In der Sprachgeschichte des Russischen gibt es seit dem 17. Jahrhundert viele Hinweise auf Einflüsse aus westeuropäischen Sprachen, die sich in der Erscheinung von stilistischen, syntaktischen und vor allem lexikalischen Elementen äußern. Die Mittel und Erklärungen für die in jeder modernen Fremdsprache ständig stattfindenden Veränderungen der Lexik finden wir auf dem Gebiet der Wortbildung. Dafür lohnt es sich, zunächst die Einordnung der Wortbildung ins Sprachsystem und ihre Verbindung zur Morphologie zu betrachten.
Der Hauptteil dieser Arbeit ist der Wortbildungssemantik der desubstantivischen Verben gewidmet. Grundlage bietet dabei eine Veröffentlichung zum diesem Thema von H.B. Song aus dem Jahr 1997. Aufgrund der Komplexität und Vielfalt aller dabei auftretenden Suffixe sollen hier exemplarisch die desubstantivischen Verben auf –овать vorgestellt werden. Dabei geht es in diesem Zusammenhang vor allem die Wechselbeziehung zwischen motivierenden und motivierten Wörtern, sowie die Bedeutungsunterschiede der entstehenden Verben. Im dritten Teil folgt eine Untersuchung von -ова- und seinen verschiedenen Suffix¬varianten in den einzelnen Perioden der russischen Nationalsprache und der russischen Sprache der Gegenwart. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Lehnwörtern aus dem Deutschen, die als Basis der Motivation die russische Sprache vielfältig beeinflusst haben. Ausgehend von diesen Betrachtungen soll abschließend herausgefunden werden, ob es sich bei der Wortbildungssemantik von desubstantivischen Verben um ein gutes Beispiel für produktive Wortbildung handelt.
Inhaltsverzeichnis
1. Wortbildung im Sprachsystem
2. Charakteristika desubstantivischer Verben
3. Semantik der Verben auf – овать mit Substantiven als Basis der Motivation
3. 1 Verben mit dem Suffix -ова-
3.2 Verben mit dem Suffix - ирова-
3.3 Verben mit dem Suffix - изирова-/- изова-
4. Diachrone Entwicklung der Verben mit dem Suffix - ова-
5. Schlussbemerkung
Quellenangaben
Einleitung
In der Sprachgeschichte des Russischen gibt es seit dem 17. Jahrhundert viele Hinweise auf Einflüsse aus westeuropäischen Sprachen, die sich in der Erscheinung von stilistischen, syntaktischen und vor allem lexikalischen Elementenäußern. Die Mittel und Erklärungen für die in jeder modernen Fremdsprache ständig stattfindenden Veränderungen der Lexik finden wir auf dem Gebiet der Wortbildung. Dafür lohnt es sich, zunächst die Einordnung der Wortbildung ins Sprachsystem und ihre Verbindung zur Morphologie zu betrachten.
Der Hauptteil dieser Arbeit ist der Wortbildungssemantik der desubstantivischen Verben gewidmet. Grundlage bietet dabei eine Veröffentlichung zum diesem Thema von H.B. Song aus dem Jahr 1997. Aufgrund der Komplexität und Vielfalt aller dabei auftretenden Suffixe sollen hier exemplarisch die desubstantivischen Verben auf – овать vorgestellt werden. Dabei geht es in diesem Zusammenhang vor allem die Wechselbeziehung zwischen motivierenden und motivierten Wörtern, sowie die Bedeutungsunterschiede der entstehenden Verben.
Im dritten Teil folgt eine Untersuchung von - ова- und seinen verschiedenen Suffixvarianten in den einzelnen Perioden der russischen Nationalsprache und der russischen Sprache der Gegenwart. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Lehnwörtern aus dem Deutschen, die als Basis der Motivation die russische Sprache vielfältig beeinflusst haben.
Ausgehend von diesen Betrachtungen soll abschließend herausgefunden werden, ob es sich bei der Wortbildungssemantik von desubstantivischen Verben um ein gutes Beispiel für produktive Wortbildung handelt.
