durch die sinkenden Schülerzahlen und die geplante Landeshausaltskonsolidierung werden zwischen 2013 und 2020 weitere Lehrerstellen abgebaut (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport 2013)
13 auch bekannt als halbes Deputat
14 184 Schülerinnen und Schüler aus acht Schulen (95w, 89m). Ablauf: Zuerst wurden die Schülerin- nen u Schüler nach ihren Berufswünschen gefragt. Anschließend wurde gefragt, ob denn ein Lehr- amtsstudium auch eine Option für sie darstelle. Abschließend wurden die Schülerinnen und Schüler mit dem ungleichen Geschlechterverhältnis im Studiengang Grundschule/ Sekundarstufe 1 konfron- tiert.
15 Durchführung einer standardisierten Befragung an 554 Studierenden (415w, 139m). Fragebogen
16 verheiratet, nach 40 Jahren Dienstzeit
17 Landesgleichstellungsgesetz