1995 verließen die letzten UN-Truppen Somalia. Seither ist viel Zeit vergangen, die es erlaubt, mit größerem Abstand auf die Intervention der Vereinten Nationen in Somalia zu blicken, und sie in der Kenntnis aller Folgen zu bewerten.
Viele Autoren haben dies seither getan, und bereits ein oberflächliches Querlesen zeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Autoren dazu tendiert, die Mission als gescheitert zu verurteilen. Den unmittelbaren Anlass, das Verhungern tausender Zivilisten, hat die Intervention jedoch aus der Welt geschafft. Die Frage, mit der sich diese Arbeit beschäftigt, lautet somit, ob ein Scheitern der Intervention in Somalia in der untersuchten Literatur Konsens ist, oder ob sich bei genauerer Analyse ein differenzierteres Bild zeigt.
Inhaltsverzeichnis
1 Gescheitert trotz geretteter Menschenleben?
2 Geschichte Somalias
2.1 Vor dem Bürgerkrieg
2.2 Bürgerkrieg
2.3 UNOSOM
2.4 UNITAF
2.5 UNOSOM II
2.6 Heutige Lage
3 Systematisierung der Argumente verschiedener Autoren
3.1 Vergleich von Zielen und Ergebnissen
3.2 Falsche Annahmen
3.3 Planung und Organisation
3.4 Fehler in der Durchführung
3.5 Prinzipienlosigkeit
4 Bilanz der Argumente und Kritik
5 Fazit
6 Literaturverzeichnis
1 Gescheitert trotz geretteter Menschenleben?
1995 verließen die letzten UN-Truppen Somalia. Seither ist viel Zeit vergangen, die es erlaubt, mit größerem Abstand auf die Intervention der Vereinten Nationen in Somalia zu blicken, und sie in der Kenntnis aller Folgen zu bewerten. Viele Autoren haben dies seither getan, und bereits ein oberflächliches Querlesen zeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Autoren dazu tendiert, die Mission als gescheitert zu verurteilen. Den unmittelbaren Anlass, das Verhungern tausender Zivilisten, hat die Intervention jedoch aus der Welt geschafft. Die Frage, mit der sich diese Arbeit beschäftigt, lautet somit, ob ein Scheitern der Intervention in Somalia in der untersuchten Literatur Konsens ist, oder ob sich bei genauerer Analyse ein differenzierteres Bild zeigt.
Dazu gebe ich zuerst einen geschichtlichen Abriss über Somalia vor und während der Intervention. Anschließend analysiere ich die Argumente, die zwölf verschiedenen Autoren bei ihren Bewertungen aufführen, indem ich ähnliche Punkte zusammenfasse und eventuelle Widersprüche aufzeige. Außerdem ordne ich positive wie negative Kritik thematisch und nehme eine Systematisierung vor. In einem weiteren Schritt zeige ich Auffälligkeiten bei der abschließenden Betrachtung der Argumente und lege meine eigene Bewertung einzelner Punkte dar.
2 Geschichte Somalias
Zum Verständnis der Analyse dieser Arbeit ist ein gewisses Hintergrundwissen zur jüngeren Geschichte Somalias nötig oder zumindest nützlich. Im Folgenden wird beschrieben, wie es zu der Situation in Somalia kam, die unmittelbar vor dem Eingreifen der Vereinten Nationen bestanden hatte. Auch wird der Verlauf der Intervention geschildert sowie einzelne für die Entwicklung des Einsatzes wichtige UN-Resolutionen vorgestellt.
2.1 Vor dem Bürgerkrieg
Bevor Somalia im Jahr 1960 unabhängig wurde, stand der Norden des Landes unter britischer, der Süden unter italienischer Kolonialherrschaft (Janssen 2008: 98). Der Versuch, die beiden Teile des Landes zu vereinen, erwies sich als äußerst kompliziert. Zwar waren beiden Teilen Sprache, Religion und kulturelle Traditionen gemein; die administrativen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen, die Großbritannien und Italien auf ihrem jeweiligen Gebiet eingeführt hatten, unterschieden sich jedoch grundsätzlich. Auch war den Somalis die Vorstellung eines Nationalstaates fremd. Sie waren an ein Clansystem gewöhnt, welches die Kolonialherrschaft überdauert hatte (Akpinarli 2010: 33). Statt sich als eine gemeinsame Nation zu sehen, waren rivalisierende Clans auf ihren eigenen Vorteil bedacht und versuchten, ihren Einfluss zu vergrößern (Janssen 2008: 98).