1. Wortbildung im Sprachsystem
Zur Untersuchung der Stellung der Wortbildung im Sprachsystem gibt es verschiedene Ansätze, die es lohnt in Kürze in Erinnerung zu rufen.
Im 19. Jahrhundert gingen die russischen Sprachwissenschaftler, wie z.B. M.V. Lomonosov, davon aus, dass es sich bei der Wortbildung um ein Teilgebiet der Morphologie handelt, die wiederum der Grammatik zugeordnet werden kann. Von diesem Verständnis ausgehend wurde die Bildung von Wörtern in enger Verbindung mit der Morphologie und der Lexik untersucht (vgl. Nikolaev 2000, S.13). Diese Auffassung kann sogar weiter spezialisiert werden, indem
„die Wortbildung als Hauptquelle der Ergänzung des Wortschatzes einer Sprache erscheint und die Wortbildungsmorpheme […] einen Bestandteil des Wortstammes, der die lexikalische Bedeutung des Wortes konstituiert, bilden“ (ebd. S.14).
Bei diesem Konzept handelt es sich um eine Reaktion auf die Entwicklung des im 20. Jahrhundert weit verbreiteten Standpunkts, dass die Wortbildung als eine „selbstständige Ebene des Sprachsystems“ (ebd., S.14) gesehen werden kann. Dabei stützt sich z.B. V.N. Nemčenko (vgl. ebd. S. 14f) darauf, dass diese Ebene durch „spezifische Wortbildungseinheiten, die keine Beziehungen zu anderen Bereichen der Sprachstruktur unterhalten“ (Nemčenko 1984, zit. in: Nikolaev 2000, S. 14 f) charakterisiert wird.
Während es hier um die Selbstständigkeit der Wortbildung als eigene Sprachebene geht, gibt es mit Herausbildung der Derivatologie aktuell eine weitere Forschungsrichtung, welche versucht, die einzelnen Sprachebenen miteinander zu verbinden. In diesem Zusammenhang wird die Wortbildung als ein „Derivationssystem der Lexik“ (vgl. Nikolaev 2000, S.15f) gesehen und in allen lexikalischen Erscheinungen lässt sich der Wortbildungsaspekt finden, welcher eine Sprache lebendig hält.
Für den russischen Begriff der Wortbildung ( словообразование) finden sich bei I. S. Uluchanov drei Bedeutungen:
1) der Wortbildungsprozess „eines Wortes von einem anderen wurzelgleichen Wort“ (Uluchanov 2000, S. 11);
2) die Beschreibung einer Ebene im Sprachsystem, welche die motivierten Wörter umfasst, die sich wiederum verschiedenen Gruppen (Wortbildungsarten, -ketten, -nestern etc.) zuordnen lassen (vgl. ebd., S.11), sowie
3) die Untersuchung der Bildung und Struktur von Wörtern als eine „Disziplin der Sprachwissenschaft“ (ebd. S.11f).
Der Prozess der Wortbildung spielt eine wichtige Rolle für die Ergänzung des Wortschatzes einer Sprache. Es handelt sich um eine sprachwissenschaftliche Disziplin, die synchron als auch diachron betrachtet werden kann. Die synchrone Wortbildung untersucht die Struktur motivierter Wörter in einer bestimmen Sprachepoche, die diachrone zeigt die geschichtliche Untersuchung eines Wortes im Verlauf mehrerer Epochen bis hin zur Gegenwart.
Es gibt verschiedene Wortbildungsverfahren. Entscheidend für die nachfolgende Untersuchung ist die Derivation. Dabei erfolgt die Bildung eines neuen Wortes durch die Veränderung der morphologischen Struktur eines bereits existierenden Wortes. Das dabei entstehende Derivat besteht aus einem Kernmorphem, mindestens einem Wortbildungsmorphem (z.B. einem Suffix) und, im Fall der russischen Verben, einem Flexionsmorphem. Außerdem relevant ist die onomasiologische Kategorie der Transposition, d.h. eines Wortartwechsels mit der „Beibehaltung der lexikalischen Bedeutung des motivierenden Wortes“ (Bruns 2007, S.103).
