Untersucht wird in dieser Arbeit das jüdische Leben in Köln bis zum Pogrom von 1349.
In den Jahren 1349 und 1350 finden in nahezu ganz Europa Pogrome an jüdischen Bürgern statt, die im Zusammenhang mit der Verbreitung der Pest, von italienischen Hafenstädten in Richtung Norden, stehen. In unterschiedlichen Geschwindigkeiten wurden dann in den meisten Städten wieder Juden angesiedelt. In Köln war dies erst relativ spät, nämlich 1372, der Fall. Doch die Periode in der nach 1372 Juden in Köln lebten war nur von kurzer Dauer, bereits 1424 folgte Köln dem Beispiel anderer Städte und verlängerte die Aufenthaltsrechte der Juden nicht mehr, was eine Ausweisung der Kölner Juden zur Folge hatte.
Das Besondere am Kölner Beispiel ist, dass es zwei zeitgenössische Quellen gibt, in welcher der Kölner Stadtrat, der den Vertreibungsbeschluss zu verantworten hatte, seine Gründe für die Ausweisung darlegte. Dies ist zum einen eine gegen Erzbischof Dietrich von Moers gerichtete und an die päpstliche Kurie gesandte Klageschrift, in welcher die Hinderungsversuche Dietrichs angeklagt werden. Das andere, sieben Jahre jüngere Schriftstück aus dem Jahr 1431, ist ein Rechtfertigungsversuch der Stadt gegenüber dem römisch-deutschen König und späteren Kaiser Sigismund.
Nach einem historischen Abriss über die jüdische Gemeinde Kölns nach dem Kreuzzugspogrom von 1096, ist es zentraler Teil dieser Arbeit, diese beiden Schriftstücke und die darin angeführten Erklärungsversuche, miteinander in Verbindung zu setzten und gegeneinander abzuwägen. Hierbei sollen insbesondere die beiden Werke von den Brinckens und Wenningers , die zu völlig konträren Interpretationen kommen, zu Rate gezogen werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Jüdisches Leben in Köln bis zum Pogrom 1349
3. Zwischen Wiederansiedlung und Vertreibung: Die Kölner Juden von 1372 bis 1424
3.1. Wiederansiedlung, Judenschuldentilgung und Schutzbriefe
3.2. Die Auseinandersetzungen zwischen Stadtrat und Erzbischof
4. Der Vertreibungsbeschluss des Rates und seine Motive
4.1. Klage der Stadt Köln gegen den Erzbischof 1424
4.2. Rechtfertigungsschreiben vor König Sigismund 1431
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einführung
In den Jahren 1349 und 1350 finden in nahezu ganz Europa Pogrome an jüdischen Bürgern statt, die im Zusammenhang mit der Verbreitung der Pest, von italienischen Hafenstädten in Richtung Norden, stehen.[1] In unterschiedlichen Geschwindigkeiten wurden dann in den meisten Städten wieder Juden angesiedelt. In Köln war dies erst relativ spät, nämlich 1372 der Fall. Doch die Periode in der nach 1372 Juden in Köln lebten war nur von kurzer Dauer, bereits 1424 folgte Köln dem Beispiel anderer Städte[2] und verlängerte die Aufenthaltsrechte der Juden nicht mehr, was eine Ausweisung der Kölner Juden zur Folge hatte. Das besondere am Kölner Beispiel ist, dass es zwei zeitgenössische Quellen gibt, in welcher der Kölner Stadtrat, der den Vertreibungsbeschluss zu verantworten hatte, seine Gründe für die Ausweisung darlegte. Dies ist zum einen, eine gegen Erzbischof Dietrich von Moers gerichtete und an die päpstliche Kurie gesandte Klageschrift, in welcher die Hinderungsversuche Dietrichs angeklagt werden. Das andere, sieben Jahre jüngere Schriftstück aus dem Jahr 1431, ist ein Rechtfertigungsversuch der Stadt, gegenüber dem römisch-deutschen König und späteren Kaiser Sigismund.
Nach einem historischen Abriss über die jüdische Gemeinde Kölns nach dem Kreuzzugspogrom von 1096, ist es zentraler Teil dieser Arbeit, diese beiden Schriftstücke und die darin angeführten Erklärungsversuche, miteinander in Verbindung zu setzten und gegeneinander abzuwägen. Hierbei sollen insbesondere die beiden Werke VON DEN BRICKENs[3] und WENNINGERs[4], die zu völlig konträren Interpretationen kommen zur Rate gezogen werden.