Durch einen Militärputsch gelangte 1969 Mohammed Siad Barre an die Macht. Anfangs populär wurde er im Laufe der Zeit beim Volk unbeliebter. 1977 begann Barre einen Krieg mit Äthiopien, in der Hoffnung, durch einen militärischen Sieg seine schwindende Macht zu festigen. Ziel des Krieges war es, die Region Ogaden zu erobern, in der hauptsächlich Somalis lebten (ebd.). Den Ogadenkrieg verlor Somalia 1978, woraufhin sich die innenpolitischen Spannungen verschärften. Mehrere Oppositionsgruppen schlossen sich 1981 zur „Somali Salvation Democratic Front“ (SSDF) zusammen und begannen den bewaffneten Kampf gegen das Barre-Regime. Auch das im selben Jahr gegründete „Somali National Movement“ (SNM) kämpfte gegen die somalische Armee (Weber 1997: 52ff). Barre reagierte darauf mit Repressionen gegen die Zivilbevölkerung im Einflussbereich der rebellierenden Clans und ließ unter anderem Brunnen vergiften oder zerstören. In der Folge brach die Wirtschaft Somalias beinahe komplett zusammen. Es kam zu mehreren Hungersnöten (Janssen 2008: 99).
2.2 Bürgerkrieg
1988 unterzeichneten Somalia und Äthiopien ein Abkommen, mit dem sie erklärten, oppositionelle Gruppen des jeweilig anderen Staates nicht mehr zu unterstützen. Die SNM als stärkste somalische Oppositionskraft verlor dadurch ihre Stellungen in Äthiopien. Als Reaktion darauf eroberte die SNM die Städte Burao und Hargeisa – die somalische Armee war nicht in der Lage dies zu verhindern (Weber 1997: 55). Dies markierte den Anfang eines offenen Bürgerkrieges in Somalia: Barre ließ Burao und Hargeisa bombardieren und die Zivilbevölkerung schikanieren. In den Jahren darauf erfasste der Krieg auch Zentral- und Südsomalia sowie die Hauptstadt Mogadischu, da sich immer mehr Clans gegen die Regierung wendeten. In der Schlacht um Mogadischu, die Ende 1990 bis Anfang 1991 stattfand, behielten die Oppositionellen die Oberhand. Barre und seine Anhänger flüchteten (Matthies 1992: 187).
Die SSDF und die SNM schlossen sich zur politisch-militärischen Organisation „United Somali Congress“ (USC) zusammen, welche Ali Mahdi Muhammad zum Übergangspräsidenten ernannte. Der militärische Flügel des USC lehnte Ali Mahdis Anspruch jedoch ab und begann unter der Führung von General Mohammed Farah Aidid, gegen Ali Mahdi zu kämpfen. Es folgte ein zweiter Bürgerkrieg (Akpinarli 2010: 35f).
Im Verlauf des Krieges erklärte die SNM den Norden Somalias zu einem eigenständigen, unabhängigen Staat, den die Übergangsregierung allerdings nicht anerkannte: Somaliland. Zur selben Zeit zerfiel der USC in zwei Clan-Fraktionen, die sich in Mogadischu bekämpften (Janssen 2008: 101).
Im Herbst 1991 war die Situation im Süden und in der Landesmitte außer Kontrolle: Immer wieder kam es zu Kämpfen zwischen verschiedenen Clan-Fraktionen und Milizen. Es gab keine staatliche Ordnung mehr (ebd.). Somalia war von nun an ein „failed state“, ein gescheiterter Staat, in dem es keine Staatsgewalt mehr gibt und somit eines von den drei völkerrechtlichen Kriterien für den Begriff „Staat“ (Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt (Seeger 2009: 23)) fehlt (ebd.: 39). Angaben der Welternährungsorganisation (FAO) zufolge drohten etwa 4,5 Millionen Somalis zu Verhungern, täglich würden 75 Kinder sterben. Die Versorgung der Bevölkerung mit Hilfsgütern war jedoch extrem schwierig, da Mitarbeiter von Hilfsorganisationen angegriffen und Lebensmitteltransporte ausgeraubt wurden. Anfang 1992 warnte das Internationale Rote Kreuz vor einer drohenden Hungerkatastrophe (Janssen 2008: 101ff).
