Schmerzbehandlung in der Palliative Care. Aufgaben und Funktion der Pflegenden bei der Schmerztherapie
Zusammenfassung
Darüber hinaus verursachen Schmerzen weitere Probleme wie Schlaflosigkeit, Bewegungseinschränkungen oder Appetitmangel. Eine effektive Schmerzlinderung ist demnach Voraussetzung für die Bewältigung von Krankheit und der damit verbundenen Symptomlast.
Die Palliative Care hat es sich zur Aufgabe gemacht Schwerkranken und Sterbenden eine effektive Schmerzlinderung zu ermöglichen. Wenn Heilung nicht mehr möglich ist, ist Erhalt oder Wiederherstellen von Lebensqualität das übergeordnete Behandlungsziel. Das Konzept der Palliativen Schmerzbehandlung berücksichtigt alle Aspekte des Schmerzes sowie die individuellen Bedingungen und Wahrnehmungen des Betroffenen. Es beinhaltet verschiedene medikamentöse, physikalische und psychologische Maßnahmen, die immer wieder auf ihre Angemessenheit und Wirksamkeit überprüft werden müssen. Palliative Schmerzbehandlung ist eine umfassende und multiprofessionelle Aufgabe.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Schmerzentstehung und Klassifikation
2.1 Ätiologie Entstehungsursachen
2.1.1 Tumorbedingter Schmerz
2.1.2 Therapiebedingter Schmerz
2.1.3 Tumorassoziierter Schmerz
2.1.4 Tumorunabhängiger Schmer
2.2 Pathophysiologie
2.2.1 Nozizeptorschmerzen
2.2.2 Neuropathische Schmerzen
2.2.3 zeitlicher Verlauf
2.2.4 Schmerzmodulation
2.3 akuter und chronifizierter Schmerz
2.4 psychische Grundlagen des Schmerzempfindens und der Schmerzäußerung
3 Schmerzerfassung
3.1 Assessmentinstrumente zur Schmerzerfassung
3.1.1 Schmerzstärke
3.1.2 Schmerzempfindung
3.1.3 Schmerzverhalten
3.1.4 Schmerzbewältigung
3.1.5 klinische Anwendung
4 Schmerzbehandlung 13
4.1 medikamentöse Schmerztherapie
4.1.1 Nichtopioid-Analgetika (WHO-Stufe 1)
4.1.2 Opioide Analgetika (WHO-Stufen 2 und
4.1.3 Probleme und Nebenwirkungen der Opioidtherapie
4.1.4 Koanalgetika
4.1.5 Vorgehen bei der medikamentösen Schmerztherapie
4.2 invasive Schmerztherapie
4.3 Physikalische Methoden der Schmerzbehandlung
4.4 Psychologische Methoden der Schmerzbehandlung
4.4.1 Schmerzbewältigungstraining
4.4.2 Psychologische Schmerztherapie
4.4.3 Psychotherapie bei Schmerz
4.3.4 Bedeutung der psychotherapeutischen Schmerzbehandlung
5 Aufgaben und Funktion der Pflegenden bei der Schmerztherapie
5.1 Schmerzerfassung und Verlaufsdokumentation
5.2 Überwachen der medikamentösen Therapie
5.3 Durchführen von unterstützenden Maßnahmen
5.3.1 Mit Aromaölen pflegen
5.3.2 Wickel und Auflagen
5.3.3 Berührung
6 Lebensqualität als regulierendes Prinzip der Schmerztherapie
1. Einleitung
Schmerz ist eines der häufigsten Krankheitssymptome. Eine große europäische Studie mit 46000 Probanden (Breivik, Collett, Ventafridda, Cohen & Gallager, 2006) hat ergeben, dass 19% der erwachsenen europäischen Bevölkerung Schmerz erlebt. Besonders intensiv und häufig ist Schmerz bei Menschen mit Krebserkrankungen. Dabei treten Schmerzen nicht ausschließlich in der letzten Lebensphase auf. Eine Studie von Vuorinen (1993) konnte nachweisen, dass bis zu 38% der Patienten bei denen eine Krebserkrankung diagnostiziert wurde bereits in einem frühen Stadium über Schmerzen klagten. Schreitet die Erkrankung fort und treten Metastasen auf, nehmen die Schmerzen zu.
