Das Schrumpfen deutscher Städte ist kein Phänomen der letzten Jahre, doch hat es besonders in den letzten Jahren an erheblicher Bedeutung gewonnen. Neu ist an diesem Sachverhalt, dass die ausschlaggebenden Ursachen weder Krieg noch Seuchen sind. Besonders sind Städte im Osten Deutschlands von enormem Bevölkerungsverlust, geprägt durch Binnenwanderung nach der Wende 1990 in die westlichen Gebiete, betroffen. Nicht nur die neuen Bundesländer, auch die alten stehen in den nächsten Jahren vor der Herausforderung, gezielt der Abwanderung entgegenzuwirken und Maßnahmen zur Stadterhaltung zu finden.
Der demographische Wandel und Suburbanisierung sind weitere zu bedenkende Indikatoren, die wesentliche Auswirkungen auf die Stadtschrumpfung haben. Mit Wachstum wird zunächst einmal eine positive Entwicklung assoziiert, auch Fortschritt. Schrumpfung hingegen wird als Zerfall und Entwertung wahrgenommen. Stadtentwicklung kann heute nicht mehr nur allein mit Bevölkerungswachstum und Stadtausbau gleichgesetzt werden. Es muss ein Paradigmenwechsel hinsichtlich der Stadtentwicklung erfolgen. Aufgrund dieses neuen Sachverhalts ist ein Umdenken von einem nicht mehr der Realität entsprechenden Bevölkerungswachstum, hin zu einer neuen Stadt, der „atmenden Stadt“, erforderlich. Dieser Prozess bezieht sich nicht nur auf die neuen Bundesländer. Der Westen Deutschlands ist ebenfalls, wenn auch noch nicht so stark, von Schrumpfung betroffen.
Im Folgenden soll eine Einordnung schrumpfender Städte in den heutigen Kontext gegeben werden. Welche Prozesse führen zur Rückläufigkeit der Bevölkerungszahlen in den Städten und wie wird mit diesem Vorgang entgegengewirkt? Des Weiteren wird untersucht, ob Stadtschrumpfung zu einer unaufhaltbaren Abwärtsspirale deutscher Städte führt oder ob es effektive Maßnahmen gibt, die eine Aufwertung der Stadt zur Folge haben.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Historischer Rückblick
3. Prozesse
3.1. Phänomen Stadtschrumpfung
3.2. Bevölkerungsentwicklung - demographischer Wandel
3.3. AuswirkungenvonStadtschrumpfungen
3.4. Bevölkerungsprognose
4. Aktuelle Entwicklungen
4.1. StadtumbauOst
4.2. Stadtumbau West
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Schrumpfen deutscher Städte ist kein Phänomen der letzten Jahre, doch hat es besonders in den letzten Jahren an erheblicher Bedeutung gewonnen. Neu ist an diesem Sachverhalt, dass die ausschlaggebenden Ursachen weder Krieg noch Seuchen sind. Besonders sind Städte im Osten Deutschlands von enormem Bevölkerungsverlust, geprägt durch Binnenwanderung nach der Wende 1990 in die westlichen Gebiete, betroffen. Nicht nur die neuen Bundesländer, auch die alten stehen in den nächsten Jahren vor der Herausforderung, gezielt der Abwanderung entgegenzuwirken und Maßnahmen zur Stadterhaltung zu finden. Der demographische Wandel und Suburbanisierung sind weitere zu bedenkende Indikatoren, die wesentliche Auswirkungen auf die Stadtschrumpfung haben.
Mit Wachstum wird zunächst einmal eine positive Entwicklung assoziiert, auch Fortschritt. Schrumpfung hingegen wird als Zerfall und Entwertung wahrgenommen. Stadtentwicklung kann heute nicht mehr nur allein mit Bevölkerungswachstum und Stadtausbau gleichgesetzt werden. Es muss ein Paradigmenwechsel hinsichtlich der Stadtentwicklung erfolgen. Aufgrund dieses neuen Sachverhalts ist ein Umdenken von einem nicht mehr der Realität entsprechenden Bevölkerungswachstum, hin zu einer neuen Stadt, der „atmenden Stadt“1, erforderlich. Dieser Prozess bezieht sich nicht nur auf die neuen Bundesländer. Der Westen Deutschlands ist ebenfalls, wenn auch noch nicht so stark, von Schrumpfung betroffen.
