Für Kant ist das Reich der Zwecke ein „sehr fruchtbarer Begriff“, doch wie hat er sich dieses Reich vorgestellt und inwiefern passt dieses Ideenkonstrukt zu seinem Aufsatz „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“? Danach drängt sich noch die Frage auf, ob das Reich der Zwecke als Endziel der Menschheit von Kant gedacht ist. Darüber hinaus wird überlegt, ob und wie so ein Reich in der heutigen Gesellschaft denkbar und möglich ist. Wenn ja, in welchem Maße und auf welche Ebene ist diese beinahe utopische Vorstellung realistisch.
Für das Verständnis wäre es erst einmal hilfreich, sich den Kontext der Textgrundlage zu vergegenwärtigen. Dazu muss gesagt werden, dass wir uns bei der Vorstellung des Reichs der Zwecke überwiegend auf die "Grundlegung der Metaphysik der Sitten" beschränken, obwohl Kant diesen Begriff auch in seinen anderen Werken erwähnt. Eine vollständige Erfassung des Begriffes von allen Werken Kants würde den Rahmen der Hausarbeit sprengen. Kant führt die Idee des Reichs der Zwecke nach Erläuterung der Selbstzweckformel und der Autonomie des Willens in der Grundlegung ein. Nachdem er unterschiedliche Kategorien der Pflichten darstellt, begründet er sein nächstes Vorhaben und die Relevanz des neuen Themas, nämlich die Autonomie des Willens. Die Existenz von praktischen kategorischen Sätzen ist zwar nicht beweisbar, aber die Tatsache, dass das Unterscheidungsmerkmal zwischen dem kategorischen und hypothetischen Imperativ, „in dem Imperativ selbst, durch irgend eine Bestimmung“ angedeutet ist. Dieser Beweis konnte jedoch nur mit Hilfe der Idee des allgemein gesetzgebenden Willens zur Stande kommen. In diesem Zusammenhang stellt Kant also den autonomen Willen vor. Der Wille beugt sich nur Gesetzen, die er sich selbst gibt und ist objektiv und frei von jeglichen Neigungen. Somit sind die Gesetze, die er aufstellt allgemeingültige Gebote. Gerade diese Eigenschaften des Willens ermöglichen uns, unsere Handlungen zu beurteilen. An dieser Stelle leitet Kant den Begriff des Reichs der Zwecke zum ersten Mal in der Grundlegung ein. Mit dessen Erläuterung endet der erste Abschnitt. In den folgenden Abschnitten widmet sich Kant wieder dem übergeordneten Ziel seines Werkes, nämlich die Bestimmung des oberen Prinzips der Sittlichkeit.
Gliederung
Einleitung
Das Reich der Zwecke
Endzweck der Menschheit
Reich der Zwecke als Endziel der Menschheit?
Das Reich der Zwecke - eine Utopie?
Fazit
Einleitung
Für Kant ist das Reich der Zwecke ein „sehr fruchtbarer Begriff“[1], doch wie hat er sich dieses Reich vorgestellt und inwiefern passt dieses Ideenkonstrukt zu seinem Aufsatz „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“? Danach drängt sich noch die Frage auf, ob das Reich der Zwecke als Endziel der Menschheit von Kant gedacht ist. Darüber hinaus wird überlegt, ob und wie so ein Reich in der heutigen Gesellschaft denkbar und möglich ist. Wenn ja, in welchem Maße und auf welche Ebene ist diese beinahe utopische Vorstellung realistisch.
An dieser Stelle mag der Leser rätseln, warum sich diese Frage stellt und wieso sie überhaupt interessant ist. Nun, das lässt sich einfach beantworten: Kants Idee des Reichs der Zwecke hat die Aufmerksamkeit von vielen Forscher und Philosophen auf sich gezogen und es wurde viel darüber geschrieben, gerätselt und diskutiert, weil dieser Begriff schon beim ersten Auftauchen dem Leser äußerst interessant, aber nicht weniger eigenartig und fremd erscheint. Doch diese einzigartige Idee Kants wurde bisher selten mit der Idee des Endzwecks der Menschheit in Verbindung gesetzt. Ziel dieser Hausarbeit ist die Verknüpfung zweier, auf den ersten Blick scheinbar unterschiedliche Ideen.
