In dieser Hausarbeit setze ich mich mit der moralischen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen im Kontext der Schulverweigerung auseinander. Mein Schwerpunkt liegt hierbei auf dem Stufenmodell der Moralentwicklung von Lawrence Kohlberg. Dieses werde ich genauer erläutern, um den Begriff der moralischen Entwicklung definieren zu können.
Nachfolgend gehe ich genauer auf heutige Schulverweigerung ein, um eine Übersicht über den Begriff und die Ursachen zu schaffen. Hierbei stelle ich Auslöser und Folgewirkungen sowie unterschiedliche Arten der Schulverweigerung dar.
Am Ende meiner Hausarbeit werde ich das Konzept des Instituts apeiros und meine tägliche Arbeit mit schulverweigernden Kindern und Jugendlichen näher erläutern und mit dem Stufenmodell der Moralentwicklung vergleichen. Die wichtigen Stufen werde ich im Kontext meiner Arbeit erläutern und mögliche Ansätze zur Förderung der entsprechenden Moralstufe und deren Entwicklung darstellen.
Das Stufenmodell der Moralentwicklung - moralische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen
1. Vorwort
2. Lawrence Kohlberg und die Moraltheorie
2.1. Biografie
2.2 Moraltheorie
3. Das Stufenmodell der Moralentwicklung
3.1. Präkonventionelle Ebene
3.2. Konventionelle Ebene
3.3. Postkonventionelle Ebene
4. Schulverweigerung
4.1. Definition und Ursachen
5. "Institut apeiros" - Ambulante Jugendhilfe für Schulverweigerer
5.1. Das Konzept
5.2. Im Kontext der Moralstufen
5.3. Umsetzung
6. Abschließende Beurteilung
Quellenverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Vorwort
Bereits im Studium wird man als zukünftiger Sozialarbeiter regelmäßig mit der Frage konfrontiert: "Was ist die Aufgabe eines Sozialarbeiters?"
Während meiner Arbeit mit Schulverweigerern im Institut apeiros wird mir täglich bewusst, welche Wichtigkeit die Vermittlung von Normen und Werten für die Kinder und auch für die Sozialarbeiter hat. Regelmäßig fällt mir während der Arbeit mit jungen Schulverweigerern auf, wie sehr sich der Umgang mit Normen und Werten, im Gegensatz zu meiner Jugendzeit, verändert hat. Das Verhältnis zwischen Erwachsenen und Jugendlichen scheint ein ganz anderes zu sein, als zu meiner Jugendphase, es scheint respektloser. Doch wie ist es in der heutigen digitalisierten Welt möglich, den Kindern und Jugendlichen den Begriff von Ethik und Moral überhaupt näher zu bringen? Digitale Medien nehmen bei Kindern und Jugendlichen einen hohen Stellenwert ein: Das Internet ist für jeden zugänglich und bietet unendliche Möglichkeiten sich die Zeit zu vertreiben, sich Meinungen zu bilden. Die Begriffe Selbstverantwortung, Pflichtgefühl und Moral scheinen, zumindest bei meiner Arbeit mit Schulverweigerern, ausgestorben zu sein. Es stellt sich die Frage: Wie ist es also möglich, Kinder und Jugendliche zum moralischen Denken zu bewegen und sie in ihrer Moralentwicklung zu unterstützen?
In dieser Hausarbeit setze ich mich mit der moralischen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen im Kontext der Schulverweigerung auseinander.
Mein Schwerpunkt liegt hierbei auf dem Stufenmodell der Moralentwicklung von Lawrence Kohlberg. Dieses werde ich genauer erläutern, um den Begriff der moralischen Entwicklung definieren zu können.
Nachfolgend gehe ich genauer auf heutige Schulverweigerung ein, um eine Übersicht über den Begriff und die Ursachen zu schaffen. Hierbei stelle ich Auslöser und Folgewirkungen sowie unterschiedliche Arten der Schulverweigerung dar.
Am Ende meiner Hausarbeit werde ich das Konzept des Instituts apeiros und meine tägliche Arbeit mit schulverweigernden Kindern und Jugendlichen näher erläutern und mit dem Stufenmodell der Moralentwicklung vergleichen. Die wichtigen Stufen werde ich im Kontext meiner Arbeit erläutern und mögliche Ansätze zur Förderung der entsprechenden Moralstufe und deren Entwicklung darstellen.
2. Kohlberg und die Moraltheorie
2.1 Biografie
Lawrence Kohlberg wird am 25.10.1927 in Bronxville, New York, geboren. Als jüngster Sohn einer protestantischen Mutter und eines jüdischen Vaters wächst Kohlberg mit seinen drei Geschwistern in der ländlichen Wohngegend des Westchester County unter komfortablen Lebensbedingungen auf. Nach zehnjähriger Ehe kommt es 1932 zur Scheidung Kohlbergs Eltern. Bereits während seiner Schulzeit an der Phillips Academy gilt Kohlberg als ausgezeichneter Schüler und setzt sich mit moralischen und religiösen Themen auseinander.
