‚Refugees welcome‘, ‚Ehe für alle‘, ‚Gender Pay Gap‘ sind nur drei von vielen Schlagwörtern, welche derzeit die Titelblätter der Tageszeitungen füllen und kontrovers in unserer Gesellschaft diskutiert werden. Bei all diesen Themen handelt es um Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft und Diskriminierung und Ausschluss von Minderheiten.
Nach Nancy Fraser und Axel Honneth lassen sich diese Probleme durch Anerkennung und Umverteilung lösen. Dabei fordert Honneth die Anerkennung jedes Individuums von der Gesellschaft in drei Feldern um somit eine bessere Gesellschaft zu erhalten: Liebe, Recht und Solidarität. Eine ökonomische Umverteilung der Güter sieht er nicht für notwendig an, da bei ausreichender Anerkennung jedes Einzelnen eine Umverteilung automatisch vonstattengehen würde. Fraser hingegen fordert den Dualismus aus Umverteilung und Anerkennung: Eine alleinige Anerkennung reiche nicht aus, weil sich dann ökonomische Unterschiede nicht verbessern würden und diskriminierte Gesellschaftsschichten immer noch nicht frei von Unterdrückung leben könnten.
Diese Seminararbeit soll die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Gesellschaftstheorien von Nancy Fraser und Axel Honneth darstellen. Fraser und Honneth sind beide Anhänger der „Kritischen Theorie“ (auch Frankfurter Schule genannt) und möchten mit ihren Gesellschaftstheorien Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen innerhalb der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft aufzeigen. Dafür werden zuerst die Theorien Axel Honneths und Nancy Frasers dargestellt und am Ende miteinander verglichen.
Inhalt
1 Einleitung
2 Honneth
2.1 Liebe
2.2 Recht
2.3 Solidarität
3 Fraser
3.1 Gesellschaftstheorie
3.2 Politische Theorie
4 Vergleich / Unterschiede
5 Fazit
6 Literatur
1 Einleitung
‚Refugees welcome‘, ‚Ehe für alle‘, ‚Gender Pay Gap‘ sind nur drei von vielen Schlagwörtern, welche derzeit die Titelblätter der Tageszeitungen füllen und kontrovers in unserer Gesellschaft diskutiert werden. Bei all diesen Themen handelt es um Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft und Diskriminierung und Ausschluss von Minderheiten.
Nach Nancy Fraser und Axel Honneth lassen sich diese Probleme durch Anerkennung und Umverteilung lösen. Dabei fordert Honneth die Anerkennung jedes Individuums von der Gesellschaft in drei Feldern um somit eine bessere Gesellschaft zu erhalten: Liebe, Recht und Solidarität. Eineökonomische Umverteilung der Güter sieht er nicht für notwendig an, da bei ausreichender Anerkennung jedes Einzelnen eine Umverteilung automatisch vonstattengehen würde. Fraser hingegen fordert den Dualismus aus Umverteilung und Anerkennung: Eine alleinige Anerkennung reiche nicht aus, weil sich dannökonomische Unterschiede nicht verbessern würden und diskriminierte Gesellschaftsschichten immer noch nicht frei von Unterdrückung leben könnten.
Diese Seminararbeit soll die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Gesellschaftstheorien von Nancy Fraser und Axel Honneth darstellen. Fraser und Honneth sind beide Anhänger der „Kritischen Theorie“ (auch Frankfurter Schule genannt) und möchten mit ihren Gesellschaftstheorien Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen innerhalb der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft aufzeigen. Dafür werden zuerst die Theorien Axel Honneths und Nancy Frasers dargestellt und am Ende miteinander verglichen.
Hinweis für Leserinnen und Leser:
Um den Lesefluss der Arbeit zu verbessern, haben wir uns entschlossen, uns im kompletten Text häufig auf eine Form – meist die männliche – zu beschränken. Selbstverständlich ist die weibliche bzw. männliche Form gedanklich immer mit einzubeziehen.
