Vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Darstellung von Wasser im Kontext der Kunst- und Wunderkammern und versucht dabei eine erste Perspektive zu entwickeln, welche Aspekte hierbei erkenntnisbringend zu beachten sind. Dadurch, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kunst- und Wunderkammern erst innerhalb der letzten 30 bis 40 Jahre begann und der thematische Schwerpunkt dieser Hausarbeit auf der Wasserdarstellung liegt, bot sich wenig bis keine Forschungsliteratur, die genau dieses Thema beleuchtet. Folglich war es notwendig, sich dem Thema über die Idee und den innewohnenden Prinzipien der Kunstkammer selbst sowie deren einzelnen Exponaten zu nähern.
Die Arbeit beginnt deshalb mit einem kurzen, einführenden Teil zum Konzept der Kunst- und Wunderkammer und führt dabei wesentliche Charakteristika auf, die im weiteren Verlauf wieder aufgegriffen werden. Darüber hinaus war es notwendig zu erarbeiten, welche Eigenschaften Wasser besitzt und welche symbolischen Zuschreibungen damit im Zusammenhang stehen, sodass anschließend das Verhältnis dieser Eigenschaften zu den einzelnen Exponaten untersucht werden konnte. Als erkenntnisbringend erwies sich dabei auch die Beschäftigung mit den Beziehungen der ausgestellten Objekte untereinander sowie der darin implizit enthaltenen Anordnung und Konzeption von Wunderkammern. Aus Mangel an spezifischer Forschungsliteratur, dem neu aufgekeimten Interesse an der Wunderkammer sowie deren Grundidee, die Welt im Kleinen abzubilden, scheint das gewählte Hausarbeitsthema relevant, sich diesem Sammlungstypus weiter zu nähern und womöglich bisher wenig beachtete Aspekte zu erkunden.
Gliederung
1. Einleitung
2. Einführendes zum Konzept der Kunst- und Wunderkammer
3. Eigenschaften und Zuschreibungen von Wasser
4. Korallen und Korallenkästen
5. Wasser als Medium der Fortbewegung
6. Tierpräparate und der Lebensraum Wasser
7. Abschließende Betrachtungen und Fazit
8. Literaturverzeichnis
9. Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
Vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Darstellung von Wasser im Kontext der Kunst- undWunderkammern und versucht dabei eine erste Perspektive zu entwickeln, welche Aspektehierbei erkenntnisbringend zu beachten sind. Dadurch dass die wissenschaftlicheAuseinandersetzung mit Kunst- und Wunderkammern erst innerhalb der letzten 30 bis 40 Jahrebegann und der thematische Schwerpunkt dieser Hausarbeit auf der Wasserdarstellung liegt,bot sich wenig bis keine Forschungsliteratur, die genau dieses Thema beleuchtet. Folglich wares notwendig, sich dem Thema über die Idee und den innewohnenden Prinzipien derKunstkammer selbst sowie deren einzelnen Exponaten zu nähern. Die Arbeit beginnt deshalbmit einem kurzen, einführenden Teil zum Konzept der Kunst- und Wunderkammer und führtdabei wesentliche Charakteristika auf, die im weiteren Verlauf wieder aufgegriffen werden.Darüber hinaus war es notwendig, zu erarbeiten, welche Eigenschaften Wasser besitzt undwelche symbolischen Zuschreibungen damit im Zusammenhang stehen, sodass anschließenddas Verhältnis dieser Eigenschaften zu den einzelnen Exponaten untersucht werden konnte.Als erkenntnisbringend erwies sich dabei auch die Beschäftigung mit den Beziehungen derausgestellten Objekte untereinander sowie der darin implizit enthaltenen Anordnung undKonzeption von Wunderkammern. Aus Mangel an spezifischer Forschungsliteratur, dem neuaufgekeimten Interesse an der Wunderkammer sowie deren Grundidee, die Welt im Kleinenabzubilden, scheint das gewählte Hausarbeitsthema relevant, sich diesem Sammlungstypusweiter zu nähern und womöglich bisher wenig beachtete Aspekte zu erkunden.
