Auswirkungen von Armut auf das Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen
Zusammenfassung
In der sozialwissenschaftlichen Forschung erweist sich der sozialökonomische Status als bestimmende Größe für das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit. In dieser Arbeit wird herausgestellt, inwiefern die materielle Armut die Gesundheit, insbesondere die psychische, von Kindern und Jugendlichen beeinflusst und welche Folgen sie mit sich bringen kann. Es wird versucht die Brisanz der Thematik hervorzuheben, auf die Langzeitfolgen von Kinderarmut im Bereich Gesundheit hinzuweisen und Interventionsmöglichkeiten vorzuschlagen, um Exklusionsprozesse zu vermeiden.
Dazu wird zunächst im zweiten Kapitel der Armutsbegriff ausgeführt. Anschließend werden dem Leser die verschiedenen Perspektiven der Armutskonzepte vorgestellt. Mit diesem Grundwissen werden im vierten Kapitel aktuelle Erkenntnisse über Kinderarmut zusammengetragen. Um die These „Armut macht Stress und Stress macht krank“ (Vavrik, 2016: 48) kritisch zu hinterfragen, werden im folgenden Kapitel Gesundheit und Krankheit definiert, um anschließend die Auswirkungen von Armut auf den Gesundheitsstatus zu betrachten. Diese werden sowohl aus der biomedizinischen als auch aus der psychosozialen Perspektive dargelegt. Abschließend werden im sechsten Kapitel intervenierende Maßnahmen vorgestellt, um die Wirkmechanismen sozialer Benachteiligung für Kinder aus deprivierten Lebenslagen zu unterbrechen.
Die in diesem Werk herausgearbeiteten Erkenntnisse stellen die Armutsthematik im Überblick dar und aufgrund deren Komplexität ist keine differenzierte Betrachtung empirisch erfasster Daten aus aktuellen Studien möglich. Der Fokus liegt auf der Erläuterung von relevanten Aspekten der Armut, sowie der Ausführung der Problemzusammenhänge zur Gesundheitsentwicklung von Kinder und Jugendlichen.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Der Armutsbegriff
3 Armutskonzepte
3.1 Absolute Armut
3.2 Relative Armut
3.3 Perspektiven der Lebenslagen und der Ressourcen
3.3.1 Armut als Mangel an Einkommen
3.3.2 Die Kumulation von Unterversorgungslagen
4 Armutsforschung
5 Kinderarmut
6 Gesundheit und Krankheit
6.1 Auswirkungen von Armut auf die Gesundheit und Krankheit
6.2 Die kindliche Betroffenheit
6.2.1 Chronische Erkrankungen als Armutsfolge
6.2.2 Psychosoziale Belastungen und Auswirkungen von Armut
7 Interventionen
8 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Kinderarmut stellt aufgrund der strukturellen Veränderungen in den vergangenen Jahren ein wachsendes gesellschaftliches Problem dar und gewinnt auch in der sozialwissenschaftlichen Forschung an Bedeutung. Die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die von Armut bedroht sind oder in Armut leben, wächst mit der zunehmenden sozialen Ungleichheit, da Heranwachsende unmittelbar und widerstandslos vom sozialen Status ihrer Herkunftsfamilie betroffen sind. Über finanzielle Ressourcen zu verfügen, ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe und in der Folge von Armut bedeutet dies oftmals, dass Teilhabe und Verwirklichungschancen verwehrt bleiben. Armut ist in den Industrienationen Ausdruck sozialer Ungleichheit und zeigt sich in Deutschland für mehr als zwei Millionen Kinder und Jugendliche über den unmittelbaren Mangel an Nahrung und Kleidung hinaus, auch in Erfahrungen, diskreditierbar und Exklusionsprozessen ausgesetzt zu sein.
In der sozialwissenschaftlichen Forschung erweist sich der sozialökonomische Status als bestimmende Größe für das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit. In dieser Arbeit wird herausgestellt, inwiefern die materielle Armut die Gesundheit, insbesondere die psychische, von Kindern und Jugendlichen beeinflusst und welche Folgen sie mit sich bringen kann. Es wird versucht die Brisanz der Thematik hervorzuheben, auf die Langzeitfolgen von Kinderarmut im Bereich Gesundheit hinzuweisen und Interventionsmöglichkeiten vorzuschlagen, um Exklusionsprozesse zu vermeiden.
