Schenkt man dem einleitenden Zitat Glauben, lässt sich daraus ableiten, dass dem Beruf des Finanzanalysten kein Nutzen für den Kapitalmarkt und seine Teilnehmer beigemessen werden kann. Analysten werden nicht benötigt, denn in Phasen allgemein positiver Börsenstimmung nehmen die Aktienkurse auch ohne die Empfehlungen der Analysten an Wert zu, während es in Zeiten tendenziell sinkender Aktienkurse besser ist, auf Aktienbesitz zu verzichten. Es hat den Anschein, als würden Finanzanalysten in Zeiten zunehmender Digitalisierung an Bedeutung verlieren. Jahresabschluss und Geschäftsberichte von Unternehmen an der Börse sind für jeden frei im Internet zugänglich. Zudem wird bezweifelt, dass sich zukünftige Entwicklungen durch die Analyse historischer Daten und bereits vergangener Geschäftsjahre vorhersagen lassen. Nicht zuletzt leidet das Berufsbild der Analysten seit deren Tätigkeit in Zusammenhang mit Unternehmenszusammenbrüchen für Kursverluste vieler Anleger verantwortlich gemacht wird. Sie werden mit dem Vorwurf konfrontiert, durch Interessenskonflikte zu optimistische Aktienempfehlungen und Gewinnprognosen abzugeben, um das Investmentbanking und Wertpapierhandelsgeschäft ihrer Bank anzukurbeln. Aufgrund der bestehenden Kritik und der steigenden Komplexität der Kapitalmärkte setzt sich auch die wissenschaftliche Forschung zunehmend mit Analysten auseinander. Vor diesem Hintergrund lautet die zentrale Fragestellung dieser Arbeit, welche Marktteilnehmer von den Einschätzungen und Prognosen der Analysten profitieren. Um eine Diskussionsgrundlage für die Bearbeitung des Themas zu schaffen, ist es zunächst notwendig, die begrifflichen und theoretischen Grundlagen zum Forschungsgebiet der Finanzanalysten zu erörtern. Im Vordergrund der Betrachtung steht anfangs die Tätigkeit und Funktion des Analysten. Im dritten Kapitel werden drei Untersuchungsperspektiven definiert und anhand deren individuellen Persönlichkeitsprofilen der potentielle Nutzen von Finanzanalysten eruiert.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einführung und Fragestellung
2. Theoretische Grundlagen zu Analysten
2.1 Begriffsbestimmung des Analysten
2.2 Arten von Analysten
2.3 Aufgaben des Analysten
2.4 Funktionen von Finanzanalysten
3. Perspektivengetriebene und kriteriengeleitete Analyse
3.1 Definition der Untersuchungsperspektiven
3.2 Definition der Beurteilungskriterien
3.3 Perspektive 1: Der private Investor
3.4 Ergebnisse der Untersuchungsperspektive
3.5 Perspektive 2: Der Anlageberater
3.6 Ergebnisse der Untersuchungsperspektive
3.7 Perspektive 3: Der Fondsmanager
3.8 Ergebnisse der Untersuchungsperspektive
4. Analyse konfligierender und harmonisierender Beziehungen
4.1 Kriterium der Motive
4.2 Kriterium der Reaktionszeit nach Prognosebekanntgabe
4.3 Kriterium des Informationsumfangs
4.4 Kriterium der Informationsobjektivität
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Die Tätigkeiten des Finanzanalysten
Abbildung 2: Beziehungsgeflecht von Analysten
Abbildung 3: Entscheidungszyklus der Earnings-Surprise-Strategie
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einführung und Fragestellung
"In einer Hausse benötigt man keine Analysten und in einer Baisse keine Aktien."1
Schenkt man dem einleitenden Zitat Glauben, lässt sich daraus ableiten, dass dem Beruf des Finanzanalysten kein Nutzen für den Kapitalmarkt und seine Teilnehmer beigemessen werden kann. Analysten werden nicht benötigt, denn in Phasen allgemein positiver Börsenstimmung nehmen die Aktienkurse auch ohne die Empfehlungen der Analysten an Wert zu, während es in Zeiten ten- denziell sinkender Aktienkurse besser ist, auf Aktienbesitz zu verzichten.2
