Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Analyse eines Transkriptes mittels der Objektiven Hermeneutik von Ulrich Oevermann. Die Basis des Transkriptes ist ein YouTube-Video aus dem Jahr 2012, das den Titel „Deutscher Lehrer rastet aus“ trägt. Die 2,30-minütige Szene wurde heimlich von einem Schüler aufgenommen und stellt einen eskalierenden Konflikt zwischen einem Lehrer und seiner Klasse dar. Da auch schulische Konflikte zum Lehrerberuf gehören und sie besonders für BerufsanfängerInnen eine große Herausforderung sind, eignet sich die Analyse von Transkripten, die sich diesem Problemfeld zuwenden, besonders gut, um den Umgang mit Schwierigkeiten bzw. deren Zustandekommen von außen zu betrachten. Eine solche Vorgehensweise hat außerdem den Vorteil, dass sie eine Orientierung für das eigene Verhalten gibt. Selbst-verständlich kann auch in Unterrichtsbesuchen während eines Praktikums auf Konflikt-situationen geachtet werden, allerdings ist man als präsenter Beobachter oft in gewisser Weise in die Situation involviert und beeinflusst unter Umständen das Verhalten der Schüler und Schülerinnen und der Lehrperson.
Inhalt
1. Einleitung
2. Objektive Hermeneutik – Beschreibung der Methode
3. Interpretation
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Analyse eines Transkriptes[1] mittels der Objektiven Hermeneutik von Ulrich Oevermann. Die Basis des Transkriptes ist ein
YouTube-Video aus dem Jahr 2012, das den Titel „Deutscher Lehrer rastet aus“ trägt. Die 2,30-minütige Szene wurde heimlich von einem Schüler aufgenommen und stellt einen eskalierenden Konflikt zwischen einem Lehrer und seiner Klasse dar. Da auch schulische Konflikte zum Lehrerberuf gehören und sie besonders für BerufsanfängerInnen eine große Herausforderung sind, eignet sich die Analyse von Transkripten, die sich diesem Problemfeld zuwenden, besonders gut, um den Umgang mit Schwierigkeiten bzw. deren Zustandekommen von außen zu betrachten. Eine solche Vorgehensweise hat außerdem den Vorteil, dass sie eine Orientierung für das eigene Verhalten gibt. Selbstverständlich kann auch in Unterrichtsbesuchen während eines Praktikums auf Konfliktsituationen geachtet werden, allerdings ist man als präsenter Beobachter oft in gewisser Weise in die Situation involviert und beeinflusst unter Umständen das Verhalten der Schüler und Schülerinnen[2] und der Lehrperson.
Im Folgenden Kapitel werde ich die Verfahrensweise der Objektiven Hermeneutik näher erläutern. Dabei gehe ich besonders auf die fünf Prinzipien ein, auf die sich die Objektive Hermeneutik stützt. Als Hauptquelle wird das Werk Einführung in die Interpretationstechnik der Objektiven Hermeneutik von Andrea Wernet (2000) verwendet, weil es die Methode sehr detailliert erklärt und einzelne Arbeitsschritte anhand von Beispielen veranschaulicht. In Kapitel drei beschäftige ich mich mit der Interpretation des ausgewählten Textausschnittes. Für mich waren automatisch die Lehreraussagen interessant, um zu erfahren, wie man in diesem Beruf mit Konflikten umgehen kann und wie es auf gar keinen Fall getan werden sollte. In diesem Zusammenhang wählte in lediglich einen Satz des Transkriptes zur Analyse aus, der den Beginn eines Wutausbruchs darstellt. Nach der Interpretation erfolgt das Fazit. An dieser Stelle fasse ich die Ergebnisse des dritten Kapitels zusammen und formuliere eine Strukturthese. Diesbezüglich wird auch das Verhalten des Lehrers im gesamten Transkript hinzu gezogen, um auszusagen, ob seine Handlungsweise konstant ist. Darüber hinaus reflektiere ich meine eigene Vorgehensweise mit der Objektiven Hermeneutik und gehe auf Schwierigkeiten ein, die ich während der Interpretation hatte. Beendet wird die Arbeit mit einem kurzen Resümee über den Nutzen, den ich aus dem Seminar „Schulische Konflikte analysieren“ gezogen habe.
