Ziel dieser Arbeit ist es, einen kurzen, aber möglichst detaillierten Überblick über die viel diskutierten Verb-Nomen-Komposita des Italienischen zu geben.
Die folgende Arbeit beschäftigt sich mit einem Wortbildungsprozess, der in nahezu allen Sprachen auftritt, der so genannten Verb-Nomen-Komposition. Unter einem Verb-Nomen-Kompositum (im Folgenden: VNK) versteht man eine nominale Phrase, die aus dem Zusammenschluss eines Verbs und eines Nomens besteht, wie zum Beispiel „il portalettere“ (portare + le lettere) oder „il lavamano“ (lavare + la mano).
Die Analyse der italienischen VNK soll wahrend der gesamten Arbeit durch zahlreiche Beispiele veranschaulicht werden. Zuerst soll genauer untersucht werden, worum es sich bei romanischen VNK handelt, anschließend wird auf deren mögliche Entstehung aus dem Lateinischen und deren Unterschiede zu den VNK anderer Sprachen eingegangen. Dieser Analyse folgt die Erklärung und Untersuchung von endo- sowie exozentischen Komposita und deren Vergleich mit anderen Sprachen. Daraufhin wird die Nominalkonstituente von VNK genauer untersucht, bei der insbesondere auf die Numerus- und Genusmarkierung eingegangen werden soll, gefolgt von einer Interpretation der Verbalkonstituente. Hierauf folgt der Hauptaspekt der vorliegenden Arbeit: die Frage nach der Modalität der Verbalkonstituente, bzw. die Frage, ob es sich dabei um einen Indikativ der 3. Person Singular Präsens, einen Imperativ der 2. Person Singular oder um ein Verbalthema handelt.
Inhalt
1. Einleitung
2. Was sind romanische VNK?
3. Entstehung romanischer VNK
4. Worin unterscheiden sich romanische Komposita von denen anderer Sprachen?
5. Endo- vs. Exozentische VNK
6. Nominalkonstituente
7. Verbalkonstituente
8. Modalität der Verbalkonstituente
a) Imperativthese
b) Indikativthese
c) Verbalthemathese
9. Zusammenfassung
10. Literatur-/Internetverzeichnis
1) Einleitung
Die folgende Arbeit beschäftigt sich mit einem Wortbildungsprozess, der in nahezu allen Sprachen auftritt, der so genannten Verb-Nomen-Komposition. Unter einem Verb-Nomen-Kompositum (im Folgenden: VNK) versteht man eine nominale Phrase, die aus dem Zusammenschluss eines Verbs und eines Nomens besteht, wie zum Beispiel „il portalettere“ (portare + le lettere) oder „il lavama- no“ (lavare + la mano). Die Analyse der italienischen VNK soll während der gesamten Arbeit durch zahlreiche Beispiele veranschaulicht werden. Zuerst soll genauer untersucht werden, worum es sich bei romanischen VNK handelt, anschließend wird auf deren mögliche Entstehung aus dem Lateini- schen und deren Unterschiede zu den VNK anderer Sprachen eingegangen. Dieser Analyse folgt die Erklärung und Untersuchung von endo- sowie exozentischen Komposita und deren Vergleich mit anderen Sprachen. Daraufhin wird die Nominalkonstituente von VNK genauer untersucht, bei der insbesondere auf die Numerus- und Genusmarkierung eingegangen werden soll, gefolgt von einer Interpretation der Verbalkonstituente. Hierauf folgt der Hauptaspekt der vorliegenden Arbeit: die Frage nach der Modalität der Verbalkonstituente, bzw. die Frage, ob es sich dabei um einen Indika- tiv der 3. Person Singular Präsens, einen Imperativ der 2. Person Singular oder um ein Verbalthema handelt.
Ziel dieser Arbeit ist es, einen kurzen, aber möglichst detaillierten Überblick über die viel diskutierten Verb-Nomen-Komposita des Italienischen zu geben.
2) Was sind romanische VNK?