Für das Verständnis wäre es erst einmal hilfreich sich den Kontext der Textgrundlage zu vergegenwärtigen. Dazu muss gesagt werden, dass wir uns bei der Vorstellung des Reichs der Zwecke überwiegend auf die Grundlegung der Metaphysik der Sitten beschränken, obwohl Kant diesen Begriff auch in seinen anderen Werken erwähnt. Eine vollständige Erfassung des Begriffes von allen Werken Kants würde den Rahmen der Hausarbeit sprengen. Kant führt die Idee des Reichs der Zwecke nach Erläuterung der Selbstzweckformel und der Autonomie des Willens in der Grundlegung ein.[2] Nachdem er unterschiedliche Kategorien der Pflichten darstellt, begründet er sein nächstes Vorhaben und die Relevanz des neuen Themas, nämlich die Autonomie des Willens.[3] Die Existenz von praktischen kategorischen Sätzen ist zwar nicht beweisbar, aber die Tatsache, dass das Unterscheidungsmerkmal zwischen dem kategorischen und hypothetischen Imperativ, „in dem Imperativ selbst, durch irgend eine Bestimmung“ angedeutet ist.[4] Dieser Beweis konnte jedoch nur mit Hilfe der Idee des allgemein gesetzgebenden Willens zur Stande kommen.[5] In diesem Zusammenhang stellt Kant also den autonomen Willen vor. Der Wille beugt sich nur Gesetzen, die er sich selbst gibt und ist objektiv und frei von jeglichen Neigungen. Somit sind die Gesetze, die er aufstellt allgemeingültige Gebote. Gerade diese Eigenschaften des Willens ermöglichen uns, unsere Handlungen zu beurteilen. An dieser Stelle leitet Kant den Begriff des Reichs der Zwecke zum ersten Mal in der Grundlegung ein. Mit dessen Erläuterung endet der erste Abschnitt. In den folgenden Abschnitten widmet sich Kant wieder dem übergeordneten Ziel seines Werkes, nämlich die Bestimmung des oberen Prinzips der Sittlichkeit.[6]
Das Reich der Zwecke
Zunächst beschäftigen uns drei Fragen: Was ist es? Wodurch ist es möglich? Und was beinhaltet es? Das Reich der Zwecke ist ein Ideal, das noch nicht existiert, aber existieren könnte und sollte.[7] Kant definiert das Reich als die systematische Verknüpfung aller Zwecke und verschiedener vernünftiger Wesen durch gemeinschaftlich objektive Gesetze.[8] Wobei unter Kants Wortwahl „Zweck“ keineswegs eigennützige private Ziele zu verstehen sind, sondern Maximen, die von allgemeingültigen Gesetzen bestimmt werden. Da das Reich noch nicht Wirklichkeit ist, stellt sich schon die zweite Frage: Unter welchen Umständen kann es überhaupt möglich werden? Das Reich der Zwecke kann nur durch Freiheit des Willens, Moralität und Gesetzmäßigkeit entstehen und das auch nur dann, wenn sich alle autonomen Mitglieder als Zweck an sich ausnahmslos daran halten.[9] Womit wir schon beim nächsten Punkt wären: Ein Glied des Reichs muss sich selbst in jeder Situation als vernünftig und allgemeingesetzgebend betrachten, denn allein die Fähigkeit zu besitzen, moralisch zu handeln, reicht dazu noch nicht aus. Ein vernünftiges Wesen ist erst dann Mitglied des Reiches, wenn es auch diese Fähigkeit entfaltet. Andernfalls würde das Reich schon längst existieren oder besser gesagt es wäre die Beschreibung einer schon längst existierenden Welt, nämlich der, in der wir leben. Die dauerhafte Verpflichtung moralisch zu handeln ist also der signifikante Unterschied zwischen einem Glied in unserer Welt und einem des Reichs der Zwecke. Die logische Schlussfolgerung daraus wäre, dass vernünftige Wesen, die nicht permanent allgemeingesetzgebend handeln, aus eben diesem Reich ausgeschlossen werden. Ob das Reich der Zwecke mit einer Welt von Wesen, die ihre Vernunft nicht ständig einschalten, koexistieren kann oder ob es erst dann die Hervorbringung möglich ist, wenn sich alle vernünftige Wesen jederzeit von allgemeingültigen Gesetzen leiten lassen, bleibt an dieser Stelle unklar. Eindeutig ist jedoch, dass ein Glied der Rech der Zwecke sich jederzeit von allgemeingültigen Gesetzen leiten lassen muss, welche in ihm selbstständig formuliert werden und allein seiner Vernunft und seinem Willen zu verdanken sind.