2. Objektive Hermeneutik – Beschreibung der Methode
Wie bereits erwähnt, verwende ich bei der Transkriptanalyse die Objektive Hermeneutik – ein Verfahren der Textinterpretation, das von Ulrich Oevermann in den 1970er Jahren entwickelt wurde (vgl. Wernet, A. 2011, S.1). Sie gehört zu den sogenannten qualitativen Methoden, die soziale Phänomene verstehen wollen. Dem gegenüber positionieren sich quantitative Methoden, bei denen es um eine wissenschaftliche Erfassung des Vorkommens von sozialen Gegebenheiten geht und Methoden „[…] der Erforschung von Zusammenhängen auf dem Wege der zahlenförmigen Angaben der Wahrscheinlichkeit des gemeinsamen Auftretens von Phänomenen, um so kausale Bedingtheiten zu erfassen“ (Wernet, A. 2011, S.1). Die Objektive Hermeneutik unterscheidet sich dahingehend von phänomenologischen, ethnographischen und wissenssoziologischen Ansätzen, als dass sie auf ein „Eintauchen in die Lebenswelt“ und ein Sich-vertraut-machen mit dem zu untersuchenden Phänomen verzichtet. Der einzige Forschungsgegenstand auf den sich die Objektive Hermeneutik bezieht, ist der Text selbst. Um den Grund für dieses Vorgehen nachvollziehen zu können, rät Wernet, den Entstehungskontext hinzuzuziehen: Die Methode ist zwecks Erforschung familiärer Interaktion entstanden. Dabei ist aufgefallen, dass die jeweilige Familie ihr Verhalten änderte, sobald sich der Forscher bei ihnen aufhielt. Dadurch kam es zu Problemen bei der Datenerhebung. Mithilfe der erstellten Tonbandprotokolle und Transkripte wurde es schließlich möglich, hinter die Fassade der Akteure zu blicken. Die Differenzierung zwischen dem „Bühnenspiel“ und dem „Blick hinter die Kulissen“ ist ein charakteristisches Merkmal der Objektiven Hermeneutik. Das Bühnenspiel ist demnach das, was in der Forschung als manifeste Sinnstruktur bezeichnet wird. Sie impliziert die Art und Weise, wie die Sprecher nach außen hin gesehen werden wollen. All das, was nicht offen zum Vorschein kommen und verborgen werden soll, ist die latente Sinnstruktur. Allerdings darf man nicht davon ausgehen, dass sich die manifeste und latente Sinnstruktur ergänzen. Ganz im Gegenteil: sie stehen sich teilweise widersprüchlich und spannungsreich gegenüber. Dieser Aspekt ist vor allem für das pädagogische Handeln von zentraler Bedeutung (vgl. Wernet, A. 2011, S. 2f.).
Zum methodischen Vorgehen ist zu sagen, dass die Objektive Hermeneutik auf fünf Interpretationsprinzipien basiert, die ich im Folgenden erläutere. Das erste Prinzip ist die Kontextfreiheit, die zunächst sehr widersinnig scheint: Wenn man eine Handlung verstehen möchte, ist es dann nicht besonders wichtig, den Kontext zu kennen? Ja! Allerdings erfolgt die Einbindung des Kontextes, gemäß der Objektiven Hermeneutik, erst nach der kontextfreien Interpretation. Wernet erklärt, dass die beiden Dimensionen erst durch die systematische Nachordnung analytisch unabhängig voneinander sind. Andernfalls bestehe die Gefahr, den Text ausschließlich mit Hilfe des Kontextes zu verstehen. Eine kontextfreie Interpretation impliziert die Auslegung der Äußerung als solche. Dies erfolgt, in dem man rein experimentell Kontexte bzw. „Geschichten“ konstruiert, in denen die vorliegende Äußerung angemessen erscheint. Anschließend zieht man den Bezugsrahmen hinzu und macht sowohl Dissonanzen als auch Übereinstimmungen zwischen der kontextfreien Bedeutung der Äußerung und dem Kontext sichtbar (vgl. Wernet, A. 2000, S.22f.). Diesen Arbeitsschritt werde ich in Kapitel drei durchführen. Zusammenfassend kann man bezüglich der Kontextfreiheit sagen, dass eine „künstliche Naivität“ erforderlich ist, bei der das Vorwissen unberücksichtigt bleibt.