Es hat den Anschein, als würden Finanzanalysten in Zeiten zunehmender Digitalisierung an Bedeutung verlieren. Jahresabschluss- und Geschäftsbe- richte von Unternehmen an der Börse sind für jeden frei im Internet zugäng- lich. Zudem wird bezweifelt, dass sich zukünftige Entwicklungen durch die Analyse historischer Daten und bereits vergangener Geschäftsjahre vorhersa- gen lassen.3 Nicht zuletzt leidet das Berufsbild der Analysten seit deren Tätig- keit in Zusammenhang mit Unternehmenszusammenbrüchen für Kursverluste vieler Anleger verantwortlich gemacht wird. Sie werden mit dem Vorwurf kon- frontiert, durch Interessenskonflikte zu optimistische Aktienempfehlungen und Gewinnprognosen abzugeben, um das Investmentbanking- und Wertpapier- handelsgeschäft ihrer Bank anzukurbeln.4 Aufgrund der bestehenden Kritik und der steigenden Komplexität der Kapitalmärkte setzt sich auch die wissen- schaftliche Forschung zunehmend mit Analysten auseinander.5
Vor diesem Hintergrund lautet die zentrale Fragestellung dieser Arbeit, welche Marktteilnehmer von den Einschätzungen und Prognosen der Analysten profi- tieren. Um eine Diskussionsgrundlage für die Bearbeitung des Themas zu schaffen, ist es zunächst notwendig, die begrifflichen und theoretischen Grundlagen zum Forschungsgebiet der Finanzanalysten zu erörtern. Im Vor- dergrund der Betrachtung steht anfangs die Tätigkeit und Funktion des Ana- lysten. Im dritten Kapitel werden drei Untersuchungsperspektiven definiert und anhand deren individuellen Persönlichkeitsprofilen der potentielle Nutzen von Finanzanalysten eruiert. Nachfolgend werden in Kapitel vier die betrachteten Perspektiven anhand von Beurteilungskriterien verglichen, um konfligierende und harmonisierende Beziehungen sowie deren Konsequenzen aufzudecken. Eine Zusammenfassung der im Rahmen der perspektivengetriebenen theoretischen und empirisch ökonomischen Analyse gewonnenen Erkenntnisse schließt die vorliegende Arbeit ab.
2. Theoretische Grundlagen zu Analysten
2.1 Begriffsbestimmung des Analysten
Finanzanalysten werden häufig auch als Investment- oder Wertpapieranalys- ten bezeichnet und sind der Gruppe der Informationsintermediäre zugeordnet. Die Berufsorganisation der in Deutschland tätigen Investmentanalysten und Vermögensverwalter "Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Ma- nagement" (DVFA) definiert Finanzanalysten als "Personen, die aufgrund all- gemein verfügbarer Informationen und spezieller Vorkenntnisse eine Beurtei- lung und Bewertung von Wertpapieren von Unternehmen und deren Derivaten - auch von Volkswirtschaften, Kapitalmärkten und Branchen - in Form von zumeist schriftlichen Analysen vornehmen. Die Ergebnisse der Arbeit der Ana- lysten dienen privaten und institutionellen Anlegern und Kundenberatern, Vermögensverwaltern sowie Portfolio-Managern in Kapitalanlagegesellschaf- ten im In- und Ausland als Grundlage für Anlageentscheidungen (...)."6 Gemäß dessen handelt es sich bei Finanzanalysten um Personen, die Informationen börsennotierter Unternehmen beschaffen, verarbeiten und interpretieren, um darauf aufbauend Prognosen und Empfehlungen für Unternehmen zu erstel- len. Diese dienen wiederum anderen Kapitalmarktteilnehmern als Entschei- dungshilfe für Investitionsvorhaben.7 Finanzanalysten nehmen somit eine wichtige Multiplikatorenrolle auf dem globalen Kapitalmarkt ein.8
2.2 Arten von Analysten
Finanzanalysten lassen sich gemäß ihrer funktionalen und institutionellen Ei- nordnung abgrenzen.9 Hinsichtlich der funktionalen Einordnung lassen sich die Aufgabenfelder Strategie, Economic Research, Fixed Income Research, Quantitative Research, und Equity Research (Aktienresearch) unterscheiden, deren Abgrenzungskriterium im betrachteten Untersuchungsobjekt besteht.10 Dabei unterstützen sich die einzelnen Funktionen häufig gegenseitig in ihrer Arbeit, zum Beispiel bauen viele Aktienanalysen auf Datenmaterial des Economic Research auf.11 Insbesondere das Aktienresearch befasst sich mit der Analyse und Bewertung von Unternehmen, der Prognose von Gewinn-, Rendite-, und Wertentwicklung sowie der Ableitung von Aktienempfehlungen.12 Anlässlich der Zielsetzung dieser Arbeit wird im Folgenden ausschließlich das funktionale Aufgabenfeld des Aktienresearch betrachtet.