2. Einführendes zum Konzept der Kunst- und Wunderkammer
Die Kunst- und Wunderkammern1 stellen ein Sammlungskonzept der Spätrenaissance und desBarock dar, das vielfältige Werke der Natur und der menschlichen Kunstfertigkeit an einemOrt versammelt. Dabei treffen verschiedenste Exponate aufeinander. Eine beispielhafte,jedoch typische Auswahl wäre dabei Krokodil, Stachelfisch und Paradiesvogel an der Decke,Gemälde und Regale mit Statuetten und Kleinodien an der Wand, große Tische im Raum, aufdenen Pokale, Naturalien sowie ethnographischen Artefakte ausgestellt sind, als auchKabinettschränke, in denen sich wissenschaftliche Instrumente verbergen. Der auf den erstenBlick willkürlich anmutenden Unordnung liegt jedoch ein tieferer Sinn inne. Die Kunstkammerverfolgt das Prinzip der Analogie von Mikrokosmos und Makrokosmos: Das Universum alsGanzes, in dem Gegenstände und Lebewesen aufeinander bezogen sind und miteinanderagieren, soll in der Wunderkammer im Kleinen repräsentiert werden. Nach Virginie Spenlébesteht dabei die Aufgabe der Kunst- und Wunderkammer darin, dieses verborgene Netz derBeziehungen zu veranschaulichen2. „Thematisiert werden anhand verschiedenster Objektedie vier Elemente, die Jahreszeiten, die Planeten, die Pflanzen und Tierwelt, aber auch derMikrokosmos des Menschen, der mit seinen Schöpfungen in Konkurrenz zu Gott tritt.“3 Hierzeigt sich, dass dem Sammlungskonzept erst einmal grundlegend zwei Kategorieninnewohnen, nach denen die Exponate in der Kunstkammer aufgeteilt sind: auf der einenSeite die Schöpfungen der Natur, die Naturalia, auf der anderen Seite die Schöpfungen desMenschen, die Artificilia. Weitere, selten streng gehandhabte Kategorien innerhalb dieserSammlungen waren die Mirabilia (besonders fein gearbeitete Dinge oder nie zuvorGesehenes), Exotica (ethnografische Objekte) sowie Scientifica (technische Apparaturen wiez.B. Messgeräte)4. Den Schwerpunkt der Wunderkammer legte dabei jeder Sammler anders.Bemerkenswert ist dabei neben den per se zum Staunen animierenden Exponaten der Kunst-und Wunderkammern auch die Bedeutungsdiversität der ausgestellten Objekte. Am Beispieldes Kokosnusspokals zeigt sich, dass dieser nicht ausschließlich der Kategorie der Naturaliazuzuordnen ist, sondern zusätzlich durch seine Bearbeitung auch als Artificilia zu verstehenist. Darüber hinaus galt die Kokosnuss auch wegen ihrer Nichtverfügbarkeit im europäischenRaum als Exotica. Zu dieser Kategoriendiversität kommt schließlich noch die Funktion alsTrinkgefäß sowie die einstige Bedeutung als medizinisches Allheilmittel5. Der Besuch in derKunstkammer ermöglicht dem Betrachter folglich nicht nur ein stilles Bewundernaußergewöhnlicher Kunst- und Naturobjekte, sondern führt ihn auch zeitgleich auf eineEntdeckungsreise mit dem Ziel, die verschiedenen Bedeutungen und Verbindungen dieserWelt im Kleinen zu entschlüsseln. Dieser Idee folgt auch vorliegende Arbeit bei derEntwicklung einer Perspektive auf die Darstellung von Wasser innerhalb diesesSammlungskonzeptes.
3. Eigenschaften und Zuschreibungen von Wasser
Da das Element Wasser in seiner flüssigen Form innerhalb der Kunstkammer nicht selbstausgestellt ist, sondern die verschiedenen Exponate und Verbindungen teils direkt, teilsindirekt darauf verweisen, kann eine Perspektive auf die Darstellung von Wasser inebenjenem Sammlungstypus auch nur an diesen verschiedenen Elementen ansetzen. Dabei ist vorerst zu klären, welche Eigenschaften und Bedeutungen dem Wasser zugeschriebenwerden, um bei dem folgenden Blick in die Kunstkammer zu verstehen, wie Wasser implizit in der Gestaltung und Konzeption dieses Sammlungkonzeptes einbezogen wird oder sich erst durch den Betrachter und dessen Deutung ergibt.