Als zweites gilt das Prinzip der Wörtlichkeit. Dieses ist zwingend, um den Text als Ausdruck von Wirklichkeit ernst zu nehmen. Die Interpretation muss sich präzise auf seine Gestalt berufen, d.h. dass die Ebene der inhaltlichen Umschreibung zunächst verlassen wird. Statt der Wiedergabe des Inhalts einer Äußerung oder eines Interaktionsverlaufs, verlangt die Objektive Hermeneutik eine genaue Erklärung der Sinnstruktur der Angabe (vgl. Wernet, A. 2011, S.7). Das Wörtlichkeitsprinzip beauftragt den Interpreten quasi dazu, den Text in einer Weise „auf die Goldwaage zu legen“, die im alltäglichen Kontext unangemessen und kleinkariert erscheint. Dieses Vorgehen soll dazu dienen, die Differenz des manifesten und latenten Sinngehaltes des Textes zu erklären und den Unterschied zwischen Textintention und Textrealisierung zu fokussieren. Bei einem Verzicht auf das Wörtlichkeitsprinzip, würde man nur die manifeste Bedeutungsschicht interpretieren. „Die wörtliche Interpretation dagegen zielt auf latente Sinnschichten der Äußerung, auf diejenigen Bedeutungsdimensionen, die offenkundig nicht im intentionalen Horizont des Textes stehen und die auch nicht mit den Meinungen, Überzeugungen und Selbstinterpretationen eines Falls übereinstimmen müssen“ (Wernet, A. 2000, S.25f.). Da die Objektive Hermeneutik ein Verfahren der Rekonstruktion latenter Sinnstrukturen ist, ist das Wörtlichkeitsprinzip ein besonders wichtiger Aspekt der Methode.
Das dritte Prinzip lautet Sequentialität. Oevermann nutzt neben dem Terminus „Rekonstruktionsmethodologie“ die Bezeichnung „Sequenzanalyse“ beinahe synonym für Objektive Hermeneutik, sodass man schlussfolgern kann, dass die Sequentialität von zentraler Bedeutung ist. Dieses Prinzip erschließt sich in erster Linie aus der methodischen Berufung auf den Text. Der Text ist nämlich kein zeitliches Nacheinander, sondern erscheint als Sequenz, in der soziale Phänomene in den Vordergrund treten. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass nicht das gesamte Datenmaterial interpretiert werden muss, sondern nur eine bestimmte Auswahl von Textteilen. Erst nachdem die Entscheidung erfolgt ist, gelten die Regeln der Sequentialität. Es ist sehr wichtig, den Skriptabschnitt nicht nach brauchbaren Passagen abzusuchen, sondern während des Interpretationsvorganges Schritt für Schritt seinem Ablauf zu folgen. Des Weiteren darf der Text, der einer zu interpretierenden Perikope folgt, nicht beachtete werden. Das kann man z.B. dadurch erreichen, indem das folgende Material einfach zugedeckt wird (vgl. Wernet, A. 2000, S.28f.). In einigen Fällen kann es durchaus vorkommen, dass man das vollständige Transkript bereits kennt. Dies sollte weder als Problematik betrachtete werden noch von einer Interpretation mit der Objektiven Hermeneutik abhalten. Bei solch einer Gegebenheit besteht die Kunst darin, seine Vorkenntnisse auszublenden und sie nicht als Erläuterung der Bedeutung der jeweiligen Sequenz einzubringen. „Die Rekonstruktion der Bedeutung einer Textsequenz stellt die folgende Sequenz in einem inneren Kontext“ (Wernet, A. 2000, S.29). D. h., dass der weitere Text in der vorangegangenen Transkriptbedeutung eingebettet ist. Nach der Interpretation der jeweiligen Passage, gibt es schließlich zwei Möglichkeiten um weiter zu machen: Entweder rekonstruiert man die sequentielle Ausdehnung der Bedeutungsstruktur oder überlegt, welche Fortsetzungen formulierbar wären. Der zweite Weg ist laut A. Wernet forschungspraktisch von großer Bedeutung, da der Text, samt der ausgedachten Fortsetzungen, als soziales Gebilde erscheint, das eine Entscheidung unter den gedankenexperimentell formulierten Opportunitäten getroffen hat (vgl. Wernet, A. 2000, S.30). An dieser Stelle ist die genannte Regel zu konkretisieren, dass der Text nicht nach brauchbaren Passagen abgesucht werden soll. Dies ist nämlich nach einer vollständig durchgeführten Sequenzanalyse durchaus legitim. Bezüglich des „Interpretationsendes“ wird folgendes erklärt: „Wenn wir im Laufe der Interpretation einer Textstelle mindestens einer Phase der Reproduktion einer rekonstruierten Struktur gefolgt sind, können wir die Interpretation abbrechen“ (Wernet, A. 2000, S.31). Anschließend kann im Datenmaterial z.B. nach Aussagen gesucht werden, anhand derer, die Fallstrukturhypothese erweitert, modifiziert oder widerlegt wird.