Nach einer Studie von Bonica (1985) leiden 50% der Patienten mit einer Krebserkrankung unter Schmerzen, eine Metaanalyse verschiedener Studien durch McGuire (2004) hat ergeben, dass 33 bis 55% der Krebspatienten an behandlungsbedürftigen Schmerzen leiden und eine Erhebung von Breivik u.a. (2009) nennt sogar 72% (vgl. Sorge 2012, S 147ff).
In Deutschland sterben jährlich etwa 226000 Menschen an Krebs (Statistisches Bundesamt 2015). Nach einer Untersuchung von Radbruch u.a. (2003) sind 82% der Menschen, die sich in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium befinden von Schmerzen betroffen. Leider erhalten viele Patienten keine angemessene Schmerztherapie, „ obwohl nach derzeitigem Kenntnisstand Tumorschmerzen bei fast allen Patienten gelindert werden können“ (S3-LL, S.35).
Die Palliativmedizin und Palliativpflege haben es sich zur Aufgabe gemacht Schwerkranken und Sterbenden Schmerzfreiheit zu ermöglichen. Dabei ist eine veränderte Sichtweise auf das Phänomen Schmerz erforderlich. Der Schmerz ist nicht nur ein rein körperlicher Vorgang, sondern wird beeinflusst durch psychische, soziale und spirituelle Faktoren. Schmerzen bewirken häufig Trauer und Hoffnungslosigkeit verbunden mit existenzieller Angst. Diese Gefühle können wiederum die Wahrnehmung des Schmerzes befördern. Darüber hinaus verursachen Schmerzen auch andere Symptome wie Schlaflosigkeit und Appetitmangel. Eine effektive Schmerzlinderung ist demnach ein wichtiger Faktor zur Wiederherstellung von Lebensqualität. Palliative Schmerzbehandlung sollte alle Aspekte des Schmerzes berücksichtigen und ebenso die individuellen Bedürfnisse und Wahrnehmungen des Betroffenen. Das bedeutet, dass Maßnahmen immer wieder auf ihre Notwendigkeit und Angemessenheit hin überprüft werden müssen (vgl. Kulbe 2008, S.56).
Im Rahmen dieser Arbeit soll der Frage nachgegangen werden wie eine palliative Schmerzbehandlung gestaltet wird die diesem Anspruch gerecht wird. Dazu ist es zunächst erforderlich die Schmerzentstehung zu verstehen. Dann werden die Schmerzerfassung und die verschiedenen Therapiemöglichkeiten dargestellt. Eine wirksame Schmerzbehandlung erfordert die fachkundige Mitwirkung der Pflegefachkräfte. Ihre Aufgaben sollen deshalb näher erläutert werden. Abschließend soll der Zusammenhang von Schmerzbehandlung und Lebensqualität beschrieben werden.
2. Schmerzentstehung und Klassifikation
Schmerz ist keine Krankheit, sondern ein Symptom mit einer Vielzahl von Ursachen. Die International Association for the Study of Pain (IASP) definiert Schmerz als „ ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktuellen oder potentiellen Gewebeschädigungen verknüpft ist oder mit Begriffen solcher Schädigungen beschrieben wird“ (IASP zit. n. Schnell/Schulz 2014, S.64). Diese Definition zeigt, dass Schmerz zwar eine Reaktion des Körpers auf drohende Gefahren ist, aber gleichzeitig nicht als rein biologischen Vorgang verstanden werden darf, sondern als Prozess, der neben sensorischen auch kognitive, psychische, soziale und spirituelle Komponenten beinhaltet. Um Schmerzen beurteilen zu können, bedarf es einer Klassifikation. Für den Tumorschmerz sind mehrere Klassifikationssysteme entwickelt worden. Sie teilen Schmerzen ein nach ihrer Entstehungsursache, nach der Pathophysiologie oder nach ihrer zeitlichen Dimension. Ebenso wichtig ist es die psychischen Grundlagen von Schmerzempfinden zu kennen.
2.1 Ätiologie – Entstehungsursache
Schmerzen können nach ihrer Entstehungsursache eingeteilt werden. Dabei werden unterschieden tumorbedingter, therapiebedingter, tumorassoziierter und tumor-unabhängiger Schmerz.
