Neuronale Netze in der Börsenspekulation
Zusammenfassung
Finalziel dieser Arbeit ist, den aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstand und die von unterschiedlichen Seiten postulierten Einsatzmöglichkeiten der KNN in der Börsenspekulation darzulegen. Hierfür muss ein grundlegendes Verständnis über den Aufbau und die Funktionsweise der KNN, die Fuzzy-Logik und zum Thema Algorithmen geschaffen werden.
Um die skizzierten Ziele erreichen zu können, werden zunächst ausgewählte Grundlagen erarbeitet, d.h. relevante Termini werden definiert und die Fuzzy-Logik wird einleitend beschrieben. Das 3. Kapitel beschreibt den theoretisch-wissenschaftlichen Status quo der KNN, wohingegen das vierte Kapitel gegenwärtige Praxisbeispiele beleuchtet. In beiden Kapiteln wird die mögliche Anwendung KNN, um idealerweise Entwicklungen an den Finanzmärkten prognostizieren zu können, analysiert.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Terminologische Grundlegung
2.1 Begriffsdefinitionen
2.2 Fuzzy-Logik
3 Aktueller Forschungsstand: Neuronale Netze
3.1 Grundsätzliche Funktionsweise eines künstlichen neuronalen Netzwerkes
3.2 Struktur und Funktionsweise eines Multi-Layer-Perceptrons (MLP)
3.3 Theoretischer Ausblick: Neuronale Netze in der Börsenspekulation
4 Anwendungsbeispiele Neuronaler Netze zur Aktienkursprognose
4.1 ProfitStation.de – Der neuronale Börsenexperte
4.2 Integrierte Börsensoftware „SHAREholder“
4.3 Damantis GmbH: automatisierter Aktienanalyse
5 Schluss
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang A – Künstliche Intelligenz
Anhang B – Ablauf des Backpropagation-Algorithmus
Glossar
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Schema eines Fuzzy-Systems 5
Abb. 2: Grundstruktur eines dreischichtigen KNN 7
Abb. 3: Der Aufbau eines aktiven Neurons in der verdeckten Schicht 9
Abb. 4: Funktionsweise neuronale Kursprognose mit der Software „SHAREholder“ 15
Abb. 5: Chartanalyse - KI vs. Blue-Chip-Indizes 17
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
„Neuronale Netzwerke erleben zur Zeit einen beispiellosen Boom. […] [D]iese "intelligenten" Netzeke [sic!] [können] selbständig Zusammenhänge erkennen und lernen […], die ansonsten nur sehr schwer explizit zu formulieren sind. […] Um eine realistische Einschätzung der Leistungsfähigkeit neuronaler Netzwerke zu erhalten, haben wir umfangreiche Analysen mit verschiedenen Modellen neuronaler Netzwerke durchgeführt. Der Anwendungsschwerpunkt lag dabei im Bankenbereich.“[1] Angesichts der aktuellen Schlagworte rund um die Themen Automatisierung, Digitalisierung, Industrie 4.0, Internet der Dinge (IdD)[2] oder Künstliche Intelligenz (KI), welche eigentlich alle in gewisser Weise zusammenhängen, könnte dieses einleitende Zitat einem Zeitungsartikel des Jahres 2017 entnommen sein. Es wurde jedoch bereits 1989 geschrieben. In Abgrenzung zu künstlichen neuronalen Netze (KNN), bei welchen (selbstlernende) Algorithmen eine entscheidende Rolle spielen, wird an den internationalen Börsen der automatisierte, ebenfalls algorithmisch programmierte Hochfrequenzhandel argwöhnisch beobachtet. Bereits heute werden etwa drei Viertel aller Transaktionen an der NYSE von Algorithmen ausgeführt.[3] KNN sind Forschungsgegenstand der Neuroinformatik und fallen unter den Begriff der KI,[4] dabei stellen sich diverse Fragen. Die für Börsenspekulanten interessanteste Frage dürfte sein: Können neuronale Netze (NN) heute und in Zukunft an den Finanzmärkten gewinnbringend eingesetzt werden?
Finalziel ist den aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstand und die von unterschiedlichen Seiten postulierten Einsatzmöglichkeiten der KNN in der Börsenspekulation darzulegen. Hierfür muss ein grundlegendes Verständnis über den Aufbau und die Funktionsweise der KNN, die Fuzzy-Logik und zum Thema Algorithmen geschaffen werden.