[10] Diese Pflicht und das gemeinschaftlich objektive Gesetz ist nicht nur die Entrittsbedingung, sondern definiert zugleich auch die Beziehung der Mitglieder untereinander, denn vernünftige Wesen im Reich der Zwecke stehen alle unter dem Gesetz der Selbstzweckformel, die besagt, dass man sich selbst und alle anderen niemals bloß als Mittel zum Zweck, sondern jederzeit als Zweck an sich zu behandeln. Somit bezieht die Vernunft jede Maxime des Willens als allgemeingesetzgebend auf alle anderen Willen und dadurch entsteht eine systematische Verknüpfung der der Glieder.[11] Kant scheint auch unter diesen Mitgliedern des Reiches zwischen Oberhaupt und Glied zu trennen. Während sich ein Glied Gesetzen unterwerfen und objektive Pflichten erfüllen muss, benötigt das Oberhaupt nichts dergleichen, weil die subjektive Notwendigkeit seines Handelns mit der objektiven des Gesetzes identisch ist. Doch was genau macht ein Oberhaupt im Reich aus? Wie muss ein Oberhaupt qualifiziert sein? Die vorherrschende Meinung der Forschung lautet, dass das Oberhaupt in Kants Vorstellung nur Gott sein kann.[12] Das Oberhaupt ist „ein völlig unabhängiges Wesen, ohne Bedürfnisse und Einschränkung seines dem Willen adäquaten Vermögens“.[13] Gott als Oberhaupt und Gesetzgeber derjenigen Gesetze, die der Mensch sich autonom auferlegt, lebt also im Reich der Zwecke gemeinsam mit vernünftigen Gliedern, welche als Menschen gedeutet wurden. Diese Interpretation erscheint jedoch ein wenig widersprüchlich, denn wieso sollte ein göttliches Wesen als Gesetzgeber existieren, wenn der Mensch doch eigenständig aus seiner Vernunft heraus selbstgesetzgebend ist und sich die Gesetze somit wiederrum autonom und freiwillig auferlegt? Die gesetzgeberische Funktion des Oberhauptes läuft also leer. Plausibler wäre die Idee, dass der Mensch gleichzeitig Oberhaupt und Glied im Reich der Zwecke ist. Oberhaupt ist in anderen Worten das Gesetz und die Vernunft, während das Glied diese befolgt. So verkörpert der Mensch sowohl die gesetzgebende als auch die ausführende Instanz, denn er erkennt mit der Kraft der Vernunft den Grund der Moralität und der gemeinschaftlichen Gesetze, erzeugt die Gesetze und unterwirft sich simultan eben diesen.
Außer autonomen vernünftigen Wesen und ihrer subjektiven Zwecksetzung gehören noch Preis und Würde zu dem Reich. Unter Preis ist entweder Marktpreis oder Affektionspreis zu verstehen. Das erstere bezieht sich auf Gegenstände, die den menschlichen Neigungen und Bedürfnissen dienen, wie zum Beispiel Geschicklichkeit und Fleiß bei der Arbeit. Das letztere ist Geschmack und Wohlgefallen, zum Beispiel Witz, Einbildungskraft und Laune.[14] Schleierhaft an dieser Stelle ist, warum Kant überhaupt Preis ins Reich der Zwecke einführt, wenn dieser doch ganz abstrahiert von Privatzwecken und Neigungen sein soll und nur zugängig für vernünftige Wesen ist. Diese Einführung erscheint wie ein Kompromiss, so als ob Kant eingesehen hat, dass der Mensch, wenn er sich selbst erhalten will, nicht ganz auf alle seine Bedürfnisse verzichten kann, auch nicht im Reich der Zwecke. Ein Reich, das gänzlich das Verlangen seiner Mitglieder ignoriert, funktioniert nicht.