2.1.1 Tumorbedingter Schmerz
In den meisten Fällen werden Schmerzen durch das Tumorwachstum selbst bzw. Metastasen verursacht. Der Schmerz wird ausgelöst durch Kompression oder Infiltration in Nerven, umgebende Weichteile oder Organe und den daraus resultierenden Entzündungen, Ulzerationen und Nekrosen. Bei Verlegung von Hohlorganen kommt es zu krampfartigen Schmerzen. Der Anteil der Patienten mit tumorbedingten Schmerzen liegt je nach Untersuchung zwischen 46 und 93% (vgl. Sorge 2012, S. 148)
2.1.2 Therapiebedingter Schmerz
Diese Schmerzen stehen in Zusammenhang mit einer tumorspezifischen Therapie. Das sind insbesondere Schmerzen nach Operationen, Biopsien oder Knochenmarkpunktionen, Hautveränderungen als Folge der Strahlentherapie oder Chemotherapie sowie Mukositis, Ulzerationen in Nasen-Rachen-Raum, Mundhöhle und Gastrointestinaltrakt. Zu den therapiebedingten Schmerzen zählen auch die Schädigung des Plexus brachialis und andere Neuropathien. Der Anteil der Patienten mit therapiebedingten Schmerzen beträgt bei Erwachsenen zwischen 5 und 29%, bei Kindern und Jugendlichen sind 40 bis 50% betroffen (vgl. Sorge 2012, S. 150)
2.1.3 Tumorassoziierter Schmerz
Diese Schmerzen stehen in Zusammenhang mit dem verschlechterten Allgemeinzustand der Betroffenen. Dazu gehören Schmerzen durch Dekubiti oder Muskelspasmen. Der Anteil der betroffenen Patienten liegt bei 10% (vgl. Sorge 2012, S. 150).
2.1.4 Tumorunabhängiger Schmerz
Patienten können neben ihrer Krebserkrankung noch weitere schmerzverursachende Erkrankungen haben. Dazu gehören degenerative Erkrankungen des Skeletts, die erhebliche Rücken- oder Gelenkschmerzen verursachen können. Tumorunabhängige Schmerzen können bei 3 bis 10% der Patienten auftreten (vgl. Sorge 2012, S. 150). Allerdings müssen tumorbedingte Schmerzen ausgeschlossen werden.
2.2 Pathophysiologie
Schmerzen können auch nach den pathophysiologischen Mechanismen bei der Schmerzentstehung eingeteilt werden. Es wird zwischen Nozizeptorschmerzen und neuropathischen Schmerzen unterschieden. Da die Schmerzwahrnehmung auch durch psychische Faktoren beeinflusst wird werden Schmerzen, die sich nicht eindeutig einer organischen Ursache zuordnen lassen, als idiopathische Schmerzen bezeichnet.
2.2.1 Nozizeptorschmerzen
Dieser Schmerz wird durch mechanische Reize (Druck, Verletzung), thermische Reize (Wärme, Kälte) oder chemische Reize (Entzündung, Infektion, Noxen) erzeugt. Die in fast allen Geweben vorhandenen speziellen Neurone, die Nozizeptoren werden innerviert sobald die Intensität eines Reizes eine gewisse Schwelle überschreitet. Die elektrischen Impulse werden über afferente Nervenbahnen, das Rückenmark und den Thalamus zum somatosensorischen Kortex geleitet und dort als Schmerz wahrgenommen. Nozizeptorschmerzen können nur auftreten, wenn das Reizleitungssystem intakt ist. Der Tumorschmerz entsteht, wenn Tumorzellen Zytokine, Prostaglandine, Histamin und Serotonin freisetzen, die eine Entzündungsreaktion auslösen (chemische Reizung) oder wenn Organe durch einen Tumor komprimiert werden (mechanische Reizung).
Bei den Nozizeptorschmerzen wird eine weitere Unterteilung in somatische und viszerale Schmerzen vorgenommen. Somatische Schmerzen haben ihren Ursprung in Haut, Skelettmuskulatur, Gelenken, Knochen und Bindegewebe. Sie sind gut lokalisierbar und werden meist als dumpf, bohrend oder drückend beschrieben. Beispiele sind Schmerzen die durch Knochenmetastasen oder Infiltration in das Bindegewebe verursacht werden.
