Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Bewertung des Nutzens und des Mehrwertes von Carbon-Keramik-Bremsscheiben (C/SiC-Bremsscheiben). Hierfür wird dem Leser zunächst ein Einblick in die Grundlagen der Tribologie und der Scheibenbremsen gewährt. Aufbauend auf diesen Grundlagen werden verschiedene, handelsübliche Werkstoffe verglichen und die Besonderheiten von Carbon-Keramik-Bremsscheiben beschrieben. Diese Besonderheiten äußern sich in werkstoffspezifischen Eigenschaften, darunter Wärmeausdehnung, Dichte und Masse. Auch auf die Gründe des größten Nachteils von C/SiC-Scheibenbremsen – die Kosten – wird explizit eingegangen. Diese resultieren aus einem aufwendigen Herstellverfahren, welches in dieser Arbeit näher beschrieben wird.
Inhaltsverzeichnis
Kurzfassung
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Formelverzeichnis
1 Einleitung
2 Tribologie
3 Reibung
3.1 Reibungszustände
3.2 Reibungsarten
3.3 Reibungszahl
4 Verschleiß
4.1 Verschleißarten
4.2 Verschleiß-Messgrößen
4.3 Verschleißmechanismen
4.3.1 Oberflächenzerrüttung
4.3.2 Abrasion
4.3.3 Adhäsion
4.3.4 Tribochemische Reaktionen
4.4 Übersicht Mechanismen und Verschleißformen
5 Scheibenbremsen
5.1 Entwicklung und Geschichte
5.2 Aufbau der Scheibenbremse
5.3 Bremssattel
5.3.1 Festsattel
5.3.3 Rahmensattel
5.3.4 Faustsattel
5.4 Bremsscheibe
5.4.1 Bremsbeläge
5.5 Funktionsweise
5.6 Sondereffekte
5.6.1 Fading
5.6.2 Rubbeln
5.6.3 Thermo-Shock
5.7 Gründe für Carbon Bremsen
5.8 Wirtschaftliche Aspekte
6 Werkstoff
6.1 Kohlenstofffaserverstärktes Siliziumcarbid
6.2 Herstellung
6.3 Eigenschaften von Karbonverstärktem Siliziumcarbit
7 Tribologisches System Scheibenbremse
7.1 Systembeschreibung
7.2 Gleitverschleiß
7.3 Verschleiß von Carbon-Keramik-Bremsscheiben
7.3.1 Abrasiver Verschleiß
7.3.2 Rissbildung durch Oberflächenzerrüttung
7.3.3 Tribochemische Reaktion bei Bremsen
8 Fazit
A Literaturverzeichnis
Kurzfassung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Bewertung des Nutzens und des Mehrwertes von Carbon-Keramik-Bremsscheiben (C/SiC-Bremsscheiben). Hierfür wird dem Leser zunächst ein Einblick in die Grundlagen der Tribologie und der Scheibenbremsen gewährt. Aufbauend auf diesen Grundlagen werden verschiedene, handelsübliche Werkstoffe verglichen und die Besonderheiten von Carbon-Keramik-Bremsscheibe beschrieben. Diese Besonderheiten äußern sich in werkstoffspezifische Eigenschaften, darunter Wärmeausdehnung, Dichte und Masse. Auch auf die Gründe des größten Nachteils von C/SiC-Scheibenbremsen – den Kosten – wird explizit eingegangen. Diese resultieren aus einem aufwendigen Herstellverfahren, welches in dieser Arbeit näher beschrieben wird. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass C/SiC-Bremsscheiben über signifikante Vorteile verfügen, diese jedoch noch nicht im Verhältnis zu den Kosten stehen.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 3.1: Überblick über die Reibungszustände
Abbildung 3.2: Reibungsdreieck
Abbildung 4.1: Detailprozesse der Abrasionskomponente des Verschleißes
Abbildung 4.2: Modell des adhäsiven Verschleißes
Abbildung 5.1: Bremskoeffizienten im Vergleich
Abbildung 5.2: Festsattel
Abbildung 5.3: Schwimmrahmensattel
Abbildung 5.4: Vergleich von massiver und innengelüfteter Bremsscheibe
Abbildung 5.5: Kräfte während des Bremsvorganges
Abbildung 5.6: Vergleich von Werkstoffeigenschaften
Abbildung 6.1: Herstellungsprozess der Bremsscheibe
Abbildung 6.2: Tragkörper einer C/SiC-Bremsscheibe im Schnitt
Abbildung 7.1: Verschleißindikator ausgebrannt Verschleißgrenze erreicht
Tabellenverzeichnis
Tabelle 4.1: Hauptverschleißmechanismen und deren Erscheinungsformen
Tabelle 6.1: Eigenschaftsvergleich
Formelverzeichnis
1.1 Bremsenkennwert
1.2 Reibkraft
1.3 Zuspannkraft
1.4 Bremsenkennwert
1 Einleitung
Das alltägliche Leben ist geprägt von tribologischen Phänomenen, sei es in der Industrie, im Haushalt oder im Straßenverkehr. Viele Systemeigenschaften resultieren aus dem Verhalten der Aktionspartner und werden als störend empfunden. In anderen Bereichen dient die Tribologie der Sicherheit und wird nutzbringend verwendet. Ein solches System wird in dieser Arbeit näher beschrieben.