Hinsichtlich der institutionellen Einordnung kann je nach Arbeitgeber zwischen Buy-side- und Sell-side-Analysten sowie unabhängigen Analysten unterschie- den werden. Bei den Buy-side-Analysten handelt es sich um Angestellte von institutionellen Anlegern wie Kapitalanlagegesellschaften, Versicherungen oder Kreditinstituten,13 die Gutachten, Studien und sonstige Anlageurteile aus- schließlich für das eigene Unternehmen erstellen. Da die gelieferten Informa- tionen direkt in Investitionsentscheidungen einfließen, haben Buy-side- Analysten großes Interesse daran, vielversprechende Aktien frühzeitig zu identifizieren und ihren jeweiligen Portfolio-Managern zu empfehlen, um diese bei der Einschätzung von Branchen und Einzelunternehmen zu unterstützen.14
Sell-side-Analysten sind in der Regel bei Universalbanken, Investmentbanken und Brokerhäusern beschäftigt. Ihre Research-Ergebnisse dienen in erster Linie der Verkaufsunterstützung der Handelsabteilung - daher "Sell-side".15 Im Gegensatz zu den Buy-side-Analysten richten sich ihre Berichte und Anlage- empfehlungen an externe Adressaten, um bereits bestehende Kunden des Instituts sowie potenzielle Neukunden von einer bestimmten Aktie zu über- zeugen und folglich Transaktionen der mit den Daten belieferten Investoren einzuleiten. Die Research-Berichte werden entweder direkt an die Kunden weitergegeben oder an Journalisten und Informationsdienstleister weitergelei- tet, die diese im Anschluss publizieren.16
Neben den Buy-side- und Sell-side-Analysten gibt es noch den wesentlich geringeren Anteil an unabhängig arbeitenden Analysten. Diese geben für ge- wöhnlich keine Analysen oder vergleichbare Untersuchungen an die Öffent- lichkeit, sondern werden nur aufgrund konkreter Vertragsverhältnisse tätig.17 Sie verkaufen ihre Empfehlungen auf Abonnentenbasis oder als Projektarbeit und sind somit auf eine gute Beziehung zu den Kunden ihrer Auftragsstudien angewiesen.18
2.3 Aufgaben des Analysten
Die Tätigkeit eines Finanzanalysten lässt sich in drei Prozesse einteilen. Wie die nachfolgende Übersicht zeigt, handelt es sich dabei um die Informationsbeschaffung, die Informationsverarbeitung und die Verbreitung der wichtigsten Daten an unterschiedliche Interessensgruppen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Die Tätigkeiten des Finanzanalysten19
Der erste Schritt des Informationsverarbeitungsprozesses umfasst die Be- schaffung der relevanten Daten. Als Quelle ziehen Finanzanalysten Ge- schäfts-, Branchen- und Wirtschaftsdaten und exklusive Interviews mit der Geschäftsführung heran, um einen genauen Einblick in die Finanzstruktur des Unternehmens zu erlangen.20 Daneben greifen sie auch auf Informationsquel- len zurück, die anderen Kapitalmarktteilnehmern nicht unmittelbar zugänglich sind. Dazu zählt insbesondere die Teilnahme an Analystenkonferenzen oder -gesprächen.21 Die beschafften Informationen werden gesammelt und archiviert, um jederzeit einen schnellen Zugriff auf das Datenmaterial für die Aufarbeitung der Research-Berichte, deren Aktualisierung und für die Erstellung von Folgeanalysen zu gewährleisten.22
