Ethische Betrachtung der ärztlich assistierten Beihilfe zur Selbsttötung
In wessen Hand sollte die Sterbehilfe liegen?
Zusammenfassung
Im Rahmen dieser Arbeit sollen grundlegende ethische Aspekte der ärztlichen Beihilfe zur Selbsttötung betrachtet und vor allem die Frage beantwortet werden in wessen Hand es liegt über das Leben des Patienten zu entscheiden und ob es Aufgabe der Ärzte ist, dabei zu unterstützen.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Hinführung
1.1 Ziel der Seminararbeit
1.2 Aufbau der Arbeit
2 Theorieteil/ Theoretischer Hintergrund
2.1 Formen der Sterbehilfe
2.1.1 Aktive Sterbehilfe
2.1.2 Passive Sterbehilfe
2.1.3 Indirekte Sterbehilfe
2.1.4 Beihilfe zur Selbsttötung/ärztlich assistierter Suizid
2.2 Rechtslage in Deutschland
2.3 Rechtslage in der Schweiz
2.4 Medizinethik/Ärztlicher Ethos
3 Praxisteil
3.1 Forschungsdesign
3.2 Experteninterviews
4 Diskussion
Literaturverzeichnis
1 Hinführung
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ (Grundgesetz Deutschland, Artikel 1 Absatz 1)
Der assistierte Suizid war lange in Deutschland nicht strikt verboten, galt jedoch laut den Grundsätzen der Bundesärztekammer als unvereinbar mit dem ärztlichen Berufsethos. Daher wurde dieses Thema in den letzten Jahren so kontrovers diskutiert wie kaum ein anderes. Auf dem 114. Deutsche Ärztetag im Jahre 2011 wurde die, etwas unscharf formulierte, Berufsordnung für Ärzte neu verfasst und die Beihilfe zur Selbsttötung explizit verboten:
„Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“ (vgl. Deutsches Ärzteblatt vom 10.07.2011).
Sieben der 17 Landesärztekammern nahmen diese Formulierung nicht an. Eine nicht enden wollende Uneinheitlichkeit in der Sterbehilfe-Frage auf dieser Ebene war damit vorprogrammiert.
Die Zahl der deutschen Suizidtouristen in der Schweiz steigt von Jahr zu Jahr. Allein im Kanton Zürich haben Organisationen wie „Dignitas“ und „Exit“ einen sehr hohen Bekanntheitsgrad. Dort wurden beispielsweise zwischen 2008 und 2012 611 Fälle aufgeführt, von denen allein 268 aus Deutschland gezählt wurden (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 21.08.2014). Der ärztlich assistierte Suizid sowie die Reichweite der Selbstbestimmung am Lebensende ist ein sehr brisantes und seit vielen Jahren gesellschaftspolitisch und ethisch kontrovers diskutiertes Thema. Zuletzt gelangte es im Jahre 2014 in den Fokus der Öffentlichkeit. Gesundheitsminister Gröhe forderte ein Verbot organisierter Vereine wie „Sterbehilfe Deutschland“, welche in manchen Nachbarländern, wie der Schweiz, unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt sind. (vgl. Presseerklärung des Deutschen Hospiz- und Palliativverband e. V. vom 10.01.2014).
Am 6. November 2015 stellte der Bundestag nach einer einjährigen Debatte die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe. Dieser Beschluss wurde von dem Bundesärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery, für den eine ärztliche Beteiligung am assistierten Suizid im Wiederspruch zum ärztlichen Ethos steht, sehr begrüßt. Der Wunsch nach mehr Klarheit in der deutschen Rechtslage wurde dadurch allerdings verfehlt (vgl. Deutsches Ärzteblatt vom 06.11.2015). Eine geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung ist seit diesem Beschluss strafbar. Der ärztlich assistierte Suizid verursacht ein Spannungsfeld und setzt Ärzte vor ethische, moralische und juristische Herausforderungen. Auch wenn Töten im moralischen Selbstverständnis eines Arztes keinen Platz hat, sollte er sich dem Wunsch dabei zu unterstützen nicht grundsätzlich entziehen, denn laut einer Allensbacher Studie wünschen sich 65% der Bundesbürger ärztliche Hilfe in solch einer Situation. (vgl. Allensbacher Kurzbericht vom 6. Oktober 2014)
In diesem sehr sensiblen Thema bündeln sich viele Fragen und Aspekte. Es herrscht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Verständnis menschlichen Lebens und dem Respekt vor der Selbstbestimmung. Es stellt sich auch die Frage ob gerade dieses Thema im Strafgesetzbuch geregelt werden sollte.
