Immanuel Kants "Ewiger Frieden". Die Vereinten Nationen als Verwirklichung einer moralphilosophischen Vision?
Zusammenfassung
Institutionen und völkerrechtliche Vereinbarungen kaum existent waren und Konflikte zwischen einzelnen Staaten und Allianzen im Vordergrund standen (und nicht Welt- und Bürgerkriege, Bombenterror und Partisanenkämpfe oder ideologisch motivierte Vernichtungs- und Verteidigungskriege), so haben sich seit Kants Vision vom ewigen
Frieden nicht nur vertraglichen Abhängigkeiten gebildet, sondern auch neue Konfliktlinien in der Weltpolitik abgezeichnet.
Immanuel Kant hatte schon vor über 200 Jahren die Idee eines umfassenden, rechtsstaatlichen Vertrages, der hypothetisch den „Ewigen Frieden“ stiften soll. „Die Idee einer mit dem natürlichen Rechte des Menschen zusammenstimmenden Konstitution: dass nämlich die dem Gesetz Gehorchenden auch zugleich, vereinigt, gesetzgebend sein sollen, liegt bei allen Staatsformen zugrunde, und das gemeine Wesen, welches ihr gemäß [...] ein platonisches Ideal heißt, ist nicht ein leeres Hirngespinst, sondern die ewige Norm für alle bürgerliche Verfassung überhaupt, und entfernet allen Krieg“ (Streit der Fakultäten, Werke VI, 3641).
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
I. Einstieg
II. „Zum Ewigen Frieden“
A. Der Aufbau der Schrift
B. Kants Idee vom Naturzustand
C. Der Begriff „Friede“
D. Die sechs Praliminarartikel
E. Die drei Defintivartikel
III. Sicherung auf drei rechtlichen Ebenen
A. Staatsrechtliche Ebene
B. Volkerrechtliche Ebene
C. Weltburgerliche Ebene
IV. Die Vereinten Nationen
A. Volkerbund
B. Vereinte Nationen
C. Ein Vergleich - Die UNO im Lichte Kants
V. Schlussbetrachtung
VI. Literaturverzeichnis
I. Einstieg
Vor uber zweihundert Jahren erkannte Immanuel Kant die Idee eines umfassenden, rechtsstaatlichen Vertrages, der hypothetisch den „Ewigen Frieden" stiften soll:
„Die Idee einer mit dem naturlichen Rechte des Menschen zusammenstimmenden Konstitution: dass namlich die dem Gesetz Gehorchenden auch zugleich, vereinigt, gesetzgebend sein sollen, liegt bei allen Staatsformen zugrunde, und das gemeine Wesen, welches ihr gemaR [...] ein platonisches Ideal heiRt, ist nicht ein leeres Hirngespinst, sondern die ewige Norm fur alle burgerliche Verfassung uberhaupt, und entfernet allen Krieg“
(Streit der Fakultaten, Werke VI, 364[1] ).
In ebendieser Idee sieht er die Subjekte nicht ausschlie&lich als Gehorchende, sondern gleichzeitig als gesetzgebende Souverane und als Organisationsform des menschlichen Zusammenlebens, die nicht blofc den Willen der vertraglichen Einigung haben, sondern viel eher die „unbedingte Vernunftnotwendigkeit"[2] einer positiven Rechtsordnung einsehen - ein Bewusstsein, das fur das Gemeinwesen unbedingt eine friedensfordernde Wirkung hat.
Wahrend damals noch Strukturen vorherrschten, in denen internationale Systeme, supranational Institutionen und volkerrechtliche Vereinbarungen kaum existent waren und Konflikte zwischen einzelnen Staaten und Allianzen im Vordergrund standen (und nicht Welt- und Burgerkriege, Bombenterror und Partisanenkampfe oder ideologisch motivierte Vernichtungs- und Verteidigungskriege), so haben sich seit Kants Vision vom ewigen Frieden nicht nur die oben genannten vertraglichen Abhangigkeiten gebildet, sondern auch ebenjene neue Konfliktlinien in der Weltpolitik abgezeichnet.