Alles was einen Preis hat, ist ersetzbar. Die Würde jedoch hat einen inneren Wert und ist einzigartig. Ihr Wert ist von ihrer Wirkung, Erfolg oder Niederlage, unabhängig. Der Grundsatz und der gute Wille sind das, was eine moralische Handlung ausmachen.[15] Nun drängt sich die Frage auf, wer die Würde besitzt. Moralität und Würde sind die Bedingungen unter dem ein vernünftiges Wesen „Zweck an sich“ sein kann, denn nur durch sie ist man ein gesetzgebendes Glied im Reich der Zwecke. Also muss die Sittlichkeit und somit die Menschheit, die Würde innehaben.[16]
Endzweck der Menschheit
„Eine Lieblingsidee des Hrn. Prof. Kant ist, daß der Endzweck des Menschengeschlechts die Erreichung der vollkommensten Staatsverfassung sei“ [17]
Doch wie genau hat sich Kant den Endzweck der Menschheit vorgestellt und wie soll dieser zu erreichen sein? Zur Beantwortung dieser Fragen muss der Endzweck der Menschheit und die Begründung davon in Kants Philosophie zuerst verstanden werden. Alle Naturanlagen sind dafür bestimmt, sich irgendwann vollständig zu entwickeln. Diese These begründet Kant, indem er die Beobachtung von Tieren als empirischen Beweis heranzieht. Alles Dasein ist für einen bestimmten Sinn und aus einem bestimmten Grund existent, weil die Natur keine überflüssigen Sachen verschenkt. Daher kann geschlussfolgert werden, dass alle Vernuftanlagen im Menschen von Bedeutung sind und sich entfalten sollen. Doch wie soll das realisierbar sein? Ein einzelner Mensch lebt nicht lange genug, um diesen Prozess selber zu vollenden, deswegen kann er nur sein angesammeltes Wissen an die nächste Generation weitergeben. Das Ziel ist also nur als Gattungsgesamtheit zu erreichen.[18] Generationen für Generationen arbeiten an einem Bauwerk. Aber nur die Spätgeborenen werden das Glück haben die Vollendung zu erleben.[19] Damit einhergehend ist die Erreichung einer vollkommenen bürgerlichen Vereinigung der Menschengattung, denn nur in einem friedlichen Zustand, sowohl innerstaatlich als auch außerstaatlich, können sich alle Naturanlagen ungestört vollständig entfalten.[20] Auch hier sieht Kant einen von der Natur gepflasterten Weg für die Menschheit. Der Naturplan fängt schon beim Charakter des Menschen an und fährt mit unterschiedlich schwierigen Aufgaben an die Menschheit fort. Das Mittel, das den ersten Schritt in die Richtung des Endziels bewirkt ist die ungesellige Geselligkeit der menschlichen Natur. Einerseits verspürt der Mensch eine Neigung, sich zu vergesellschaftlichen, andererseits aber auch den Wunsch nach Isolation. Eben diese von der Natur beabsichtigte Dichotomie zwingt den Menschen in die nächste Stufe der Entwicklung.[21] Vor allem die Eigenschaften der Ungeselligkeit, wie Habsucht, Egoismus und Eitelkeit treiben die Menschen zwar zu Kriegen, aber wichtiger noch, auch zum Fortschritt und zur Ordnung. Die Menschheit soll nämlich kein untätiges Schäferleben führen, sondern arbeiten und sich weiterentwickeln. Insbesondere an dieser Stelle zeigt sich Kants Glauben an einen weisen Schöpfer. Selbst in den schlechten Charaktereigenschaften des Menschen sieht er insgesamt auch etwas Positives, denn die Natur hat sie für einen bestimmten Zweck erschaffen.[22] Die höchste und zugleich schwierigste Aufgabe der Natur an die Menschengattung ist die selbständige Erreichung einer allgemeinen, das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft.[23] Um das zu tun, muss der Mensch die Grenzen der Freiheit durch Gesetze bestimmen, öffentliche Staatssicherheit und den Zustand von Frieden und Ruhe herstellen. Das ist der einzige unausweichliche Ausgang aus der durch wilde Freiheit verursachten Not, weil sonst die Menschen nicht lange untereinander koexistieren könnten.[24]