Die Hauptaufgabe von Analysten ist die Verarbeitung der Informationen, um aus der Vielfalt der Wertpapiere diejenigen auszuwählen und genauer zu ana- lysieren, die sich für den Kauf oder Verkauf eignen.23 Innerhalb des Informa- tionsverarbeitungsprozesses führen Analysten Unternehmensbewertungen durch, prüfen die Bonität und Entwicklung des Unternehmens für eine Kredit- vergabe, Emissionen und Beteiligungen, erstellen Anlagekommentare, Stel- lungnahmen und Berichte für Unternehmen und Branchen, werten Fremdana- lysen aus und fassen diese zusammen. Ferner erstellen sie Depotanalysen, berechnen Renditen und entwerfen Investitionsvorschläge für bestimmte Un- ternehmen.24 Hierfür verarbeiten sie alle relevanten Unternehmens- und Bran- cheninformationen über die vergangene und gegenwärtige Unternehmens- entwicklung. Die objektive Auswertung erfolgt auf Basis finanztheoretischer Berechnungen und Modellierungen. Im Rahmen der Unternehmensbewertung greifen Analysten in der Regel auf die Fundamentalanalyse oder die techni- sche Aktienanalyse zurück.25 Bei der Fundamentalanalyse werden vergange- ne Umsatzentwicklungen, Aktiv- und Passivposten der Unternehmen, ausste- hende Verträge und andere Geschäftspraktiken betrachtet. Charttechniker greifen dagegen für ihre Analyse auf statische Daten aus vergangenen Kurs- formationen zurück.26
Im Anschluss an die Unternehmensbewertung, wird das ermittelte Ergebnis mit dem aktuellen Marktwert des Unternehmens verglichen und daraus eine Schlussfolgerung für die erwartete zukünftige Wertentwicklung der Aktie ge- zogen. Häufig wird das Anlageurteil noch durch qualitative Argumente (z.B. zur Unternehmensstrategie oder Wettbewerbsposition des Unternehmens) sowie durch Angaben zum Kursziel unterstützt und in einem Research-Bericht schriftlich festgehalten.27 Anhand der präzisen Einschätzung der Chancen und Risiken eines Unternehmens,28 werden in diesem Bericht Empfehlungen über das Halten, Kaufen oder Verkaufen einer Aktie ausgesprochen. Dabei werden Handlungsempfehlungen für gewöhnlich aus Vergleichen mit der Markt-, In- dustrie- und Konkurrenzentwicklung gewonnen.29
Nach der Informationsbeschaffung, deren Auswertung und ihrer Zusammen- fassung in einem Research-Bericht umfasst der dritte und letzte Arbeitsschritt die Weitergabe der Empfehlungen und Analysen an die Öffentlichkeit bzw. die Auftraggeber der Analysestudien. Die schriftlichen und mündlichen Stellung- nahmen, Kommentare und die konkreten Anlagevorschläge einzelner Wertpa- piere und Branchen werden sowohl an Vermögensverwalter, Kunden- und Wertpapierberater und Abteilungen im Investment Banking als auch an private Kunden, Journalisten oder die Wirtschaftspresse kommuniziert.30
2.4 Funktionen von Finanzanalysten
Die Funktionen von Finanzanalysten auf dem Kapitalmarkt sind abhängig von den vorherrschenden Finanzierungstheorien und unterscheiden sich je nach unterstellter Kapitalmarkttheorie erheblich.
Ursprung der theoretischen Grundlagen bildet die traditionelle neoklassische Kapitalmarkttheorie, die von der Annahme vollkommener Märkte ausgeht.31 Nach herrschender Meinung impliziert ein vollkommener Markt ein streng ra- tionales Verhalten der Wirtschaftsubjekte und vollständige Markttransparenz durch uneingeschränkte und kostenlose Information aller Markteilnehmer.32 Folglich bilden Wertpapierpreise ein perfektes Informationssystem, da sie zu jedem Zeitpunkt alle am Markt vorhandenen Informationen unverzerrt wider- spiegeln.33 Bezogen auf Informationsintermediäre wie Finanzanalysten be- steht unter solchen Annahmen kein Bedarf an ihren Diensten, da sämtliche Informationen frei verfügbar sind und optimal verwertet werden.34