Folglich ist eine neue Betrachtungsweise notig. Kant statuierte in der Altersschrift „Zum Ewigen Frieden" einen moralphilosophischen Friedensvertrag, der - indem er die Pflicht der zwischenstaatlichen Abkommen fordert - die Form des Friedens als volkerrechtlichen Vertrag ansieht. Betrachtet man die Gegenwart und mochte man einen realistischen Be- zug dazu herstellen, kommt die Frage auf: Lasst sich dieser Ansatz auf das fur uns uneingeschrankte anerkannte Volkerrechtssubjekt der Vereinten Nationen beziehen? Mit anderen Worten: Hat Kant die Charta der Vereinten Nationen wesentlich beeinflusst? Und handelt es sich mit der Idee eines „Ewigen Friedens" um eine blo&e Utopie oder ist mit der UNO bereits ein wesentlicher Schritt in diese Richtung getan? Mit diesen Fragen will sich diese Arbeit beschaftigen, um zum Schluss die eigentliche Leitfrage dieser Arbeit zu klaren, namlich, ob die Vereinten Nationen Basis oder fortschreitende Umsetzung von Kants moralphilosophischer Vision des „Ewigen Friedens" sind.
Dabei sollen nun in einem ersten Teil die federfuhrenden inhaltlichen Aspekte von Kants Vision geklart werden. Auch wird gefragt: Welche Formalie hat Kant fur sein Friedens- postulat gewahlt? Was stellt er sich uberhaupt unter den (aus seiner Betrachtungsweise) gegenteiligen Begriffe des „Friedens“ und des „Naturzustandes“ vor? Und maBgeblich: Wie kann man die vor uber zweihundert Jahren verfassten Praliminar- und Definitivartikel unter Betrachtung eines faktischen Friedensvertrags deuten?
All diese Fragen sollen unter „II.“ examiniert werden, um sie dann unter „III.“ mit den von Kant angedachten drei rechtlichen Ebenen zu verknupfen (Staats-, Volkerrechts- und Weltburgerebene), um letztlich in „IV.“ einen Vergleich zu den Vereinten Nationen und der disponiblen Gegenwart moglich zu machen.
Mit Bezug darauf wird mit den Originalschriften Kants gearbeitet, wobei auch wissenschaftliche Einschatzungen und Deutungen aus bisherigen Arbeiten zugezogen werden. Ziel ist es, durch unterschiedliches Quellenmaterial, verschiedene Aussagen aneinander zu fugen, um die schon in anderer Form aufgestellte Fragestellung unter neuem, individuellen Licht zu betrachten.
II. „Zum Ewigen Frieden“
A. Der Aufbau der Schrift
Die moral- und rechtsphilosophische Schrift Kants nimmt die literarische Form eines konventionell progressiven Friedensvertrages an. Der formale Aufbau gliedert sich in zwei Hauptabschnitte, zwei Zusatze sowie einen Anhang: Im ersten Abschnitt formuliert Kant die sogenannten Praliminarartikel, welche in der Form von Unterlassungsverboten die notwendigen Bedingungen fur einen Vorfrieden beinhalten, also die Fundamente fur die Beendigung des zwischenstaatlichen Naturzustandes (=latenter Kriegszustand) statu- ieren; der zweite Abschnitt beinhaltet die Defintivartikel, die friedensbewahrende MaBnahmen unter Staaten post bellum anfuhren, ergo den Weg vom negativen Frieden (=Kriegsabwesenheit) hin zum positiven Frieden (=fortwirkender, „ewiger“ Frieden) ebnen sollen; im dritten Abschnitt werden die Zusatzartikel angefuhrt.