Um die skizzierten Ziele erreichen zu können, werden im 2. Kapitel ausgewählte Grundlagen erarbeitet, d.h. relevante Termini werden definiert und die Fuzzy-Logik wird einleitend beschrieben. Das 3. Kapitel beschreibt den theoretisch-wissenschaftlichen Status quo der KNN, wohingegen das vierte Kapitel gegenwärtige Praxisbeispiele beleuchtet. In beiden Kapiteln wird die mögliche Anwendung KNN, um idealerweise Entwicklungen an den Finanzmärkten prognostizieren zu können, analysiert. Schlussendlich erfolgt eine Zusammenfassung und kritische Reflexion der gewonnenen Erkenntnisse.
2 Terminologische Grundlegung
Die ursprüngliche Analogie zwischen künstlichen neuronalen Netzen, wobei Neuronen einfache, vernetzte Elemente darstellen, und dem biologischen Vorbild im menschlichen Gehirn (vgl. Nervenzellen im Nervensystem) ist namensgebend für die in Computern simulierten künstlichen neuronalen Netzwerken. Fortan wird nur von KNN gesprochen; auf deren Struktur, Anwendung und Algorithmen wird im Hauptteil detailliert eingegangen.
2.1 Begriffsdefinitionen
Umgangssprachlich ist der Begriff Börsenspekulation, v.a. nach dem Platzen der spekulativen Immobilienblase 2007 in den USA, mit einem negativen Image behaftet. Es wurden im großen Stil toxische Immobiliendarlehen gebündelt, verbrieft und an Finanzmärkten gehandelt. Spekulation stellt die gewinnorientierte Ausnutzung erwarteter Preisänderungen von bspw. Wertpapieren an der Börse dar. Der Spekulant trifft eine Entscheidung unter Unsicherheit und mit dem möglichen Spekulationsgewinn geht ein Verlustrisiko einher.[5] Über die Moral der Spekulation wird an dieser Stelle nicht weiter philosophiert.[6]
Ferner sei definiert, dass im Rahmen dieses Assignments die Algorithmen der KNN nicht mit Algo-Trading (kurz für engl. Algorithmic Trading) korrespondieren. Der automatisierte Hochfrequenzhandel mittels Computerprogrammen, die unter gewissen Prämissen, z.B. charttechnischer Natur (vgl. Chart) selbstständig bspw. Kauf- oder Verkaufspositionen eingehen, beruht auf festgelegten Algorithmen.[7]
Ein Algorithmus ist an und für sich lediglich eine definierte Handlungsweise, um ein Problem oder eine Klasse von Problemen lösen zu können. Algorithmen können entweder mathematisch oder verbal formuliert werden (z.B. Suchalgorithmen von Google, Facebook, etc., BMI-Berechnung[8], Kochrezepte, Tanzen). Dabei werden schrittweise Eingabe- in Ausgabedaten umgewandelt. Wesentliche Charakteristika von Algorithmen sind die Eindeutigkeit, Ausführbarkeit, Endlichkeit, Terminierung, Determiniertheit und Determinismus. Heute scheinen Algorithmen überall im modernen Leben angekommen zu sein (z.B. Navi, Online-Dating, Rechtschreib- und Grammatikprüfung in Microsoft Office).[9]
Der Begriff Künstliche Intelligenz wird in der Literatur unterschiedlich hergeleitet und definiert. KI[10] „ist ein Forschungsgebiet, in dem versucht wird, Mechanismen zu entwerfen, mit denen Maschinen oder Computer intelligentes Verhalten entwickeln können.“[11]
Abschließend werden zwei klassische Begriffe des Finanzmarktes beschrieben. Aktien stellen Anteils- oder Teilhaberpapiere dar, d.h. sie verbriefen die Mitgliedschaftsrechte des Aktionärs, der einerseits Teilhaber am Aktienkapital und andererseits Mitinhaber des Gesellschaftsvermögens wird, an einer Aktiengesellschaft. Aktien sind vertretbare, d.h. fungible Wertpapiere und fallen unter den Oberbegriff der Effekten. Ein Aktienindex ist ein numerischer Ausdruck, der die Kursentwicklung insgesamt oder einzelner Branchen am Aktienmarkt zusammenfasst. Da ein Aktienindex lediglich Aktien verschiedener Unternehmen repräsentiert, wird im Rahmen dieses Assignments nicht separat untersucht, ob das auf KNN basierende Prognoseverfahren auf einen Einzeltitel oder einen Index angewandt wird. Der bekannteste deutsche Aktienindex ist der DAX®-30 (DAX), welcher die 30 umsatzstärksten deutschen Aktien umfasst (vgl. Blue-Chip).[12]
An dieser Stelle können nicht alle Termini des vorliegenden interdisziplinären Themas erläutert werden, daher ist ein Glossar vorhanden. Begriffe, die kursiv geschrieben sind, sind im Glossar näher erläutert.