Obwohl diese eben genannte Aufgabe für die Menschengattung so schwer ist, zeigt Kant keinen Zweifel, dass es in der Zukunft eintreten wird. Die schwierigste Aufgabe zu lösen, ist jedoch für einen einzelnen Menschen schier unmöglich. Das höchste Oberhaupt soll nämlich selbst ein Mensch sein und daher die negativen Charaktereigenschaften mit denjenigen über die er herrscht teilen. Nichtdestotrotz soll er versuchen, sich die Rolle des Oberhauptes anzunähern. Dazu sind drei Sachen notwendig: eine mögliche Verfassung, Erfahrung und ein guter Wille. Da diese drei Zutaten nur sehr schwer vereint aufzufinden sind, erscheint diese Aufgabe vorerst unmöglich.[25]
Nun drängt sich die Frage auf, warum dieser Schritt so mühsam ist. Die Schwierigkeit liegt in der ungeselligen menschlichen Natur und im selbstsüchtigen Missbrauch der Freiheit.[26] Ehrgeiz und Herrschsucht sorgten dafür, dass nicht nur die innere Anordnung der bürgerlichen Gesetze als einer der am spätesten gelösten Probleme gilt, sondern auch die äußerlich gemeinschaftliche Gesetzgebung.[27] Das Prinzip von friedlicher Koexistenz der Menschen innerhalb eines Staates lässt sich auf das Verhältnis der Menschen in unterschiedlichen Staaten zueinander übertragen. Kant träumte also schon 1784 als er diesen Aufsatz verfasste vom Prinzip der Gleichheit, Sicherheit und wechselseitigen Verpflichtungen. Kurz gesagt von einem Völkerbund, in dem jeder Staat unabhängig von seiner Macht und Größe gleiche Rechte erwarten kann. Um das jedoch erreichen zu können, bedarf es einer langen inneren Bearbeitung von jedem einzelnen Menschen.[28]
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es einen einzigen Endzweck für die Menschheit gibt, nämlich die vollständige Entfaltung aller Naturanlagen. Der Antagonismus, die vollkommene bürgerliche Vereinigung der Menschengattung, die sich in zwei Etappen aufteilen lässt, und zwar in Innerliche Anordnung der bürgerlichen Verfassung und äußerliche gemeinschaftliche Verabredung und Gesetzgebung, dienen alle einem alleinigen Endziel, welches zu gleich die höchste Absicht der Natur ist. Das ist also Kants Idee. Doch wie sollen die Menschen weltweit von dieser vielversprechenden Vision erfahren und diese dann auch umsetzen? Kant erwidert daraufhin: die Naturabsicht wird befördert, obwohl sie unbekannt bleibt, indem einzelne Menschen oder ganze Völker ihre eigennützige Ziele verfolgen.[29] Jeder Mensch arbeitet in all seinem Tun unbewusst an der Verwirklichung der Naturabsicht, sodass die Geschichte der Menschengattung als die Vollziehung eines verborgenen Plans der Natur beschrieben werden kann.[30]
Fraglich ist, warum der Naturplan überhaupt geheim ist. Kant verweist hierbei auf die Kurzsichtigkeit der Menschen. Sie können den Plan nicht ganz durchschauen, sondern immer nur versuchen, einen Leitfaden zu entdecken. Die Menschheit hat einen zu kleinen Teil der gedachten Strecke zurückgelegt, sodass ihre Gestalt oder das Verhältnis der Teile zum Ganzen noch unbestimmt bleiben.[31] In anderen Worten ist der Plan der Natur mit einer mathematischen Gleichung zu vergleichen. Mit der Zeit offenbaren sich immer mehr Werte der anfangs unbekannten Parameter, sodass die Lösung der Gleichung eines Tages ersichtlich wird.
