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Kategoriale Bildung nach Wolfgang Klafki

©2016 Essay 5 Seiten

Zusammenfassung

Auch wenn Wolfgang Klafki vielen Lehramtsstudierenden primär durch seine Didaktische Analyse bekannt ist, geht sein Bildungskonzept weit über die Punkte der Didaktischen Analyse hinaus. Als Ergebnis seiner Studien fordert er, den Bildungsbegriff neu zu definieren. Bildung müsse auf die „Mitmenschlichkeit“, die „politische Existenz des Menschen“, konsequent auf einen späteren Beruf und das außerschulische Leben bezogen werden. Ferner solle sie helfen Probleme und Spannungen im Leben bewältigen und nicht bloß beschreiben zu können. Die Erziehung zu einem sittlich reifen demokratischen Menschen, der in einem Umfeld ohne ständische und soziale Schranken gebildet werde, steht für Klafki im Fokus. Dies sei unter anderem dadurch erreichbar, dass Bildung einen weltweiten Horizont vertrete, der nicht ausschließlich die Geschichte, Traditionen und Werte des eigenen Kulturkreises behandle.

Leseprobe

Wolfgang Klafki hat mit seiner Kategorialen Bildung und der kritisch konstruktiven Didaktik Bleibendes geschaffen. [1]

Mit seinem wissenschaftlichen Werk prägte der Erziehungswissenschaftler Fachdiskurs und Bildungspolitik. [2]

Wolfgang Klafki, geboren 1927, welcher in den Nachrufen der Universitäten Marburg und Kassel für sein bedeutendes und einflussreiches Werk memoriert wird, verlebte seine Kindheit unter dem Regime der Nationalsozialistischen Diktatur. Nach dem Krieg ließ er sich zum Volksschullehrer ausbilden, arbeitete in diesem Beruf von 1948 bis 1952 und absolvierte folgend ein Aufbaustudium. Als Schüler von Erich Weniger und Theodor Litt in der geisteswissenschaftlichen Pädagogik beheimatet, entwickelte Klafki bildungstheoretische Überlegungen, die noch heute in der Lehrerbildung und Unterrichtsplanung maßgeblich sind.

Wolfgang Klafki untersucht in seiner 1959 erschienen Dissertation „Das pädagogische Problem des Elementaren und die Theorie der kategorialen Bildung“ systematisch – und damit ganz in der Tradition der geisteswissenschaftlichen Pädagogik – bildungstheoretische Konzepte und entwickelt als Ergebnis seiner Studien die Theorie der Kategorialen Bildung, in welche er bestehende Bildungstheorien versucht miteinzubeziehen und die sich daraus ergebenen Differenzen aufzuheben. Bildung definiert Klafki dabei als „jenes Phänomen, an dem wir [...] unmittelbar der Einheit eines subjektiven (formalen) und eines objektiven (materialen) Momentes innewerden.“[3] Demnach vereinen sich im Bildungsbegriff materiale Bildungstheorien, deren Ausgangspunkt das Objekt ist, mit formalen Bildungstheorien, deren Ausgangspunkt das Subjekt ist.

In der materialen Bildungstheorie gibt es zwei Hauptströmungen: die szientistische und die klassische Strömung. Der Szientismus nimmt an, dass die Einzelwissenschaften und die Kulturgüter die eigentlichen Lerninhalte sind. Ihre Schwäche ist die schnelle Entwicklung und Differenzierung des Wissens und das daraus entstehende Problem der Auswahl aus der Fülle der Lerninhalte. Zudem setzt der Szientismus voraus, dass die wissenschaftliche Fragestellung die einzige sinnvolle Fragestellung für den sich bildenden Menschen sei und dass somit alleinig die wissenschaftlichen Inhalte sinnvolle Antworten enthalten.[4]

Die klassische Strömung postuliert, dass wahrhaft bildend sei nur das Klassische, im Sinne von Kulturkreise definierenden Inhalten.[5] Da das Klassische immer aus einem vergangenen Zeitraum stammt und sich wegen seiner besonderen Qualität bewährt habe, solle es als Lerninhalt gewählt werden. Um etwas Klassisches genauer zu verstehen müsse man sich zwangsläufig mit seinem historischen Hintergrund auseinandersetzen. Bildung ist demnach der Vorgang des Aneignens der Werte, Leitbilder und Sinngebungen eines Kulturkreises. Jedoch kann das Klassische auf Grund seines retrospektiven Charakters, keine Antworten auf aktuelle Probleme und Herausforderungen geben.