Dazu wird zunächst im zweiten Kapitel der Armutsbegriff ausgeführt. Anschließend werden dem Leser die verschiedenen Perspektiven der Armutskonzepte vorgestellt. Mit diesem Grundwissen werden im vierten Kapitel aktuelle Erkenntnisse über Kinderarmut zusammengetragen. Um die These „Armut macht Stress und Stress macht krank“ (Vavrik, 2016: 48) kritisch zu hinterfragen, werden im folgenden Kapitel Gesundheit und Krankheit definiert, um anschließend die Auswirkungen von Armut auf den Gesundheitsstatus zu betrachten. Diese werden sowohl aus der biomedizinischen als auch aus der psychosozialen Perspektive dargelegt. Abschließend werden im sechsten Kapitel intervenierende Maßnahmen vorgestellt, um die Wirkmechanismen sozialer Benachteiligung für Kinder aus deprivierten Lebenslagen zu unterbrechen.
Die in diesem Werk herausgearbeiteten Erkenntnisse stellen die Armutsthematik im Überblick dar und aufgrund deren Komplexität ist keine differenzierte Betrachtung empirisch erfasster Daten aus aktuellen Studien (z.B. KIGGs) möglich. Der Fokus liegt auf der Erläuterung von relevanten Aspekten der Armut, sowie der Ausführung der Problemzusammenhänge zur Gesundheitsentwicklung von Kinder und Jugendlichen.
2 Der Armutsbegriff
Armut ist nach Weimann schon immer fester Bestandteil der Gesellschaft, rückte aber erst mit der aufkommenden Massenarbeitslosigkeit in den 70er Jahren in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Seitdem wird Armut mit der Nachkriegszeit, als Folge des Wirtschaftswunders, im Zusammenhang mit typischen Randgruppen, wie beispielsweise alten oder behinderten Menschen, und jüngst auch mit Kindern in Verbindung gebracht (vgl. Weimann, 2018: 26). Nach politisch-normativen Vorgaben gilt als arm, „wer aus seinem eigenen Einkommen oder Vermögen nicht die zur Lebensführung erforderlichen Mittel schöpfen kann“ (BMAS, 2001: 8, zit. nach Höblich, 2012: 48) und hat sowohl eine objektiv messbare, als auch eine subjektiv erlebte Form (vgl. Zander, 2016: 5). Um Armut definieren zu können, was an sich ein heikles Unterfangen darstellt, orientieren sich Höblich und Weimann am Reichtumsbegriff. Eine allgemein gültige und anerkannte Deutung liegt derzeit noch nicht vor. Die wissenschaftliche Definition beschränkt sich auf die Berücksichtigung des Nettoäquivalenzeinkommens. Mit der finanziellen Ressource, über die qualitativer Reichtum und qualitative Armut definiert werden, stehen für den Einzelnen unter anderem auch Gesundheitsaspekte, Bildungschancen, Wohnen und gesellschaftliche Teilhabe in Verbindung – weshalb von einem mehrdimensionalen Begriff ausgegangen werden kann, der sich auf die Verfügbarkeit von gesellschaftlich relevanten Ressourcen bezieht. Armut ist somit auch immer Ausdruck von sozialer Ungleichheit, oder anders ausgedrückt - das Risiko arm zu sein, ist ungleich verteilt (vgl. Weimann, 2018: 14; Höblich, 2012: 46ff.). Weimann verweist auf die fehlende Pauschalisierbarkeit und stellt heraus, dass „Armut ein gesellschaftlich zugewiesener Ort [ist], der innerhalb je einer Gesellschaft relativ bestimmt wird“ und dementsprechend als gesellschaftliche Konstruktion gesehen werden muss (vgl. ebd.: 26). Klocke bezieht sich auf Amartya Sen und ergänzt aus seiner Sicht Armut als „fehlende Freiheiten von Menschen, ihre Vorstellungen von einem guten Leben zu verwirklichen“ (Klocke, 2006: 168). Arm sein bedeutet demnach nicht nur den Bedingungen und Folgen von finanziellem Mangel ausgesetzt zu sein, sondern wird auch als verweigerte Verwirklichungschance gesehen und ist folglich mit dem Ausschluss aus der Gesellschaft, sprich Exklusionsprozessen, verknüpft (vgl. Höblich, 2012: 54). Klocke hat sich mit den Ursachen und Auswirkungen von Armut auseinandergesetzt, wie im Folgenden noch ausführlich dargestellt wird und setzt Armut mit belastendenden Lebensumständen gleich (vgl. Klocke, 2006: 160).