1945 schließt Kohlberg das College ab und tritt im Herbst desselbigen Jahres der Handelsmarine bei. Auf diese Weise gelangt Kohlberg nach Europa, dort wird er Zeuge der prekären Folgen des Holocausts und der außerordentlichen Zerstörungen des europäischen Kontinents. Diese prägende Erfahrung veranlasst ihn seine Tätigkeit bei der Handelsmarine aufzugeben und eine Stelle als unbezahlter Ingenieur auf einem Frachtschiff anzunehmen. Als Mitglied einer jüdisch-militärischen Organisation schmuggelte Kohlberg fortan jüdische Flüchtlinge aus Osteuropa nach Palästina. Während eines Einsatzes wird sein Schiff von britischen Einheiten geentert und Kohlberg auf Zypern interniert.
Nach längerer Zeit des Arrests und unausweichlicher Reflexion seines vergangenen Handelns kommt Kohlberg zu dem Entschluss, nach seiner Entlassung zu studieren. Sein Studium der Psychologie nimmt er noch im selbigen Jahr an der renommierten Universität von Chicago auf und erwirbt bereits 1949 nach knapp zwei Semestern den Bachelor of Arts (B.A) seines Studienganges. Nach dieser bemerkenswerten Leistung folgt eine extrem gegensätzliche: die an den B.A anschließende Promotion beendet Kohlberg erst 1958 und summiert seine Studienzeit somit auf neun Jahre. Kohlberg sieht darin lediglich den Beweis, dass menschliches Verhalten nicht vorhersehbar sei. Obwohl Kohlbergs Interesse für Entwicklungspsychologie anfangs denkbar gering ist, entwickelt er durch die in der psychologischen Standardausbildung unberücksichtigten Veröffentlichungen von James Mark Baldwin, George Herbert Mead und Jean Piaget Hingabe für die Fragen und Probleme menschlicher Entwicklung.
Während seiner akademischen Karriere entwickelt Kohlberg die Idee einer Universalität der moralischen Entwicklung. Diese veranlasste ihn dazu, in verschiedenen Ländern Feldforschungen zu betreiben. Nachdem Kohlberg 1968 Professor für Erziehungswissenschaften und Sozialpsychologie an der Harvard University in Cambridge wird und dort lehrt und forscht, gründet er im Jahr 1974 das "Center for Moral Education and Development". Zu diesem Zeitpunkt hat Kohlberg Aufenthalte in Taiwan, Israel und British Honduraz, dem heutigen Belize, hinter sich. Im Mai 1973 wird ihm nach vielfältigen Beschwerden und Schmerzen diagnostiziert, dass er sich mit einem tödlichen Parasiten infiziert hat. Der sich kontinuierlich verschlechternde Zustand Kohlbergs treibt ihn schließlich am 17. Januar 1987 in den Selbstmord. Kohlberg ertränkt sich im Atlantik in der Nähe von Boston.1
2.2 Moraltheorie
Um die verschiedenen Schwerpunkte der Entwicklung der Moraltheorie Kohlbergs darzustellen, wird diese nach Detlef Garz in drei Hauptabschnitte unterteilt.
In der grob unterteilten ersten Phase erfährt die Stufenentwicklung des moralischen Urteils von Kohlberg seinen Aufbau und die erste empirische Absicherung. Kohlbergs Entwicklung seiner Theorie beginnt mit seiner Dissertation "The Development of Modes of Moral Thinking and Choice in the Years of 10 to 16" von 1958. Kohlberg orientiert sich an Jean Piagets Studie "Das moralische Urteil beim Kinde". Schnell stellt Kohlberg fest, dass die von Piaget vorgenommene Einteilung, der moralischen Entwicklung in drei Stufen, zur vollständigen Erfassung der moralischen Entwicklung längst nicht ausreichend ist.2
Kohlberg pflichtet Piaget allerdings bei, dass sich der Gerechtigkeitssinn in verschiedenen Kulturen dennoch gleichartig entwickle. Dies stellt Kohlberg eigens fest, nachdem er mit Kollegen in den 60ern kulturvergleichende Forschung betreibt. Basierend auf den Grundlagen seiner Forschung fügt Kohlberg den bereits bestehenden drei Stufen der moralischen Entwicklung noch eine vierte, fünfte und sechste Stufe hinzu, welche in drei Hauptniveaus unterteilt werden.3
Des Weiteren schreibt Garz bezüglich der Forschungsphasen, dass Kohlberg und seine Mitarbeiter gegen Ende der sechziger Jahre feststellen, dass es Fehler in der Stufendefinition und der Messmethode gibt. Diese Entdeckung veranlasst Kohlberg, sich tiefgehender mit der Entwicklung unterschiedlicher Messmethoden auseinanderzusetzen.