Auch bei den formalen Bildungstheorien untersucht Klafki zwei Hauptströmungen. Die Funktionalistische Bildungstheorie führt Klafki auf den Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt (1767-1835) zurück, der 1792 schrieb, der „wahre Zweck des Menschen [...] welchen die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt[,] ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen.“[6] Die „Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen“ definiert Klafki wie folgt: „Das Wesentliche der Bildung ist nicht Aufnahme und Aneignung von Inhalten, sondern Formung, Entwicklung und Reifung von körperlichen, seelischen und geistigen Kräften.“[7] Da Humboldt die Antike als die Epoche eines voll verwirklichten Menschentums betrachtet, dessen Lebens- und Denkweise sich in den Sprachen wiederspiegelt, kann der Lernende durch den Erwerb eben solcher Sprachkenntnisse erleben, was das Mensch-Sein bedeutet. Kernfächer der funktionalistischen Bildungstheorie sind somit die alten Sprachen und – ergänzend – die Mathematik.[8] Ziel ist nicht das bloße Erlernen der Inhalte von Latein, Altgriechisch und mathematischen Formeln, sondern die Fähigkeit, die erlernten Inhalte auf andere Gebiete und Probleme zu transferieren.

Die zweite formale Bildungstheorie ist die der methodischen Bildung, welche als Gewinnung und Beherrschung von Denkweisen, Gefühlskategorien und Wertmaßstäben verstanden wird. Sie wird als Methode betrachtet, mit deren Hilfe sich der junge Mensch Inhalte aneignen kann.[9] Die Aufgabe des Lehrenden ist es, diese Methoden zu vermitteln. Zum Menschenbild der methodischen Bildungstheorie gehört, dass der Lernende seine eigenen Lebensschwierigkeiten selbstständig meistern kann, nachdem der Lehrende ihm universale Methoden an die Hand gegeben hat.

Klafkis Ansatz der Kategorialen Bildung beinhaltet im Kern beide Ansätze, ist jedoch nicht als „Sowohl-als-auch“-Theorie zu verstehen. Vielmehr geht es Klafki darum, aus beiden Ansätzen eine ausgewogene Mischung zu finden, die zu bestmöglichen Unterrichtsprozessen und der Planung des Weges dorthin führt. Der dialektische Grundgedanke dieses Bildungsbegriffes bedeutet, dass sich beim Bildungsvorgang dem Schüler Welt und Wirklichkeit erschließen und der Schüler dadurch offen für die Fragestellungen und Problem dieser Welt und Wirklichkeit wird.[10] Dieses Prinzip des wechselseitigen Erschlossenseins von Subjekt und Objekt soll primär vom Lernenden geleistet werden – der Lehrende gibt ihm die dafür notwendigen Hilfsmittel an die Hand.

Somit liegt Klafkis Hauptaugenmerk auf der Didaktik im engeren Sinne: Seine Theorie der Bildungsaufgaben, -inhalte und -kategorien sowie des Sinngehalts ist die der Kategorialen Bildung – also der Bildung in Kategorien und Grundbegriffen – an sich. Er klammert dabei bewusst primär Methodik und Medieneinsatz aus, da die Didaktik im engeren Sinne und die darin enthaltene Notwendigkeit der (Lern-)Zielentscheidung im Primat gegenüber der Methodik steht.

Er fordert, dass Fächer und ihre Inhalte Sinnprinzipien genügen sollen und bietet eine methodische Checkliste an, die neben der exemplarischen Bedeutung auch Fragen nach Zugänglichkeit, Struktur, sowie Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung beinhalten.[11] Im Rahmen der didaktischen Analyse soll der Lehrende diese Punkte methodisch herausarbeiten und den Unterrichtsstoff interessant, fragwürdig und begreifbar machen.[12] Weiter fordert Klafki, dass der Lehrende den Unterrichtsverlauf phasieren soll und dabei unterschiedliche Arbeits-, Übungs-, Spiel- und Wiederholungsformen einsetzen soll.