Nähert man sich dem Element Wasser, ist die erste zu treffende Aussage, dass Wasser Lebenist. Dies ist keineswegs nur symbolisch zu verstehen, sondern in Anbetracht der Tatsache,dass etwa 72 % der Erdoberfläche mit diesem Naturelement bedeckt sind und auch dermenschliche Körper zu etwa 70% aus Wasser besteht durchweg wortwörtlich zu nehmen. Alsunabdingbare Lebensgrundlage wird Wasser als Quelle des Lebens gesehen. Die positivenAspekte reichen hierbei „[v]om Urmeer der Genesis, dem lebenspendenden Quell desParadieses und dem Quellwunder des Mose, das die Israeliten vor dem Verdursten rettet, biszur Reinigung durch die christliche Taufe [...]“6. Jedoch zeigt sich bspw. in der Sintflut auch diezerstörerische Kraft dieses Elementes.
Neben dem Aggregatzustand flüssig kann Wasser darüber hinaus noch als fest oder gasförmigauftreten und verweist damit bereits auf sein Potenzial zur Veränderung und deutetBeweglichkeit und Formbarkeit an. Des Weiteren erscheint es in flüssiger (und reiner) Formals transparent und besitzt die Fähigkeit, einfallendes Licht an Oberflächen zu reflektieren unddamit zu spiegeln.
Mit Wein vermischt kennzeichnet es die Kardinaltugend Mäßigung und führt in antiken Vorstellungen in Verbindung mit einer Brunnenanlage oder einem Teich zur Erneuerung der Jugendlichkeit7, was wiederum auf das Verwandlungspotenzial verweist und dem Wasser eine mystische, unergründlich geheimnisvolle Konnotation verleiht. Inwieweit diese Aspekte sich in der Kunstkammer wiederfinden, soll nun in den folgenden Abschnitten bearbeitet werden, die sich einzelnen Kunstkammerobjekten widmen.
4. Korallen und Korallenkästen
Der Koralle kommt im Kontext des Sammlungstypus der Kunstkammer eine besondere Bedeutung zu, da sie zum einem „die Grenzziehung von Natur- und Menschenwerk poröswerden“8 lässt, zum anderen deutlich in Abhängigkeit zum Medium Wasser als Lebensraumsteht. Der durch Plinius und Ovid bekannte Mythos der Koralle besagt, dass die Koralle, unterdem Wasser weich und wie Pflanzensträucher wachsend, an der Luft hart wie Stein wird, umsich dem Menschen als Schmuckgeschenk anzubieten9. Dies klassifiziert die Koralle zum einenals Naturalia, weist aber auch auf ihren Wandlungscharakter hin, als Artificilia zu fungieren.Die Koralle deutet folglich durch ihre Herkunft und die Veränderung des Härtegrades an derLuft auf das Medium Wasser, das auch ihre Lebensgrundlage darstellt und gleichzeitig auf denin Abschnitt 3 erwähnten Aspekt der Beweglichkeit und Formbarkeit. So gesehen lässt sichsagen, dass Koralle und Wasser Träger gemeinsamer Eigenschaften sind. Die angesprocheneBeweglichkeit und Lebendigkeit, die an der Luft rein technisch nicht gegeben ist, wirdinteressanterweise durch „intrinsisch wirksam[e] Scheinbewegungen“10 im Korallenschrankerreicht. Das Korallenkabinett der Kunst- und Wunderkammer des habsburgischen ErzherzogsFerdinand II. von Tirol stellt die Verbindung zum Element Wasser dabei besonderseindrucksvoll her (Abbildung 1). Es handelt sich um einen hochrechteckigen, innen mitschwarzem Samt ausgeschlagenen Holzkasten, dessen Seitenwände im unteren Drittel mitSpiegeln ausgekleidet sind. Hinter einer aus Glas gestalteten Wasserfläche11 findet sich eineim Hintergrund befindliche üppige Sammlung von teilweise goldgeränderten, sich zu einemBerg auftürmenden Muscheln, deren Gipfel von einem Korallenbaum gekrönt wird. Innerhalbdieser Grotte am Fuße tummeln sich mythologische Figuren wie Kentauren und Hippokampensowie Seeungeheuer aus roter Koralle, die sich um eine Nautilismuschel sammeln, aus dereine weibliche Figur mit Perlenkette ragt. Zusätzlich zu den Korallen finden sich Muscheln ausdem südpazifischen Raum, „zarte, vermutlich in der Innsbrucker Glashütte produzierteGlasgewächse“12, eine bronzene Eidechse sowie eine sich auf dem Korallenzweig in der Mittebefindliche Christusfigur. An der Decke befindet sich ein mit Goldfarbe gemalterSternenhimmel.