„Armut wirkt mehrdimensional auf die gesamte Lebenslage eines Menschen und bestimmt dessen Gestaltungs-, Handlungs-, und Entscheidungsspielräume. Sie hat Folgen für die kulturellen und alltagsweltlichen Handlungs- und Bildungsmöglichkeiten der Betroffenen“ (Winkler, 2007: 53 zit. nach Höblich, 2012: 53).
3 Armutskonzepte
Armut zeigt sich in mehrdimensionalen Erscheinungsformen und ihre komplexen Ursachen und Auswirkungen bedürfen zunächst einen Versuch der Definition und Differenzierung, die teilweise im wirtschaftlichen Kontext eingebettet ist. Im Folgenden soll deutlich werden, dass Armut nicht ausschließlich objektiv betrachtet und bewertet werden kann. Armutskonzepte ermöglichen einen Aufschluss darüber, „was individuell und gesellschaftlich als Zustand des Mangels anerkannt ist und welche Bedürfnisse als Grundbedürfnisse menschlicher Existenz gelten sollen“ (Kargl, o.J.: 1). Armutskonzepte werden hinsichtlich der gesellschaftlichen Entwicklungen zunehmend differenzierter. Die disparaten Ansätze entspringen divergenten Perspektiven, bringen unterschiedliche Schwerpunkte hervor und beleuchten Armut in ihren mehrdimensionalen Ursachen und Folgen. In der Literatur finden sich dazu unter anderem die Begriffe der absoluten sowie der relativen Armut.
3.1 Absolute Armut
Die absolute Armut bezeichnet einen Mangelzustand, in dem die Grundbedürfnisse wie z. B. Wohnen und Nahrung nicht mehr befriedigt werden können, bzw. die physische Existenz nicht gesichert werden kann (vgl. Höblich, 2012: 48). Zur Orientierung und Grenzziehung des Begriffs dient das physische Existenzminimum, dessen „Unterschreitung körperliche Schäden, bzw. lebensbedrohliche Mängel bedeutet“ (Chassé et al., 2007: 17). Höblich verweist im Zusammenhang zur absoluten Armut jedoch auf die zur Verfügung stehenden staatlichen Transferleistungen, die es dem Einzelnen ermöglichen, seine Grundbedürfnisse zu decken und erklärt diese Form der Armut „als bekämpft“ (vgl. Höblich, 2012: 48). Wenn die staatlichen Leistungen jedoch aus rechtlichen Gründen nicht beantragt oder in Anspruch genommen werden können, spricht Höblich von der verdeckten Armut. Sie ist ebenso wie die verschämte Armut, die durch den Verzicht auf Leistungen aufgrund von Scham entsteht, ein nicht selten auftretendes Phänomen, aber aufgrund der hohen Dunkelziffer nicht genau zu bestimmen (vgl. ebd.).
3.2 Relative Armut
Die relative Armut hingegen, wird von Butterwegge als „eine scheinbar mildere Armut“ bezeichnet. Sie ist im Wesentlichen durch einen Mangel an Teilhabemöglichkeiten aufgrund von fehlenden Ressourcen begründet, kann aber bis hin zu sozialer Ausgrenzung führen (vgl. Butterwegge, 2016: 12). Nach Höblich zeigt sich relative Armut in einem Mangel an Mitteln, die zur „Sicherung des Lebensbedarfs“ erforderlich sind. Sie sind nicht absolut definiert, sondern werden in Relation zu sozial und kulturell gültigen Standards gemessen. Daraus ergeben sich jedoch auch kontroverse Diskussionen, welche Mittel zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben von Notwendigkeit zu sein scheinen (vgl. Höblich, 2012: 48).