2 Honneth
Axel Honneth (geb. 1949 in Essen) ist ein deutscher Sozialphilosoph, welcher 1992 mit seinem Buch „ Kampf um Anerkennung“ seine Anerkennungstheorie begründete. Seine Anerkennungstheorie führt er in erster Linie auf Georg Wilhelm Friedrich Hegels Werk Phänomenologie des Geistes (1807) zurück sowie dem symbolischen Interaktionismus des amerikanischen Sozialpsychologen und Pragmatiker George Herbert Mead, weshalb sich Honneth häufig auf beide bezieht. Hegel beschreibt in seinem Werk, dass der Mensch sich nach Anerkennung sehnt und sich selbst nicht nurüber sein Bewusstsein definieren kann, sondern die Anerkennung von Anderen zur Definition seines Selbst benötigt. Dementsprechend benötigt er andere Menschen um sein Selbstbewusstsein zu erzeugen und aufrecht zu erhalten. So möchte jeder Mensch, dass der einzelne Wert seiner Person von allen, allgemein anerkannt wird.
Mit seiner Anerkennungstheorie möchte Honneth erklären, wie es in einer Gesellschaft zu sozialen Missständen und Unrechtserfahrungen kommen kann. Die fehlende Anerkennung, welche ein Subjekt erlebt, lässt soziale Konflikte, sowie Kämpfe um Gerechtigkeitüberhaupt erst entstehen. „Die Anerkennungsbegrifflichkeit ist heute von zentraler Bedeutung nicht deswegen, weil sie die Zielsetzung eines neuen Typus von sozialen Bewegungen zum Ausdruck bringt, sondern weil sie sich als das angemessene Mittel erwiesen hat, um soziale Unrechterfahrungen im Ganzen kategorial zu entschlüsseln (Fraser / Honneth 2003).“
Auchökonomische Ungleichheiten zwischen Beschäftigten werden mit fehlender Anerkennung der Arbeitskraft von Seiten des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer begründet. Nach Honneths Anerkennungstheorie hat dies zufolge, dass automatisch bei einem gesellschaftlichen Wandel zu mehr Anerkennung des Einzelnen eine Umverteilung der Güter stattfindet.
Nach Honneth existieren drei Formen von Anerkennung: Liebe, Recht und Solidarität. Diese werden samt Fallbeispielen in den nächsten Kapiteln erläutert.
2.1 Liebe
Honneth spricht bei dem Anerkennungsfeld der Liebe von allen Primärbeziehungen. Dazu gehören beispielsweise Eltern-Kind-Beziehungen, erotische Zweierbeziehungen und Freundschaften mit starken Gefühlsbindungen. Jedoch geht Honneth fast ausschließlich auf die Mutter-Kind-Beziehung ein um das Anerkennungsfeld der Liebe zu erläutern. Honneth folgt Hegels erster Stufe der reziproken Anerkennung der Liebe, weil sie „sich in ihrem Vollzug die Subjekte wechselseitig in ihrer konkreten Bedürfnisnatur bestätigen und damit als bedürftige Wesen anerkennen“ (Honneth 1994:153). Um dieses Anerkennungsfeld alsoüberhaupt bedienen zu können benötigt es die leibhaftige Existenz anderer. So beschreibt Hegel sie als „Seinselbstsein in einem Fremden“ (Hegel 1802:17) und damit als Gleichgewicht zwischen Selbstständigkeit und der Bindung zum Anderen. Das Anerkennungsfeld der Liebe wird nach Honneth durch die Mutter-Kind-Beziehung im Babyalter jedes Einzelnen aufgebaut. So zeigte Réne Spitz in seiner Studie Vom Säugling zum Kleinkind, dass „der Entzug mütterlicher Zuwendung zu schweren Störungen im Verhalten des Säuglings führt, wenn ansonsten die Befriedigung all seiner körperlichen Bedürfnisse sichergestellt ist.“