Das vierte Prinzip ist die Extensivität und meint, dass zwar nur geringe Textmengen untersucht werden, aber umso detaillierter und akribischer. Es handelt sich also um eine Feinanalyse, bei der kein Element des Textes unberücksichtigt bleibt. Das Extensivitätsprinzip steht den Prinzipien der Wörtlichkeit und Kontextfreiheit sehr nah, sodass sie gemeinsam folgende Regel formulieren: „[…] den Text so zu nehmen wie er ist: alles, was da steht und genau so, wie es da steht“ (Wernet, A. 2000, S.33). Über die Vollständigkeit der Textelemente hinaus, verlangt die Extensivität ebenso eine Vollständigkeit bezüglich der Lesarten des Textes - die Interpretation soll lückenlos sein. Hier stellt sich die Frage, wann die Lesarten überhaupt erschöpft sind. Wernet erklärt, dass diese Frage nicht technisch, sondern materiell zu beantworten ist: „je geduldiger die Suche nach Lesarten war, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass keine neuen Lesarten hinzutreten“ (Wernet, A. 2000, S.34). Interpretiert man eine Textsequenz nicht vollständig, misslingt in den meisten Fällen die Feinanalyse.
Das letzte Prinzip ist die Sparsamkeit der Interpretation, d.h., dass nur solche Lesarten gebildet werden dürfen, die „[…] ohne weitere Zusatzannahmen über den Fall von dem zu interpretierenden Text erzwungen sind“ (Wernet, A. 2000, S.35). Dies unterstreicht noch einmal den forschungsökonomischen Aspekt, der besagt, dass sich der Interpret ausschließlich auf den Text bezieht. Der Bedeutungsexplikation werden gewisse Grenzen gesetzt, indem Interpretationsmöglichkeiten unbeachtet bleiben, die ohne Zusatzinformationen über den Kontext nicht zu verstehen sind (vgl. Wernet, A. 2000, S.36f.).
3. Interpretation
Nachdem ich die objektive Hermeneutik erklärt habe, komme ich nun zur Interpretation des ausgewählten Textausschnittes und somit zum Hauptteil dieser Arbeit. Der zu analysierende Satz lautet: „Ich sach nur es müssen sich einige nicht über die Noten wundern, es macht mir überhaupt nichts aus hier nen Notenschnitt von 5.5 auf dem Zeugnis zu produzieren.“
Zu Beginn wird die Aussage in vier Sequenzen eingeteilt. Anschließend erzähle bzw. erfinde ich zu jeder inhaltlichen Sequenz Geschichten, in denen die jeweilige Aussage vorkommen könnte. Sie sollen nicht im vorliegenden Zusammenhang liegen, sondern diesen Kontext verlassen. A. Wernet bemerkt, dass nur Geschichten erlaubt seien, „[…] in denen der Text uns als angemessene sprachliche Äußerung erscheint“ (Wernet, A. 2000, S.39). Anschließend erfolgt die Lesartenbildung, d.h., die Geschichten werden auf Strukturgemeinschaften hin geprüft. Im letzten Schritt bringe ich die kontextfreien Textbedeutungen, die Lesarten, mit dem tatsächlichen Kontext in Verbindung (vgl. Wernet, A. 2000, S.39).
Sequenz I: Ich sach nur
(1) Interaktion zwischen Arbeitskollegen: In der Mittagspause unterhalten sich einige Kollegen über das unangemessene Verhalten einer Mitarbeiterin. Diese hat auf der letzten Weihnachtsfeier über den Durst getrunken und somit viel Gesprächsstoff geboten. Um an dieses Ereignis zu erinnern, sagt einer der Sprecher den Satz: „Ich sach nur (Weihnachtsfeier)“.
(2) Eltern-Kind-Interaktion: Ein Kind ist nicht dazu bereit, sein Zimmer aufzuräumen. Die Mutter setzt das Kind mit den Worten „Ich sach nur (Sommerferien)“ unter Druck und droht somit an, dass die geplante Ferienfreizeit auf dem Spiel steht.