2. Jüdisches Leben in Köln bis zum Pogrom 1349
Im 10. und 11. Jahrhundert konnten sich jüdische Gemeinden entlang des Rheins, trotz christlicher Umwelt, der sie auch weiterhin fremd blieben, zu den wichtigsten Zentren jüdischer Kultur in Europa entwickeln.[5] Köln nahm hierbei wohl schon in dieser Zeit eine herausgehobene Stellung ein, verfügte über einen rabbinischen Gerichtshof und war „Ort regelmäßiger Versammlungen der Oberhäupter auch anderer Gemeinden gewesen“.[6] Dies ist wohl hauptsächlich der Bedeutung Kölns für den Fernhandel geschuldet, indem die Juden zu dieser Zeit eine zentrale Stellung einnahmen. Da gegenüber dem Islam eine Isolationspolitik betrieben wurde, waren jüdische Händler zu dieser Zeit nahezu die einzige Verbindung zwischen Orient und Okzident. Mit dem erstarken des norditalienischen Städtewesens, wurden die jüdischen Händler jedoch nach und nach aus dem Mittelmeerhandel verdrängt. Anschließend bot sich ihnen der Geldhandel als Geschäftszweig an, indem kaum Konkurrenz von christlicher Seite zu erwarten war.[7]
Einen krassen Einschnitt bildete der aufkommende Kreuzzugsfanatismus, der im Jahr 1096 zu Pogromen an Juden, nahezu im gesamten Reichsgebiet, führte. Es gelang den Kölner Juden zunächst einer ersten Pogromwelle zu entgehen, indem sie bei ihren christlichen Nachbarn aus der Kölner Oberschicht Unterschlupf fanden. Der Versuch Erzbischof Hermann III. die Kölner Juden auch vor einem zweiten Pogrom zu schützen schlug jedoch fehl. Die auf umliegende Dörfer verteilten Juden Kölns wurden von den „marodierenden Mörderbanden“ aufgespürt und getötet, wenn sie ihnen nicht durch rituelle Selbsttötung zuvorkamen.[8]
Durch ein verstärktes Bedürfnis nach Bargeld, das in direktem Zusammenhang mit den Kreuzzügen steht[9], gelang es der Kölner Gemeinde sich relativ schnell zu erholen. Sie verzeichnete um 1150 ca. 300 Juden in Köln, die mindestens 30 Häuser besaßen, nachdem gut 50 Jahre zuvor wohl kaum einer der Kölner Juden überlebt haben dürfte.[10] Parallel zum Wachsen der jüdischen Gemeinde, die um 1235 wohl um die 500 Mitglieder verzeichnete, erstarkte in Köln die Bürgerschaft und begann sich Auseinandersetzungen mit den Erzbischöfen um die Stadtherrschaft zu liefern.[11] Das einschneidenstes Ereignis dieser Zeit ist die Schlacht von Worringen vom 5. Juni 1288, in der es der Stadt Köln gelang Erzbischof Siegfried von Westerburg eine Niederlage zuzufügen. Die Stadtherrschaft blieb zwar auch danach formal in der Hand des Kurfürsten, doch musste dieser nun außerhalb Kölns residieren und übergaben damit die Stadtverwaltung in die Hände der Kölner Bürgerschaft. Darüber, dass die Kölner Juden unter diesen Auseinandersetzungen mehr zu leiden hatten, als die christlichen Bürger Kölns, ist nicht bekannt.[12]
Einerseits wuchs die jüdische Gemeinde in Köln zwar zahlenmäßig stetig an, andererseits wurde die rechtliche Stellung der Juden im gesamten Reichsgebiet immer weiter abgewertet und in ein Abhängigkeitsverhältnis gedrängt. Die ursprünglich der Oberschicht angehörigen Juden, die lange Zeit von Privilegien der Fürsten profitiert hatten, sahen sich nun der Willkür ihrer Herren ausgesetzt. Nach einem Beschluss des 4. Laterankonzils 1215, mussten sich die Juden von nun an als solche Kennzeichnen, was aus ihnen nun neben einer religiösen auch eine sozial abgeschlossene Gruppe machte.[13] Als Beispiel für die Drängung in ein Abhängigkeitsverhältnis ist das Verbot Waffen zu tragen zu sehen, das mit einem Schutzversprechen der Obrigkeit einherging. Die erste verbriefte Schutzversprechung datiert aus dem Jahr 1252, für das die Juden ein jährliches Schutzgeld zu entrichten hatten.