Sexuelle Belästigung wurde in Deutschland im Rahmen der „Busengrapscher-Affäre“ im Jahr 1983 erstmals rechtspolitisch diskutiert. Ein Bundestagsabgeordneter der Grünen hatte Mitarbeiterinnen der Fraktion belästigt. Anfangs stand die Öffentlichkeit diesem Thema noch sehr zurückhaltend gegenüber. Sexuelle Belästigung wurde als seltenes, individuelles Fehlverhalten verstanden. Diese Auffassung war angesichts des Forschungsstands seit den 1980er Jahren nicht erklärlich, schließlich war bekannt, dass sexuelle Belästigung weit verbreitet ist und dass die persönlichen, gesundheitlichen und sozialen Folgen so schwerwiegend sind, dass auch rechtliche Maßnahmen unverzichtbar erscheinen. Als erste umfassende Regelung zum Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz trat im Juni 1994 das Beschäftigtenschutzgesetz (BeschSchG) in Kraft. Es gewährte Beschwerderechte sowie Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche für die Betroffenen. Zur Umsetzung europäischer Richtlinien wurde das BeschSchG 2006 durch das umfassendere Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) abgelöst. Das AGG verbietet jede Form der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz und verpflichtet den Arbeitgeber, vorzubeugen und einzugreifen, wenn es zu Übergriffen kommt.
Diese Arbeit definiert zunächst den Begriff der sexuellen Belästigung und erläutert ihre Erscheinungsformen. Anschließend werden die Reaktionsnotwendigkeiten und möglichkeiten des Arbeitgebers auf sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz im Rahmen des AGG dargestellt und mithilfe aktueller Rechtsprechung umfassend beleuchtet.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Rechtliche Einordnung des Begriffs sexuelle Belästigung
2.1 Die Belästigung der Allgemeinheit in Abgrenzung von der sexuellen Belästigung
2.2 Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
2.3 Erscheinungsformen sexueller Belästigung
2.4 Beispiele für sexuelle Belästigung aus der Rechtsprechung
3 Präventive und reaktive Maßnahmen des Arbeitgebers bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz
3.1 Präventive Maßnahmen des Arbeitgebers
3.1.1 Informationspflicht
3.1.2 Einrichtung einer Beschwerdestelle und eines Beschwerdeverfahrens
3.2 Reaktive Maßnahmen des Arbeitgebers
3.2.1 Ermahnung und Abmahnung
3.2.2 Versetzung
3.2.3 Kündigung
3.2.3.1 Ordentliche Kündigung
3.2.3.2 Außerordentliche Kündigung
4 Zusammenfassung
Gesetzesverzeichnis
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser eseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Sexuelle Belästigung wurde in Deutschland im Rahmen der „Busengrapscher-Affäre“ im Jahr 1983 erstmals rechtspolitisch diskutiert. Ein Bundestagsabgeordneter der Grünen hatte Mitarbeiterinnen der Fraktion belästigt. Anfangs stand die Öffentlichkeit diesem Thema noch sehr zurückhaltend gegenüber. Sexuelle Belästigung wurde als seltenes, individuelles Fehlverhalten verstanden. Diese Auffassung war angesichts des Forschungsstands seit den 1980er Jahren nicht erklärlich, schließlich war bekannt, dass sexuelle Belästigung weit verbreitet ist und dass die persönlichen, gesundheitlichen und sozialen Folgen so schwerwiegend sind, dass auch rechtliche Maßnahmen unverzichtbar erscheinen. Als erste umfassende Regelung zum Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz trat im Juni 1994 das Beschäftigtenschutzgesetz (BeschSchG) in Kraft. Es gewährte Beschwerderechte sowie Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche für die Betroffenen.[1] Zur Umsetzung europäischer Richtlinien wurde das BeschSchG 2006 durch das umfassendere Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) abgelöst. Das AGG verbietet jede Form der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz und verpflichtet den Arbeitgeber, vorzubeugen und einzugreifen, wenn es zu Übergriffen kommt. Die vorliegende Arbeit definiert zunächst den Begriff der sexuellen Belästigung und erläutert ihre Erscheinungsformen. Anschließend werden die Reaktionsnotwendigkeiten und ‑möglichkeiten des Arbeitgebers auf sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz im Rahmen des AGG dargestellt und mithilfe aktueller Rechtsprechung umfassend beleuchtet.
