Sexuelle Zwangsarbeit in Häftlingsbordellen der Konzentrationslager des Nationalsozialismus
Zusammenfassung
In dieser Arbeit berufe ich mich auf die Begriffe sexuelle Zwangsarbeit bzw. sexuelle Ausbeutung. Damit grenze ich mich vom Begriff der „Zwangsprostitution“ ab und möchte beide Begriffe auf die Häftlingsbordelle eingrenzen und mit diesen nicht die auch innerhalb der Häftlingsgesellschaft herrschende sexuelle Ausbeutung beschreiben. Auf Termini des NS, wie z.B. „Sonderbaracke“ welcher für die Bordelle stand, werde ich in dieser Arbeit, außer in Zitaten, versuchen zu verzichten. Im letzten Kapitel wird es um Geschlechtercodes gehen, dabei berufe ich mich auf das Gender-Konzept, welches u.a. auf Judith Butler zurückgeht. Kurz nach der Befreiung Deutschlands spielte das Thema der Häftlingsbordelle in vielen Abhandlungen eine Rolle.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Häftlingsbordell
2.1 Bedeutung der Konzentrationslager
2.2 Befehl zur Errichtung
2.3 Organisation & Verortung
3. Die Sex-Zwangsarbeiterinnen
3.1 Die Rekrutierung
3.2 Lebensbedingungen
3.3 Soziale Beziehungen
3.4 Leben nach der Sex-Zwangsarbeit
4. Häftlinge
4.1 Die Bordellbesucher
4.2 Widerstand
5. Geschlechterkonstruktion
6. Fazit
7. Literatur- und Quellenverzeichnis
1. Einleitung
„Nein, die Deportierten waren keine Sexualobjekte, sie wurden bestenfalls als Arbeitstiere ausgebeutet und im schlimmsten Fall zu kurzlebigen ‚Abfallstücken‘.“[1]
Mit diesen Worten reagiert Primo Levi auf die Rezeption der Sex-Zwangsarbeiterinnen in „Le donne di Ravensbrück“. Er weist damit eine häufige Wahrnehmung der Sex-Zwangsarbeiterinnen zurück, in welcher sie häufig als Kollaborateure u.ä. abgetan werden.[2] Somit sind die Zwangsarbeiterinnen Opfer der Nazis, welche Bordelle für ihre Zwecke nutzten.
In dieser Arbeit soll es um die Rolle der Häftlingsbordelle in nationalsozialistischen Konzentrationslagern gehen. Andere Bordellarten wie die SS-Bordelle oder Wehrmachtsbordelle werden in dieser Arbeit nicht weiter berücksichtigt. Dafür soll nicht nur die Bedeutung der Bordelle, für die Täter der SS analysiert werden. Um eine möglichst multiperspektive Arbeit über die Bordelle zu schreiben, wird auch die Bedeutung für die Zwangsarbeiterinnen und die Häftlinge, welche sowohl die Bordelle besuchten als auch nur gerüchteweise von ihnen erfuhren, eine zentrale Position in dieser Arbeit einnehmen. Auch sollen die über das Bordell konstruierten Geschlechtercodes in den Blick genommen werden, um diese in die nationalsozialistische Ideologie einzuordnen. Auch wenn die Zahlen der von der Sex-Zwangsarbeit Betroffenen, im Vergleich zu anderen Verbrechen der Nazis, marginal wirken, so war: „Zwangsprostitution in den Konzentrationslagern […] keine Marginalie, sondern – seit 1942 – konstitutiver Bestandteil des nationalsozialistischen Lagersystems.“[3]
In dieser Arbeit berufe ich mich auf die Begriffe sexuelle Zwangsarbeit bzw. sexuelle Ausbeutung. Damit grenze ich mich vom Begriff der „Zwangsprostitution“[4] ab und möchte beide Begriffe auf die Häftlingsbordelle eingrenzen und mit diesen nicht die auch innerhalb der Häftlingsgesellschaft herrschende sexuelle Ausbeutung beschreiben. Auf Termini des NS, wie z.B. „Sonderbaracke“ welcher für die Bordelle stand, werde ich in dieser Arbeit, außer in Zitaten, versuchen zu verzichten. Im letzten Kapitel wird es um Geschlechtercodes gehen, dabei berufe ich mich auf das Gender-Konzept, welches u.a. auf Judith Butler zurückgeht.