Viszerale Schmerzen gehen von Brust und Bauchraum aus und werden meist als dumpf oder krampfartig beschrieben. Sie werden in der Tiefe des Körpers wahrgenommen. In einigen Fällen werden viszerale Schmerzen nicht an ihrem Entstehungsort, sondern an einem anderen Körperteil empfunden (Head’sche Zonen). Beispiele für viszerale Schmerzen sind die, die durch Kapselspannung innerer Organe oder Verlegung von Hohlorganen ausgelöst werden (vgl. Sorge 2012, S.151).
Ebenfalls zu den Ursachen von nozizeptivem Schmerz gehört die Ischämie, die in der Regel durch einen Thrombus hervorgerufen wird. Der Ischämische Schmerz wird als hell und pochend beschrieben.
2.2.2 Neuropathische Schmerzen
Diese Schmerzen entstehen, wenn Tumore Nerven komprimieren oder infiltrieren. Beispiele sind Infiltration der Interkostalnerven durch Knochenmetastasen der Rippen und Kompression des Plexus brachialis durch ein Bronchialkarzinom (vgl. Sorge 2012, S.151). Neuropathische Schmerzen entstehen durch Schädigung der Nerven oder des Rückenmarks. Sie werden als brennend, elektrisierend oder stechend beschrieben. Der neuropathische Schmerz ist meist ein Dauerschmerz, doch sind Schmerzattacken möglich. Oft besteht eine zusätzliche Sensibilitätsstörung.
Zu den neuropathischen Schmerzen gehört auch der Deafferenzierungsschmerz. Er entsteht als Folge einer partiellen oder vollständigen Zerstörung eines peripheren Nervs oder Plexus. Zu den Deafferierungsschmerzen gehören durch Zytostatika verursachte Neuralgien, die Trigeminusneuralgie und der Phantomschmerz (vgl. Margulies 2011, S.292).
2.2.3 zeitlicher Verlauf
Neben Lokalisation und Ausstrahlung, Qualität und Intensität des Schmerzes ist auch der zeitliche Verlauf ein wichtiges Beurteilungskriterium. Dabei wird unterschieden zwischen Dauerschmerz, periodisch auftretendem Schmerz sowie anfallsartigem Durchbruch-schmerz. Durchbruchschmerz ist definiert als „ die vorübergehende Exaberation einer Schmerzsymptomatik vor dem Hintergrund eines ansonsten stabilen Schmerzes bei einem Patienten der eine chronische Opioidtherapie erhält “ (Portenoy/Hagen zit. n. Nauck 2016, S. 332). Durchbruchschmerzen können spontan auftreten und stellen sich für den Betroffenen unerwartet und unvorhersehbar dar. Sie können aber auch durch ein Ereignis (Gehen, Essen, Husten, Stuhlgang) oder durch Therapiemaßnahmen (Mobilisation, Physiotherapie, Wundbehandlung) ausgelöst werden. Solche Schmerzspitzen bewirken verschiedene körperliche und seelische Probleme. Dazu gehören Bewegungs-einschränkungen, Schlafstörungen, soziale Isolierung und Ängste bis hin zur Depression.
2.2.4 Schmerzmodulation
Schmerzwahrnehmung ist ein physiologischer Prozess bei dem Überträgerstoffe eine wichtige Rolle spielen. Neben den Neurotransmittern Serotonin und Noradrenalin, die Schmerzreize weiterleiten gibt es auch solche, die Schmerzwahrnehmung hemmen. Es sind die Endorphine (z.B. Enkephaline, ß-Endorphin), die sich an spezifische Rezeptoren (sog. Opiatrezeptoren) binden und die Weiterleitung des Schmerzreizes unterbrechen. Sie werden von aus dem Hirnstamm ins Rückenmark absteigenden Nervenbahnen freigesetzt. Schmerzwahrnehmung ist insofern auch Resultat der gegenläufigen Wirkung von schmerzfördernden und schmerzhemmenden Faktoren.