Betrachtet man die Geschichte des Automobils, so wird klar ersichtlich, dass die Ingenieure ein Ziel in den Vordergrund gestellt haben – die Geschwindigkeit. So verwundert es nicht, dass das erste Fahrzeug über gar keine Bremsen verfügte. Jedoch wurde den Entwicklern schnell bewusst, dass ein schnelles Fahrzeug auch irgendwann zum Stehen kommen muss. Aus diesem Grund wurden verschiedene Bremsen entwickelt und verwendet. Lange Zeit setzten die Hersteller auf die Trommelbremse. Diese erfüllte ab Mitte des 20. Jhd. jedoch nicht mehr alle Voraussetzungen – der Drang nach höheren Geschwindigkeiten hatte das etablierte Bremssystem überholt. Aus diesem Grund begann die Siegesserie der Scheibenbremse, deren Entwicklung in der heutigen Carbon-Keramik-Scheibenbremse gipfelt.
Das Aufzeigen der Vorteile der Carbon-Keramik-Bremsscheiben gegenüber anderen Bremsscheiben stellt die Hauptaufgabe dieser Arbeit dar. Hierfür wird explizit auf die tribologischen Systemeigenschaften eingegangen. Für das Verständnis dieser Eigenschaften werden zunächst die Grundlagen der Tribologie – die Reibung und der Verschleiß – erläutert. Nachfolgend werden die Grundlagen der Scheibenbremse beschrieben. Der größte technologische Vorteil der C/SiC-Scheibenbremse gegenüber anderen Scheibenbremsen ist der verwendete Werkstoff. Dementsprechend werden die Eigenschaften von Carbon-Keramik näher beschrieben. Nach dem Erläutern der Grundlagen wird das tribologische System definiert und beschrieben. Geschlossen wird die Arbeit durch eine Zusammenfassung der Ergebnisse, so wie einem Ausblick über die zukünftige Entwicklung und Verwendung von C/SiC-Bremsscheiben.
2 Tribologie
Tribologie untersucht die Einwirkung von Oberflächen, die in relativer Bewegung zu einander stehen. Gebieter dieser Wissenschaft sind Reibung und Verschleiß, die Schmierung und Grenzflächenwechselwirkung. Dies kann in Systemen, sowohl zwischen Festkörpern als auch zwischen Festkörpern und Flüssigkeiten oder Gasen sein. (Santner u. a. 2002, S.3)
Tribologie ist die Wissenschaft und Technik von Wirkflächen in Relativbewegung und zugehöriger Technologien und Verfahren. Die Tribologie ist ein interdisziplinäres Fachgebiet zur Optimierung mechanischer Technologien durch Verminderung reibungs- und verschleißbedingter Energie- und Stoffverluste.