Kurz nach der Befreiung Deutschlands spielte das Thema der Häftlingsbordelle in vielen Abhandlungen eine Rolle.
So widmet Eugen Kogon in seinem Werk, „Der SS-Staat: Das System der deutschen Konzentrationslager“, ein Kapitel, den Bordellen. Weitere Überlebende wie Jorge Semprun und Primo Levi äußerten sich zu diesem Thema. Jedoch verschwand das Thema der Lagerbordelle wieder aus dem Erinnerungsdiskurs und wurde tabuisiert. So liege bspw.: „Aus den 1950er Jahren […] eine Direktive der Lagergemeinschaft Buchenwald vor, das Bordell bei Führungen auf gar keinen Fall zu erwähnen, um mögliche ‚Missverständnisse‘ zu vermeiden.“[5] 1994 griff Christa Paul dieses Thema in ihrem Buch „Zwangsprostitution“ wieder auf. In diesem Pionierwerk zu dem Thema, auf welches sich nachfolgende Abhandlungen immer wieder beziehen, gibt Christa Paul einen guten Überblick mit Hilfe von Interviews von ehemaligen Sex-Zwangsarbeiterinnen. Zunehmend wurde in diesem Zusammenhang auch das Thema Weiblichkeit und Geschlecht miteingebunden. Da wäre bspw. das Werk „Sex-Zwangsarbeit“ von der Autorengruppe „Die Aussteller“ zu nennen und auch die Forschungen von u.a. Brigitte Halbmayr. Mit der Ausstellung „Lagerbordelle. Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern“, welche u.a. durch Insa Eschebach ins Leben gerufen wurde, gelangte dieses Thema auch zurück in den Erinnerungsdiskurs. „Das KZ-Bordell“ von Robert Sommer ist die neueste Publikation, welche einen umfangreichen und detaillierten Einblick liefert. Er greift auch diverse Forschungspositionen auf und überarbeitet einige dieser durch bis dahin unbearbeitete Archivteile.
Den Großteil dieser Arbeiten verwende ich in der folgenden Arbeit. Vor allem die lange Tabuisierung und damit einhergehende Nicht-Forschung zu diesem Thema, hat die Auswahl der Literatur eingeschränkt. Doch zeigen sich in diesen Werken genaue Einblicke in dieses Thema und greifen einander auf. Als Quellen dienen Unterlagen der SS, wie z.B. ein Brief von Himmler und andere schriftliche Dokumente. Diese aus Archiven stammenden Dokumente sind glücklicherweise in vielen Werken zu diesem Thema abgedruckt bzw. weitestgehend zitiert. Um auf die Multiperspektivität dieser Arbeit zurückzukommen, fließen auch Interviews mit Überlebenden in diese Arbeit ein. Die Chancen und Probleme die mit dieser Art von Quellen einhergehen, sind mir bewusst und erfordern einen kritischen Umgang mit genau diesen Quellen, doch halte ich sie für obligatorisch um sich umfassend mit diesem Thema auseinandersetzen zu können.
Mit Hilfe all dieser Dinge versuche ich dann in meinem Fazit die Frage zu beantworten, welche Rolle die Häftlingsbordelle in nationalsozialistischen Konzentrationslagern gespielt haben.
2. Das Häftlingsbordell
In diesem Kapitel soll die Bedeutung der Häftlingsbordelle für die SS analysiert werden. Um dies zu beantworten, nimmt die Bedeutung der KZ ´s die erste zentrale Rolle ein, da diese eine wichtige Bedingung für die Errichtung von Bordellen war. Im Folgenden wird dies verdeutlicht, in dem ich den Weg zum Befehl zur Errichtung der Bordelle innerhalb der SS beleuchte. Abschließend spiegelt die Verortung und die Organisation der Bordelle, die komplexe Rolle dieser im NS wider. Dafür werden vor allem Dokumente der SS eine wichtige Position zur Beantwortung dieser Fragen einnehmen.