2.2 Fuzzy-Logik
Auf die historische Entwicklung der Fuzzy-Logik (fuzzy = unscharf) wird nicht eingegangen; erste Überlegungen auf diesem Gebiet fanden ab den 1930er Jahren statt. Bis dahin gab es in der klassischen Logik zwei Unterscheidungsmerkmale: Eine „wahre“ Aussage wird bspw. mit einer 1 und eine „falsche“ Aussage mit einer 0 dargestellt. Die Grundüberlegung der Fuzzy-Logik ist, dass aufgrund fließender Übergänge nicht immer eine scharfe Bewertung („wahr“ oder „falsch“) getroffen werden kann. Ein einfaches Beispiel ist die These: Im Herbst ist es um 19 Uhr finster. Bei der Bewertung der Aussage ist offensichtlich, dass aufgrund der Abenddämmerung die Aussage „halbwahr“ und „halbfalsch“ sein kann.[13] Das Forschungsfeld der Fuzzy-Logik wurde durch unterschiedliche Erkenntnisse aus der Unschärfeproblematik der Quantentheorie, der Tatsache, dass mathematische, ingenieurswissenschaftliche Modelle die Realität oftmals nicht exakt beschreiben können und den Versuchen menschlichen Expertenwissen algorithmisch nachzubilden forciert. Erste Regelsysteme, die auf Fuzzy-Reglern basieren, gibt es seit 1974. Breite Verwendung findet die Fuzzy-Logik in der Automatisierungs- oder Regelungstechnik, aber auch vermehrt im Bereich der KI.[14]
Die „Fuzzy-Logik ermöglicht menschliche Verhaltensweisen oder menschliches Kausalwissen zu mathematisieren und damit durch Rechner imitierbar zu machen.“[15] Das menschliche Verhalten kann mitunter in Form von vielen kombinierten „Wenn … dann“-Beziehungen beschrieben werden, wobei in der Fuzzy-Logik die Besonderheit in der Verarbeitung unscharfer Werte, linguistischer Variablen oder Terme („zu niedrig“, „niedrig“, „normal“, „hoch“, etc.) besteht, d.h. die BOOLEsche Logik[16] kann verallgemeinert werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Schema eines Fuzzy-Systems (Quelle: JEREMS/FRITZ (o.J.), S. 21.)
Anhand von Abb. 1 wird diese abstrakte Beschreibung erklärt: Das Fuzzy-System erhält scharfe Eingangsgrößen (z.B. Konjunkturdaten, Zinsstrukturkurve, Unternehmensdaten). Der Vorgang der Fuzzifizierung ordnet nun – mittels einer sog. Zugehörigkeitsfunktion – jede Eingangsgröße einer unscharfen Fuzzy-Menge zu (Aggregation).[17] Die entstandenen Muster in den Fuzzy-Mengen werden auf Grundlage der definierten Regelbasis, d.h. durch unscharfes Schließen (Implikation) separat verarbeitet. Anschließend wird das Gesamtergebnis für die komplette Regelbasis ausgegeben (Akkumulation).[18] Die resultierende Fuzzy-Menge wird im Defuzzifizierer ausgewertet, um eine scharfe Ausgangsgröße z (z.B. kaufen, halten, verkaufen) zu erhalten. Beim Entwurf eines Fuzzy-Systems wird auf die Imitation menschlichen Verhaltens hingearbeitet, d.h. das System soll automatisiert vorhandene Daten und Erkenntnisse verarbeiten und analog des Börsenexperten eine ähnlich – idealerweise besser, da losgelöst von psychischen Einflüssen (z.B. Stress) – fundierte Ausgangsgröße berechnen.[19]
Die wissensbasierte Fuzzy-Logik hat auch Nachteile. Einerseits muss die Regelbasis vom Programmierer basierend auf existierendem Expertenwissen festgelegt werden. Andererseits können Fuzzy-Systeme nicht lernen bzw. können sich nicht an sich wechselnde Marktgegebenheiten anpassen. Hierzu müssen stets die Regelbasis revidiert und die Zugehörigkeitsfunktionen modifiziert werden, zumindest solange, bis geeignete, regelfindende Algorithmen praktikabel sind.[20]
3 Aktueller Forschungsstand: Neuronale Netze
Die beschriebenen Fuzzy-Systeme bzw. -Regler arbeiten nach festgelegten Algorithmen, d.h. das bereits vorhandene Expertenwissen wird in der Regelbasis funktionalisiert, um automatisiert zum gewünschten bzw. erwarteten Ergebnis zu gelangen. Die Algorithmen hingegen, die in KNN verwendet werden sind trainierbar, d.h. lernfähig.