[14] Die Juden wurden somit deutlichst in ihrer Autonomie eingeschränkt und erhielten die Schutzversprechungen auch stets nur als Gegenleistung für eine Zahlung. Interessant ist zudem die Analogie des Verbotes Waffen zu tragen. Denn in der mittelalterlichen Gesellschaft war es sonst nur Unfreien und Knechten verboten Waffen zu tragen.[15] Diesen Niedergang der rechtlichen Stellung des Judentums in Europa wusste die Kirche auch biblisch zu begründen: Dabei wird die an Rebekka gerichtete Prophezeiung Gottes aus Gen 23, 25[16] dahingehend umgedeutet, dass die Juden den Christen zu dienen hätten, schließlich seien sie auch Schuld am Tod Christi.[17] Auch die Mehrfachbesteuerung machte sich für die Juden bemerkbar. Während Erzbischof Konrad von Hochstaden der Stadt Köln 1258 noch das Recht absprach Steuern von den Juden zu erheben, stimmte er bereits ein Jahr später einer Doppelbesteuerung durch ihn und die Stadt zu.[18] 1342 wurde aus der Doppelbesteuerung gar eine Dreifachbesteuerung, denn auch der König nahm für sich in Anspruch Steuern von den Juden zu erheben, was zur Folge hatte, dass jeder Jude über 12 Jahre dazu verpflichtet wurde, den goldenen Opferpfennig an den König zu entrichten.[19]
Ein in Stein gemeißeltes Privileg, das den Kölner Juden ein Monopol im Geldleihgeschäft garantierte, kann als Grund für den unverminderten Aufstieg der Kölner Judengemeinde ausgemacht werden, der sich trotz der Mehrfachbesteuerung bis ins 14. Jahrhundert hinein vollzog. Da der übliche Zinssatz für diese Zeit bei 26%[20] lag und unter den Schuldnern der Juden nahezu alle Klassen vertreten waren, auch Klöster, Fürsten und sogar der Erzbischof selbst, konnte die jüdische Gemeinde großzügige Investitionen tätigen: So fanden 1270 Umbauarbeiten in der Synagoge statt, in den Jahren 1279 und 1280 wurden sowohl der Schulhof, als auch das Gemeindehaus vergrößert und mit dem Erwerb eines Backhauses 1288, waren zu diesem Zeitpunkt alle nötigen Einrichtungen der Gemeinde im Judenviertel angesiedelt. Um 1300 zählte das Kölner Judenviertel wohl 600 Juden und hatte mit dem städtischen Rathaus wohl nur noch ein nennenswertes Gebäude in christlichem Besitz.[21] Doch obwohl um 1310 erstmals eine, das Judenviertel umschließende Mauer,[22] erwähnt ist und ca. 1320 jeder Eingang ins Judenviertel mit einer verschließbaren Pforte versehen wurde, war die „Abschließung“ des Judenviertels wohl nicht so extrem wie angenommen, da zu jeder Zeit auch Christen im Judenviertel wohnten.[23]
Obwohl es ab den 20er Jahren des 14. Jahrhunderts in Köln immer wieder zu Fällen belegbaren Fällen von Antijudaismus kam[24], so traf die Katastrophe, die in der Nacht vom 23. auf den 24. August über die Kölner Juden hereinbrach, sie unerwartet. Obwohl es bereits in Basel (09.01.1349), in Speyer (22.01.1349) und Straßburg (14.02.1349) zu Pogromen gekommen war, hofften die Juden aus Köln womöglich, dass es sie nicht treffen werde. Denn obwohl auch im Niederrheingebiet seit dem Pogrom von 1096 immer wieder Judenverfolgungen vorkamen, blieb Köln stets verschont.[25] Es stellt sich nun also die Frage, was sich an der Lage der Kölner Juden derart geändert hatte, dass der Stadtrat seinem Schutzversprechen nicht nachkommen konnte oder wollte. WENNINGER sieht einen Grund darin, dass sich die Motive der Täter verändert hatten. Während die Pogrome von denen die Kölner Juden verschont blieben ausschließlich religiös motiviert waren, kommt für das Pogrom von 1349 ein pekuniäres Motiv hinzu.[26] Denn der Besitz der getöteten Juden wurde geplündert und ausgestellte Schuldscheine vernichtet, was sicherlich auch Mitgliedern des Rates sowie Adligen aus der Umgebung Kölns zu Gute kam. Auch in der Abmachung zwischen Stadt und Erzbischof, die Hinterlassenschaften der getöteten Juden zu gleichen Teilen untereinander aufzuteilen, schwingt mit, dass Interessen finanzieller Natur bei diesem Pogrom sicherlich eine große Rolle gespielt haben. Den Juden wurde es also zum Verhängnis, dass sie seit dem frühen 14. Jahrhundert keinen grundsätzlichen rechtlichen Anspruch auf Schutz mehr hatten, sondern nur von ihren jeweiligen Herren abhängig waren.[27]