Die Koralle steht hier exemplarisch für die drei in der Wunderkammer anzutreffenden Reicheder Natur: Tiere, Pflanzen und Mineralien. Den Alchimisten zufolge galt die Koralle als die ausdem Urwasser (Meer) stammende, verfestigte materia prima13. Nach antiken Vorstellungenkonnten Korallen auch Gift und verdorbenes Wasser unwirksam machen und galten alsSinnbild des rechten Glaubens und guter Werke14. Besonders bei der Darstellung diesesUnterwasserszenarios sind die renaissancetypischen illusorischen Elemente, mit denengearbeitet wurde. Die bereits erwähnten, seitlich angebrachten Spiegel sorgen hierbei nicht nur für den Eindruck größeren Volumens und damit einer für den Betrachter ungenau zubestimmenden Weite, sondern erwecken auch den Eindruck umgebenden Wassers. Durchdas angedeutete Firmament wird der Miniatur darüber hinaus noch eine Tiefendimensiongegeben. Betrachtet man nun den Korallenkasten als Ganzes, der in seiner Ausführung anheutige Zimmeraquarien erinnert, so können sich folgende Betrachtungen ergeben. DerBesucher ist von der scheinbar wasserdurchtränkten Miniaturwelt durch eine Scheibe getrennt; er kann sie zwar einerseits bestaunen, aber ihm fehlt der haptische und spürbareZugang, diese unbekannte, von mythischen Wesen und exotischen Tieren bewohnte Welt zuerforschen. Die eigentliche Lebendigkeit und Möglichkeit, diesen Lebensraum zu erfahren,bleibt ihm verschlossen. Der schwarze, den Meeresboden imitierende Grund, die durch dieSpiegel erzeugte Weite sowie der Sternenhimmel an der Decke erzeugen hingegen einen ganzanderen, entgegengesetzten Eindruck: Die besprochenen Eigenschaften erwecken auch denEindruck, als befände sich der Rezipient tatsächlich unter Wasser. Von der Tiefe desMeeresgrundes, der lediglich durch die von den Lichtreflexionen erhellten Korallen undMuscheln sowie dem Firmament beleuchtet wird, wird der Betrachter ähnlich wie unterWasser auf seine - und für den Besuch in der Kunstkammer tragende - eigene Fähigkeitzurückgeworfen, seine Wahrnehmungen mit Bedeutungen zu versehen und Verbindungen zuknüpfen, um das Wahrgenommene verstehen zu können. Besagter Korallenkasten schafft essomit, den Betrachter in seine Welt zu ziehen und gleichzeitig mit der mystischen Symbolikdes Wassers zu konfrontieren. Dadurch zeichnet den Korallenkasten ein gewisserAngebotscharakter, bzw. eine ihm innewohnende Assoziationskraft aus, die beim Erforschenvon Wasserdarstellungen innerhalb der Kunstkammer wesentlich zu sein scheint und bei derzu prüfen ist, ob und wie diese sich in anderen Kunstkammerobjekten darstellt.Eine andere Wirkung der Koralle zeigt sich bei einem Besuch in der Wunderkammer Olbrichtin Berlin, einer Privatsammlung Thomas Olbrichts, die den Schwerpunkt auf den BereichVanitas lenkt. Da die Wunderkammer auch vom Wechselspiel der ausgestellten Objekte lebt,ist denkbar, dass sich beim Betrachter in einem anderen Kontext auch andere Bedeutungender Exponate anbieten oder gar aufdrängen. Abbildung 2 zeigt hierbei einenWunderkammerschrank mit Sammlungsgegenständen des 16. - 21. Jh. Die Anordnung istdabei eine Rekonstruktion nach dem 1666 datierten Kunstkammergemälde von Georg Hinz inder Hamburger Kunsthalle15. Die Objekte, die sich hier finden, sind zu weiten Teilen Vanitas-Symbole: Ein als Maske