Unter UN-Vermittlung beschlossen Ali Mahdi und Aidid einen Waffenstillstand. Im Gegenzug stellte die UN Hilfslieferungen für die Zivilbevölkerung in Aussicht. Außerdem akzeptierten beide, dass UN-Beobachter nach Mogadischu kommen und den Waffenstillstand überwachen würden (ebd.: 103).
2.3 UNOSOM
Mit der Resolution 733 vom 23. Januar 1992 beschloss der UN-Sicherheitsrat ein Waffenembargo. Am 24. April 1992 entschied sich der Sicherheitsrat mit der UN-Resolution 751 zur Entsendung einer UN-Mission für Somalia (UNOSOM) (Akpinarli 2010: 39). In der Resolution zeigte sich der Sicherheitsrat „[ d ] eeply disturbed by the magnitude of the human suffering [...] and concerned that the continuation of the situation in Somalia constitutes a threat to international peace and security“ (United Nations Security Council 1992a: 57).
Zu Beginn der Mission UNOSOM entsendeten die Vereinten Nationen 50 Militärbeobachter, von denen jeweils die Hälfte auf Seiten von Ali Mahdi und Aidid den Waffenstillstand beaufsichtigen sollten. Außerdem kündigte die UN an, Sicherheitstruppen in Somalia zu stationieren. Der endgültige Beschluss hierzu folgte erst am 27. Juli 1992 im Rahmen der UN-Resolution 767. UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali hatte die Vereinten Nationen im Vorfeld öffentlich kritisiert, über dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien Somalia zu vergessen und zu ignorieren. Mit der Resolution 767 plante der Sicherheitsrat, 3.500 UN-Soldaten in Somalia zu stationieren um Hilfslieferungen zu schützen (Weber 1997: 72ff).
Bezog sich das UN-Mandat bis dato nur auf Mogadischu, so wurde es mit der Resolution 775 vom 28. August 1992 auf andere Teile des Landes ausgeweitet. Auch bestimmte die Resolution, dass die UN sich verstärkt diplomatisch engagieren und mit verschiedenen somalischen Beteiligten sprechen sollte. Somit war es dem UN-Sonderbeauftragen für Somalia, Mohammed Sahnoun, möglich, sich nicht nur mit Clanältesten, sondern auch mit Warlords zu treffen (ebd.: 75).
Im September gelangten schließlich 500 UN-Soldaten nach Mogadischu. Ali Mahdi hatte dem frühzeitig zugestimmt, nach langem Zögern akzeptierte auch Aidid 500 Blauhelme. Den Plan, 3.000 weitere UN-Soldaten in Somalia zu stationieren, billigte er jedoch nicht (ebd.).
Wenig später brachen Anhänger von Siad Barre im Süden Somalias die Waffenruhe. Aidid verließ daraufhin Mogadischu um sie zu bekämpfen und konnte Barres Kämpfer zurückdrängen. Diese zerstörten bei ihrem Rückzug Felder und Wasserversorgung – eine Katastrophe für die Zivilbevölkerung. Zur selben Zeit lieferten sich Milizen in Mogadischu erneut Gefechte (Janssen 2008: 104).
Rasch stellte sich heraus, dass die UNOSOM die Hilfslieferungen nicht ausreichend schützen konnten. Milizen überfielen Transporte, brachten UN-Fahrzeuge und Lebensmittel in ihre Gewalt. Nur ein Teil der Hilfslieferungen kam bei der Zivilbevölkerung an; mit dem Verkauf der geraubten Nahrungsmittel finanzierten die Bürgerkriegsparteien ihre Ausgaben. Die Lage der Zivilbevölkerung verschlimmerte sich unterdessen weiter (ebd.: 104f).