Die zweite Phase der Kohlbergschen Forschung bringt drei unterschiedlic he Messmethoden hervor. Die bereits bestehende Methode ist das Aspekt-Scoring- Auswertungssystem (Global Story Rating/Sentence Scoring) von 1958. Zusätzlich entwickelt Kohlberg die strukturelle Themenauswertung 1972 und darauffolgend 1978 die Auswertung aufgrund ausgewählter moralischer Wertobjekte. Mit der Herausgabe eines Auswertungshandbuches, mit einer Stufendefinition und der drei entwickelten Messmethoden schloss Kohlberg 1978 seine zweite Forschungsphase ab.
Eine signifikante Entwicklung der dritten Forschungsphase ist die Weiterführung der Stimulation der moralischen Entwicklung zu einer "Gerechten Gesellschaft". Diese vertritt den Ansatz, dass die moralische Stimulation im Unterricht nicht ausreicht, sondern vielmehr das alleinige schulische Umfeld eine moralisch geprägte Atmosphäre aufweisen muss. Anstoß zu dieser Entwicklung geben die Ergebnisse aus Feldforschungen in Israel an Kindern und Jugendlichen, die im Kibbuz aufwuchsen. Im Vergleich zu Stadtkindern durchliefen sie eine schnellere moralische Entwicklung. Der weitere Verlauf der dritten Forschungsphase führt Kohlberg wieder zurück zu unbeantworteten Fragen der ersten Forschungsphase. Er setzt sich verstärkt mit Kritik an seiner Interpretation auseinander.4
3. Das Stufenmodell der Moralentwicklung
Laut Detlef Garz enden die von Kohlberg geführten drei Forschungsphasen schließlich 1983 mit der Publikation, der von ihm und drei weiteren Kollegen erarbeiteten Vorlage "Longitudinal Study of Moral Judgment". Die Interviews, die er im Zeitraum von 1960 bis einschließlich 1977 führt, bieten ihm die angemessene Datengrundlage, um letztendlich sein Stufenmodell der moralischen Entwicklung aufzustellen. Insgesamt befragt Kohlberg 96 Teilnehmer, 60 davon über die Jahre erneut ein zweites Mal. Die Befragten müssen auf neun von Kohlberg selbst aufgestellte, moralische Dilemmata antworten.5
Die sechs Stufen der moralischen Entwicklung stellt Kohlberg folgendermaßen auf:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Stufen der moralischen Entwicklung
3.1 Die Präkonventionelle Ebene
Kohlberg definiert auf diesem Niveau, dass das Kind Etikettierungen wie "Gut und Böse" oder "Richtig und Falsch" anhand von Folgen seiner Handlungen unterscheidet. Die Folgen belaufen sich etwa auf Strafe, Belohnung oder Austausch von Gefälligkeiten. Das Kind orientiert sich hierbei an Autoritätspersonen und deren physische Dominanz. Die Ebene wird durch Kohlberg in zwei Stufen unterteilt:
Stufe 1: Orientierung an Strafe und Gehorsam: In erster Linie geht es um die Vermeidung von Strafe und die naive Unterwerfung des Kindes gegenüber der Autoritätsperson. Ob eine Handlung gut oder böse ist, entscheidet sich ungeachtet der Werte oder der Bedeutung der Konsequenzen aufgrund der materiellen Folgen durch die physisch überlegene Person.
Stufe 2: Instrumentell-relativistische Orientierung: Grundzüge von Fairness, Gleichverteilung und Gegenseitigkeit sind in Ansätzen vorhanden. Charakteristisch ist hier der Vergleich von Beziehung mit einem Handelsgeschäft. Die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse und auch Bedürfnisse Dritter steht im Mittelpunkt und geschieht im Sinne von "Wie du mir, so ich dir". Loyalität oder Gerechtigkeit werden auf dieser Stufe noch nicht verstanden.6 Kohlberg definiert diese Ebene für ein Durchschnittsalter von 10-13 Jahren. Die moralische Entwicklung kann abhängig von der kulturellen und globalen Herkunft in manchen Fällen auch langsamer oder schneller verlaufen.7
[...]
1 vgl. Garz, Detlef, Lawrence Kohlberg zur Einführung, Hamburg, Junius Verlag, 1. Aufl. 1996, S. 11-24
2 vgl. Garz, Detlef, Sozialpsychologische Entwicklungstheorien von Mead, Piaget und Kohlberg bis zur Gegenwart, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 3. erweiterte Aufl. 2006, S. 90f
3 vgl. Kohlberg, Lawrence, Die Psychologie der Moralentwicklung, Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag, 1. Aufl. 1996, S. 25f
4 vgl. Garz, Detlef, 2006, S. 91fff
5 vgl. Garz, Detlef, 1996, S. 53ff
6 vgl. Kohlberg, Lawrence, 1996, S. 51
7 vgl. Kohlberg, Lawrence, 1996, S. 53-59