2.1 Bedeutung der Konzentrationslager
Eine der wichtigsten Bedingungen dafür, dass die SS Häftlingsbordelle errichten ließ, ist das Häftlinge in Konzentrationslagern nicht nur terrorisiert und vernichtet werden sollten, sondern diese auch wirtschaftlich ausgebeutet werden sollten. So war der Leiter des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes, Oswald Pohl, jemand, „[…] der sich seit 1936 konsequent für die Ausnutzung der Häftlingsarbeit für SS-Unternehmen einsetzte.“[6] Auch das „Wirtschaftssystem“ der SS war Teil des „Totalen Kriegs“, denn: „In den Konzentrationslagern werden heute, also in diesem Kriegsjahr, monatlich 40 Millionen Rüstungsstunden geleistet.“[7] Aus diesen Aspekten wird deutlich, dass Konzentrationslager im NS auch eine ökonomische Funktion besaßen. Daraus resultiert das Häftlinge dieser Lager, zur Erfüllung dieser Funktion, möglichst effektiv ausgebeutet werden sollten. Dieses Ziel steht jedoch in einem offensichtlichen Widerspruch mit der anderen zentralen Funktion der Lager, nämlich Terror und Vernichtung. Aus diesem Widerspruch ergibt sich das Problem, dass: „Die Leiter der Betriebe […] oft über Probleme mit der Häftlingsarbeit [klagten]. Die KZ-Häftlinge waren von Hunger, Erschöpfung und Gewalt gezeichnet, so dass sie keine nennenswerten Leistungen erbringen konnten.“[8] Die Realität der Häftlinge in den Konzentrationslagern kollidierten also mit dem Ziel der effektiven Ausbeutung. Dieses Defizit in der tatsächlichen Produktivität und die Konsequenzen daraus werden in einem Brief von Himmler an Pohl vom 23. März 1942 deutlich:
„Mit der einfachen Rechnung, daß man Arbeitshäftlinge nur mit 50% der Arbeitsleistung im Verhältnis zu deutschen Facharbeitern ansetzt, gebe ich mich nicht zufrieden. Es ist zwar sehr schlicht und bequem, daß man einfach die doppelte Zahl nimmt. Hier muß jedoch der Hebel angesetzt werden. Praktisch muß es so werden, daß mindestens der gefangene Hilfsarbeiter mehr leistet, als der freie Hilfsarbeiter.“[9]
2.2 Befehl zur Errichtung
Weiter heißt es in diesem Brief:
„Für notwendig halte ich allerdings, daß in der freiesten Form den fleißig arbeitenden Gefangenen Weiber in Bordellen zugeführt werden. Ebenso muß ein gewisser kleiner Akkordlohn da sein. Wenn diese beiden Bedingungen gegeben sind, wird die Arbeitsleistung enorm steigen.“[10]
Diese Idee, die u.a. auf die Geschlechtervorstellungen des NS zurückgeht, wurde nicht nur von der SS getragen, sondern auch maßgeblich von der Industrie unterstützt. So hätte die IG-Farben, welche auf Zwangsarbeiter aus Auschwitz zurückgriff, seit Mitte 1942 in ihren regelmäßigen Besprechungen mit dem Lagerkommandanten die Einführung eines Akkordsystems gefordert.[11] Auch war in einem Wochenblatt der IG-Farben die Rede von, „[…], Inaussichtstellung der Freiheit oder Besuch von Freudenhäusern.“[12] 1942 eröffnete dann das erste Häftlingsbordell im KZ Mauthausen. Vermutlich auf Befehl Himmlers, nach dem dieser es 1941 inspizierte.[13] Ein Häftlingsbordell in Gusen folgte.
Doch bis diese Idee zu einer Dienstvorschrift wurde, dauerte es bis zum 15. Mai 1943. Zuvor schrieb Himmler, am 5. März 1943, einen weiteren Brief an Pohl, nach dem Himmler das KZ Buchenwald besuchte: „Im Lager Buchenwald habe ich auch festgestellt, daß dort noch kein Lager-Bordell ist. Ich bitte Sie, sich den ganzen Fragen eines Akkordsystems unter unseren Häftlingen intensiv zu widmen.“[14] Im weiteren Verlauf des Briefs zeichnet Himmler seine Vorstellung eines dreistufigen Akkordsystems, das als erste Stufe den Zugang zu Zigaretten vorsah, zweitens einen Akkordlohn und als dritte und höchste Stufe den Besuch eines Bordells.[15] All diesen Fragen widmete sich Pohl auch und erließ zum 15. Mai 1943 die „Dienstvorschrift für die Gewährung von Vergünstigungen an Häftlinge.“[16] Pohl erweiterte Himmlers Vorstellung von einem dreistufigen Akkordsystem zu einem fünfstufigen.