Auch wenn Wolfgang Klafki vielen Lehramtsstudierenden primär durch seine Didaktische Analyse bekannt ist, geht sein Bildungskonzept weit über die Punkte der Didaktischen Analyse hinaus. Als Ergebnis seiner Studien fordert er, den Bildungsbegriff neu zu definieren. Bildung müsse auf die „Mitmenschlichkeit“[13], die „politische Existenz des Menschen“[14], konsequent auf einen späteren Beruf und das außerschulische Leben bezogen werden. Ferner solle sie helfen Probleme und Spannungen im Leben bewältigen und nicht bloß beschreiben zu können. Die Erziehung zu einem sittlich reifen demokratischen Menschen, der in einem Umfeld ohne ständische und soziale Schranken gebildet werde, steht für Klafki im Fokus. Dies sei unter anderem dadurch erreichbar, dass Bildung einen weltweiten Horizont vertrete, der nicht ausschließlich die Geschichte, Traditionen und Werte des eigenen Kulturkreises behandle.[15] Bis ins hohe Alter setzte sich der kürzlich verstorbene Erziehungswissenschaftler für die Umsetzung seiner Ideen ein. So war er bis 2006 offizielles Mitglied der Laborschule Bielefeld und blieb dem Beirat darüber hinaus als Berater freundschaftlich verbunden. Obwohl die Versuchsschule des Landes Nordrhein-Westfalen 1974 nach den Ideen von Hartmut von Hentig gegründet wurde, setzte sich Klafki als Vorsitzender und später als Mitglied des Beirates für die Umsetzung neuer bildungstheoretischen Ansätze ein. Viele seiner Forderungen, die im Konzept der Kategorialen Bildung postuliert wurden, sind heute fester Bestandteil an der Laborschule: besonders die Demokratisierung, der Anspruch einer Schule ohne ständische und soziale Schranken[16], der interdisziplinäre Unterricht und die vorrangige Vermittlung von Lernstrategien statt Lerninhalten, zeigen noch heute den starken Einfluss Klafkis auf die Bildungslandschaft.

[...]


[1] Philipps-Universität Marburg/Krause, Katharina/Lin-Klitzing, Susanne: Nachruf: Wolfgang Klafki. 2016. Internet: http://m.lebenswege.faz.net/unternehmensnachrufe/wolfgang-klafki/47872102. Zuletzt geprüft am: 1.9.2016.

[2] Universität Kassel/Finkeldey, Reiner/Höynck, Theresia: Wolfgang Klafki. 2016. Internet: http://m.lebenswege.faz.net/unternehmensnachrufe/wolfgang-klafki/47887735. Zuletzt geprüft am: 1.9.2016.

[3] Klafki, Wolfgang: Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. 8./9. Weinheim 1967. S. 27.

[4] Vgl. ebd., S. 29.

[5] Vgl. ebd., S. 30–32.

[6] Humboldt, Wilhelm von/Haerdter, Robert: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. ND. Stuttgart 2012. Internet: http://gutenberg.spiegel.de/buch/ideen-zu-einem-versuch-die-grenzen-der-wirksamkeit-des-staats-zu-bestimmen-2640/1. Zuletzt geprüft am: 1.9.2016 (Kapitel II).

[7] Klafki, Wolfgang: Studien [wie Anm. 4], S. 32.

[8] Vgl. ebd., S. 33.

[9] Vgl. ebd., S. 36.

[10] Vgl. Wiater, Werner: Erziehen und bilden. Prüfungswissen - Basiswissen Schulpädagogik. Donauwörth 2013. S. 102.

[11] Vgl. Klafki, Wolfgang: Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung. In: Die Deutsche Schule Hrsg. v. Alfred Blumenthal/ Roth Heinrich. 50 (1958). S. 450–471.

[12] Vgl. Klafki, Wolfgang: Studien [wie Anm. 4], S. 135.

[13] Klafki, Wolfgang: Zur Theorie der kategorialen Bildung. In: Der Erziehungs- und Bildungsbegriff im 20. Jahrhundert. Hrsg. v. Erich Weber. Bad Heilbrunn 1969. S. 64–85; hier: S. 81.

[14] Ebd.

[15] Vgl. ebd., S. 80–85.

[16] Die Laborschule Bielefeld stellt an sich selbst den Anspruch einer „Schule für alle“. Gemäß den Aufnahmekriterien werden jedes Jahr 30 Jungen und 30 Mädchen in die Eingangsklasse 0 aufgenommen. Der Anteil von SchülerInnen, deren Eltern keinen höheren Bildungsabschluss haben, soll 60% betragen und der Anteil von SchülerInnen mit Migrationshintergrund soll dem Anteil von Einwohnern mit Migrationshintergrund der Stadt Bielefeld (derzeit ca. 35,9%) entsprechen. Derzeit erfüllt die Laborschule nur die Forderung nach geschlechtlicher Ausgewogenheit, was unter anderem dem Einzugsgebiet der Schule geschuldet ist, dessen Stadtteile einen Migrationsanteil von 20,9% aufweisen.

Details

Seiten
Jahr
2016
ISBN (eBook)
9783668681934
ISBN (Buch)
9783668681941
Dateigröße
437 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Erscheinungsdatum
2018 (April)
Note
1,0
Schlagworte
Wolfgang Klafki Kategoriale Bildung Kultur Pädagogik Bildungstheorie
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Titel: Kategoriale Bildung nach Wolfgang Klafki