Im Folgenden soll eine Einordnung schrumpfender Städte in den heutigen Kontext gegeben werden. Welche Prozesse führen zur Rückläufigkeit der Bevölkerungszahlen in den Städten und wie wird mit diesem Vorgang entgegengewirkt? Des Weiteren wird untersucht, ob Stadtschrumpfung zu einer unaufhaltbaren Abwärtsspirale deutscher Städte führt oder ob es effektive Maßnahmen gibt, die eine Aufwertung der Stadt zur Folge haben.
2. Historischer Rückblick
Der Prozess schrumpfender Städte ist ein schon seit dem Mittelalter bekanntes Phänomen. Über die Jahrzehnte haben Kriege, Schlachten, Hungerkrisen - auch ausgelöst durch klimatische Veränderungen - und Epidemien, wie die Pest und Seuchen, einen beträchtlichen Einfluss auf die Bevölkerungszahl Deutschlands gehabt. Die Bevölkerung erholte sich immer nur sehr langsam von den Strapazen. So waren viele deutsche Städte um 1800 durch Leerstand und wüste Stellen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges oder der Erbfolgekriege gekennzeichnet. Der Dreißigjährige Krieg, aber auch Hungerkrisen und anschließende Seuchen forderten etwa die Hälfte ländlichen und 30% der städtischen Bevölkerung. Die Bevölkerung schrumpfte während dieser Zeit um circa ein Drittel auf 15 Millionen. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts erreichten viele Städte durch den demographischen Aufschwung wieder ihren Bevölkerungsstand aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg. Obgleich die deutsche Bevölkerung bis Anfang des 20. Jahrhunderts stark anstieg, verloren viele Städte aufgrund der Industrialisierung in anderen Städte und Regionen wieder an Bevölkerung durch Folgen der Binnenwanderung. Räume der Stagnation und Schrumpfung bildeten sich heraus. Dauerhaft ballten sich Standortvorteile und damit gewerbliche, aber auch kulturelle und politische Aktivitäten in den neuen Großstädten und Industrieregionen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zeichnete sich ein deutlich geschwächtes Städtewachstum und Stagnation ab, gekennzeichnet durch wirtschaftliche Schwierigkeiten und politische Unsicherheiten. Auch während des Zweiten Weltkriegs verloren Städte aufgrund Kriegsverluste, Evakuierungen und Deportation jüdischer Mitbürger an Bevölkerung. Seit Anfang der 1980er-Jahre ist das Phänomen von Stadtschrumpfung auch als Problem der Gegenwart und nicht nur lang vergangener Geschichte bekannt.2 3 4 Auch die steigende Lebenserwartung konnte die stärker fallende Geburtenzahl den Bevölkerungsrückgang nicht aufhalten. Besonders nach dem Fall der Berliner Mauer gab es eine massive Binnenwanderung von der ehemaligen DDR in die westlichen Städte und ein erhöhtes Stadtschrumpfen im Osten. Die abwandernde Bevölkerung erhoffte sich ein neues und besseres Leben, verbunden mit besseren Arbeitsbedingungen, ein erhöhtes Einkommen und generell einem verbesserten Lebensstandard, im Westen der Republik.
In den letzten beiden Jahrzehnten sind nicht mehr Kriege und Seuchen ausschlaggebende Faktoren für den Rückgang der Bevölkerung innerhalb der Städte, sondern die Folgen wirtschaftlicher Veränderungen.
3. Prozesse
3.1. Phänomen: Stadtschrumpfung
In den meisten ostdeutschen und einigen westdeutschen Städten stellt die Schrumpfung der Zahl von Einwohnern und Beschäftigten eine relativ hohe Herausforderung dar, für die eine bisher wachstumsbasierte Planung und Politik noch nach passenden lokalen Strategien sucht.5 Allerdings bezieht sich das Phänomen der Stadtschrumpfung nicht nur auf den Rückgang der Stadtbewohner. Gegebenheiten wie der Wandel von der Industriegesellschaft hin zur Dienstleistungsgesellschaft haben zu einer starken Strukturveränderung geführt. Drei zentrale Faktoren gelten als Auslöser der Schrumpfung: Stadt-UmlandWanderung (Suburbanisierung), Abwanderung von Bevölkerung in entfernte Regionen (negativer Wanderungssaldo) und natürlicher Rückgang der - deutschen - Bevölkerung (unzureichendes Reproduktionsniveau von konstant unter 1,5).6 Hinzu kommt der Wegbruch ganzer Branchen durch Auslagerung in sogenannte Billiglohnländer. Einfache Arbeiter sind in Deutschland kaum noch gefragt, sie werden meist durch hochtechnische Maschinen ersetzt, die zumal noch schneller und präziser als ein Mensch arbeiten können.