B. Kants Idee vom Naturzustand
Grundsätzlich gleicht sich Kants Vorstellung vom „Naturzustand“ mit denen anderer Philosophen aus dem 17. Jahrhundert, die sich mit der Frage beschäftigten, inwieweit das vom Menschen gemachte Recht legitim ist und wie sich der Zustand ohne ebendieses Recht gestaltet. Die breite wissenschaftliche Meinung ist sich daruber einig, dass sowohl Rousseau als auch Hobbes erheblichen Einfluss auf die Entwicklung von Kants rechts- und staatsphilosophische Vorstellungen genommen haben.[3] Wahrend Hobbes den Natur- zustand rege als „Krieg aller gegen alle" formuliert, so stellt sich Kant konkret einen Zustand vor, in dem Menschen in standiger Unsicherheit leben und von allen Seiten permanent bedroht werden. Er mochte ebendiesen „Zustand nachzusuchen, den die Natur fur die auf ihrem groBen Schauplatz handelnden Personen veranstaltet hat, der ihre Friedenssicherung zuletzt notwendig macht"[4]. Mit anderen Worten ergibt sich also eine rechtliche Notwendigkeit, den Naturzustand zu verlassen, um Frieden zu schaffen. Ge- nauer mussen die Menschen zuerst ihre naturliche Freiheit aufgeben, um sich dann der Herrschaft des Rechts zu unterwerfen, wodurch sie die Vorzuge einer rechtlich gesicherten und burgerlichen Gesellschaft in Anspruch nehmen konnen.[5]
C. Der Begriff „Friede“
Wie in der Wissenschaft ublich, kann es bei der Findung und Definition von Begriffen, die grundlegende gesellschaftliche und politische Werte bezeichnen, zu Schwierigkeiten kommen. Unterschiedliche Kulturen und Gesellschaftsgruppen konnen divergente Auf- fassungen und Vorstellungen innehaben. Insbesondere der Versuch den „Frieden" zu definieren, kann zu einer „Verschwammung der Materie"[6] fuhren, aber unter Beruck- sichtigung einer allgemeinen, positiven oder negativen Definition durchaus moglich sein. So kann der Frieden zum Beispiel als negativ - also als Abwesenheit von Krieg - definiert werden.[7] Der Duden erkennt den Frieden als „Zustand der Eintracht und Harmonie" auf der einen Seite, jedoch auch als „(vertraglich gesicherter) Zustand des inner- oder zwischenstaatlichen Zusammenlebens in Ruhe und Sicherheit" auf der anderen Seite; womit schon eine erste Verknupfung zu Kants Vertragskonzept deutlich wird. Auch der Philosoph und Soziologe Jurgen Habermas sieht im Frieden das explizite Gegenteil vom Krieg und die damit einhergehende Abwesenheit von Charakteristika wie „Grauel von Gewalttatigkeit", „Verwustungen", „Verlust der Freiheit" oder „Unterjochung"[8]. Ahnlich, jedoch praziser formulierte es Johan Galtung 1968: „Frieden ist ein Zustand innerhalb eines Systems groBerer Gruppen von Menschen, besonders von Nationen, bei dem keine organisierte, kollektive Anwendung oder Drohung von Gewalt stattfindet"[9]. Kant selbst vertritt eben genau diese Ansicht. Er „bestimmt das Ziel des angestrebten gesetzlichen Zustandes zwischen den Volkern negativ als Abschaffung des Krieges"[10]: „Es soll kein Krieg sein", schreibt Kant, „weder der, welcher zwischen mir und dir im Naturzustande, noch zwischen uns als Staaten, die, obzwar innerlich im gesetzlichen, doch au&erlich (in Verhaltnis gegen einander) im gesetzlosen Zustande sind"[11]. Von diesem negativen Friedensbegriff komme er laut der von der kritischen Friedensforschung vertretenden Meinung hin zu einem positiven Frieden: Demnach musse der Friede a priori durch Integrationsma&nahmen so initiiert werden, dass ein Krieg ausgeschlossen ist. Diese Integration wird in einem latenten Plan der Natur verwirklicht. Der Plan konstruiert eine innerlich und au&erlich uneingeschrankte Staatsverfassung, in dem der einzige Zustand herrscht, in dem die Gesellschaft der Menschen all ihre Befahigungen entwickeln kann.[12]
D. Die sechs Praliminarartikel