2.3 akuter und chronifizierter Schmerz
Der Schmerz als Warnsignal des Körpers ist meist ein akutes Geschehen. Er lässt nach sobald die Schädigung beendet ist. Bleibt der Körper weiterhin der Schädigung ausgesetzt kann es zu einer Chronifizierung des Schmerzes kommen. Der Begriff chronifizierter Schmerz ist nicht eindeutig definiert. Die IASP beschreibt ihn als „ Schmerz, der über die erwartete normale Heilungszeit hinausgeht“ (Knipping 2008, S. 157). Nach einer internationalen Übereinkunft gilt Schmerz als chronifiziert, wenn er über drei Monate besteht. Knipping weist in Anlehnung an Loeser (2000) darauf hin, dass chronifizierter Schmerz nicht durch die Dauer definiert ist, „sondern durch die Faktoren, die dazu beitragen, dass nach einer initialen Verletzung oder anderen Reizung des Schmerzsystems die Wiedererlangung der körperlichen, psychischen und/oder sozialen Integrität ausbleibt. Charakterisiert ist der chronifizierte Schmerz dadurch, dass er seine Warnfunktion verloren hat, nicht mehr so ausgeprägte vegetative Begleitsymptome zeigt und häufig mit sozialem Rückzug und depressiver Entwicklung einhergeht. “ (Knipping 2008, S.157).
Der chronifizierte Schmerz entsteht als Folge einer komplexen Regulationsstörung. Schmerzhemmende Mechanismen werden behindert, gleichzeitig werden schmerzleitende Strukturen vermehrt. Folgende Veränderungen treten auf:
- Nozizeptoren werden vermehrt angesprochen
- Die Reizschwelle der Nozizeptoren und Nervenfasern wird gesenkt
- Die Übertragung des Schmerzreizes vom 1. auf das 2. Neuron wird verstärkt
- Schmerzhemmende Transmitter werden reduziert
- Schmerzhemmung der absteigenden Bahnen wird reduziert
Diese physiologischen Vorgänge können aber nicht isoliert betrachtet werden. Schmerzwahrnehmung ist in hohem Maße beeinflusst durch die Bedeutung die der Betroffene ihm beimisst. Das Total Pain Konzept von Cicely Saunders berücksichtigt neben den physischen auch die psychischen, sozialen und spirituellen Aspekte des Schmerzes. Knipping (2008, S.159ff) verweist auf dieses Konzept und beschreibt die typischen Probleme.
- Affektives System: Die Betroffenen sind häufig reizbar, introvertiert, ängstlich, niedergeschlagen. Es kann eine Depression auftreten bis hin zum Suizid.
- Motorisches System: Die Betroffenen haben häufig Muskelverspannungen. Das führt zu Schonhaltung mit Überbeanspruchung bestimmter Muskelgruppen bei gleichzeitigem Abbau anderer Muskeln. Insgesamt lehnen diese Patienten Bewegung und Mobilisierung ab, was zu einer Verstärkung des Schmerzes beitragen kann.
- Vegetatives System: Die Schmerzproblematik führt zu Blutdruckschwankungen, Herzrasen, Schweißausbrüchen, Schlafstörungen.
- Kognitives System: die Betroffenen beziehen frühere Schmerzerfahrungen ein. Dies kann das Schmerzempfinden verstärken.
- Spiritueller Bereich: die Betroffenen fragen nach dem Sinn des Lebens, suchen nach Gründen für ihre Krankheit und ihr Leiden
- Sozialer Bereich: Die Schmerzen beeinträchtigen die Beziehungen zu Partner, Familie, Freunden. Sie haben Folgen für Beruf, Freizeit, wirtschaftliche Verhältnisse.
- Kultureller Bereich: Wie wird der Umgang mit Schmerz in der Kultur bewertet? Wann und wie darf der Schmerz geäußert werden?
- Geschlechtsspezifischer Bereich: Darf ein Mann Schmerz äußern?
Die vielen Erscheinungsweisen des Schmerzes sollten bei der Schmerzbehandlung berücksichtigt werden.
2.4 Psychische Grundlagen des Schmerzempfindens und der Schmerzäußerung
Schmerzempfindung ist ein subjektives psychisches Geschehen, das nicht nur von den neuronalen Signalen bestimmt wird die das Gehirn erreichen, sondern bei dem die Deutung der Situation eine große Rolle spielt. Frühere Schmerzerfahrungen, augenblickliche Befürchtungen und Ängste und die Fähigkeit des Betroffenen Schmerz zu ertragen haben Einfluss auf die wahrgenommene Schmerzintensität. Angst kann Schmerzen verstärken, Zuwendung und Ablenkung können Schmerz lindern. Schmerzempfindung ist ein psychisches Phänomen, das ausschließlich der Betroffene fühlt.