3.2. Bevölkerungsentwicklung - demographischer Wandel
Besonders die Veränderung der Bevölkerungszusammensetzung birgt erhebliche Konsequenzen für die Gesamtsituation der Bundesrepublik Deutschland. Gravierend hat sich das generative Verhalten der deutschen Bevölkerung seit Mitte des 20. Jahrhunderts verändert. Waren früher hauptsächlich die Männer für die Lohnarbeit und die Frauen für den Haushalt und die Kinder verantwortlich, so wandelte sich diese Vorstellung gänzlich. Frauen emanzipierten sich von dieser Betrachtungsweise. Sie kämpfen für die Gleichstellung von Mann und Frau, machen heute Karriere und das Erstgebärendenalter verschob sich von 1980-1999 von 27 auf 29 Jahre. Die durchschnittliche Zahl von Kindern, die je Frau einer Generation geboren werden, nahm im Zeitverlauf ab. Seit den 60er Jahren nahm die Zahl der Geburten in beiden Teilen Deutschlands beeinflusst durch die Verbreitung der Antibaby-Pille und der gesellschaftlichen Einstellung zur Familie ab.7 8 Aufgrund des medizinischen Fortschritts und besserer Lebens- und Arbeitsbedingungen erreichen Menschen heute ein höheres Alter. Hieraus ergibt sich eine deutlich gespreizte Schere zwischen niedriger Geburtenrate und höheren Lebenserwartungen. Innerhalb der letzten 140 Jahre haben sich die Lebenserwartungen hierzulande um etwa 40 Jahre erhöht, was einen starken Anstieg des Anteils von Hochbetagten zur Folge hat. Besonders Städte merken die demographische Veränderung deutlich, wie noch gleich zu sehen sein wird. „Die damit verbundenen und durch Wanderungsprozesse verstärkten Wachstums- und Schrumpfungs-, Alterungs- und Migrationsprozesse stellen Herausforderungen für die Städte und Regionen о dar.“ Die demographische Entwicklung ist weder kurz- noch mittelfristig umkehrbar; hierfür gibt es auch keine Beispiele in derjüngeren Geschichte Deutschlands.9
3.3. Auswirkungen von Stadtschrumpfungen
Der wirtschaftliche und demographische Wandel hat in den vergangen Jahren eine dramatische Wende hervorgerufen, der besonders in Städten wirksam wird und alle städtischen Planungen vor unlösbare Probleme stellt. Es fehlen letztendlich die notwendigen Steuereinnahmen, um die vorhandenen Infrastrukturen aufrecht zu erhalten. Angesichts des Umbruchs von der Industrialisierung hin zur Tertiärisierung resultiert ein Bedeutungsverlust und Niedergang ganzer Produktionszweige und Industrien. Auswirkungen sind Arbeitsplatzabbau, der wiederum eine erhöhte Arbeitslosigkeit mit sich zieht. Menschen, besonders junge und qualifizierte, beginnen vermehrt aus ihrer Region in eine andere abzuwandern, in der ihre Arbeitskraft nachgefragt wird („Brain Drain“). Erwiesen ist, dass besonders junge Frauen eher als junge Männer abwandern. So sinkt nicht nur die Qualität des Arbeitskräftepotentials in den Abwanderungsgebieten, sondern auch die Zahl der potentiellen Mütter10. Zurück bleiben vor allem ältere Menschen, aber auch weniger qualifizierte junge Menschen im heiratsfähigen Alter. Auch wenn die Alterung in Regionen, Städten und Stadtteilen unterschiedliche Ausprägungen zeigt, so steht der Wohnungsmarkt insgesamt vor Herausforderungen sich den ändernden Anforderungen älterer Menschen verstärkt anzupassen. Städte müssen sich auf diesen demographischen Wandel einstellen und entwickeln vielfältige neue Angebote, die von einer ambulanten Betreuung durch Sozialstationen und Pflegedienste bis zu einem Ausbau von Altenheimen zur stationären Betreuung reichen. Insbesondere der prozentual starke Anstieg der Hochbetagten über 80 Jahren verlangt nach einem zunehmenden Angebot an Pflegeplätzen. Viele ältere Menschen lehnen es ab, ihr Eigenheim zu verlassen und in eine kleinere Wohnung oder eine betreute Wohneinrichtung zu ziehen. Dies führt zu einem steigenden Bedarf an altersgerechten, weitgehend barrierefreien Wohnungen, die ein selbstständiges Wohnen und Leben im Alltag ermöglichen. Auch das Angebot der mobilen Pflege und Betreuung wurde in den letzten Jahren stark ausgeweitet.