(3) Interaktion zwischen Freunden: Eine Gruppe von jungen Männern beschließt gemeinsam auf ein Festival zu fahren. Wieder zu Hause, berichtet einer auf die Frage: „Wie war’s?“, Folgendes: „Ich sach nur geil. Einfach geil!“
Lesartenbildung
Die drei Geschichten haben die Gemeinsamkeiten, dass der Sprecher in einem Dialekt, vermutlich hessisch, spricht. Bemerkbar macht sich das durch die Verwendung von „ ich sach“ statt „ich sage“. Die Mundart hat allerdings keinen Einfluss auf den Inhalt. Es lässt sich außerdem feststellen, dass „Ich sach nur “ in allen Geschichten eine Aussage einleitet. Die Verwendung des Partikels nur weist den Empfänger bereits darauf hin, dass der folgende Inhalt knapp und präzise sein wird. Dementsprechend, beschränkt sich die Aussage in jeder Erzählung auf ein bis zwei Wörter, die dazu ausreichen, dass die Empfänger wissen, was der Sprecher meint. Die Geschichten unterscheiden sich jedoch aufgrund ihrer Intentionen: In der ersten Geschichte beabsichtigt der Sprecher, seine Kollegen an etwas zu erinnern. Die Mutter hingegen, in der zweiten Geschichte, droht ihrem Sohn: Mit dem Hinweis auf die Sommerferien, weiß das Kind sofort, dass die Pläne diesbezüglich auf dem Spiel stehen. Die dritte Geschichte hebt sich insofern von den anderen ab, als dass sie ein Urteil formuliert. Die Meinungsäußerung beschränkt sich in dem Fall auf das Adjektiv „geil“. Außerdem beantwortet der letzte Sprecher nur indirekt die ihm gestellte Frage, da das Adjektiv geil durchaus subjektiv zu werten ist und die Spannung dadurch weiterhin erhalten bleibt.
Wie sieht es mit der Fortsetzung im Originaltext aus? Zunächst einmal ist ganz deutlich festzustellen, dass die Aussage des Sprechers länger ist als die, in den fiktiven Geschichten. Die Erwartungen des Zuhörers/Lesers werden nicht erfüllt, da man bei einem Satz, der mit „ich sach nur“ eingeleitet wird, mit einer sehr knappen Aussage rechnet. Der Sprecher leitet stattdessen auf diese Weise einen Monolog ein. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass dem Sprecher während des Redens weitere Dinge eingefallen sind, die er ergänzen möchte, sodass die Einleitung nicht mehr mit dem Schluss harmoniert. Alternativ hätte er folgendes sagen können: „Damit Euch das klar ist: (…)“, „Ich sach Euch jetzt mal was: (…)“. Eine besonders wichtige Funktion in diesen Beispielsätzen hat der Doppelpunkt, der in der mündlichen Rede einer kleinen Pause entspricht. Anders als der Punkt am Satzende, zeigt er an, dass noch etwas folgt. In den vorliegenden Modellen kündigt er eine Aufzählung an und weckt gleichzeitig Spannung, sodass die Aufmerksamkeit der Zuhörer aktiviert wird. Zieht man das Kontextwissen hinzu, weiß man, dass der Sprecher ein Lehrer ist, der sich an seine Klasse wendet. Aufgrund der Unruhe im Raum, verfolgt er nur ein Anliegen: Er verlangt Ruhe, Beteiligung und Aufmerksamkeit im Unterricht. Dass der Lehrer ganz offensichtlich sehr wütend ist und von seinen Emotionen beherrscht wird, erkennt man daran, dass er in dem gesamten Transkript mit Einleitungen wie „ ich sach nur“ beginnt und schließlich, völlig in Rage, einen langen Monolog hält. An dieser Stelle kann also festgehalten werden, dass es sich bei dem Sprecher um eine sehr wütende Lehrperson handelt, die der Klasse im Prinzip ein sehr simples Anliegen kommunizieren möchte: Die SuS sollen still sein und am Unterrichtsgeschehen mitwirken!
Sequenz II: es müssen sich einige nicht über die Noten wundern
(1) Verkäufer-Kunden-Interaktion: Anlässlich der Neueröffnung einer Parfümerie, werden die Kunden von den Veranstaltern dazu eingeladen, ein eigenes Parfüm zu kreieren. Die Duftnoten reichen von blumig/fruchtigen bis hin zu orientalischen Varianten. Einige Interessierte scheinen sichtlich irritiert zu sein, als sie den Duft von Gewürzen riechen. Der Verkäufer sagt darauf hin: „Es müssen sich einige nicht über die Noten wundern. Würzige Noten, wie Zimt und Nelke, unterliegen der Mode und sind unverzichtbar in orientalischen Parfüms.“
(2) Interaktion zwischen Dirigent und Musikern: Nach der Sommerpause ändert der Dirigent der Marburger Philharmonie die Aufstellung im Orchester und erklärt: „Es müssen sich einige nicht über die Noten wundern. (Da ihr in den Proben unaufmerksam wart, spielt ihr jetzt eine andere Stimme).“
[...]
[1] Siehe Anhang.
[2] Im Folgenden: SuS.