3.3 Perspektiven der Lebenslagen und der Ressourcen
Einer der Unterschiede zwischen den beiden relativen Armutskonzepten ergibt sich aus den zugrundeliegenden Indikatoren die verwendet werden, um die relative Armutspopulation einer Gesellschaft identifizieren und messen zu können. Das Ressourcenkonzept beschränkt sich dabei auf das Einkommen und den Sozialleistungsbezug, der im Weiteren die Anerkennung der Hilfsbedürftigkeit mit sich bringt (vgl. Chassé et al., 2007: 17). Der Lebenslagenansatz orientiert sich an einer Vielzahl von, Lebensqualität und Wohlergehen bestimmenden, relevanten Faktoren. Sie entspringen unterschiedlichen ideologischen Traditionen und sollten nicht als sich konkurrierende, sondern sich ergänzende Gedanken angesehen werden (vgl. Kargl, o.J.: 2f.).
3.3.1 Armut als Mangel an Einkommen
Der Ressourcenansatz definiert Armut anhand der zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen in einem Haushalt. Der Schwellenwert von Einkommensarmut wird im gesellschaftlichen Kontext bestimmt und als Prozentsatz des durchschnittlichen Äquivalenzwertes angegeben. Er beträgt derzeit etwa 50-60 % des Mittelwertes der Gesellschaft und fungiert ebenso als Indikator für eine Armutsgefährdung (vgl. Höblich, 2012: 49). Chassé et. al konstatieren, „ob eine Armutslage vorliegt oder nicht, entscheidet sich am Niveau der Versorgung mit bestimmten Ressourcen in Relation zu gesellschaftlichen Versorgungstandards“ und definiert den politisch-normativen Armutsbegriff als eine „gesetzlich fixierte Berechtigung zum Sozialhilfebezug [und] als Indikator für das Bestehen einer Armutslage“ (Chassé et al., 2007: 17).
3.3.2 Die Kumulation von Unterversorgungslagen
Lebenslagenansätze relativer Armut betrachten nicht nur das verfügbare Einkommen, sondern erfassen, nach Höblich, die Komplexität der Thematik umfassender. Armut als Lebenslage beschreibt demnach eine „Verengung der Persönlichkeitsentwicklung und der subjektiven Lebenschancen in zentralen Bereichen des Alltags wie Arbeit, Bildung, Ernährung, Gesundheit, Freizeit, Wohnen, sozialen Beziehungen und Sozialisationsbedingungen“ (Höblich, 2012: 49). Eine Armutslage ist somit als eine Kumulation von Unterversorgungslagen anzusehen und kann in Lebenslagenkonzepten in ihrer Mehrdimensionalität zwar besser abgebildet werden, jedoch liegt der Nachteil in der Herausforderung der Operationalisierbarkeit und der forschungspraktischen Anwendung.
Es gibt zahlreiche Diskrepanzen zwischen dem theoretischen Anspruch und der empirischen Umsetzung, da nicht klar bestimmt werden kann, welche Indikatoren, Lebensbereiche und Handlungsoptionen mit einbezogen bzw. wie ihre Gewichtung untereinander gewertet werden soll oder kann (vgl. Chassé et al., 2007: 19). Weimann verweist darauf, dass insbesondere Kinderarmut ein erweitertes Armutsverständnis erfordert, da die ganzheitliche Betrachtung der individuellen Umwelt von Bedeutung ist, um stabilisierende Faktoren erkennen und fördern zu können. Der Lebenslagenansatz integriert somit sowohl die materielle als auch die immaterielle Dimension (vgl. Weimann, 2018: 34f.).