2. Charakteristika desubstantivischer Verben
Wie alle Verben beschreiben die desubstantivischen Verben die Prozesshaftigkeit von Handlungen, welche durch Tätigkeiten, Vorgänge oder Zustände zum Ausdruck gebracht werden. Verben gehören im Russischen zu den flektierbaren Wortarten und können fünf verschiedene morphologische Formen bilden: Aspekt, Genus verbi, Modus, Tempus und Person. Außerdem lassen sich bei einem Teil der Verbalformen Numerus und Genus untersuchen. V.V. Vinogradov unterscheidet bei der Wortbildung von russischen Verben zwei Typen (vgl. Vinogradov 1972, S. 345): eine Wortbildung mit Suffixen, häufig auf der Grundlage von Substantiven, Adjektiven oder Zahlwörtern und eine „innerverbale“ (внутриглагольное) Art, bei der Präfixe, manchmal auch in Kombination mit Suffixen, zur Erweiterung bereits vorhandener Verben führen.
Bei der Wortbildung desubstantivischer Verben handelt es sich um den ersten dieser beiden Typen und es können die Suffixe - и-, - е- /- ене-, - а-, - ова-, - нича - oder - ствова- auftreten. Wie die Bezeichnung schon verrät, werden alle desubstantivischen Verben bei der Wortbildung von einem Substantiv motiviert.
3. Semantik der Verben auf – овать mit Substantiven als Basis der Motivation
Als Gegenstand dieser Arbeit soll exemplarisch die Untersuchung des Suffixes - ова- mit seinen Varianten - ирова-, - изирова- und - изова- vorgenommen werden.
Charakteristisch für diese Art von Verben ist eine Ableitung von einfachen und seltener von bereits abgeleiteten Substantiven. Viele motivierende Wörter für desubstantivische Verben haben einen fremdsprachlichen Ursprung und bezeichnen Vorgänge in wissenschaftlichem, gesellschaftlichem oder technischem Bereich. Die dabei verwendeten Suffixe erfüllen in vielen Fällen die Funktion der Anpassung fremdsprachlicher Substantive an russische Verben:
штурм > штурмовать (dt. Sturmangriff > stürmen)
философия > филосовствовать (gr. Philosophie > philosophieren)
Häufig entsteht durch den Einfluss des desubstantivischen Verbs als letztes Derivat in der wortbildenden Reihe nach dem Prinzip „Substantiv > Verb > Substantiv“ ein weiteres Substantiv, das sich in seiner Bedeutung vom motivierenden Substantiv unterscheidet:
мотив > мотивировать> мотивирование
3. 1 Verben mit dem Suffix -ова-
Seinen Ursprung hat das Suffix - ова- im Altslavischen. Durch Einfluss der polnischen Sprache, in der das verbale Suffix -owa- (in Verben auf –ować) vorkommt, wurde es Anfang des 18. Jahrhunderts zusammen mit anderen sprachlichen Phänomenen auch in die russische Spracheübernommen: « ещё при Петре Великом к нам входили слова из Польши» (Grot 1899, zit. in Avilova 1967, S.26 ).
Song unterteilt die Verben mit dem Suffix - ова- in acht verschiedene Gruppen, bei denen es teilweise nochmals Unterkategorien gibt:
I) Personen
Verben, die durch Personen bezeichnende Substantive motiviert werden, haben allgemein die Bedeutung „eine Handlung ausführen, die für die Person, die durch das motivierende Substantiv bezeichnet wird, charakteristisch ist“ (Song 1997, S.61). Unterschieden wird zwischen Berufen, Personen mit einer Qualität oder einem Rang und Nationalitäten. Die Personenbezeichnungen mit einer Qualitätscharakteristik beschreiben häufig negative Sachverhalte, wie z.B. вор > воровать (stehlen) oder дезертир > дезертировать (desertieren). Verben, die im Zusammenhang mit einer Nationalität stehen, gelten heutzutage als veraltet oder sind Teil der Umgangssprache: казак > казаковать (Kosak sein).
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