1.1 Ziel der Seminararbeit
Der Autor der Seminararbeit ist in seiner 15-jährigen Tätigkeit als Krankenpfleger auf der Intensivstation immer wieder mit dem Wunsch zu sterben konfrontiert worden.
Im Rahmen dieser Arbeit sollen grundlegende ethische Aspekte der ärztlichen Beihilfe zur Selbsttötung betrachtet und vor allem die Frage beantwortet werden in wessen Hand es liegt über das Leben des Patienten zu entscheiden und ob es Aufgabe der Ärzte ist, dabei zu unterstützen.
1.2 Aufbau der Arbeit
Zur Bearbeitung der im vorherigen Gliederungspunkt erläuterten Zielsetzung werden im theoretischen Teil dieser Seminararbeit Begrifflichkeiten zum ärztlich assistierten Suizid mittels Literaturanalyse und Internetrecherche definiert. Den Definitionen folgt die Beschreibung der rechtlichen Lage in Deutschland und in der Schweiz. Anschließend wird das Thema ethisch betrachtet und die Meinung der Ärzte dazu anhand von zwei Experteninterviews näher beleuchtet. Die theoretischen und praktischen Erkenntnisse werden mit dem Ziel, die oben genannte Forschungsfrage zu beantworten im Schlussteil verknüpft. Abschließend folgen ein Fazit und ein Ausblick.
2 Theorieteil/ Theoretischer Hintergrund
2.1 Formen der Sterbehilfe
Die Ansichten was unter Sterbehilfe verstanden wird, welche Arten es gibt und welche Terminologie passender wäre sind unterschiedlich. Um darüber adäquat diskutieren zu können, bedarf es einer klaren Differenzierung der unterschiedlichen Formen (vgl. Maier, G., 2010, S.40). Traditionell lassen sich folgende vier Arten unterscheiden (vgl. Bühler, E., et al., 2015, S.50f).
- Aktive Sterbehilfe
- Passive Sterbehilfe
- Indirekte Sterbehilfe
- Ärztlich assistierter Suizid
In der Stellungnahme zur Sterbehilfe im Jahre 2006, schlug der Deutsche Ethikrat folgende, sorgfältiger formulierte Terminologie vor:
- Tötung auf Verlangen (vergleichbar mit aktiver Sterbehilfe)
- Sterbenlassen (vergleichbar mit passiver Sterbehilfe)
- Therapie am Lebensende (vergleichbar mit indirekter Sterbehilfe
- Beihilfe zur Selbsttötung (vergleichbar mit ärztlich assistiertem Suizid)
- Sterbebegleitung
Im Rahmen der Seminararbeit werden allerdings die klassischen Formen nach Bühler erläutert.
2.1.1 Aktive Sterbehilfe
Von aktiver Sterbehilfe spricht man bei der gezielten Tötung auf Verlangen (vgl. StGb § 216: Tötung auf Verlangen) Im medizinischen Kontext liegt aktive Sterbehilfe vor, wenn das Leben eines leidenden Patienten zum Beispiel durch eine Überdosis Morphin, die den Tod zur Folge hat, verkürzt wird. Dabei geht es um die gezielte Herbeiführung des Todes durch den Arzt (vgl. Maio, G., 2012, S. 343f). Bei der Tötung auf Verlangen liegt die Tatherrschaft somit nicht in der Hand des Patienten sondern bei einem Dritten (vgl. Nationaler Ethikrat 2006, S. 55). Nach deutschem Recht ist diese Art der Sterbehilfe verboten und strafbar (vgl. StGb § 216: Tötung auf Verlangen). Diese Form der Sterbehilfe kommt ihrem Wortstamm am Nächsten da es sich hierbei um die reine Tötung auf Verlangen handelt.