3 Reibung
Bei der Reibung zweier Körper handelt es sich um keine Werkstoffpaarungseigenschaft, sondern um eine Systemeigenschaft, dem so genannten Bewegungswiderstand (Czichos & Habig, 2015, S. 93). In vielen Fällen ist Reibung ein unerwünschtes Phänomen und wird zu verhindern versucht, da es die Funktionalität von Systemen negativ beeinflusst. Zu dieser negativen Beeinflussung gehören Energieverluste aus dem System, Temperaturerhöhungen und bei übermäßigen Reibung der Verschleiß (vgl Kapitel 4). In diesen Fällen wird daher versucht die Reibung, durch effektive Gegenmaßnahmen, zu beseitigen. Darunter fallen Schmierstoffe oder der Ersatz der gleitenden Bewegung (Sommer, Heinz, & Schöfer, 2014, S. 6 ff.). Es bestehen aber auch viele Anwendungsfälle von Reibung, bei denen der Effekt erwünscht ist. Hierrunter fallen Reibkupplungen oder die Reibung bei Bremsvorgängen des PKWs (Sommer, Heinz, & Schöfer, 2014, S. 7).
Die makroskopische Betrachtung versteht sich unter dem Coulombschen Reibungsgestz. Hierbei wird die Festkörperreibung bei Gleitbewegungen, welche von Fläche und Geschwindigkeit unabhängig ist, als
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Mit f= Reibungszahl, = Reibungskraft und = Normalkraft definiert. Dies stellt ein vereinfachtes Verständnis der Reibung dar (Sommer, Heinz, & Schöfer, 2014, S. 7). Die Mikroskopische Betrachtung fasst das Verständnis der Reibung weiter. Hierbei wird die Reibung als ein Energieumsetzungsprozess verstanden. Dieser beschreibt die Reibung als physikalische und chemische Wechselwirkungen zwischen den Reibpartner in Form von Oberflächen- und Werkstoffveränderungen (Sommer, Heinz, & Schöfer, 2014, S. 8).
3.1 Reibungszustände
Reibungszustände dienen der Beschreibung der Reibung eines tribologischen Systems, darunter (Czichos & Habig, 2015, S. 93) (Ingenieurkurse, 2016) (vgl. Abbildung 3.1):
- Festkörperreibung, Unmittelbare Reibung beim Kontakt fester Körper, unter Verzicht von Grenzschichten.
- Grenzreibung, Festkörperreibung, bei welcher mindestens einer der Reibpartner mit einem molekularen Grenzschichtfilm überzogen ist.
- Flüssigkeitsreibung, Es kommt zu keinem Kontakt der Reibpartner. Diese sind durch ein Trennmedium aus einem flüssigen Aggregatszustand getrennt.
- Gasreibung, Im Wesentlichen der Flüssigkeitsreibung gleich, nur dass das Trennmedium gasförmig ist.
- Mischreibung, Es liegt sowohl Festkörperreibung, als auch Flüssigkeitsreibung vor. Teile der Reibpartner sind umfasst von Flüssigkeit, andere Teile wirken direkt aufeinander ein.
Abbildung 3.1: Überblick über die Reibungszustände
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: (Czichos & Habig, 2015, S. 94)
3.2 Reibungsarten
Neben der Klassifizierung der Reibungszustände, lassen sich auch die Reibungsarten unterscheiden. Hierbei unterscheidet man zwischen der Ruhereibung (Haftreibung, statische Reibung) und Bewegungsreibung (dynamische Reibung) (Sommer, Heinz, & Schöfer, 2014, S. 10).
Die Haftreibung wirkt zwischen zwei statischen Körpern und beschreibt die erforderliche Kraft, um eine Relativbewegung der Körper erzeugen zu können. Anders als bei Gleitreibungen kommt es zu keinem Energieumsetzungsprozess und somit zu keinem damit verbundenen Verlust (Sommer, Heinz, & Schöfer, 2014, S. 10).
Die dynamische Reibung unterteilt man weiter nach ihren kinematischen Gesichtspunkten. Hierbei unterscheidet man zwischen Gleit-, Bohr-, Roll- und Wälzreibung (vgl. Abbildung 3.2) (Czichos & Habig, 2015, S. 113).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.2: Reibungsdreieck
Quelle: (Czichos & Habig, 2015, S. 113)
Gleitreibung entsteht bei translatorischen Relativbewegungen bei sich kontaktierenden Materialien. Diese Kontaktbewegungen sind zu unterteilen in radiale, axiale, drehende und schubführende Bewegungen (Czichos & Habig, 2015, S. 114). Die Bohrreibung definiert rotatorische Relativbewegungen zwischen Körpern, bei welchen die Drehachse senkrecht zur Kontaktfläche aufliegt. Die Reibung zwischen einem punktförmigen und einem linienförmigen Körper beschreibt die Rollreibung. Handelt es sich bei den Rollpartner um einen durch Gleitmittel behandelte Oberflächen, so spricht man von Wälzreibung (Sommer, Heinz, & Schöfer, 2014, S. 10).