Die Neoinstitutionalistische Finanzierungstheorie löst die strengen Annahmen der neoklassischen Theorie eines vollkommenden Marktes auf und berück- sichtigt realitätsnähere ökonomische Zusammenhänge durch Einbezug von Marktmacht, Transaktionskosten oder asymmetrischen Informationen.35 Ein für Analysten relevantes Teilgebiet ist der Prinzipal-Agenten-Ansatz, dessen Gegenstand Informationsasymmetrien zwischen dem Auftraggeber (Prinzipal) und der beauftragten Person (Agent) darstellt. Diese Informationsasymmetrien entstehen bei Unsicherheit durch den Informationsvorsprung des Agenten. Der Prinzipal kann die Leistung des Agenten nicht am Endergebnis messen und selbst dessen Leistungsbemühungen aufgrund der Delegation der Aufga- be nicht beobachten. Der Agent wird bei Interessenskonflikten die Informati- onsasymmetrien ausnutzen und seinen Nutzen zu Lasten des Prinzipals er- höhen.36
Auch ein Finanzanalyst hat in der Regel eigene Absichten, die oftmals nicht mit den Zielen seines Arbeitgebers, des Managements des betreuten Unter- nehmens und der Investoren übereinstimmen.37 Durch die einzelnen Bezie- hungen und Interessenskonflikte innerhalb der Finanzanalyse kann ein kom- plexes System von Abhängigkeiten entstehen. Der Finanzanalyst ist dabei Teil einer mehrstufigen Prinzipal-Agenten-Beziehung.38 Zum einen agiert er in sei- ner Funktion als Informationsintermediär als Agent für die Investoren (Prinzipal 1), die Aktienprognosen und Anlageempfehlungen von Analysten nutzen, um eine hochgradig fundierte Investitionsentscheidung treffen zu können.39 Sie erwarten folglich einen möglichst objektiven, unverzerrten und genauen Ak- tienresearch. Andererseits hat der Analyst noch eine zusätzliche Position als Agent inne. In der Regel ist er bei einer Investmentbank oder einem Broker- haus beschäftigt, die ihrerseits das vom Analysten betreute Unternehmen als Kunden weiterer Bankdienstleistungen haben oder gleichzeitig verbundene Kapitalanlagegesellschaften aufweisen, welche die vom Sell-Side-Analysten beobachteten Aktien gegebenenfalls in ihrem eigenen Bestand besitzen. Die Geschäftsführung des betreuten Unternehmens (Prinzipal 2) und der Arbeit- geber des Analysten sind allerdings nicht immer an einer objektiven und exak- ten Unternehmensanalyse interessiert.40
Demnach können die Beziehungen des Analysten zum einen zur Geschäfts- führung des zu analysierenden Unternehmens, zum anderen zu seinem Ar- beitgeber und darüber hinaus direkt oder indirekt zu einer verbundenen Kapi- talanlagegesellschaft die Qualität des Aktienresearchs beachtlich beeinträch- tigen. Zwar versucht der Gesetzgeber die Verbindung des Analysten zu ande- ren Abteilungen des Arbeitgebers einzuschränken, dennoch ist zu erwarten, dass der Analyst als Agent für mehrere Parteien agiert, die jeweils unter- schiedliche Zielvorstellungen über das Resultat seiner Researchtätigkeit ha- ben.41
Unter den Annahmen der Neoinstitutionalistischen Kapitalmarkttheorie kann die Bedeutung von Finanzanalysten erklärten werden. Hinsichtlich der Infor- mationsasymmetrien sind Analysten im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Lage, den Informationsnachteil, dem die Eigenkapitalgeber gegenüber dem Mana- gement eines Unternehmens ausgesetzt sind, auszugleichen.42 Zudem wäre die Überwachung des Unternehmensmanagements durch jeden einzelnen Investor mit hohen Agency-Kosten verbunden. Daher lohnt es sich für die In- vestoren, diese Aufgabe, ebenso wie die erstmalige Bewertung eines Unter- nehmens, an einen Analysten zu delegieren.43
Die Erkenntnis einer begrenzten Informationsaufnahme und Verarbeitungska- pazität bildet den Ausgangspunkt der Forschung zur Behavioral Finance, die versucht, das Verhalten von Kapitalmarktteilnehmern realitätsnäher zu be- schreiben und zu begründen.44 Es wird eine begrenzte Rationalität der Markt- teilnehmer angenommen45, die zwar weiterhin versuchen nutzenmaximierend zu handeln, sich allerdings aufgrund der begrenzten kognitiven Aufnahme- und Verarbeitungskapazitäten nicht uneingeschränkt Wissen aneignen kön- nen.46 Um in Entscheidungssituationen die Komplexität der Informationsaus- wahl zu reduzieren, greifen sie daher auf Faustregeln, sog. Heuristiken zu- rück, die es ermöglichen, Informationen möglichst einfach und schnell in den Entscheidungskontext einzubinden.47