Zwei Ereignisse stehen zudem unter Verdacht weitere Ursachen der Pogrome zu sein, der Ausbruch der Pest in Europa und das Aufkommen der Geißler-Bewegung. Da die Pogrome, die die Juden zur Mitte des 14. Jahrhunderts trafen sich, ebenso wie die Pest von Süden nach Norden ausbreiteten ist ein Zusammenhang trotz der Tatsache, dass die Pogromwellen der Pest stets vorausgingen, zu vermuten. Dabei waren die Pogrome wohl eine Folge, von sich ausbreitenden Gerüchten, die Juden wären durch Brunnenvergiftungen verantwortlich für das massenhafte Sterben in südlicheren Gebieten.[28] Bei der Geißler-Bewegung scheint tatsächlich nur ein zeitlicher Zusammenhang zu den Pogromen vorzuliegen. Denn aus zeitgenössischen Quellen ist keine antijüdische Ausrichtung der Geißler erkennbar und auch die Tatsache, dass die Geißler, wie beispielsweise in Würzburg[29], erst nach den Pogromen in der Stadt nachweisbar sind, spricht gegen einen kausalen Zusammenhang.[30]
Zur Frage der Täter, die für den Pogrom verantwortlich waren lässt sich nur soviel sagen, dass der Stadtrat, auf Grund von Forderungen auswärtiger Schuldner der Kölner Juden nach Rückgabe ihrer Pfänder, ein großes Interesse daran gehabt haben musste, die Schuld für den Pogrom ebenfalls in Auswärtigen zu sehen. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache ist dann auch die gemeinsame Verlautbarung von Stadt und Erzbischof zu deuten, dass es sich bei den Tätern um einen „Haufen Auswärtiger und einigen Kölner Habenichtsen“ [31] gehandelt hat.
[...]
[1] Siehe dazu S. 6.
[2] Freiburg 1401; Speyer 1405; Trier 1418; Mainz 1420.
[3] Von den Brincken: Rechtfertigungsschreiben.
[4] Wenninger: Man bedarf keiner Juden mehr.
[5] Roth: Geschichte der jüdischen Gemeinden, S. 60.
[6] Schmandt: Judei, cives et incole, S.11.
[7] Wenninger: Man bedarf keiner Juden mehr, S. 18f.
[8] Schmandt: Judei, cives et incole, S.12f.
[9] Wenninger: Man bedarf keiner Juden mehr, S. 19.
[10] Schmandt: Judei, cives et incole, S.14.
[11] Kober: Köln, S. 420.
[12] Ebd.
[13] Wenninger: Man bedarf keiner Juden mehr, S. 24.
[14] Kober: Köln, S. 421.
[15] Ebd. S. 22.
[16] „Und der HERR sprach zu ihr: Zwei Völker sind in deinem Leibe, und zweierlei Leute werden sich scheiden aus deinem Leibe; und ein Volk wird dem andern Überlegen sein, und der Ältere wird dem Jüngeren dienen.“
[17] Wenninger: Man bedarf keiner Juden mehr, S. 21.
[18] Schmandt: Judei, cives et incole, S. 37.
[19] Wenninger: Man bedarf keiner Juden mehr, S. 23.
[20] Kober: Köln, S. 424.
[21] Schmandt: Judei, cives et incole, S. 26f.
[22] Kober: Köln, S. 425.
[23] Ebd. S. 426.
[24] Das Privileg der Juden, dass auch Auseinandersetzungen mit Christen vor einem rabbinischen Gericht verhandelt werden konnten, wurde in Frage gestellt. In der Schutzzusage vom 22. Januar 1327 ist festgehalten, dass sowohl Leben als auch Besitz der Kölner Juden einer Bedrohung ausgesetzt ist. Die ausdrückliche Aufforderung den Juden auch Freitags Nahrungsmittel zu verkaufen, die im Schutzbrief von 1342 auftaucht, kann als Anzeichen dafür gesehen werden, dass Juden in mehreren Fällen zum Fasten gezwungen worden sind.
[25] Schmandt: Judei, cives et incole, S. 85.
[26] Wenninger: Man bedarf keiner Juden mehr, S. 27.
[27] Ebd. S. 24.
[28] Schmandt: Judei, cives et incole, S. 89f.
[29] Der Pogrom vom 20. auf den 21. April 1349 fand mindestens zehn Tage vor dem Auftauchen der Geißler statt.
[30] Haverkamp: Die Judenverfolgung, S. 44.
[31] Schmandt: Judei, cives et incole, S. 92.