Donald Winnicott benennt in seiner Studie „Von der Abhängigkeit und Unabhängigkeit in der Entwicklung des Individuums“ die erste Phase direkt nach der Geburt zwischen Mutter und Kind als „absolute Abhängigkeit“. In dieser Phase sehen sich das neugeborene Kind und die Mutter als eine Einheit und sind zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse vollkommen aufeinander angewiesen. Das Neugeborene sowieso umüberlebensnotwendige Grundbedürfnisse zu stillen, die Mutter dagegen insofern, dass sie jegliche Mängel, welche der Säugling erfährt, als ihre eigenen wahrnimmt. Diese erste Phase endet dann damit, dass die Mutter wieder mehr Zeit anderen Dingen widmet und dem Kind immer größer-werdende Abstinenz gegenüber zeigt. In dieser Phase der „relativen Abhängigkeit“ begreift das Kleinkind zum ersten Mal, dass es ein Teil seiner Umwelt und nicht omnipotent ist. So beginnt nach Winnicott das Kind seine Mutter mit Bissen und Schlägen zu attackieren um die Mutter als eigenständiges Objekt und damit auch sich selbst in der Umwelt wahrzunehmen. Indem die Mutter die Attacken ihres Babys aushält und diese ihr zu widerlaufen, bemerkt sie dadurch, dass diese von einem eigenständigen Objekt, welches eigene Wünsche hegt, ausgehen und diese sich von ihren unterscheiden. Dieser Entgrenzungsmechanismus lässt das Liebesbedürfnis zwischen zwei Menschen entstehen und stellt für Mutter und Kind dar, dass sie verschieden sind und den jeweils anderen brauchen um dieses Bedürfnis zu stillen. Nur wenn sich jetzt das Kindüber die Liebe seiner Mutter bewusst ist, kann es sich auf eigene Impulse konzentrieren und ist „fähig zum Alleinsein“ ohne die Angst zu haben von der Mutter verlassen zu werden. Dieses Vertrauen in die mütterliche Liebe erlaubt es dem Kind sich selbst zu mögen und ein Selbstbewusstsein aufzubauen.
So führt Honneth alle Liebesbeziehungen auf die Situation zurück in der das Baby der Liebe seiner Mutter gewiss ist. Demzufolge möchte jeder Mensch jederzeit die Gewissheit haben von anderen Personen bedingungslos gemocht zu werden. Dieser Akt der Entgrenzung und des Vertrauens kann verschiedene Gestalten annehmen. In Freundschaften sind es gemeinsame Erlebnisse und völlig freie Verhaltensweisen, in „erotischen Beziehungen ist es die sexuelle Vereinigung, durch die der eine sich mit dem anderen differenzlos versöhnt weiß“ (Honneth 1994:170).
Jessica Benjamin untermauert die These der wechselseitigen Anerkennung indem sie die Ursachen für die Sexualpraktiken „Masochismus“ und „Sadismus“ als Störung des Ablöseverhaltens zwischen Kind und Mutter darstellt. So hätte sich das Kind nicht aus der omnipotenten Phase oder der symbiotischen Abhängigkeit zur Mutter befreien können und muss diese Phase im Erwachsenenalter als Sexualtrieb durchleben (Benjamin 1988:53).
Heutzutage nutzen immer mehr Menschen Datingportale wie Tinder oder OkCupid um ihre Anerkennung nach Liebe erfüllen zu können. Dabei haben amerikanische Wissenschaftlicher herausgefunden, dass die Nutzerinnen und Nutzer – besonders Männer - dieser Portale ein deutlich niedrigeres Selbstwertgefühl haben. Dies kann zumindest teilweise auf fehlende Anerkennung des Liebesbedürfnisses zurückgeführt werden, nach welchem die User streben. Gerade Männer finden unwahrscheinlicher auf diesen Portalen Partner, was eine schlechte Selbstwahrnehmung zur Folge hat (Strubel 2016).
2.2 Recht
Honneth bezieht sich in Bezug auf das Anerkennungsfeld des Rechts erneut auf Hegel. Nach diesem kann jeder Träger des Rechts seine Rechte nur dann wahrnehmen, wenn er die normativen Verpflichtungen dem Anderen gegenüber kennt. Aus der Sicht des „generalisierten Anderen“ kann er dann wieder zurück zu sich blicken und erkennen, wenn der Andere seine Verpflichtungen nicht einhält und an dieser Stelle seine Rechte einfordern. Nach Jürgen Habermas soll Recht „als Ausdruck der verallgemeinerbaren Interessen aller Gesellschaftsmitglieder verstanden werden können, so dass es seinem Anspruch nach keine Ausnahmen und Privilegierungen mehr zulassen darf.“(Habermas 1976:260) Nach Honneth wandert in dieses Rechts-Anerkennungsverhältnis eine starke Reziprozität herein, da sich die Rechtssubjekte gegenseitig als Personen anerkennen, weil jeder die individuelle Autonomie besitztüber moralische Normen vernünftig zu entscheiden (Honneth 1994: 177).