„La composizione in linguistica è il processo per cui una nuova parola si genera a parti - re dall'unione di due o più parole o radici. Una parola ottenuta per composizione si defi - nisce composta. Vi sono lingue in cui i composti sono rari, altre in cui sono particolarmente frequenti (per esempio il sanscrito o il tedesco), e in cui siano diffusi anche composti con numerosi elementi.“
(https://it.wikipedia.org/wiki/Composizione (linguistica)) [13.08.2017]
Unter Komposition versteht man die Bildung eines neuen Wortes durch den Zusammenschluss von mindestens zwei Wörtern oder Wortstämmen. Die Ergebnisse der Komposition, die in den meisten Sprachen als einer der wichtigsten Wortbildungsprozesse gilt, werden als „Komposita“ bezeichnet.
Bei Verb-Nomen-Komposita handelt es sich um nominale Strukturen, die sich aus einer verbalen und einer nominalen Konstituente zusammensetzen, wobei die verbale der nominalen Konstituente vorausgeht. Bei dem Nomen handelt es sich meist um das interne Argument des Verbs, worauf in Kapitel 6 genauer eingegangen werden soll.
Im Folgenden sollen einige Beispiele von italienischen VNK gegeben werden, sortiert nach „belebten/unbelebten Einheiten“ sowie Ereignissen.
Belebte Einheiten
(1) Spazzacamino (lit. kehr-Kamin; ,Schornsteinfeger ‘ )
(2) Robacuori (lit. raub-Herzen; ,Herzensbrecher ‘ )
(3) Guardaboschi (lit. schau-W ä lder; ,F ö rster')
Unbelebte Einheiten
(4) Lavamano (lit. wasch-Hand; ‚ Waschbecken ’ )
(5) Lanciafiamme (lit. wirf-Flamme; ‚ Flammenwerfer)
(6) Tagliacarte (lit. schneid-Bried; ,Brief ö ffner ‘ )
Ereignisse
(7) Battimano (lit. schlag-H ä nde; ,Applaus')
(8) Alzabandiera (lit. hiss-Flagge; ,Hissen einer Flagge ’ )
(9) battibecco (lit. schlag-Bock; 'Wortgefecht')
Pavel Štichauer (2015) macht anhand folgender Tabelle deutlich, dass VNK bis auf wenige Ausnahmen aus einem begrenzten Inventar an Verbstämmen bestehen, die sich in den verschiedensten Kombinationsmöglichkeiten überschneiden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3) Entstehung romanischer VNK
Wie bereits erwähnt handelt es sich bei VNK um ein weit verbreitetes Phänomen der Wortbildung, auch im heutigen Italienisch. Sie gelten als eine der wichtigsten Innovationen auf dem Weg vom Lateinischen zu den romanischen Sprachen, in denen heutzutage eine generelle Tendenz für linksköpfige Strukturen vorherrscht (siehe Kapitel 4). Unter der Vielzahl morphologischer Wortbildungsprozesse sind VNK die produktivste Variante.
In der Literatur herrscht keine Einigkeit über die genaue Entstehung von VNK. Allerdings haben Untersuchungen ergeben, dass sie im Lateinischen nur sehr selten in dieser Form vorkamen, sodass sie eher als romanischer Wortbildungstyp angesehen werden, der sich vom Lateinischen abgrenzt. Fand man damals noch überwiegend Nomen-Verb-Komposita als Typus der Wortbildung vor, han- delt es sich heutzutage in den romanischen Sprachen fast ausschließlich um Verb-Nomen-Komposi- ta, was eine wichtige Voraussetzung in der Veränderung der Satzgliedabfolge im Übergang vom La- teinischen zum Romanischen darstellt, worauf im nächsten Kapitel noch einmal genauer einge- gangen werden soll.
4) Worin unterscheiden sich romanische Komposita von denen anderer Sprachen?
Wie bereits erwähnt unterscheiden sich romanische VNK in vielerlei Hinsicht von denen anderer Sprachen. Ein entscheidendes Merkmal ist die Linksköpfigkeit romanischer Komposita - sofern ein Kopf existiert (s. Kapitel 5). Unter anderem im Deutschen und im Englischen werden der Kasus, der Numerus und das Genus durch den hinteren Bestandteil eines Kompositums bestimmt (z.B. warten + das Zimmer = das Warte zimmer).
Im Italienischen gibt es zwar auch einige rechtsköpfige Komposita, doch diese treten nur äußerst selten auf und wurden meist aus dem Germanischen oder anderen Sprachen übernommen, wie zum Beispiel „l'autoscuola“ (die Fahrschule).