„Die Verordnung enthielt eine Auflistung der verschiedenen Vergünstigungen:
1. Hafterleichterung
2. Verpflegungszulagen
3. Geldprämien
4. Tabakwarenbezug
5. Bordellbesuch“[17]
Mit dieser Dienstvorschrift sollte also die Vorstellung einer Steigerung der Produktionseffektivität durch das Versprechen von Anreizen umgesetzt werden.
2.3 Organisation & Verortung
Auch die Organisation der Häftlingsbordelle bietet einen Einblick in das Verständnis der SS über diese. So gab es zentrale Einschränkungen für Häftlinge zum Besuch des Bordells. Zum einen durften Juden und Russen, der Rassenideologie folgend, das Bordell nicht besuchen. Darauf wird im Verlauf dieser Arbeit noch einzugehen sein. Zum anderen konnten nur Häftlinge die in der Lagerhierarchie oben standen und somit bessere Positionen innehatten, wie z.B. Funktionshäftlinge und sogenannte Capos, das Bordell besuchen. So heißt es in der in der Dienstvorschrift weiter: „Ich weise jedoch besonders darauf hin, dass hierfür nur Häftlinge mit wirklich hervorragenden Leistungen zugelassen werden.“[18] Die SS hatte anfangs also nicht vor, das Bordell für jeden Häftling zugänglich zu machen, sondern nur für von ihr als wichtig erachtete Häftlinge[19]. Dies wurde dadurch sichergestellt, dass der Antrag eines Häftlings, auch Bordellschein genannt[20], vom Lagerkommandanten geprüft wurden.[21]
Dass das Bordell ein konstitutiver Bestandteil des Lagersystems war, zeigt auch dass dieses wie ein durchorganisierter wirtschaftlicher Betrieb funktionierte. Zum einen zeigt dies ein Befehl des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes vom 20. November 1943, in diesem heißt es:
„Der Reichsführer-SS hat befohlen, daß die Aufseherinnen aus den Häftlingssonderbauten zurückgezogen werden […]. An Stelle der Aufseherinnen sollen ältere weibliche Häftlinge in den Sonderbauten eingesetzt werden. Bei FKL. Ravensbrück stehen erfahrene weibliche Häftlinge zur Verfügung, die bereits Bordelle geleitet haben.“[22]
Bereits erfahrene Häftlinge sollten also einen durchorganisierten Betrieb gewährleisten.
Die Wirtschaftlichkeit der Bordelle findet sich auch in der „Dienstvorschrift für die Gewährung von Vergünstigungen an Häftlinge“ wieder. So sollen von den zwei Reichsmark, wie sie auch in Bordellen außerhalb des KZ üblich waren, die für den Bordellbesuch fällig wurden, RM. -.45 an die Sex-Zwangsarbeiterinnen und RM. -.05 an die aufsichtsführende Insassin gehen. Dieses Geld wurde wie in den Lagern üblich auf ein internes Häftlingskonto gutgeschrieben. Die restlichen RM. 1.50 gingen an die SS.[23]
Neben der wirtschaftlichen Organisation wurde, „[durch] die totale Organisation des Raums seitens der SS […] Lebens- und Handlungsräume der inhaftierten Menschen eliminiert.“[24] So stand auch der Akt des Besuches eines Bordells unter dem totalen Kontrollanspruch der SS. So berichtet Frau W., eine ehemalige Sex-Zwangsarbeiterin, im Interview mit Christa Paul folgendes:
„Wir standen ja auch unter Kontrolle, es durfte nichts Außergewöhnliches gemacht werden. Also nur ganz normal, rein ins Zimmer, rauf auf die Frau, runter, raus aus dem Zimmer, 15 Minuten. Die Türen zum Gang raus, die hatten Gucklöcher, […].“[25]
Neben dem Raum stand also der Akt als solches unter der totalen Kontrolle der SS. Ein weiterer Beweis für den durch die Organisation des Raumes, angestrebten absoluten Kontrollanspruch der SS werde durch den markanten Mittelgang, über welchen ein perfektes Monitoring der Frauen und Männer möglich sei, ausgedrückt.[26]