fungierender modellierter Halbkopf im Zentrum, der auf dieAbwesenheit des Trägers verweist, diverse Schädel als Überbleibsel des Lebens, Perlenkettenals Schmuck, die auf Vergänglichkeit verweisen sowie die bereits näher betrachtete Koralle,die im hier betrachteten Kontext durch ihre starre Bewegungslosigkeit der tristen Szenerie -auch im buchstäblichen Sinne - die Krone aufsetzt. Im Gegensatz zum Korallenschrank vonAmbras (Ferdinand II.) ist hier nichts mehr von Lebendigkeit und Bewegung zu spüren. DerBlick des Betrachters wird zwar durch das rotschillernde Meeresobjekt erregt, doch reichtseine ihm von Bredekamp zugeschriebene innewohnende Wandlungskraft nicht aus16, demStillleben Vitalität einzuhauchen. Die Koralle steht hier voll und ganz im Zeichen des Todes und gibt einen deutlichen Verweis auf die von Virginie Spenlé eingangs erwähnte Aufgabe der Kunstkammer, verborgene Beziehungsnetze zu veranschaulichen. Die weiter oben erwähnte Eigenschaft von Wasser, als notwendige Lebensgrundlage zu dienen, erhält hier ihreBestätigung. Die Koralle behält zwar die Zeigefunktion, auf ihre Abstammung vom „Urwasser“ hinzuweisen, doch eher in einem negativen Sinne, dass die Verbindung zu dieserLebensnotwendigkeit gekappt ist.
Vergleicht man das besprochene Korallenkabinett mit dem Kabinettschrank zeigt sich wahrscheinlich als Erstes für den Betrachter die dunkle Farbgebung beider Objekte: beimKorallenkabinett durch schwarzen Hintergrund und schwarzen Samt auf dem Boden, beimKabinettschrank durch die schwarze Vitrine, in der die Gegenstände ausgestellt sind. Trotzdieser erst einmal wenig Lebendigkeit vermittelnden Grundstimmung der Farbgebung, dieauch nicht wesentlich durch die in beiden Exponaten sonst vorkommenden Farbenaufgehoben wird, wurde klar, dass beide Objekte unterschiedlich bedeutungsvoll geladensind. Hier scheint die Assoziationskraft der einzelnen Elemente, als auch - und zwar zugrößerem Anteil - deren Anordnung zueinander wesentlichen Einfluss darauf zu haben, wieder Rezipient das Objekt erfährt. Der Korallenkasten erzielt seine Lebendigkeit dadurch, dasser zwar illusionär und auch durch die mythischen Figuren nicht komplett, so doch aber zuweiten Teilen sehr authentisch den Einzelelementen einen gemeinsamen, sie tragendenGrund gibt - den Lebensraum Wasser. Die Koralle findet sich natürlicherweise und lebendigdort, genauso wie auch Muscheln zum Wasser gehören oder Seeungeheuer per Definitionden See benötigen. Die Grundlage oder das übergeordnete Thema des Kabinettschranks isthingegen die Vergänglichkeit und der Tod. So gut wie jedem Einzelstück lässt sich dabeiVanitas-Symbolik zuschreiben, was in der Fülle dazu führt, dass auch die Koralle sich losgelöstvon ihrer lebhaften Bedeutung in die Öde des Todes einreiht. Somit ergibt sich zusätzlich zurFähigkeit von einzelnen Exponaten, Assoziationen zu wecken, ein weiterer wichtiger Punkt,sich dem Element Wasser zu nähern: die Kontextualität. Das eingangs erwähnteBeziehungsgeflecht der Welt, das es in der Wunderkammer zu entdecken gilt, zeigt sich auchin Bezug auf Wasser. Die Exponate sind immer in einen Kontext eingebettet oder einemThema untergeordnet, das in der Lage ist, die Bedeutungen der einzelnen Objekte zumodifizieren oder gar ins Gegenteil zu kehren.