4 Armutsforschung
Anhand der beschriebenen Indikatoren ist es der Auftrag und das Bestreben der Armutsforschung, betroffene und bedrohte Gruppen zu identifizieren. Die dynamische Armutsforschung differenziert darüber hinaus die Verweildauer in Armutslagen und die Auswirkungen hinsichtlich der Dauer. Die monetäre Armutsbetrachtung lässt für Höblich den Schluss zu, dass geringe oder keine Einkommen durch Erwerbsarbeit zu Armut führen und durch individuelle Lebensereignisse wie Krankheit, Trennung, Arbeitsplatzverlust u.a. Armut ausgelöst werden kann (Höblich, 2012: 57). Armut galt bisher als ein temporärer, also vorübergehender, Lebenseinschnitt. Aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklungen, insbesondere den zunehmenden prekären Beschäftigungsverhältnissen, ist zunehmend eine soziale Entgrenzung erkennbar. Armut betrifft nicht mehr nur Randgruppen und besteht heutzutage über lange Perioden, weshalb in der Literatur auch von einer Verfestigung gesprochen wird. Empirisch nachgewiesen ist, dass Familien, vor allem Ein-Eltern-Familien, mit Kindern überdurchschnittlich lange von Armutslagen betroffen sind (vgl. Höblich, 2012: 51ff.). Seit der Jahrtausendwende gewinnt die Kinderarmutsforschung zunehmend an Bedeutung und hat sich zum eigenen Forschungszweig entwickelt (Weimann, 2018:7). Die KiGGS-Studie des Robert Koch Instituts beobachtet die gesundheitliche Situation der in Deutschland lebenden Kinder und begleitet sie bis ins Erwachsenenalter.
Beide beschriebenen Formen von Armut haben gemein, dass sie in Abhängigkeit zu den sozialökonomischen Verhältnissen stehen und nicht an das Verhalten der Betroffenen gekoppelt sind. Zudem verweist die relative Armut auf den Wohlstand, der sie hervorbringt (vgl. Butterwegge, 2016: 11).
Unterschieden werden die akute, manifeste und extreme Armutsgefährdung. Erstere spiegelt sich in dem Bezug von Transferleistung zur Deckung des täglichen Bedarfs. Die manifeste Armut, ist durch eine permanente finanzielle Mangelsituation gekennzeichnet und führt zu negativen Auswirkungen für die Betroffenen auf ihre gesellschaftliche Entwicklung und Teilhabe. Extreme Armut beschreibt einen existenziellen Mangel, der gravierende Einschränkungen der Teilhabe- und Entwicklungsmöglichkeiten impliziert. Physische und psychische Folgeschäden sind ebenso wie Kindeswohlgefährdung situativ in den beiden zuletzt beschriebenen Formen beobachtbar. Die Phasen sind nicht klar voneinander abgrenzbar und als Prozess zu verstehen (vgl. Höblich, 2012: 51ff.)
5 Kinderarmut
Kinderarmut ist in den meisten Fällen die Folge von Elternarmut und statistisch gesehen sind überproportional Kinder von Armut betroffen, weshalb in der Literatur bereits seit Mitte der 90er Jahren von einer Infantilisierung von Armut gesprochen wird (vgl. Zander, 2016: 5). Bis heute zeigt sich dieses Phänomen in einem stetigen Wachstum. Besonders gefährdet sind Kinder, deren Eltern sich in (Langzeit-) Arbeitslosigkeit oder prekären Arbeitsverhältnissen befinden oder jene, die aus Migrationsfamilien, Familien mit drei und mehr Kindern oder wie bereits genannt, aus Ein-Eltern-Familien stammen. Statistische Erhebungen zeigen zudem ein deutlich erhöhtes Risiko für Kinder, die in sozial segregierten Quartieren von Großstädten leben (vgl. Vavrik, 2016: 46.). „Leben in Armut bedeutet hierbei nicht das Vorliegen existenzieller Notlagen im Sinne von absoluter oder primärer Armut, womit das Fehlen der Mittel zum physischen Überleben gemeint ist. Leben in Armut […] heißt arm zu sein, im Sinne von sozialer Ungleichheit und sozialem Ausschluss“ (Chassé et al., 2007: 12). Kinderarmut zeigt sich demnach in unserer Gesellschaft nicht auf den ersten Blick durch Hunger und Durst, sondern in Erscheinungsformen von einer eingeschränkten materiellen Grundversorgung, verringerte Bildungschancen, einer schlechteren Gesundheit, sowie eine geringere soziale Teilhabe (vgl. Zander, 2016: 5). Nach Vavrik leben 408.000 Kinder und Jugendliche unter den Bedingungen von relativer Armutsgefährdung. Das sind 23% der unter 20-jährigen und somit beinahe jedes vierte Kind. Jedes sechste Kind ist manifesten Armutsverhältnissen ausgesetzt und es kann davon ausgegangen werden, dass die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher ist (vgl. Vavrik, 2016: 46f.). „Armut ist zunächst die Erfahrung des Mangels an Mitteln des Lebens“ (Baum, o.J.). Für Kinder bedeutet dies, eine materielle Einschränkung, die über physisches bis hin zu psychischem Mangelerleben geht. Auch der Mangel an Geborgenheit kann das subjektive Wohlbefinden negativ und somit Gesundheit bzw. Krankheit beeinflussen (vgl. ebd.).