2.1.2 Passive Sterbehilfe
Das Unterlassen lebensverlängernder Maßnahmen bei bevorstehendem unabwendbarem Tod wird als passive Sterbehilfe bezeichnet (vgl. Maier, G., 2015, S. 43). Sie ist strafrechtlich nicht geregelt und standesrechtlich in den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung unterstützt. In diesem Fall spricht man von einem rechtlich problemlosen Zulassen des Strebens (vgl. Bedford-Strohm, H., 2015, S. 35ff). Laut einem Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 25.06.2010 gilt es für Ärzte, den Willen des Patienten zu respektieren (vgl. BHG 2 StR 454/09). Die ausdrückliche Ablehnung einer Lebensverlängerung durch Maschinen oder einer bestimmten Therapie von Seiten des Patienten gilt als Grundlage ärztlichen Handelns. Dies kann durch den mutmaßlichen Willen oder mittels einer Patientenverfügung eingeleitet werden. Auch wenn diese Form der Strebehilfe sehr unproblematisch klingt, birgt sie zeitweise intensive ethische Konflikte. Denn, um Sterben zuzulassen, bedarf es in manchen Fällen auch einer aktiven Handlung (vgl. Nationaler Ethikrat 2006, S. 54).
2.1.3 Indirekte Sterbehilfe
Bei der indirekten Sterbehilfe steht die Schmerzlinderung im Focus des Handelns. Dass der Patient aufgrund der Dosierung zu Tode kommen kann, wird in Kauf genommen, darf allerdings nicht wie bei der aktiven und der passiven Sterbehilfe, Ziel der Tat sein (vgl. Maio, G., 2012, S. 345). Wichtig in der Unterscheidung ist hier, dass eine Lebensverkürzung nicht das Ziel der Behandlung/Therapie ist und auch nicht sein soll. Da es sich hierbei eher um eine palliative Behandlungsmethode beziehungsweise Therapie am Lebensende handelt, sollte hier eher von dem Begriff Sterbehilfe Abstand genommen werden. Bei dieser Form ist ebenfalls eine straf- und standesrechtliche Belangung ausgeschlossen.
2.1.4 Beihilfe zur Selbsttötung/ärztlich assistierter Suizid
Unter dem ärztlich assistierten Suizid, auch Beihilfe zur Selbsttötung genannt, versteht man die Bereitstellung und Beschaffung von Medikamenten, deren Konsum letztendlich zum Tode führt, durch einen Arzt. Die Tathoheit liegt dabei bei dem Sterbewilligen (vgl. Schmidt, B., 2016. S. 13). Die Rechtslage ist bei dieser Form der Sterbehilfe sehr widersprüchlich. Der Suizid ist in Deutschland nicht strafbar und somit der assistierte Suizid ebenso nicht. Vorausgesetzt, dieser wird dabei nicht geschäftsmäßig gefördert (vgl. Hellweg, R. 2015, S. 1). Eigentliches Problem dabei ist der Arzt als Helfer. Nach bisherigem Rechtverständnis darf er die Tabletten verschreiben, darf allerdings aufgrund seiner Garantenpflicht im Falle eines Suizids nicht anwesend sein oder muss lebensrettende Maßnahmen einleiten auch wenn die Tatherrschaft beim Patienten liegt (vgl. Maier, G., 2010, S. 51). Das am 6.11.2015 vom Bundestag verabschiedete Gesetz macht die Rechtslage nicht klarer. Des Weiteren erlaubt es die Muster-Berufsordnung, welche auf Bundesebene formuliert wird, Ärzten nicht, Beihilfe zur Selbsttötung zu leisten. Rechtlich relevant ist dieser Beschluss allerdings nicht für alle Landesärztekammern (vgl. Hellweg, R. 2015, S. 3). Ärzte bewegen sich somit bei dem Thema des assistierten Suizids in einem ethischen, moralischen und juristischen Spannungsfeld.