Die Kernfrage (mit oder ohne Anwendung von KNN) der Wertpapieranalyse lautet: Wie verhält sich der zukünftige Aktienkurs? Die Realität an den globalen Finanzmärkten ist zwischenzeitlich extrem komplex geworden, es gibt zahlreiche miteinander in Verbindung stehende Akteure und Komponenten, wobei die Wirkungszusammenhänge häufig nichtlinear sind. Ferner ist es oftmals schwierig eindeutige Ursache-Wirkungs-Mechanismus abzuleiten, insbesondere wenn psychologische Einflüsse den Börsenhandel verzerren. Auch die Auswertung von Postings in sozialen Netzwerken kann signifikanten Einfluss auf Finanzmarktprognosen haben.[21]
3.1 Grundsätzliche Funktionsweise eines künstlichen neuronalen Netzwerkes
KNN als struktur-entdeckende Verfahren setzen genau bei diesen Einschränkungen an: Einem KNN müssen weder kausale Verbindungen vorgegeben werden, noch müssen diese linear sein. Unterschiedliche Skalenniveaus können sinnstiftend berücksichtigt werden. KNN berücksichtigen zahlreiche Variablen, wenngleich mehr Input-Variablen tendenziell mehr Speicherkapazität benötigen, und sie justieren selbst durch algorithmische Lernprozesse die Gewichte zwischen den einzelnen Neuronen. Es ist eine Analogie zwischen einer biologischen Nervenzelle und dem biologischen Lernen verglichen mit KNN und deren Lernalgorithmen erkennbar, eine explizite Gegenüberstellung wird an dieser Stelle nicht durchgeführt. Wesentliches Merkmal der KNN ist: Sie reagieren auf Signale ihrer Umgebung.[22]
[...]
[1] SCHÖNEBERG (1989).
[2] Begriffe, die kursiv geschrieben sind, finden Sie im Glossar näher erläutert.
[3] Vgl. SCHIMANSKI, MATYSCHIK (2017), S. 95.
[4] Typische, einführende Standardbeispiele zum Thema KI werden nur aufgezählt: Das System Watson von IBM bzw. Googles AlphaGo gewannen jüngst beim TV-Quiz Jeopardy bzw. dem schwierigsten Spiel der Welt Go (Vgl. THIEDEMANN (2017)), was natürlich das Interesse an dieser Wissenschaftsdisziplin rapide anstiegen ließ.
[5] Vgl. BPB (2016), S. 454.
[6] Spekulanten nutzen oftmals die gleichen Instrumente, welche für Unternehmen unter Absicherungsaspekten (z.B. gegen Fremdwährungsschwankungen) überlebensrelevant sein können.
[7] Vgl. SPRINGER GABLER VERLAG (o.J./Hrsg.)
[8] Body-Mass-Index, eine Maßzahl für das Körpergewicht eines Menschen ( ; m = Gewicht in Kilogramm, l = Körpergröße in Meter)
[9] Vgl. CZERNIK (2016).
[10] Im Anhang A ist eine detailliertere, stufenweise Annäherung an den Ausdruck Künstliche Intelligenz zu finden.
[11] FENDT (2017), S. 334.
[12] Vgl. BPB (2016), S. 419, 420, 428.
[13] Ferner wird die Aussage entscheidend beeinflusst, wann im „Herbst“ diese Aussage bewertet wird (vgl. Ende September oder Anfang Dezember).
[14] Vgl. ADAMY (2011), S. 3-8.
[15] ADAMY (2011), S. 7.
[16] Nach dem Logikkalkül des englischen Mathematikers und Philosophen George Boole aus dem Jahr 1847.
[17] Sind 3% BIP-Wachstum gut oder sehr gut ?
[18] Die Inferenz besteht somit aus drei Schritten: Aggregation, Implikation und Akkumulation. Die Informationen aus der Fuzzifizierung werden basierend auf der Regelbasis ausgewertet.
[19] Vgl. LEDERMANN/KLEIN (1996), S. 11 f., ADAMY (2011), S. 42-45.
[20] Vgl. LEDERMANN/KLEIN (1996), S. 24.
[21] Vgl.: Das Twitter-Verhalten des aktuell amtierenden US-Präsidenten Donald J. Trump beeinflusste bereits zahlreiche Aktienkursentwicklungen namhafter Grosskonzerne.
[22] Vgl. BACKHAUS/ERICHSON/WEIBER (2015), S. 296 f.