Nach Erklarung des Verhaltnisses von „Natur/Krieg" und „Frieden", soll darauf folgend der mogliche Ubergang vom einen in den anderen Zustand erlautert werden. Die „Anleitung" dafur findet sich in den sechs Praliminarartikeln. Darin sind die moral- und rechts- philosophischen Pramissen enthalten, die als Verbotsgesetze jene Bedingungen zur Be- endigung des latenten Kriegszustandes und den Vorfriede enthalten. Mit Kerstings Worten hei&t das:
„ihr Gegenstand sind Vermeidungshandlungen, die zum konventionellen Repertoire der Kriegsverhinderung und Friedensermoglichung gehoren und als unerlassliche Voraussetzungen eines rechtlich gefestigten Friedens empirisch ausweisbar sind. Auf der Grundlage dieser Praliminarartikel lasst sich ein Vorfriede erreichen, ein Zustand der Kriegsabwesenheit.“[13]
So sollen im Folgenden diese sechs Artikel in ihrer ursprunglichen Bedeutung durch- leuchtet werden, um im Ruckschluss die daraus hervorgehenden Bedingungen und Funktionen eines „Vorfriedens" mit der tatsachlichen Umsetzbarkeit in die heutige Zeit - mit spezifischer Betrachtung auf die Vereinten Nationen - zu verknupfen:
1. Praliminarartikel
„Es soil kein Friedensschluss fur einen solchen gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem kunftigen Kriege gemacht worden.“
Jeder Friedensbeschluss besteht fur Kant nur dann wahrhaftig, wenn dieser nicht unter verfalschten, heimlich festgelegten und boswilligen Vorzeichen eingegangen und beschlossen wird. Eine solch sporadische Einigung ist fur Kant ein „bloBer Waffen- stillstand, Aufschub von Feindseligkeiten, nicht Friede"[14]. So kann ein „Friede" nur dann volle Wirkung entfalten, wenn in dessen Vorverhandlungen verhaltnismaBige Sanktionen - ob in rechtlicher oder sozialer Hinsicht - erteilt werden und damit die politisch, kulturellen oder wirtschaftlichen Lasten fur den „Schuldigen" zu verkraften sind. Ins- besondere hohe Reparationszahlungen oder das Verletzen der kollektiven Identitat oder der Staatssouveranitat konnen dabei einen auslosenden Impetus fur einen neuen Krieg geben, um die eigenen, verletzten Rechte wieder herzustellen. Ein solcher „Angriffskrieg" bzw. allein die potenzielle Moglichkeit desselben steht fur Kant folglich im Widerspruch mit einem „Ewigen Frieden". AusschlieBlich einen „Verteidigungskrieg" impliziert Kant so als legitim. Er appelliert in Angesicht des Verbots des Angriffskriegs an die „Wurde der Regenten" und „die wahre Ehre des Staates"[15] und legt damit die Annahme zu Grunde, dass nur Staat und Regierung selbst die opportunen und rechtlichen Garantien fur einen dauerhaften Frieden konstatieren konnen und eine funktionierende, gefestigte Staatlichkeit unausweichliche Voraussetzung ist: Die eigene Freiheit und Souveranitat muss folglich ebenso wie die anderer Staaten gewurdigt und toleriert werden.[16]
2. Praliminarartikel
„Es soll kein fur sich bestehender Staat (klein oder groR. das gilt hier gleichwohl) von einem andern Staate durch Erbung, Tausch, Kauf oder Schenkung erworben werden konnen.“
Im zweiten Artikel kommt erneut die von Kant angestrebte Notwendigkeit der Staatlichkeit zur Geltung, im Besonderen jedoch die Anerkennung der Souveranitat eines jeden Staates. Souveranitat soll hier heiBen: Die rechtliche Selbstbestimmung, bei der jedes Volk fur sich selbst entscheiden darf. Dabei vergleicht er die „Gesellschaft von Menschen" - also die Existenz von moralischen Personen - mit der fur ihn hypothetisch falschen Auffassung einer bloBen „Sache", da letztere eben nicht auf einen Staat und dessen Menschen zutreffen darf. So besitzt keine Regierung und kein Staat die Autorisierung, um die Grundelemente der Staatlichkeit eines anderen Staates an sich selbst oder andere Regierungen oder Institutionen abzutreten, oder dessen tatsachliche Existenz in ihrem Inhalt zu ignorieren und nur oberflachlich, formal anzuerkennen.[17]
3. Praliminarartikel
„Stehende Heere sollen mit der Zeit ganz aufhoren“