5. Wasser als Medium der Fortbewegung
Neben der oben genannten Symbolik lässt sich Wasser allerdings auch direkt in Bezug zurWunderkammer und deren Sammelcharakter setzen. Abbildung 3 zeigt eine Vitrine derOlbricht Kunstkammer, in der sich unterschiedliche Scientifica-Objekte verschiedensterEpochen befinden. Neben den typischen Vanitas-Objekten dieser Kunstkammer finden sichauch hier ein auf einem Holzsockel positionierter roter Korallenbaum, verschiedene Sonnen-und Sanduhren, ein aufklappbarer Miniaturglobus sowie Kompass und Landkarte, auf derunterschiedliche Muscheln angeordnet sind. Zentrales Thema dieser Vitrine ist folglich dieWelt der Wissenschaft und Erkenntnis mit ihren unterschiedlichen Messinstrumenten.Interessant hierbei ist die Kombination von Globus, Landkarte und Muschelauswahl, verweistdiese doch auf eine wesentliche Notwendigkeit für das Inventar der Wunderkammer: dasReisen, Sammeln und Erkunden fremder Welten. Exotica fanden sich nicht in unmittelbargeografischer Nähe und mussten deshalb erst von fremden Orten bezogen werden oderfanden ihren Weg durch Zufall in die jeweilige Sammlung. Von Rudolf II. ist bekannt, dass ihmdabei ein „weiterverzweigtes Netz von oft wechselnden Agenten [half] [...], das seineSammelinteressen vertrat.“17 Dieses Netz von Agenten musste dabei auch auf Meereswegezurückgreifen oder mit Händlern in Kontakt stehen, die Zugang zum Meer und seinenSchätzen hatten. Wasser taucht somit in diesem Kontext als Medium der Fortbewegung aufbzw. verweist auf den Reiseweg, den so manches Kunstkammerobjekt zurückgelegt habenmuss. Erwähnenswert ist hierbei noch die symbolische Bedeutung der Muschel: Sie galt in derRenaissance als Sinnbild für die göttliche Empfängnis und war mit Perle darüber hinaus in derBarockzeit auch allgemeines Sinnbild für den Empfang göttlicher Gnaden18. Vor demHintergrund des Sammelns und Entdeckens kurioser Gegenstände, das auch immer als zufälligund angewiesen auf göttliche Gnade zu verstehen ist, ist die Symbolik der Muschel durchausauch programmatisch für die Kunstkammer zu sehen, bzw. ein Hinweis darauf, dass diejeweilige Sammlung zu einem gewissen Teil auch davon abhängt, was dem bediensteten Netzan Agenten auf ihren Reisen an möglichen Kunstkammerobjekten begegnet.Wasser als Fortbewegungsmittel findet sich darüber hinaus aber auch in Form vonmontierten Booten bzw. Kanus. Abbildung 4 und 5 zeigen hierbei einmal das Frontispiz desKataloges Museum Wormanium von 1655 als auch eine Rekonstruktion ebendieses Museumsvon 2012. Durch die um das Boot jeweils angeordneten Tiere wie Ente und Fisch wird nebender Bedeutung von Wasser als Lebensraum auch die Möglichkeit, Wasser als Medium derFortbewegung zu nutzen aufgezeigt und damit gleichzeitig die Fähigkeiten des Menschendargestellt, seine Umwelt nutzbar zu machen.
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1 Im Folgenden synonym verwendet
2 Vgl. Spenlé 2017, S. 3
3 ebd.
4 Vgl. Beßler 2012, S. 32
5 Vgl. Spenlé 2017, S. 6
6 Kretschmer 2011, S. 444
7 Vgl. ebd.
8 Bredekamp 2015, S. 32
9 ebd., S. 32
10 ebd., S. 34
11 Vgl. Kunsthistorisches Museum 2017
12 ebd.
13 Vgl. Beßler 2012, S. 33
14 Vgl. Kretschmer 2011, S. 228
15 Werkliste Wunderkammer Olbricht, S. 2
16 Vgl. Bredekamp 2015, S. 34
17 Bukovinská 2015, S. 233
18 Kretschmer 2011, S. 290