Auch Analysten sind nur beschränkt rational handelnde Menschen, die wie alle Kapitalmarktakteure dazu neigen, komplexe Entscheidungen innerhalb ihrer Möglichkeiten und Erfahrungen zu reduzieren. Sie handeln nicht isoliert, sondern in einem sozialen Umfeld, welches ihre Entscheidungen mitprägt48 und zu einem suboptimalen Entscheidungsprozess führt. Analysten stehen vor dem Problem, die zur Deckung ihres Informationsbedarfs bewertungsrelevan- ten Informationen herauszufiltern und diese möglichst unverzerrt zu verarbei- ten.49 Dennoch reduzieren sie im Rahmen ihrer Tätigkeit die Komplexität für andere Kapitalmarktteilnehmer, indem sie Daten komprimiert zur Verfügung stellen, während viele Anleger von der unüberschaubaren Menge an Kapital- marktinformationen überfordert sind. Deshalb passen Investoren ihr Anleger- verhalten an die Empfehlungen der Analysten an, in dem Glauben, dass deren Urteile auf besseren Informationen beruhen, über die sie selbst nicht verfügen. In der Literatur wird dieses Phänomen als Herdenverhalten bezeichnet.50
In Zusammenhang mit den Erkenntnissen der Behavioral Finance steigen so- mit die Anforderungen an Finanzanalysten. Zu einem qualitativen Research- Bericht zählt deshalb, dass sich die Analysten ihren durch irrationales Verhal- ten ausgelösten Fehlern bewusst werden und Verständnis dafür entwickeln, wie die Psyche das Börsengeschehen beeinflusst. Die Einsicht in die eigene fehlerhafte Objektivität kann einen ausschlaggebenden Einfluss auf die Quali- tät der Analystenarbeit haben.
[...]
1 Reisenberger (2004), S. 996.
2 Vgl. Reisenberger (2004), S. 996.
3 Vgl. Reisenberger (2004), S. 996.
4 Vgl. Müller (2005), S. VII.
5 Vgl. Friedrich (2007), S. 5.
6 DVFA (1995), S. 87.
7 Vgl. Faitz (2000), S. 171 ff.
8 Vgl. Frank (2004), S. 307.
9 Vgl. Wichels (2002), S. 31.
10 Vgl. Achleitner (2002), S. 761 f.
11 Vgl. Wichels (2002), S. 36.
12 Vgl. Pietzsch (2004), S. 12.
13 Vgl. Bittner (1996), S. 26.
14 Vgl. Reisenberger (2004), S. 998.
15 Vgl. Zemelka (2002), S. 644.
16 Vgl. Stanzel (2007), S. 21.
17 Vgl. Oberdörster (2009), S. 59.
18 Vgl. Hotz (2007), S. 73.
19 Eigene Darstellung in Anlehnung an Müller (2005), S. 11.
20 Vgl. Rosen, Gerke (2001), S. 11.
21 Vgl. DVFA (1995), S. 87.
22 Vgl. Müller (2005), S. 12.
23 Vgl. Hotz (2007), S. 44 f.
24 Vgl. Müller (2005), S. 12f.
25 Vgl. Penman (2013), S. 76 f.
26 Vgl. Müller (2005), S. 13.
27 Vgl. Penman (2013), S. 75 ff.
28 Vgl. Pietzsch (2004), S. 68.
29 Vgl. Müller (2005), S. 13 ff.
30 Vgl. Rosen, Gerke (2001), S. 11.
31 Vgl. Laux (2006), S. 135.
32 Vgl. Zunisch (2016), S. 2 ff.
33 Vgl. Franke, Hax (2009), S. 434.
34 Vgl. Krönert (2001), S. 21.
35 Vgl. Paarz (2011), S. 8.
36 Vgl. Stanzel (2007), S. 121 f.
37 Vgl. Stanzel (2007), S. 132.
38 Vgl. Hodgkinson (2001), S. 943.
39 Vgl. Rosen, Gerke (2001), S. 10.
40 Vgl. Stanzel (2007), S. 132.
41 Vgl. Stanzel (2007), S. 133.
42 Vgl. Henze (2007), S. 10 ff.
43 Vgl. Chung, Jo (1996), S. 495.
44 Vgl. Holtfort (2010), S. 22.
45 Vgl. Bergold, Mayer (2005), S. 14.
46 Vgl. Daxhammer (2012), S. 176.
47 Vgl. Günther et al. (2012), S. 110.
48 Vgl. Menkhoff (1995), S. 68.
49 Vgl. Stanzel (2007), S. 22.
50 Vgl. Lüscher-Marty (2012), S. 287 f.