Im dritten Praliminarartikel beurteilt Kant das Existieren einer Armee bzw. eines „stehenden Heeres" per se als friedenswidrig und zwar aus dreierlei Grunden: Das erste Argument folgt - obgleich Kant mehr der liberalen Theorieschule zuzuordnen ist - einer realistischen Grundannahme, dass eine standige Bereitschaft zum Krieg und das damit einhergehende Aufrusten einer steigenden Rustungsspirale gleichkommt, „keine Grenzen kennt" und zu einem anarchischen Zustand der permanenten Unsicherheit fuhrt. Hans Saner zufolge nehme Kant hier das Theorem des „Sicherheitsdilemmas"[18] vorweg, indem er die Wechselbeziehung von Aufrustung, ihrer Eigendynamik und dem Krieg thematisiere: „das ist die Verkettung, deren Wirkungskraft Kant durch das Verbot der stehenden Heere zu untermauern versucht."[19] Diesem Argument folgt das zweite, welches in dem permanenten Aufrusten au&erdem die logische Konsequenz von steigenden Kosten sieht. So wird ein Angriffskrieg provoziert, um in Nachhinein „diese Last loszuwerden" oder mit anderen Worten: an den Verlierer abzuwalzen. Drittens tangiert Kant den moralischen Charakter der „Rechte der Menschen", mit denen sich der „Ge- brauch von Menschen als blo&en Maschinen und Werkzeugen in der Hand eines andern (des Staats)" nicht vereinbaren lasst. Allein eine freiwillige „Ubung der Staatsburger in Waffen" akzeptiert Kant - und relativiert sich leicht -, weil so das eigene Land gegen friedensstorende Angriffskriege verteidigt werden kann.[20]
4. Praliminarartikel
„Es soil keine Staatsschulden in Beziehung auf auRere Staatshandel gemacht werden.“
Im engeren Sinne meint hier Kant, dass Staaten untereinander keine Kredite vergeben durfen. Das Risiko durch den Ausfall von Zahlungen und der damit einhergehende „un- vermeidliche Staatsbankerott", der „manche andere Staaten unverschuldet in den Schaden mit verwickeln muss" auf der einen Seite, und die Kreditvergabe fur militarische Zwecke auf der anderen Seite erhohen demnach das Kriegsrisiko enorm.[21]
5. Praliminarartikel
„Kein Staat soil sich in die Verfassung und Regierung eines andem Staates gewalttatig einmischen.“
Wahrend Kant im zweiten Praliminarartikel den Begriff der Souveranitat nur peripher tangiert, so legt er mit diesem Interventionsverbot die Grundsaule der einzel- staatlichen Souveranitat dar. Die Autonomie und das Selbstbestimmungsrecht sind also - mit einer Ausnahme - unantastbar und manifestieren sich in diesem Interventionsverbot. Ferner stehen beide nicht im Widerspruch „zu volkerrechtlicher Einbettung und zwischen- staatlichen Beziehungen"[22] ; erst in Kontakt und in Auspragung einer konkreten Beziehung zu einem anderen Staat kann sich die Souveranitat zu erkennen geben und materiell prasentieren.
Die eine Ausnahme umfasst dabei jenen Burgerkriegszustand, bei dem sich zwei Parteien in „zwei Teile" aufgespalten haben, eine davon jedoch „auf das Ganze Anspruch macht". In einem solchen Fall, in dem die Konsequenzen des Burgerkriegs die „Autonomie aller Staaten unsicher machen"[23], also den anarchischen Zustand der internationalen Gemeinschaft verscharfen, darf interveniert werden. Bedingung aber ist, dass alle Staaten in der Auffassung uber die negativen Folgen fur die eigene Ordnung der Freiheit gleicher Meinung sind.[24]
6. Praliminarartikel
„Es soll sich kein Staat im Kriege mit einem anderen solche Feindseligkeiten erlauben, welche das wechselseitige Zutrauen im kunftigen Frieden unmoglich machen mussen [...].“
Der sechste Praliminarartikel schildert die Verbote wahrend eines Krieges, anders: das „Recht im Krieg" (ius in bello), das im Gegensatz zum „Recht zum Krieg" (ius ad bello bzw. die legitimen Voraussetzungen zur Kriegserklarung) nicht von Regierungs- und Machtinhabern, sondern von den im Krieg aktiv beteiligten Soldaten eingehalten werden muss.[25] Diese Grenze an Ausubung der Macht (und Gewalt), darf nicht uberschritten werden, weil es potenzielle Friedensabkommen paralysiert und die Absicht und Destination eines Krieges stets der Frieden selbst sein muss.