Im Winter 1992 beschloss die UN, weitere Blauhelme in Somalia zu stationieren. Die Mitgliedstaaten stellten aber weder Truppen noch Ausrüstung bereit, sodass der Beschluss nicht umgesetzt werden konnte. Da boten die USA den UN an, bei einer Militäroperation zu helfen (ebd.: 105f).
2.4 UNITAF
Am 3. Dezember 1992 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 794. In dieser Resolution drückte der Sicherheitsrat „grave alarm“ (United Nations Security Council 1992b: 2) aus, unter anderem anlässlich der Gewalt gegen Mitarbeitern von Hilfsorganisationen. Der Sicherheitsrat beschloss „that the situation in Somalia is intolerable and that it has become necessary to review the basic premises and principles of the United Nations effort in Somalia, and that UNOSOM's existing course would not in present circumstances be an adequate response to the tragedy in Somalia“ (ebd.). Stattdessen schuf die Resolution die Grundlage für eine gemeinsame Mission von UN und USA (ebd.: 3f).
Bis zur UN-Resolution 794 war die UNOSOM eine Peacekeeping-Mission, ein friedenserhaltender Einsatz. Mit der Schaffung der Voraussetzungen für die US-geführte United Task Force (UNITAF) wurde daraus eine friedenserzwingende Mission (Walling 2013: 67). Auch leitete der Sicherheitsrat erstmals aus der humanitären Situation in einem Staat eine Bedrohung des Weltfriedens und somit die Befugnis ab, eine Maßnahme nach Kapitel VII der UN-Charta zu ergreifen. Der Sicherheitsrat ermächtigte sich somit selbst, sich in die inneren Angelegenheiten eines Staates einmischen zu dürfen (Janssen 2008: 106).
Die UNITAF-Truppen sollten auf begrenzte Zeit parallel zur UNOSOM arbeiten und ihr helfen, die Hilfslieferungen zu sichern. Die UNITAF bestand aus etwa 37.000 Soldaten, 28.000 davon kamen aus den USA. Um die Hungersnot zu beenden, übernahm die UNITAF innerhalb von drei Wochen die Kontrolle über neun strategisch wichtige Städte. Gleichzeitig organisierte die UN eine nationale „Versöhnungskonferenz“ in Äthiopien durch. Da der UN-Sicherheitsrat am 28. August 1992 mit der Resolution 775 die Aufstockung der UNOSOM-Truppen gegen Aidids Willen beschlossen hatte, blieb dieser der Konferenz fern. Ali Mahdi und die Repräsentanten von 14 weiteren, kleineren Clans nahmen hingegen teil. Am Ende des Treffens standen Beschlüsse über eine sofortige Waffenruhe, über eine Entwaffnung der Milizen und die Freilassung von Kriegsgefangenen. Auch kamen die Parteien darin überein, eine weitere Versöhnungskonferenz durchzuführen (Akpinarli 2010: 42f).
An dieser Konferenz am 15. März 1993 nahmen die Clanmilizen, sowie mehrere hundert Clanälteste, religiöse Autoritätspersonen, Vertreter verschiedener ziviler Gruppen und Beobachter teil. Die Teilnehmer einigten sich am Ende des Treffens auf ein Abkommen, in dem festgelegt wurde, einen Nationalen Übergangsrat einzurichten, der zwei Jahre lang regieren und Wahlen vorbereiten würde (Weber 1997: 83).
Zur Einsetzung dieses Rates kam es jedoch nie: Der Plan, innerhalb von 90 Tagen die Clanmilizen zu entwaffnen, konnte nicht umgesetzt werden. Außerdem gaben die Kriegsparteien nicht, wie eigentlich vereinbart, gestohlenes oder geraubtes Eigentum zurück (ebd.: 84).
Während der Konferenz brach die SNF die Waffenruhe und griff Stellungen von Aidid an. Da UN-Soldaten dessen Kämpfer zuvor entwaffnet hatten, konnten diese kaum Widerstand leisten. Aidid witterte einen Verrat durch die UN und rief zum Widerstand auf (ebd.).
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