Durch die große Zahl der Binnenwanderung junger Menschen entsteht ein Überschuss an Wohnraum, der sich in manchen ostdeutschen Städten auf bis zu 15% und mehr beläuft. Etwa 30% der Wohnungsleerstände wiesen die Städte Schwedt, Wittenberge und Eggesin auf.11 12 Aber nicht nur in Ostdeutschland, auch in Westdeutschland beginnen Wohnungen leer zu stehen. Als Beispiel sei hier die Stadt Selb genannt. War sie früher eine angesehene Stadt mit einer beträchtlichen Anzahl von Porzellanfarbiken, so gingen in den letzten Jahren mehr als 20 Firmen in Konkurs. Das betraf auch Weltfirmen wie Rosenthal und Hut- schenreuther. Pro Jahr verwaisen 100 Wohnungen und Einfamilienhäuser. 2008 kamen auf 80 Neugeburten 244 Sterbefälle. Je weniger Menschen in einer Stadt wohnen, desto weniger Steuern werden eingenommen. Somit steht der Stadtverwaltung ein geringeres Finanzbudget zur Stadterhaltung oder -erneuerung zur Verfügung.
Weitere Konsequenzen birgt der Bereich der städtischen sozialen und technischen Infrastruktur. Bis vor einigen Jahren spielten noch Kinder in den Straßen, dies ist heute eher eine Seltenheit. In den meisten schrumpfenden Gebieten sind Abnahmen der schulpflichtigen Kinder zu verzeichnen. Aufgrund dieser Tatsache müssen Stadtverwaltungen immer häufiger und gezielter zu drastischen Einsparungsmaßnahmen greifen. Es werden vermehrt Kindertageseinrichtungen und Schulen geschlossen. Als Konsequenz hieraus müssen die Kinder weitere Schulwege auf sich nehmen. Zuschüsse für Vereine, Sportplätze, Büchereien, Schwimm- und Hallenbäder müssen gekürzt werden.
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1 Hesse: Schrumpfende oder atmende Stadt? Überlegungen zur Einordnung von Schrumpfungsprozessen in den Kontext der Urbanisierung. - In: Lampen/Owzar (Hrsg.): Schrumpfende Städte - Ein Phänomen zwischen Antike und Moderne, S. 325.
2 Benke: Schrumpfung im Zeitalter des Wachstums - Städtische Niedergangs- und Stagnationsprozesse während der Urbanisierung und Industrialisierung um 19. Jahrhundert. In: Lampen/Owzar (Hrsg.): Schrumpfende Städte - Ein Phänomen zwischen Antike und Moderne, S. 184.
3 Benke: Historische Schrumpfungsprozesse: Urbane Krisen und städtische Selbstbehauptung in der Geschichte. - In: Gestring et al. (Hrsg.): Jahrbuch StadtRegion 2004/05 - Schwerpunkt: Schrumpfende Städte, S. 55.
4 Göschel: Schrumpfende Städte - Planerische Reaktionen auf den Leerstand. - Planerin 2/2003, S. 9.
5 Kühn: Wachstum und Schrumpfung der Industriestadt - Regenerationsstrategie in Brandenburg an der Havel. - In: Schildt/Schubert (Hrsg.): Städte zwischen Wachstum und Schrumpfung - Wahrnehmungs- und Umgangsformen in Geschichte und Gegenwart, S. 83.
6 Göschel, S. 9.
7 Statistisches Bundesamt: Geburten in Deutschland, 2007, S.8. - http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pk/2007/Geburten/geburten p k,templateId=renderPrintpsml (18.02.2010)
8 Daldrup: Demographie und Stadt. - http://www.schattenblick.de/infopool/politik/fakten/pfber015.html (11.02.2010).
9 Vgl. ebd.
10 Häußermann: Schrumpfende Städte - Katastrophale Perspektiven? - In: Lampen/Owzar (Hrsg.): Schrumpfende Städte - Ein Phänomen zwischen Antike und Moderne, S. 344.
11 Vgl. Weiß: Städte im Nordosten Deutschlands - Regional-demographische Aspekte und Integrierte Stadtentwicklungskonzepte. - Planerin 2/2004, S.5.
12 Behrend et al.: Wer rettet den Westen? Regionen veröden, Städte und Gemeinden verwaisen, zahlreiche Kommunen in den alten Ländern stehen vor dem Bankrott - wenn nicht ein neuer Solidarpakt hilft. - FOCUS Nr. 05/2010, S. 56.