Einen weiteren wichtigen Blick, auf die komplexe Bedeutung der Bordelle für die SS, liefert die Verortung der Bordelle im KZ. Denn: „Die Integration von Bordellen in die Topographie der Konzentrationslager war aus Sicht der SS in verschiedener Hinsicht schwierig, was sich deutlich an ihrer problematischen Verortung zeigt.“[27] Da das Häftlingsbordell in seiner Konzeption einmalig ist, nämlich als Raum für eine Art Freizeit, ist es nicht mit anderen Bauten eines KZ zu vergleichen. Es ist weder Wohn- oder Arbeitsraum, noch gehört es zu den üblichen Sonderbauten, wie das Krematorium, die an der Vernichtung beteiligt waren. „Bei der Errichtung der ersten Bordelle in Mauthausen und Gusen positionierte die SS das Lagerbordell an den Eingang des Häftlingslagers, direkt an den Appellplatz.“[28] Dies könne daran gelegen haben, dass das Bordell als Gratifikationsinstitution eingeführt worden sei und so für Häftlinge sichtbar gewesen sein müsse.[29]
„Die Häftlingsbordelle im Eingangsbereich widersprachen allerdings ‚der Idee eines streng sauberen Konzentrationslagers‘ […].“[30] So wurden zwei Befehle erlassen, die die Bordelle aus dem offenen Bild der KZ´s verschwinden lassen sollten. Zuerst bemerkte Pohl in einem Befehl vom 15. Juni 1943, „[…] daß diese nicht besonders günstig liegen.“ und „[…] diese ihrer Zweckbestimmung gemäß etwas abseits liegen […] werden können.“[31] Himmler befahl im November 1943: „Bei Lagerbesichtigungen sind Bordelle und Verbrennungsanlagen n i c h t zu zeigen.“[32]
3. Die Sex-Zwangsarbeiterinnen
In diesem Kapitel der Arbeit, soll zunächst der Weg der Frauen in die Bordelle beleuchtet werden. Bei dieser Rekrutierung für das Bordell ist zur Beantwortung der Frage interessant, was für Frauen rekrutiert wurden und wie sie dazu kamen. Folgend soll dann analysiert werden, unter welchen Lebensbedingungen die Zwangsarbeiterinnen lebten und welche sozialen Handlungsmöglichkeiten durch ihre Verortung innerhalb der Häftlingsgesellschaft sie besaßen. Zuletzt wird es interessant sein, wie die Sex-Zwangsarbeiterinnen nach ihrer Zwangsarbeit weiterlebten. All diese Aspekte sollen die Frage nach der Bedeutung der Zwangsarbeit für die Frauen beantworten.
3.1 Die Rekrutierung
Zunächst soll die Frage beantwortet werden, welche Frauen rekrutiert wurden. Dabei war anfangs in erster Linie der Haftgrund der weiblichen Häftlinge ausschlaggebend, um für die Zwangsarbeit rekrutiert worden zu sein. So ordnete Himmler an, dass:
„1. für die Lagerbordelle […] nur solche Dirnen ausgesucht werden, bei denen von vornherein anzunehmen ist, daß sie nach Vorleben und Haltung für ein späteres geordnetes Leben nicht mehr zu gewinnen sind, bei denen wir uns also bei strenger Prüfung niemals den Vorwurf machen müssen, einen für das deutsche Volk noch zu rettenden Menschen verdorben zu haben.“[33]
Es sollten also Häftlinge rekrutiert werden, die bereits wegen angenommener Prostitution, im KZ inhaftiert waren. Dies war vor allem auch dadurch möglich geworden, da die Prostitutionspolitik im NS, Frauen die Sex oder Beziehungen außerhalb der Ehe hatten, stigmatisiert und kriminalisiert wurden, was dazu führte das tausende Frauen wegen angeblicher Prostitution inhaftiert wurden.[34] Damit einhergehen sollte auch eine Form der Legitimation des Einsatzes, gegenüber den Bordellbesuchern.
Der Weg, wie die Frauen rekrutiert wurden, fand auf zwei unterschiedlichen Wegen statt. Zuerst soll hier auf die sogenannte „freiwillige“ Meldung eingegangen werden. Die Häftlinge konnten sich für diese Arbeit „freiwillig“ melden. Eine ehemalige Insassin aus dem Krankenbau berichtet bspw.: „Also, aber dann ist es gekommen, dass man den Prostituierten gesagt hat, sie sollen sich melden für einen sogenannten Puff, […].“[35] Diese „Freiwilligkeit“ diente der SS weiterhin zur Legitimation gegenüber der Bordellbesucher und vor allem um die Organisation der Bordelle durch „Fachkräfte“ zu gewährleisten. Doch kann keineswegs von einer „freiwilligen“ Meldung die Rede sein. Die Frauen meldeten sich vor allem wegen zwei Versprechungen.