2.2 Rechtslage in Deutschland
Die Situation in der Bundesrepublik ist geprägt von einer widersprüchlichen Rechtslage. Es herrsch ein Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmungsrecht und Hilfeleistungspflicht. Der assistierte Suizid war entgegen dem standesrechtlichen Verbot einiger Landesärztekammern solange die Tatherrschaft bei dem Sterbewilligen lag viele Jahre nicht verboten (vgl. Neumann, U., 2015, S 16). Im Einzelfall kam es schon immer wegen der ärztlichen Garantenpflicht zu Rechtsunsicherheiten. Vor allem wegen der Unterlassenen Hilfeleistung bei Eintreten der Bewusstlosigkeit (vgl. 323c StGb: Unterlassene Hilfeleistung). Seit dem 6. November 2015 ist die geschäftsmäßige Förderung der Beihilfe zum Suizid in Deutschland verboten und somit auch Bestandteil des Strafrechts. Vereine wie Sterbehilfe Deutschland von Roger Kusch wurden somit als rechtswidrig eingestuft (vgl. § 217 StGb: Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung). Das Ziel eine klare Rechtslage für Ärzte zu schaffen wurde verfehlt, denn der Begriff „geschäftsmäßig“ sorgt für mehr Unsicherheit. Unter Geschäftsmäßig wird eine organisierte, gewinnorientierte und eine sich wiederholende Handlung verstanden, wodurch auch Palliativmediziner in Ihrem Tun betroffen sein können. (vgl. Zeit Online vom 6. November 2015). Standesrechtlich ist es Ärzten seit der Verschärfung der (Muster-) Berufsordnung durch die Bundesärztekammer im Jahre 2011 verboten, beim Suizid mitzuwirken. Übernommen wurde diese Formulierung wie schon einleitend erwähnt nur von 10 der 17 Landesärztekammern (vgl. Borasio, G., et al., 2014, S. 34). Den assistierten Suizid bundesweit explizit zu verbieten würde nicht nur gegen Art. 4 Abs. 1 GG in dem die Gewissensfreiheit des Arztes geschützt ist, sondern auch gegen die Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs.1 GG verstoßen. Dem Straf- und Standesrecht steht das Verfassungsrecht und somit das Selbstbestimmungsrecht gegenüber. Der Mensch hat zwar ein Recht zu leben, ist aber nicht dazu verpflichtet (vgl. Borasio, G., et al., 2014, S. 37) Die aktuelle Rechtslage zu diesem sensiblen Thema ist in Deutschland sehr undurchsichtig und bedenklich. Wenn ein schwer kranker Sterbewilliger den Arzt seines Vertrauens um Hilfe bittet, gerät dieser automatisch in einen schwer zu bewältigenden Konflikt.
2.3 Rechtslage in der Schweiz
Nach etlichen gescheiterten Versuchen, die Beihilfe zur Selbsttötung durch eine Volksabstimmung gesetzlich zu regeln, entschied der Bundestag 2011 auch auf eine gesetzliche Regelung organisierter Suizidhilfe zu verzichten. Der ärztlich assistierte Suizid ist somit in der Schweiz nicht rechtswidrig solange er nicht aus selbstsüchtigen Motiven geschieht (vgl. Schmidt, B., 2016, S.9). Wenn mit selbstsüchtigem Hintergrund gehandelt wird, wird man nach Art. 115 StGb der Schweiz strafrechtlich belangt. Diese tolerante Regelung ermöglicht es Organisationen wie Exit und Dignitas unter bestimmten Voraussetzungen Suizidhilfe anzubieten. Die Schweizer Regierung setzt auf die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts und ist sich sicher durch eine Förderung der Palliativmedizin und der Suizidprävention die Suizidrate senken zu können (vgl. Borasio, G., et al., 2014, S. 44).
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