3.3 Reibungszahl
Die Reibungszahl, oder auch Reibungskoeffizient genannt, ist ein dimensionsloses Maß, welches die Reibkraft im Verhältnis zur Normalkraft (bzw. Anpresskraft) beschreibt. Wesentliche Veränderungen erleidet die Reibungszahl unter Gesichtspunkten der Adhäsion und der Deformation (Sommer, Heinz, & Schöfer, 2014, S. 13). Der Reibungskoeffizient (f bzw. µ) ist definiert als (Kalpakjian, Schmid, & Werner, 2011, S. 247):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
mit τ definiert als Scherfestigkeit der Kontaktstelle und σ definiert als Normalspannung. Beides abhängig von der wahren Kontaktfläche der Oberflächen.
Allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten zwischen der Reibungszahl und den, die Reibungszahl beeinflussenden, Parametern existieren nicht. Dementsprechend muss die Reibungszahl durch Versuche ermittelt werden.
4 Verschleiß
Der durch mechanische Ursachen hervorgerufene Materialverlust an Oberflächen wird als Verschleiß bezeichnet. Von in der Technik unerwünschten Verschleißvorgängen, sind Bearbeitungsvorgänge abzugrenzen. Die Beanspruchung einer Oberfläche wird als tribologische Beanspruchung bezeichnet und wird durch die relative Bewegung zweier Gegenkörper verursacht. Verschleiß ist eine Systemgröße und daher keine Eigenschaft der beteiligten Elemente. (Santner u. a. 2002, S. 5)
4.1 Verschleißarten
In Tribologischen Systemen treten sieben verschiedene Verschleißarten auf
- Gleitverschleiß
- Wälzverschleiß
- Stoßverschleiß
- Schwingungsverschleiß
- Furchungsverschleiß
- Strahlverschleiß
- Erosion
Da beim Bremsvorgang lediglich der Gleitverschleiß eine Rolle spielt wird auch nur dieser genauer betrachtet.
4.2 Verschleiß-Messgrößen
Die Kennzeichnung des Verschleißes und Messung der Resultate erfolgt durch Verschleißmessgrößen und Verschleißerscheinungsformen. Dabei wird unterschieden zwischen:
- Veränderungen an Gestalt und Masse eines Körpers. Verschleißmessgrößen sind Änderung an Verschließ-Länge, -Fläche oder –Volumen.
- Änderungen der Oberfläche durch Verschleiß werden mittels Verschleißerscheinungsformen beschrieben. (Czichos & Habig 2015, S. 132)
4.3 Verschleißmechanismen
Verschleißmechanismen sind physikalische und chemische Wechselwirkungen im Kontaktbereich des tribologischen Systems. Dabei treten vier Mechanismen auf Oberflächenzerrüttung, Abrasion, Adhäsion und tribochemische Reaktionen, die im Folgenden beschrieben werden. (Czichos & Habig 2015, S. 133) Diese Hauptmechanismen können einzeln, sich abhängig von Einflussgrößen ablösend oder parallel auftreten. Sie führen aber immer zu Verschleißpartikeln und somit zu Materialverlust. (Czichos & Habig 2015, S. 145)
4.3.1 Oberflächenzerrüttung
Die Oberflächenzerrüttung entsteht durch hohe und periodische Durchbeanspruchung. Zerrüttung kommt häufig in Wälzlagern oder Zahnradpaarungen vor. Die Folge sind Risse und Grübchen. (Czichos & Habig 2015, S. 134)
4.3.2 Abrasion
Abrasion entsteht, wenn harte Teile in Schmierstoffen oder deutlich härtere Gegenkörper in tribologischen Kontakt treten. Dabei entsteht ein Materialverlust der Abrieb genannt wird. Es wird zwischen vier Arten der Abrasion unterschieden, dem Mikropflügen, -spanen, -ermüden und –brechen. Diese unterschieden sich hauptsächlich durch Verformung und Abrieb. (Czichos & Habig 2015, S. 138)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4.1: Detailprozesse der Abrasionskomponente des Verschleißes
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Czichos & Habig 2015, S. 138)
4.3.3 Adhäsion
Beim Verschleiß durch Adhäsion spielen stoffliche Wechselwirkungen auf atomarer und molekularer Ebene eine Rolle. Häufig ist mangelnde Schmierung ein Problem. Durch lokal hohe Pressung werden an Oberflächenrauheitshügeln Teilchen abgeschert, bei der Grenzflächenbindungen entstehen. Dieser auch als „Kaltverschweißungen“ bezeichneter Effekt führt bei einer Relativbewegung dann zum adhäsiven Verschleiß oder Haftverschleiß. (Czichos & Habig 2015, S. 142)
Abbildung 4.2: Modell des adhäsiven Verschleißes
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Czichos & Habig 2015, S. 142)
4.3.4 Tribochemische Reaktionen
Tribochemische Reaktionen sind chemische Reaktionen in einem tribologischen Systems. Die beteiligten tribologischen Oberflächen reagieren dabei mit dem Umgebungsmedium. Bei einer Relativbewegung entstehen somit ständig neue Reaktionsprodukte, die zu Verschleiß führen. (Czichos & Habig 2015, S. 142f.)