Zum einen versprachen sie sich selbst durch die Meldung, eine Besserung ihrer Lebensumstände, was aber im Endeffekt nur bedeutet, sich Hoffnung auf Überlebenschancen zu machen. So muss dazu gesagt werden, dass: „[…] unter den Bedingungen des Konzentrationslagers jedes ‚Arbeitsangebot‘ seitens der SS einen Zwangscharakter hatte.“[36] Den Bedingungen der Arbeitskommandos zu entgehen, war für viele also eine reine Überlebensstrategie. Antonia Bruha, Revierarbeiterin im KZ Ravensbrück, berichtet von einer zweiten Versprechung: „Man hat ihnen versprochen, daß sie nach sechs Monaten freigehen.“[37] Dieses Versprechen, der Hölle zu entgehen, war jedoch ein falsches. Weiter berichtet Bruha: „Aber keine von ihnen ist freigegangen, sie sind wieder ins Lager zurückgekommen, […].“[38] Auch Himmler schließt eine vorzeitige Entlassung kategorisch aus.[39] Die Meldung der weiblichen Häftlinge beruhte also vor allem auf der Hoffnung das Konzentrationslager zu überleben und kann also keineswegs als „freiwillig“ angesehen werden. Die zweite Methode Häftlinge zu rekrutieren, die auf den steigenden „Bedarf“ reagiert hätte, war die Selektion unter direktem Zwang gewesen.[40] Frau W. berichtet im Interview mit Christa Paul wie solch eine Selektion vonstattenging: „Nummer sowieso, Nummer sowieso, nicht zum Arbeitsappell antreten, drinbleiben!“[41]. Weiter berichtet Frau W. wie die Frauen von der SS begutachtet wurden, in das Revier kamen und in ein anderes KZ gefahren wurden, wovon die Frauen aber nicht wussten.[42] Die Häftlinge wurden nicht über ihren Einsatz informiert. Frau W. dazu: „Mein inneres Minenspiel war immer, wo kommst du hin, wo bringen sie dich hin, wo landest du?“[43] Sie kamen in das Bordell, wo Frau W. später den Zwang verdeutlicht, denn sie hätte ihren ersten Freier mit einer Nagelschere bedroht, doch hätte ihn doch nehmen müssen.[44]
[...]
[1] Primo Levi, Donne da Macello [Rezension von „Le donne di Ravensbrück“], in: La Stampa, 10.3.1978, 14, zit. nach: Insa Eschebach, Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern, in: L'Homme 21 (1), S. 73.
[2] Vgl. u.a. Eugen Kogon, Der SS-Staat: Das System der deutschen Konzentrationslager, 1946, S. 148f.
[3] Insa Eschebach, Zum Geleit, in:Baris Alakus, Sex-Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern,
S. 13.
[4] Vgl. Christa Paul, Zwangsprostitution.
[5] Christl Wickert, Tabu Lagerbordell: vom Umgang mit der Zwangsprostitution nach 1945, in: Gedächtnis und Geschlecht: Deutungsmuster in Darstellungen des nationalsozialistischen Genozids, S. 55.
[6] Robert Sommer, Das KZ-Bordell, S. 54.
[7] Rede Himmler vor Generälen in Sonthofen am 21.Juni 1944, in: Himmler, Geheimreden, S.199, zit. nach: Robert Sommer, Das KZ-Bordell, S. 63.
[8] Robert Sommer, Das KZ-Bordel, S. 65.
[9] BA, Brief Himmler an Pohl vom 23.März 1942, NS19/2065, in: Baris Alakus, Katharina Kniefacz, Robert Vorberg
(Hg.), Sex-Zwangsarbeit, S. 125.
[10] BA, Brief Himmler an Pohl vom 23.März 1942, NS19/2065, in: Baris Alakus/ Katharina Kniefacz/ Robert Vorberg
(Hg.), Sex-Zwangsarbeit, S. 126.