6 Gesundheit und Krankheit
Gesundheit und Krankheit werden in unserer Gesellschaft als Disparitäten aufgefasst, wobei Krankheit immer zu vermeiden und die Gesundheit demnach zu gilt. Gesund zu sein steht in unserer Gesellschaft für Leistungsfähigkeit und somit die Möglichkeit, den eigenen Lebensunterhalt für sich und seine Angehörigen zu sichern. Krankheit hingegen impliziert eine Hilfsbedürftigkeit (vgl. Höblich, 2012: 65).
Diese Polarität bietet einen breiten Interpretationsspielraum und auch die Entstehung von Gesundheit und Krankheit wird von unterschiedlichen theoretischen Ansätzen aus betrachtet und erforscht. Bis heute gibt es keine allgemein verbindlichen Definitionen für Gesundheit und Krankheit, da verschiedene biologische, psychologische und soziologische Ansätze nebeneinander existieren, die sich teilweise ergänzen aber auch korrigieren. Die Weltgesundheitsorganisation hat 1949 Gesundheit als „Zustand völligen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens, der sich nicht nur durch die Abwesenheit von Krankheit oder Behinderung auszeichnet“ definiert (WHO1946; zit. nach Höblich, 2012: 65).
1986 wurde von der Ottawa Charta auf die Verantwortung der Staaten hingewiesen, gerechte Gesundheitsverhältnisse für den Einzelnen herzustellen und der bis dato gültige Gesundheitsbegriff erweitert. Sie sagt, dass „Gesundheit von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt [wird]: dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. […], dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die allen ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen“ (ebd.) Gesundheit stellt somit eine Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe dar, zu der es Befähigung und Zugang benötigt. Die UN-Kinderrechtskonvention hat sich positioniert und beschließt in Paragraph 26 „Jedes Kind hat ein Recht auf eine ,höchstmögliche Gesundheit’ und einen angemessenen Lebensstandard’“ (Vavrik, 2016: 46).
Gesundheit und Krankheit können sowohl subjektiv als auch objektiv wahrgenommen und bewertet werden. Das subjektive Empfinden wird von jedem einzelnen Menschen unter den Aspekten von Wohlbefinden und Funktionsfähigkeit selbst eingeschätzt und mit unterschiedlichen Auffassungen und Wertungen abgeglichen. Daraus resultieren unterschiedliche Maßnahmen zu ihrer Sicherung und zur Krankheitsvermeidung. Unterschieden werden dabei die physische und die psychische Gesundheit (vgl. Schröder, 2008: 178).
Die Tendenz, Gesundheit und Krankheit auf biologische Faktoren zu reduzieren - wie es in biomedizinischen Modellen geschieht - führt zu einer Unterschätzung des Einflusses sozialer Faktoren. Soziale Modelle, wie sie noch vorgestellt werden, erfassen die gesamtgesellschaftlichen Faktoren und erkennen Gesundheit und Krankheit als soziale Konstruktionen an (Hurrelmann, Richter, 2016: 16ff.).
6.1 Auswirkungen von Armut auf die Gesundheit und Krankheit
Die Sozialepidemie untersucht in Abhängigkeit zu sozialen Variablen die Entstehung, den Verlauf und die Häufung von Krankheiten. Es ist empirisch nachgewiesen, dass sozial ungleiche Lebenslagen Einfluss auf gesundheitliche Chancen und Risiken nehmen. Wie bereits dargelegt, stellt auch Einkommensarmut eine Lebenslage dar und kann zu sozialer Ungleichheit führen. Die These „Armut macht krank und Krankheit macht arm“ (Höblich, 2012: 57) wird von zahlreichen Wissenschaftlern ausführlich beleuchtet und bestätigt.
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