Die Abfolge „Verb-Nomen“ in romanischen Komposita wird oft in Zusammenhang mit der S-V-O- Satzstellung gebracht. Handelte es sich im Lateinischen noch um eine S-O-V-Satzstellung, bei der das Verb in den meisten Fällen am Ende des Satzes stand (z.B. „Liberi patrem vocant“ (lit. Kinder den Vater sie rufen → „Die Kinder rufen den Vater“), änderte sich dieses Schema im Laufe der Zeit zu einer S-V-O-Ordnung (z.B. „I ragazzi chiamano il padre“). In dieser Satzstellung spiegelt sich auch die Nähe des Verbes zum Subjekt wieder, weshalb heutzutage oft die These vertreten wird, dass es sich bei VNK um eine notwendige Konsequenz aus der Änderung der Satzstellung von SOV zu SVO handle.
Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass in romanischen Sprachen viel häufiger Komposita gebildet werden, von denen beide Bestandteile betont werden, wie zum Beispiel „cantante-attore“ (*Sänger-Schauspieler), bei dem beide Konstituenten des Kompositums gleichwertig sind. Des Weiteren sind Komposita in romanischen Sprachen nicht so frei bildbar wir in germanischen Sprachen. Während man im Deutschen oft beliebig lange Komposita aus beinahe unendlich vielen aneinandergereihten Konstituenten bilden kann, handelt es sich in romanischen Sprachen eher um syntaktische Strukturen. Die Komposita, die in diesen Sprachen existieren, sind nahezu gänzlich in Lexika festgehalten und können nicht frei erfunden werden.
5) Endo- vs. Exozentische VNK
Bei der näheren Untersuchung romanischer VNK fällt auf, dass eine Gleichsetzung germanischer und romanischer VNK unter anderem deshalb kaum möglich ist, weil es sich bei germanischen VNK häufig um endozentrische, bei romanischen VNK eher um exozentische Komposita handelt. Endozentrische Komposita beinhalten einen Kopf, der seine grammatikalischen und semantischen Eigenschaften auf das gesamte Kompositum überträgt. Dieser befindet sich bei romanischen endo- zentrischen Komposita am Anfang des Wortes. Aufgrunddessen werden romanische Komposita, so- fern sie einen Kopf besitzen, im Gegensatz zu vielen anderen Sprachen als „linksköpfig“ bezeich- net.
Unter exozentischen Komposita versteht man Wortbildungen, die nicht aus einem Determinatum und einem Determinans zusammengesetzt sind oder anders gesagt keinen Kopf haben, der seine morphologischen und syntaktischen Eigenschaften (z.B. Numerus und Genus) an das Kompositum weitergibt., sodass das Bezeichnete außerhalb des Kompositas liegt.
Betrachtet man das Beispiel „portalettere“ („Briefträger“), stellt man fest, dass es sich bei dem Kompositum als Ganzes um ein Nomen handelt, sodass das Erstglied „porta“ aufgrund seiner verbalen Natur nicht als Kopf des Wortes in Frage kommt. Doch auch das nominale Zweiglied „lettere“ kann nicht den Kopf des Kompositums bilden, da es sich hierbei um ein feminines pluralisches Nomen handelt, was im Widerspruch zum Kompositum als Ganzes als maskulines und singularisches Nomen steht. Aufgrund der nicht vorhandenen Weitergabe der Eigenschaften des Numerus oder des Genus liegt auch bei dem zweiten Glied kein Kopfstatus vor.
Außerdem kann der Kopfstatus auch mithilfe eines semantischen Kriteriums, dem „ è un “-Test, überprüft werden (vgl. Scalise 1994: 132). Auf das aufgeführte Beispiel bedeutet dies: ein „portalettere“non è un lettere, d.h. ein Briefträger ist keine Art von Brief.
Zusammenfassend kann man sagen, dass es sich bei dem Kompositum „portalettere“ um ein exozentisches Kompositum handelt, da die verbale Konstituente keine nominalen Merkmale aufweist und die nominale Konstituente, die als Kopf in Frage kommen würde, seine grammatikalischen und semantischen Merkmale nicht an das Kompositum weitergibt.
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