[11] Vgl. Christa Schulz, Weibliche Häftlinge aus Ravensbrück in Bordellen der Männerkonzentrationslager, in: Claus Füllberg-Stollberg/Martina Jung/Renate Riebe/Martina Scheitenberger (Hg.), Frauen in Konzentrationslagern, S. 138.
[12] Wochenblatt der IG Farben Nr. 54 für die Zeit vom 1.-7. 6. 1942, zit. nach: Robert Sommer, Das KZ-Bordell, S. 69.
[13] Vgl. Brigitte Halbmayr/ Katrin Auer/ Helga Amesberger, sexualisierte Gewalt: weibliche Erfahrungen in NS-Konzentrationslagern, S. 105.
[14] Helmut Heiber (Hg.), Reichsführer!... Briefe an und von Himmler, S. 196.
[15] Vgl. ebd.
[16] Vgl. Staatsarchiv Nürnberg, Dienstvorschrift für die Gewährung von Vergünstigungen an Häftlinge vom 15. Mai 1943, NO-400, in: Christa Paul, Zwangsprostitution, S. 25.
[17] Ebd. S. 26.
[18] Staatsarchiv Nürnberg, Dienstvorschrift für die Gewährung von Vergünstigungen an Häftlinge vom 15. Mai 1943, NO-400, in: Christa Paul, Zwangsprostitution, S. 25.
[19] Vgl. Brigitte Halbmayr, Arbeitskommando „Sonderbau“, in: Dachauer Hefte 21, S. 224.
[20] Vgl. Bordellschein aus dem KZ Mauthausen, in : Baris Alakus, Sex-Zwangsarbeit, S. 159.
[21] Ebd. S.158.
[22] Befehl zum Einsatz von „qualifizierten“ Häftlingen, in: Christa Schulz, Weibliche Häftlinge aus Ravensbrück in Bordellen der Männerkonzentrationslager, S. 137.
[23] Vgl. Staatsarchiv Nürnberg, Dienstvorschrift für die Gewährung von Vergünstigungen an Häftlinge vom 15. Mai 1943, NO-400, in: Christa Paul, Zwangsprostitution, S. 25.
[24] Robert Sommer, Das KZ-Bordell, S. 161.
[25] Ausschnitt aus einem Interview mit Frau W., zit. nach: Christa Paul, Zwangsprostitution, S. 56.
[26] Vgl. Robert Sommer, Das KZ-Bordell, S.173.
[27] Ebd. S. 162.
[28] Ebd. S. 162.
[29] Vgl. ebd. S. 162.
[30] Robert Sommer, Sonderbau, S. 42 in: Baris Alakus, Sex-Zwangsarbeit, S. 137.
[31] Befehl vom 15. Juni 1943, zit. nach: Christa Schulz, Weibliche Häftlinge aus Ravensbrück in Bordellen der Männerkonzentrationslager, S. 138.
[32] Schreiben Glücks an KZ Kommandanten vom 10. November 1943, zit. nach: ebd. S. 139.
[33] Geheimes Schreiben Himmler an Pohl vom 15. November 1942 in: Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg, Prozess, S.349, zit. nach: Robert Sommer, Das KZ-Bordell, S. 89.
[34] Vgl. Christa Schulz, Weibliche Häftlinge aus Ravensbrück in Bordellen der Männerkonzentrationslager, S. 137.
[35] IKF-Rav-Int. 20_3, S.32, zit. nach: Brigitte Halbmayr/ Katrin Auer/ Helga Amesberger, sexualisierte Gewalt: weibliche Erfahrungen in NS-Konzentrationslagern, S. 107.
[36] Christa Schikorra, Prostituion weiblicher KZ-Häftlinge als Zwangsarbeit, in: Dachauer Hefte 16, S. 116.
[37] Antonia Bruha, in: Berger, S. 149, zit. nach: Christa Schulz, Weibliche Häftlinge aus Ravensbrück in Bordellen der Männerkonzentrationslager, S. 139.
[38] Ebd.
[39] Vgl. Geheimes Schreiben Himmler an Pohl vom 15. November 1942 in: Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg, Prozess, S.350, zit. nach: Robert Sommer, Das KZ-Bordell, S. 89f..
[40] Robert Sommer, Das KZ-Bordell, S. 92.
[41] Interview mit Frau W., zit. nach: Christa Paul, Zwangsprostitution, S.49.
[42] Vgl. ebd. S. 51.
[43] Ebd.
[44] Vgl. ebd. S. 54.