[...]
[1] Hier zitiere ich nach der von W. Weschedel besorgten Studienausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt, Insel-Verlag, Ffm. 1964. Angaben ohne Zusatz des Titels beziehen sich auf die Abhandlung „Zum Ewigen Frieden“, Werke VI, 195-251.
[2] Oberer, Hariolf (1997): Kant: Analysen, Probleme, Kritik III, Wurzburg: Konigshausen & Neumann, S. 259.
[3] Herb, Karl-Friedrich / Ludwig, Bernd: Naturzustand, Eigentum und Staat. Immanuel Kants Relativierung des "Ideal des Hobbes", Kant-Studien, Paris 1993, S. 283.
[4] Kant, Immanuel: Zum Ewigen Frieden: S. 219.
[5] Kersting, Wolfgang: „Die burgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein“. In: Hoffe, Otfried (Hrsg.): Immanuel Kant. Zum ewigen Frieden, Reihe Klassiker Auslegen, Band 1, Berlin 2004, S. 87ff.
[6] Knabe, Steffen (2003): Definition von Krieg und Frieden, Grin, S. 3.
[7] diese Definition ist Grundlage der klassischen Friedensforschung
[8] Habermas, Jurgen (1995): Kants Idee des Ewigen Friedens - aus dem historischen Abstand von 200 Jahren. In: Kritische Justiz, 28 (3) S. 294.
[9] Galtung, Johan (1968): Friedensforschung, S. 531.
[10] Habermas, Jurgen (1995): S. 294.
[11] Kant, Immanuel (1977): Werke in zwolf Banden. Hrsg. von Wilhelm Weischedel. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 478.
[12] Vgl. Kant, Immanuel: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltburgerlicher Absicht: Achter Satz, S. 45.
[13] Kersting, Wolfgang (1996): Weltfriedensordnung und globale Verteilungsgerechtigkeit. Kants Konzeption eines vollstandigen Rechtsfriedens und die gegenwartige politische Philosophie der internationalen Beziehungen, S. 175. In: R. Merkel / R. Wittmann (Hrsg.): "Zum ewigen Frieden". Grundlagen, Aktualitat und Aussichten einer Idee von Immanuel Kant, Frankfurt/M.: Suhrkamp.
[14] Kant, Immanuel: Zum Ewigen Frieden: S. 196.
[15] Kant, Immanuel: Zum Ewigen Frieden: ebd.
[16] Vgl. Gerhardt, Volker: Immanuel Kants Entwurf zum Ewigen Frieden. Eine Theorie der Politik, Darmstadt 1995, S. 47.
[17] Vgl. Kant, Immanuel: Zum Ewigen Frieden: S. 197.
[18] Lange nach Kant wurde dieser Begriff von Herz (1950) gepragt: Demnach erhoht die permanente wechselseitige Aufrustung auf zwei Seiten durch das Streben nach Sicherheit zu einer allgemeinen Unsicherheit.
[19] Saner, Hans (1995): Die negativen Bedingungen des Friedens, S. 45. In: Hoffe, Otfried (Hrsg.), Immanuel Kant: Zum Ewigen Frieden (Klassiker Auslegen, Bd. 1), Berlin.
[20] Vgl. ebd. S. 197f.
[21] Vgl. ebd. S. 198f.
[22] Frank, Johann (2016): Kants Friedenstheorie um Lichte aktueller sicherheitspolitischer Herausforderungen, S.4. In: Armis et Litteris 16 (2).
[23] Saner, Hans (2004): Die negativen Bedingungen des Friedens, S. 58.
[24] Vgl. Kant, Immanuel: Zum Ewigen Frieden, S. 199.
[25] Kant fuhrt seine Uberlegungen zum „Recht zum Krieg“, „Recht im Krieg“ und „Recht nach dem Krieg“ in seiner Rechtslehre (Metaphysik der Sitten, Rechtslehre § 55-58) weiter aus.