Kant versucht seine Theorie durch die Erfahrung und Vergangenheit zu untermauern, aber da er gleichzeitig seine ganze Philosophie apriorisch aufbaut und die Theorien die auf Erfahrungen basieren für heteronome Ethik erklärt, passt das wenig zusammen.[32] Plausibler wäre wohl eine andere Erklärung. Kant betont im 3. Satz seiner Idee zu einer Allgemeinen Geschichte, die Menschen sollen all ihre Errungenschaften rein durch die Vernunft aus sich selbst hervorbringen und durch hartes Arbeiten ihre eigenen Ziele verwirklichen.[33] Wäre es nicht einleuchtender zu sagen, dass deswegen der Plan der Natur im Verborgenen bleiben muss? Wenn jemand der Menschheit diesen Plan verraten und diktieren würde, so würde Niemand den Weg selbstständig finden. Alle würden einfach, ohne ihre Vernunft zu aktivieren, hinterherlaufen. Das Einzige, was die Ersten tun müssten, wäre diesem Jemand, der den Plan kennt, ihr Vertrauen zu schenken. Die Späteren müssten noch nicht einmal das tun. Sie würden nur aus Gruppenzwang und nicht aus eigenem Antrieb mitlaufen. Somit würden viele schlummernde Naturanlagen, wenn nicht sogar alle, im Verborgenen bleiben. Auf diese Weise kann womöglich der wahre Endzweck der Menschheit, nämlich die ganze Entfaltung aller Naturanlagen, gar nicht eintreten. Insofern sollte der Plan der Natur wirklich geheim bleiben.
[...]
[1] Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten [=GMS], hrsg. v. Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 1974 [Werke in zwölf Bänden VII], S. 66 (BA 75).
[2] Vgl. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten [=GMS], hrsg. v. Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 1974 [Werke in zwölf Bänden VII], S. 66 (BA 75).
[3] Vgl. Kant, Immanuel GMS, S. 64 (BA 72).
[4] Kant, Immanuel, GMS, S. 64 (BA 71).
[5] Vgl. Kant, Immanuel, GMS, S. 64 (BA 71).
[6] Vgl. ebd., S. 74‒75 (BA 87‒88).
[7] Vgl. Schönecker, D., Wood, A., Kants „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“, hrsg. v. Ferdinand Schöningh, Paderborn, München 2011 [4. Auflage], S. 160, Vgl. Kant, Immanuel, GMS, S. 70 (BA 81).
[8] Vgl. Kant, Immanuel, GMS, S. 66 (BA 75).
[9] Vgl. ebd., S. 67 (BA 76).
[10] Vgl. Kant, Immanuel, GMS, S. 67 (BA 76).
[11] Vgl. ebd., S. 66‒67 (BA 75‒76).
[12] Vgl. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten [=GMS], hrsg., eingel. und erl. von Jens Timmermann, Göttingen 2004 [Band 3], S. 132, Kaulbach, Friedrich, Immanuel Kants >Grundlegung der Metaphysik der Sitten<, hrsg., v. wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1988, S. 88.
[13] Kant, Immanuel, GMS, S. 67 (BA 76).
[14] Vgl. Kant, Immanuel, GMS, S. 68 (BA 78).
[15] Vgl. ebd., S. 68‒69 (BA 78‒79).
[16] Vgl. ebd. S. 68 (BA 78).
[17] Es handelt sich hierbei um ein Zitat des Herausgebers aus der Gothaischen Gelehrten Zeitung handelt, die Kant selbst in einer Fußnote anspricht. Kant, Immanuel, Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 1 [=Schriften], hrsg. v. Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 1977 [Werke in zwölf Bänden VII], S. 33 (A 385).
[18] Vgl. Kant, Immanuel, Schriften, S. 35 (A 389).
[19] Vgl. ebd., S. 37 (A 392).
[20] Vgl. ebd., S. 45 (A 404), S. 47 (A 407).
[21] Vgl. Kant, Immanuel, Schriften, S. 37‒38 (A 392‒393).
[22] Vgl. ebd., S. 38‒39 (A 393‒395).
[23] Vgl. ebd., S. 39 (A 395).
[24] Vgl. ebd., S. 40 (A 396).
[25] Vgl. ebd., S. 40‒41 (A 396‒398).
[26] Vgl. ebd., S. 40 (A 396).
[27] Vgl. ebd., S. 40‒41 (A 396‒398).
[28] Vgl. Kant, Immanuel, Schriften, S. 41‒42 (A 398‒400).
[29] Vgl. ebd., S. 34 (A 387).
[30] Vgl. ebd., S. 45 (A 404).
[31] Vgl. ebd.
[32] Förster, E. vertritt dieselbe Meinung in seinem Aufsatz „The hidden plan of nature“.
[33] Vgl. ebd., S. 36‒37 (A 390‒392).