4.4 Übersicht Mechanismen und Verschleißformen
Tabelle 4.1: Hauptverschleißmechanismen und deren Erscheinungsformen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: (Czichos & Habig 2015, S. 155)
5 Scheibenbremsen
5.1 Entwicklung und Geschichte
Das Bremssystem ist aus heutigen Nutzfahrzeugen nicht mehr wegzudenken. Jedoch waren Bremsen nicht immer Teil des Automobils. In der Anfangszeit des Automobilbaus wurden Bremsen als nebensächliches Beiwerk angesehen. Die Entwickler jener Zeit waren eher auf die Leistungssteigerung der Verbrennungsmotoren fokussiert. Der „Reitwagen“, welcher 1885 von Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach gebaut wurde, erreichte gerade einmal eine Höchstgeschwindigkeit von 12 km/h (Breuer & Bill, 2012, S. 2). Die Reibung im Antriebsstrang viel so hoch aus, dass das Fahrzeug auch ohne Bremsen kontrolliert zum Stillstand gebracht werden konnte. Dementsprechend war die Entwicklung einer geeigneten Bremse, wie sie heute im Gebrauch ist, zunächst nebensächlich (Breuer & Bill, 2012, S. 2).
Nahezu zeitgleich setzte Carl Friedrich Benz auf die Klotzbremse, um seinen „dreirädrigen Patenwagen“ kontrollieren zu können. Diese Klotzbremse ist keine neue Erfindung, sondern wurde von den damaligen Pferdekutschen übernommen. Durch einen Hebel wirkte die Bremse direkt auf die Hinterräder (Daimler AG, 2009).
Die Scheibenbremse wurde von Frederick W. Lanchester unter dem Namen „Lanchester-Scheibenbremse“, erfunden. Er erhielt 1902 das Patent für seine Erfindung und ließ diese in den Personenwagen verbauen (Spiegel, 2011). Kurz zuvor, im Jahre 1899, führte Wilhelm Maybach die Trommelbremse ein (Spiegel, 2011). Das Bremsen erfolgt hierbei durch das Wirken von Bremsbelägen auf eine zylindrische Fläche. Bis Mitte des 20. Jhd. war die Trommelbremse die meistverbreitete Bremse, wurde jedoch seitdem immer mehr von der Scheibenbremse abgelöst (Breuer & Bill, 2012, S. 9).
Vor allem an den Vorderrädern setze man seit den sechziger Jahren auf die Scheibenbremsen. Bedingt durch die höheren Geschwindigkeiten, traten die Schwächen der Trommelbremse immer häufiger in den Vordergrund. Zu diesen Problemen zählen Temperaturprobleme, Reibschwankungen, Verschleiß und Geräuschbildung. An den Hinterrädern, an welchen thermische Probleme eine mindere Bedeutung haben, wurden weiterhin Trommelbremsen verbaut (Breuer & Bill, 2012, S. 9).