2 Rechtliche Einordnung des Begriffs sexuelle Belästigung
2.1 Die Belästigung der Allgemeinheit in Abgrenzung von der sexuellen Belästigung
Als Belästigung bezeichnet man im weitesten Sinne das nachhaltige Einwirken eines oder mehrerer Subjekte (z. B. einer Person) oder Objekte (einer Sache) auf ein oder mehrere Subjekte (z. B. der Zielperson), wobei es grundsätzlich entscheidend ist, dass es vom Opfer als beeinträchtigend oder schädigend wahrgenommen wird.
Eine Belästigung ist grundsätzlich eine Ordnungswidrigkeit, die nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) geahndet wird. Gemäß § 118 OWiG ist eine Belästigung eine grob ungehörige Handlung, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen. Damit stellt eine Belästigung, auch wenn sie sexueller Natur ist, keinen Straftatbestand dar.
Bei der sexuellen Belästigung handelt es sich um eine spezielle Form der Belästigung, die insbesondere auf das Geschlecht der betroffenen Person abzielt. Sie umfasst alle sexistischen und geschlechtsbezogenen sowie entwürdigenden bzw. beschämenden Bemerkungen und Handlungen, und andere von der betreffenden Person unerwünschten körperlichen Annäherungen.
Eine sexuelle Belästigung kann allenfalls den Tatbestand der Beleidigung aus § 185 Strafgesetzbuch (StGB) erfüllen, und ist deutlich abzugrenzen vom Straftatbestand der sexuellen Nötigung (§ 177 Abs. 1 StGB) und der Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 StGB).[2]
2.2 Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
Die „Busengrapscher-Affäre“ machte deutlich, dass sich sexuelle Belästigung keinesfalls auf den privaten Bereich beschränkt. Seit 1994 ist der Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz durch das BeschSchG gesetzlich festgeschrieben. Das Gesetz definiert sexuelle Belästigung als vorsätzliches, sexuell bestimmtes Verhalten, das die Würde von Beschäftigten am Arbeitsplatz verletzt.[3] Neben sexuellen Handlungen und Verhaltensweisen, die nach den strafgesetzlichen Vorschriften unter Strafe gestellt sind, fallen auch sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen, die von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden darunter (§ 2 Abs. 2 BeschSchG).
Die europäische Gleichstellungsrichtlinie 2002/73/EG benannte sexuelle Belästigung erstmals explizit als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung wurde das BeschSchG mit der Einführung des AGG im August 2006 abgelöst. In § 3 Abs. 4 AGG wird sexuelle Belästigung als ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten beschrieben. Hierzu zählen auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen, sofern diese bezwecken oder bewirken, die Würde des Opfers zu verletzen. Das AGG nimmt somit eine beispielhafte Aufzählung dessen vor, was „sexuell bestimmtes Verhalten“ sein kann. Die Beispiele sind aus der Vorgängernorm des § 2 Abs. 2 BeschSchG übernommen, die darüber hinaus erwähnten strafbaren Handlungen sind in § 3 Abs. 4 AGG nicht mehr enthalten.
Die Definition der sexuellen Belästigung baut auf der allgemeinen Belästigungsdefinition in § 3 Abs. 3 AGG auf, wonach zusätzlich zur Verletzung der Würde der betroffenen Person durch die Belästigung ein durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) spricht von der Schaffung eines „feindliches Umfelds“, was ein anhaltendes Verhalten des Belästigenden erfordert.[4],[5] Bei der sexuellen Belästigung ist hingegen ein entwürdigendes Umfeld nicht erforderlich. Eine Würdeverletzung kann bereits infolge einer einmaligen sexuell bestimmten Verhaltensweise eintreten.[6]
Wie zuvor im außer Kraft getretenen BeschSchG ist § 3 Abs. 4 AGG auf den Anwendungsbereich „Beschäftigung und Beruf“ gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AGG beschränkt.[7] Statt der Beschreibung eines „vorsätzlichen“ und „erkennbar abgelehnten“ Verhaltens gemäß § 2 Abs. 2 BeschSchG ist an diese Stelle die Formulierung „unerwünscht“ getreten.[8] Ein vorsätzliches Verhalten des Belästigenden ist daher nicht erforderlich. Zudem handelt es sich bei der Unerwünschtheit zwar um eine subjektive Einschätzung aus Sicht des Betroffenen, welche jedoch für den Handelnden objektiv erkennbar sein muss.3