Schmerzen haben große Auswirkungen auf das psychische Gleichgewicht der Betroffenen. Sie erinnern den Kranken an das Fortschreiten seiner Krankheit und sind gleichzeitig ein Maßstab für den Behandlungserfolg. Werden Schmerzen nicht ausreichend behandelt, können sie zu einer eigenständigen Erkrankung werden. Der Schmerz führt zu Angst und dem Gefühl der Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Der Betroffene zieht sich zurück, meidet Kontakt zu anderen, vereinsamt. Viele Betroffene entwickeln eine Depression. Schmerz bewirkt weitere körperliche Reaktionen wie Schlaflosigkeit und Erschöpfung. Es entsteht eine Spirale aus sich gegenseitig verstärkenden Faktoren. „ Der Schmerz wird zum zentralen Lebensproblem “ (Aulbert 2012,S. 247).
Eine wirksame Schmerzbehandlung muss demnach neben einer medikamentösen Therapie auch auf die menschlichen Probleme des Betroffenen eingehen. Menschliche Zuwendung und angemessene Gespräche sind die Grundlage für die Bemühungen den Betroffenen zu unterstützen und „ ihn nicht der Ausweglosigkeit seiner Situation auszuliefern “ (Aulbert 2012, S. 251). Indem der Patient das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit erhält, kann die Schmerztoleranz erhöht werden. Darüber hinaus können auch Psychopharmaka eingesetzt werden. Antidepressiva und Neuroleptika beeinflussen das Schmerzerleben und helfen eine innere Distanz zum Schmerz zu entwickeln. Sie sind heute fester Bestandteil der Schmerztherapie.
3. Schmerzerfassung
Jede effektive Schmerztherapie beginnt mit einer möglichst genauen Schmerzerfassung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Schmerz ein komplexes Geschehen ist und aus verschiedenen Komponenten besteht. Nach Radbruch/Zech (1997) setzt sich Schmerzerleben aus folgenden Komponenten zusammen:
- Sensorisch-diskriminative Wahrnehmung (Nozizeption): wann und wie wird ein aktueller schmerzhafter Reiz wahrgenommen?
- Kognitives Empfinden (Schmerzen): wie wird der schmerzhafte Reiz aktuell beurteilt? Welche Erfahrungen und Erwartungen spielen eine Rolle?
- Affektives Erleben (Leiden): Mit welchen Gefühlen wird der Charakter des schmerzhaften Reizes beschrieben?
- Autonom-somatomotorisches Empfinden (Verhalten): Welche Verhaltensweisen zeigt der Betroffene?
3.1 Assessmentinstrumente zur Schmerzerfassung
Aufgrund der subjektiven Natur des Schmerzes ist es nicht möglich objektive Messgrößen zu finden. Schmerzmessung ist immer eine subjektive Beschreibung durch den Betroffenen selbst. Trotzdem gibt es allgemein zu beobachtende spezifische Merkmale. Es sind Schmerzstärke, Schmerzempfindung, Schmerzverhalten, Schmerzbeeinträchtigung im Alltag und Schmerzbewältigung. Dazu wurde eine Vielzahl von Skalen und Fragebögen entwickelt. Bei ihrem Einsatz muss überlegt werden welche Merkmale erfasst werden sollen.
3.1.1 Schmerzstärke
Zur Messung der Schmerzstärke werden meist eindimensionale Skalen verwendet. Die häufigsten sind Verbale deskriptive Skala (VRS), Numerische Ratingskala (NRS) und Visuelle Analogskala (VAS). Der Patient erhält eine Liste von Beschreibungen (kein Schmerz bis stärkster Schmerz) oder Symbolen anhand derer er die Schmerzintensität beurteilt. Sie kann auch als Zahlenwert von 0 bis 10 oder 0 bis 100 angeben werden. Eindimensionale Skalen sind gut verständlich und erfordern keinen großen Aufwand. Sie eignen sich für die Ersteinschätzung oder die Verlaufsdarstellung. Mit ihnen können auch kleine Unterschiede in der Schmerzintensität erfasst werden. Nicht geeignet sind diese Skalen für Personen mit verminderten kognitiven Fähigkeiten, im Terminalstadium oder unter Analgesie (vgl. Radbruch u.a. 2012 S. 160). Außerdem erfassen sie nicht die psychischen und sozialen Wirkungen von Schmerz. Deshalb wird ihr Einsatz als alleiniges Erfassungsinstrument nur in Phasen akuten Schmerzes, z.B. nach Operationen empfohlen (vgl. Reuschenbach 2011 S. 424).
[...]