5.2 Aufbau der Scheibenbremse
Der grundlegende Aufbau einer Scheibenbremse besteht aus einem Bremssattel, Bremsbelägen und einer Bremsscheibe. Die Ausführung der Scheibenbremse basiert aus der technischen Optimierung folgender Kenngrößen (Breuer & Bill, 2012, S. 124 ff.):
- Bauraum: Wird durch den vorhandenen Verbauplatz definiert und maßgeblich von Felgen- und Scheibendurchmesser bestimmt.
- Zuspannkraft: Die Zuspannkraft beschreibt den Kraftaufwand, welcher durch das Zusammendrücken des Sattels erzeugt wird. Das Gewicht, die Höchstgeschwindigkeit, sowie der Scheibendurchmesser und das Reibbelagmaterial bestimmen die benötigte Zuspannkraft.
- Verformung: Durch das Wirken der Zuspannkraft kommt es zu einer geringfügigen Verformung der Bremsscheibe.
- Gewicht: Das Gewicht der Bremsscheibe kann unerwünscht hohe Verformungen ausgleichen.
- Temperaturverhalten: Der Bremsvorgang bewirkt eine Umwandlung von kinetischer Energie in thermische Energie. Je nach Auslegung der Scheibenbremse kann diese nur bis zu bestimmten Temperaturobergrenzen verwendet werden.
Die technische Optimierung dieser Kenngrößen definiert die Auslegung der Scheibenbremse. Für die Dimensionierung der Bremse verwendet man den Bremsenkennwert (C*-Wert). Dieser spiegelt die Umsetzung der Bremskraft aus der notwendigen Aktivierungskraft wider (Heißing, 2011, S. 171). Der C*-Wert einer Scheibenbremse beträgt 2µ und berechnet sich aus dem Verhältnis der Reibkraft FB,U und der Zuspannkraft des Kolbens FSp (ARZ = Kolbenfläche; =hydraulischer Druck; µ= Belagreibwert) (Breuer & Bill, 2012, S. 125):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Zuspannkraft wird der Kolbenmitte entnommen. Die Reibwerte von Scheibenbremsen belaufen sich auf zwischen µ=0,35 bis 0,50 (daraus leitet sich ein Bremsenkennwert von C*=0,7 bis 1,0 ab). Der Reibwert ist hier als Betriebsreibwert definiert und schwankt in Abhängigkeit der Scheibentemperatur, der Fahrzeuggeschwindigkeit und der Flächenpressung (Breuer & Bill, 2012, S. 125). Die Abbildung 5.1 zeigt die C*-Kennwerte von modernen Bremsen. Scheibenbremsen besitzen eine lineare Steigung des Bremsenkennwerts, in Abhängigkeit des Reibwertes. Dies resultiert aus dem geringen Verstärkungsfaktor (C*=2µ). Die Bremsscheibe wird von zwei Seiten belastet. Die Bremskraft ergibt sich aus der Multiplikation der beiden Angriffsflächen mit dem jeweiligen Reibkoeffizienten (Heißing, 2011, S. 171)
Abbildung 5.1: Bremskoeffizienten im Vergleich
1. Duo-Servo-Trommelbremse 2. Duplex-Trommelbremse 3. Simplex-Trommelbremse 4. Scheibenbremse
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: (Braess & Seiffert, 2011, S. 505)
Trommelbremsen verfügen über einen Selbstverstärkungsfaktor. Durch das Anpressen der Bremsbacken gegen die Bremstrommel und dem daraus resultierenden Mitschleifen, verstärkt sich der Bremseffekt. Abhängig vom Aufbau der Trommelbremse kann diese Verstärkung zwischen C*=4µ bis C*=12,5µ liegen (Heißing, 2011, S. 172). Hohe Verstärkungen führen zu Bremsempfindlichkeiten. Für einen Bremsvorgang ist es jedoch essentiell, dass die Bremsenumfangkräfte nicht stark variieren, geringe Bremsempfindlichkeiten sind wünschenswert. Für Feststellbremsen sind hohe Selbstverstärkungen ideal. Aus einer geringen Handkraft (Betätigen der Handbremse) erfolgt eine sehr hohe Haltewirkung. Dies ist einer der wichtigsten Gründe, weshalb sich Scheibenbremsen an der Vorderachse durchgesetzt haben, an der Hinterachse jedoch weiterhin Trommelbremsen verbaut werden (Heißing, 2011, S. 172)
[...]