Weiter ist Honneth der Begriff der „Achtung“ bei der Anerkennung des Rechts wichtig. Dieser wurde von Rudolf von Ihering eingeführt und unterscheidet zwischen rechtlicher Anerkennung und sozialer Achtung. Bei der rechtlichen Anerkennung wird verkörpert, dass jede menschliche Existenz als Zweck an sich gelten muss; bei der sozialen Achtung hingegen wird der „Wert“ jedes einzelnen Individuums in den Vordergrund gestellt. So macht die rechtliche Anerkennung alle Menschen vom Gesetz her gleich, die soziale Achtung betont die individuellen Eigenschaften jedes Einzelnen und seinen Charakter.
Recht bedeutet nach Honneth heutzutage nicht nur sich gegenseitig an moralischen Normen orientieren zu können, sondern auch den dafür nötigen Lebensstandard garantiert zu bekommen um als Subjekt rechtlich geachtet zu werden. Dabei soll es Aufgabe der Rechtsentwicklung sein den Gleichheitsgrundsatz mit mehr Befugnissen auszustatten - also jedem Menschen gleiche Chancen zu gewährleisten, aber auch immer mehr Gesellschaftsmitglieder in das Rechtssystem einzugliedern, welche bisher teilweise oder ganz ausgeschlossen waren.
Hier kommt Honneth auf die Wichtigkeit der Anerkennung des Rechts, da Subjekte darunter leiden würden, wenn sie aus Rechtssystem ausgeschlossen also nicht anerkannt werden. Nach Honneth kann man nämlich „Selbstachtung“ nur bilden, wenn man als rechtsfähige Person anerkannt wird. Dies liegt darin begründet, dass man mit seinem Recht individuelle, sozial-akzeptierte Ansprüche an die Gesellschaft stellen und durchsetzen darf, man dabei aber die Sicherheit genießt dafür nicht von anderen verachtet zu werden.
Leider fehlt es an Honneths These an empirischen Belegen, weshalb er auf die Fälle verweist in denen gesellschaftliche Gruppen von Rechten ausgeschlossen wurden und psychisch stark darunter gelitten haben. Dabei denkt Honneth insbesondere an die rechtliche Unterprivilegierung der schwarzen Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre, welche allein durch fehlendes Recht unter Schamgefühlen zu leiden hatte (Honneth 1994: 195).
Ein weiteres Fallbeispiel ist die Ehe von Homosexuellen (genannt „Ehe für Alle“) seit dem 1. Oktober 2017 in Deutschland. Erst seit diesem Tag sind homosexuelle Ehen möglich und somit rechtlich gänzlich heterosexuellen Ehen gleichgestellt. Vorher konnten homosexuelle Lebenspartnerschaften beispielsweise keine Kinder adoptieren und wurden steuerrechtlich diskriminiert. Durch die rechtliche Gleichstellung erhielten diese also eine erhöhte Anerkennung ihres Rechts und können jetzt mit mehr Selbstachtung leben (Tagesschau 2017).
2.3 Solidarität
Nach Honneth benötigt man die Anerkennungsform der Solidarität bzw. der sozialen Wertschätzung um ein Selbstwertgefühl aufzubauen. Diese erhält man, indem man sich von der Gesellschaft als wertgeschätzt fühlt.
Hegel hat diese Anerkennungsformüber den Begriff der „Sittlichkeit“ erklären wollen, während Mead diesüber das Modell der kooperativen Arbeitsteilung darstellt. Die Anerkennungsform benötigt laut Honneth einen intersubjektiv geteilten Wertehorizont, da sich zwei Menschen gegenseitig nur wertschätzen könnten, wenn sieähnliche Werte und Ziele teilen.
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