2.3 Erscheinungsformen sexueller Belästigung
Sexuelle Belästigung ist vielschichtig und reicht von non-verbalen Formen über verbale Handlungen bis hin zu physischen Formen.[9] Zu non-verbalen Belästigungen durch Mimik, Gestik und Verhaltensweisen gehören u.a. das aufdringliche und einschüchternde Anstarren, anzügliche Blicke, das Hinterherpfeifen, das Aufhängen und Zeigen pornographischen Materials sowie auffordernde Gesten. Formen verbaler sexueller Belästigung sind z.B. sexuell anzügliche Bemerkungen und Witze, sexuell zweideutige Bemerkungen sowie aufdringliche und entwürdigende Kommentare zu Aussehen, Kleidung oder Privatleben. Des Weiteren fallen auch eindeutige Aufforderungen zu intimen oder sexuellen Handlungen unter diese Kategorie. Es ist dabei unerheblich, ob die Belästigung mündlich, telefonisch oder schriftlich gegenüber der betreffenden Person erfolgt. Unerwünschte Berührungen, auch wenn sie zufällig erscheinen, zählen zur physischen sexuellen Belästigung.[10],[11]
2.4 Beispiele für sexuelle Belästigung aus der Rechtsprechung
In den Gerichtsurteilen finden sich zahlreiche Beispiele und Sachverhalte, die als sexuelle Belästigung bewertet wurden. Konkret stellen beispielsweise das Führen von Einstellungsgesprächen außerhalb der Dienstzeit und außerhalb der Diensträume (in einer Sauna)[12], das Nichtverlassen eines Raumes während sich zwei Auszubildende in diesem umziehen[13] oder das Umlegen des Armes um die Schulter einer Auszubildenden durch einen Vorgesetzten gegen ihre ausdrückliche Ablehnung[14] eine sexuelle Belästigung dar. Der „Klaps auf den Po“ wird ebenfalls stets als sexuelle Belästigung angesehen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern urteilte mit der Begründung, dass es sich bei einer Berührung des Gesäßes immer um einen Eingriff in die körperliche Intimsphäre handelt. Entscheidend ist, dass es sich bei dem Gesäß um eine Tabuzone handelt, die man nicht berühren darf.[15]
Hingegen fallen einfache Pin-up-Fotografien an der Innenseite einer Schranktür[16] ebenso nicht in den Bereich der sexuellen Belästigung wie das gegenseitige Ausleihen von Pornofilmen.[17]
Da sexuelle Belästigung nach § 3 Abs. 4 i. V. m. § 1 AGG eine Benachteiligung wegen des Geschlechts darstellt, welche gemäß § 7 AGG verboten ist, ergibt sich auch eine Pflicht des Arbeitgebers, Maßnahmen gegen sexuell belästigendes Verhalten zu ergreifen. Diese sind in § 12 AGG gesetzlich geregelt.
[...]
[1] Ulrike Lembke, APuZ 2014/08, S. 35.
[2] Belästigung: Definition, Begriff und Erklärung im JuraForum.de
[3] Ulrike Lembke, APuZ 2014/08, S. 36.
[4] BAG 24.09.2009, 8 AZR 705/08.
[5] BAG 22.06.2011, 8 AZR 48/10.
[6] BAG 09.11.2011, 2 AZR 323/10.
[7] Schlachter in: Dietrich, Thomas et al., Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht. 2014, § 3 AGG Rn. 20.
[8] Linck in: Schaub, Günter et al., Arbeitsrechts-Handbuch. 2011, § 3 AGG Rn. 40.
[9] FRA – Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, Gewalt gegen Frauen. 2014, S. 32.
[10] Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Was tun bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. S.5.
[11] Stadt Salzburg, Nein zu sexueller Belästigung - Eine Information für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Magistrat Salzburg. S. 9 ff.
[12] LAG Berlin 25.08.1989, AZ 13 Sa 50/89.
[13] ArbG Berlin 27.01.2012, AZ 28 BV 27992/11.
[14] LAG Hamm 13.02.1997, AZ 17 Sa 1544/96.
[15] LAG Mecklenburg Vorpommern 14.08.2012, AZ 5 Sa 324/11.
[16] Linck in: Schaub, Günter et al., Arbeitsrechts-Handbuch. 2011, § 3 AGG Rn. 40.
[17] ArbG Düsseldorf 19.06.1997, AZ 11 Ca 122/97.